Vornweg: Ich habe zum Rundumschlag ausgeholt. Da sind wir auch wieder beim Thema wieso man sich vorher ein eng gestecktes Ziel setzen sollte (wie Philip und Ulf neulich erst bei dem Seehofer-Rechtsextremismus-Gutachten konstatiert haben). Ich aber wollte Gott und die Welt erklären und warum SchurkenGurke in vielen Punkten daneben liegt: Daher in diesem Machwerk, dessen Schöpfung mich so sehr ausgelaugt hat, dass ich davon eine Migräne bekommen habe: Was Hedgefonds sind und was sie tun. Wen sie vertreten und warum es schlecht ist, wenn HFs Pleite gehen. Warum es selbst, wenn sie schlecht wären, nicht fair wäre die User von reddit.com/r/wallstreetbets (WSB) als Helden darzustellen und es keine David-gegen-Goliath-Geschichte ist. Inwiefern die Kinder mit dem Feuer gespielt haben und warum sie damit die ganze Stadt in Gefahr gebracht haben. Was Neo-Broker sind und welche Rolle sie spielen. Warum es keine Verschwörung der internationalen Finanzgemeinschaft war und warum es gut war, dass der Handel eingeschränkt wurde. Dazu noch ein Exkurs, der ein Psychogramm der Seele von Wallstreetbets liefert: wer die User waren, wer sie sind und wohin sie gehen.
Meine einzige Motivation ist es, dem selbstgefälligen und vor allem völlig verzerrten Selbstbild von WSB und den dortigen Frischlingen etwas entgegenzusetzen. Meine manische Energie speiste sich aus der augenscheinlich falschen Erwartung, dass deren Narrativ sich außerhalb der Medienlandschaft durchsetzen würde – ein Bias als langfristiger Beobachter von WSB. Denn als ich die Kommentare hier noch einmal durchgelesen habe, ist mir aufgefallen, dass es bei weitem kritischer ggü. diesem Gut-gegen-Böse-Frame war, als ich zunächst dachte. Ggf. hilft die nachfolgende Darstellung, auch wenn sie damit ihr eigentliches Primärziel verfehlt, ja einigen Menschen, die gesamte Geschichte besser zu verstehen und bietet damit eine Grundlage für die eigene Meinungsbildung.
Ich bin eigentlich noch lange nicht fertig, gerade im hinteren Teil müsste man noch mal umsortieren, aber ich lass es jetzt einfach so.
Zur Rolle der Hedgefonds
Fangen wir zunächst einmal damit an, weshalb die Gleichung „Hedgefonds = böse“ - neben der offensichtlichen Oberflächlichkeit - (1) falsch ist und andererseits, (2) warum es keine Rolle spielen würde, selbst wenn die Gleichung richtig wäre. (3) Anschließend fassen wir zusammen, warum wenn man (a) sagt, auch (b) sagen muss und das WSB-Bild ((a) aber nicht (b)) damit nicht stimmen kann.
(1) Wer sind Hedgefonds?
Es gibt verschiedene Arten von Hedgefonds (nachfolgend HFs). Die von denen wir hier reden, verkaufen aber typischerweise Unternehmensanteile, die sie nicht haben, um Geld einzusammeln, das sie anderswo investieren. Das hat vor allem zwei Vorteile:
Hebel
Man kann prinzipiell mit weniger Kapital den selben Gewinn einfahren.
Insofern könnte man HFs also auch als Helden der weniger begüterten Marktteilnehmer sehen, sowie Optionen bzw. Hebelzertifikate eben auch einen riskanten, aber gangbaren Weg für „normale“ Leute darstellen, es auch in einer Lebenszeit zu Reichtum zu schaffen.
Sicherheit
Sie versprechen schlechtere aber konstantere Renditen und sind damit ein sichereres Investment.
„Hedgen“ kommt von Hecke. Man kann seinen Garten durch das Einhegen mit einer Hecke vor dem Zugriff von außen schützen. Genauso kann man sein Portfolio gegen schlechte Entwicklungen „hedgen“, indem man auf die eigene Gegenposition wettet. Ich profitiere dann nicht nur von einem steigenden Markt, sondern auch von einem fallenden. Die Gewinne aus einem fallenden Markt, kompensieren so die Verluste der Long-Positionen (bspw. Wenn ich eine Aktie gekauft habe), die ja eine „Wette“ auf steigende Märkte sind.
Das ist wie bei einer Versicherung. Man schließt sie nicht ab, weil man will, dass der Schaden eintritt, sondern um sich abzusichern, falls er eintritt. Man kann die Cashflows also auch gut mit einer Versicherung im privaten Bereich vergleichen: Wenn ich keine Krankenversicherung abschließen würde, hätte ich sicher mehr Geld in der Tasche. Aber wenn ich denn dann mal ernsthaft erkranken würde, wäre der Schaden größer als die Gesamtsumme der monatlich gezahlten Prämie für die Versicherung. Dagegen hedge ich, indem ich einen Teil meines Einkommens in eine Versicherung investiere. Eine Krankenversicherung ist in diesem Sinne eine „Wette“, dass man schwer erkranken wird – andernfalls zahlt man ja nur drauf. Der Unterschied zwischen klassischer Versicherung und Hedge ist lediglich, dass die Versicherungsgesellschaft ihre Versicherung über ein Geldtopf-Prinzip finanziert, wohingegen sich der Hedge, also die Versicherung am Kapitalmarkt, aus der Logik der Position ergibt (gehe ich Long auf den Markt, ist ein kleine Shortposition mit starkem Hebel ein Hedge. Shorte ich den Markt, ist eine kleine Longposition ein Hedge).
Jedenfalls performen deswegen HFs in Krisenzeiten besser, weil sie eben hedgen/versichern. Deswegen investieren große Geldtöpfe mit einem starken Bedürfnis nach Sicherheit besonders gerne in HFs und wer ist das? Pensionfonds. Hinter Melvin, einem der größten Shortseller von Gamestop, stand deswegen nicht zufällig ein Pensionsfonds von New Yorker Lehrern und Beamten (gelesen auf Reddit, genaue Quelle atm. leider nicht mehr auffindbar), die mit 1-2 Mrd. US-Dollar investiert waren. Es denen da oben also mal zeigen, ja? Die Investition dieses Pensionsfonds in Melvin war sicher ein Fehler, da die klare Strategie von Melvin das Hebeln und nicht das Sichern ist, wie aus diesem Interview zweifelsfrei hervorgeht. Aber ist die Fehlentscheidung eines Pensionsfonds also eine moralische Rechtfertigung, ihn eine Menge Geld zu kosten?
(2) Hedgefonds sind Aasgeier - na und?
Unsere Verständnisse von Moral scheinen wohl stark zu differenzieren.
Davon gehe ich stark aus. Ich habe was Moral ganz allgemein angeht, einen recht kühlen Kopf und bin eher der logische Typ, aber das ist hier nicht das Thema. Kommen wir zu einer fairen Bewertung des HF-Geschäfts: Dieses finde ich persönlich keineswegs verwerflich. Sie töten nämlich Zombieunternehmen ab und erfüllen damit dieselbe wichtige Aufgabe wie Raubtiere, die die Schwachen und Kranken aussortieren oder Aasfresser und die an Fäulnisprozessen beteiligten Mikroorganismen: sie verwerten ungenutzte oder lebensunfähige Biomasse, um anderswo neues Leben zu schaffen. Das mag man unappetitlich finden, es ist aber nichts qua seiner natur Schlechtes. Würde es diese „Marktteilnehmer“ (und zwar die aus Ökonomie genauso wie die aus der Ökologie) nicht geben, würde wohl alle Biomasse früher oder später in der Tiefsee landen und einfach nur ungenutzt und literally tot herumliegen.[kleine gedankliche Anregung] Wäre das nicht moralisch extremst verwerflich?
Ekel ist zwar ein starkes Gefühl, aber eben auch nur das: ein Gefühl, das nicht auf Fakten basiert und die Vernunft soweit vernebelt, dass man über den eigentlichen Gegenstand kein sachliches Urteil mehr fällen kann. Ich würde daher immer empfehlen, sich einem Thema aus einer vernünftigen Perspektive zu nähern und moralische Vorurteile und Ekelgefühle dabei ganz bewusst auszublenden, bevor man sich vom abscheugetriebenen Moralkompass ablenken lässt.
Gamestop hatte seine Chance und hielt an einem völlig veralteten in keinster Weise konkurrenzfähigen Geschäftsmodell fest, anstatt umzudenken. Es wäre besser gewesen, das Unternehmen wäre einen schnellen Tod gestorben und die Reserven in neue innovative Unternehmen geflossen, die den Menschen echten Mehrwert bringen und ihr Leben verbessern. Auch mit neuem Management-Board glaube ich persönlich nicht an die Zukunft von Gamestop, aber das ist nur eine Meinung. Die Geier kreisten jedenfalls schon zurecht.
Wer sich mehr für die Natur von Hedgefonds interessiert, findet z.B. [hier][oder hier] Inspiration für seine weiteren Nachforschungen. Diese Beispiele treffen im speziellen Fall von Gamestop jedenfalls besser zu als der Aasgeier-Vergleich. Ein besonders schöner Fakt über Geier ist übrigens, dass sie immun gegen zahlreiche schwere Krankheiten sind, so wie HFs sich auch von schlechten Büchern von Wirecard & Co. nicht anstecken lassen und so das restliche Ökosystem durch die Verdauung dieser Seuchenherde schützen. Hier ein zeiteffizientes TED-Ed Video, das die ganze Sache anschaulich darstellt.
(3) WSB als Hedgefond
Auf der anderen Seite: Was ist denn jetzt eigentlich der Unterschied im Wesen der HFs und der WSB-Spekulanten? Beide wollen mit dem Niedergang eines anderen Geld verdienen. Ist es nicht scheinheilig sich hinzustellen und zu sagen, dass der andere der Böse sei? Und um das vorweg zu nehmen: selbst, wenn das Tagewerk der HFs objektiv verwerflich wäre oder der ganz konkrete Fall vom Übershort wirklich eine Übel wäre, dass auf eine Kappe gehen würde, würde ein Unrecht ja nicht unbedingt ein anderes rechtfertigen.
Deswegen ist es auch egal, wie man zu Hedgefonds steht oder ob man dafür Schuld verteilen kann, dass übershortet wurde. Der Punkt ist, die Spekulanten von WSB sind ihnen ähnlicher als sie glauben. Man kann damit also nicht über Hedgefonds etwas sagen, was man nicht auch über WSB sagen müsste.