GameStop. Kleinanleger gegen Hedgefonds?

[quote=„otzenpunk, post:8, topic:5390“]
Das ist ein ziemlich offensichtlicher Beweis, dass das, was da abgeht, von der Realwirtschaft völlig entkoppelt ist, und es nur noch darum geht über Spekulation aus Geld noch mehr Geld zu machen. Quasi wie eine Mischung aus Poker und Lotterie, bloß dass bei einer gewöhnlichen Lotterie am Ende nach Abzug der Kosten der Veranstalter in Summe weniger Geld ausgeschüttet wird als eingezahlt, während es an der Börse umgekehrt ist. [/quote]

Naja r prinzipiell ist Short gehen auch in der „Realwirtschaft“ ganz normal.

Wenn ich meinen Kunden etwas verkaufe, dann habe ich das im Zweifel auch noch nicht auf Lager. z.B die Lieferverpflichtungen der Impfstoff-Firmen kommen in den Sinn. Hier ist die Spekulation höher, aber das sind „normale“ Warentermingeschäfte.

Der oft gesuchte Vergleich mit Häusern ist irreführend, Orangen sind passender. Die Orangen die Real im November ins Regal legt, sind schon verkauft, müssen aber noch wachsen :slight_smile:

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OK. Danke für die Infos, die ersten Meldungen die ich dazu bei Spiegel usw. gelesen hatten halt diesen Unterton „Game-Kiddies zwingen Finanzindustrie in die Knie“, da hatte ich offenbar den falschen Eindruck.
Etwas mehr Hintergrund findet man auch in der aktuellen Logbuch Netzpolitik Folge LNP378 Der schwarze Block fährt jetzt Tesla | Logbuch:Netzpolitik.

Da Short Seller ihre Positionen öffentlich machen finde ich es ok. Da kommt eine große Firma daher und sagt öffentlich (!): „basierend auf meinen Daten ist diese Aktie überbewertet und ich shorte sie jetzt, wenn Du anderer Ansicht bist, dann halte doch dagegen.“

Und das Verlustrisiko des Short-Sellers ist ja auch weit über 100%, bei GME haben sie teilweise 1000% verloren.

Doch, man muss sich die Aktie vorher gegen Zinsen und Rückgabedatum bei jemandem leihen der sie hat und kann die dann verkaufen. Der Käufer kann die Aktie wiederum weiterverleihen und so kann eine Aktie mehrmals verliehen werden.

Wenn zu viele das machen kommt es zu einem Short Squeeze, eigentlich ein normaler Markt-Machanismus, aber hier wurden Kleinanleger in so ein „Spiel“ gezogen. Glaube nicht dass die alle ihre Positionen rechtzeitig geschlossen haben/schließen werden. Neben den Hedgefonds werden auch einige von ihnen die Zeche bezahlen.

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Dass man einer Firma, an die man glaubt, finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, ist für mich erstmal ok. Das heisst, dass eine Aktie teurer ist, als die Firma ist grundsätzlich mal nichts Ungewöhnliches. Schwierig ist für mich, dass man mit Gütern und Anteilen, die man nicht hat, Geld verdienen kann.

Mir ist schon klar wie Shorts funktionieren – der Satz war auf Hellshare Frage gerichtet, warum der Marktpreis nicht durch “normales” Verkaufen reguliert wird. Man kann übrigens auch Shorten, ohne sich die Aktie zu leihen. Das nennt sich Naked Shorting und ist seit 2008 in den USA verboten.

Ja und ich denke auch, dass die Redditers auch verlieren werden. Heute ist GME ja schon um 50% gefallen.

Shortselling deckt sehr wohl Problem in Unternehmen auf. So wurde zum Beispiel Wirecard schon Anfang 2019 massiv geshortet. Die BaFin hat Shortselling für Wirecard einfach verboten, statt sich selber mit der Kritik zu beschäftigen!

Das ist aber nur ein Grund warum Shortselling wichtig ist – aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Aus der Sicht der Shortseller geht es meistens darum sich gegen Gesamtmarktsschwankungen abzusichern. Beispiel: Ich kaufe Daimler und shorte BMW. Dann mache ich solange Gewinn, wenn ich Daimler sich besser entwickelt als BMW, egal ob die Kunden insgesamt mehr oder weniger Autos kaufen.

Dass Shortseller besonders Hochrisiko–Spekulanten sind die mit dem Leid von Stakeholdern gewinnen machen, ist meines Erachtens ein Irrglaube. Das wäre auch sehr schwierig:

  1. Wenig Leute haben Lust auf krasses Risiko. Die meisten Investoren wollen einfach, dass ihr Geld möglichst sicher einigermaßen gewinnbringend vermehrt wird. Wie schon öfter hier erwähnt, haben Short begrenzte Gewinnmöglichkeiten und unbegrenzte Verlustmöglichkeiten.
  2. Fürs Shorten braucht man viel Kapital, was dazu führt, sodass Shortseller sehr stark gehebelt sind. Dadurch würden eventuelle Verlust um ein vielfaches schwerer wiegen.
  3. Shorts werden stärker besteuert als normale Verkäufe.

Wenn jemand einfach auf den Verlust des Marktes wettet, wäre man besser beraten einfach die Aktien zu verkaufen die man hat.

Wie das bei den Aktien aussieht, um die es jetzt geht weiß ich nicht (GME, Blackberry, AMC) – 140% scheint mir schon sehr viel zu sein. Das ist zurzeit aber in der Hitzigkeit der Lage schwer zu beurteilen.

Meine Hauptbotschaft: Shorten ist grundsätzlich keine schlechte Sache. Shorts haben in Deutschland schon immer einen schlechten Ruf – zu Unrecht!

Ein spannender Fall, wo Shorten tatsächlich unmoralisch war: Goldmann Sachs’ Abakuspapiere 2007. Da hat John Paulson die IKB ordentlich über den Tisch gezogen. Die Überschrift vom Economist sagt eigentlich alles: “It’s not about shorting. It’s about shorting, while telling your customers to go long.”

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Hast du dafür eine Quelle? War der Vorwurf Insider-Handel?

Interessant, wieder was gelernt.

Die Begründung war damals anscheinend die hohe Volatilität mit “ungünstigen Entwicklungen, die eine ernstzunehmende Bedrohung für das Marktvertrauen in Deutschland darstellten.” (Bafin verbietet Spekulationen auf fallende Aktienkurse bei Wirecard)

Ein gute Zusammenfassung über solche Fälle findet sich unter anderem hier Wirecard’s scandal shows the benefits of short-sellers | The Economist

Die Financial Times hat wahrscheinlich auch sehr viel dazu geschrieben. Sie hat die Vorwürfe auch schon 2019 öffentlich gemacht, die BaFin drohte mit Klage.

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Ich stimme voll zu das es grundsätzlich keine schlechte Sache ist. Aber dass man z.B. mehr Shorten kann, als Aktien tatsächlich auf dem Markt sind, ist einfach ein Ausnutzen von Lücken in den Regeln, und führt dann eben zu solchen Verwerfungen wie bei GME.
Hier müsste eigentlich frühzeitig die Regulierung eingreifen, was aber in vielen Fällen entweder nicht oder erst sehr spät passiert. Die Gründe dafür kann ich nur erahnen (Know How, Personal, Eigeninteresse, etc), aber sie sind bestimmt vielschichtig.

Das wird jetzt sehr anstrengend für mich werden, aber der Verbreitung einer einseitigen Berichterstattung entgegenzuwirken ist es mir das auch wert. Entschuldigt schon mal im Voraus, dass ich mich daher nicht sonderlich um Ausdruck und ausgefeilte Argumentationen kümmern werde.

War es aber nicht. Auf der Käuferseite standen Namen wie BlackRock und die würde selbst Friedrich Merz nicht als mittelständisches Unternehmen bezeichnen. Die These, dass Retail-Investoren die Rally verursacht haben, ist schlicht an den Haaren herbeigezogen und sieht nur aus der Reddit-Bubble heraus so aus. Das ist aber natürlich auch ein nützliches Narrativ für die Redditoren gewesen, die tatsächlich einen Pump-n-Dump angestrebt und einfach Bag-Holder gesucht haben. Reddit wollte, dass das wahr ist, womöglich einfach aus einer Form von Narzissmus („wir haben das gemacht“).

Der Vorwurf der Medien lautete ja im Prinzip Pump-and-Dump, verabredet zum Kauf, um den Kurs zu pushen und dann teuer zu verkaufen. Das ist aber eine Falschmeldung, die sicher oft auf Unwissenheit und Unfähigkeit die Situation schnell zu fassen gefußt hat. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass die Short-Seite hier auch zusätzlich noch effektiv das Narrativ geprägt und bewusste Fehldarstellungen in den Medien platziert hat. Die Hedgefonds haben allem Anschein nach dabei auch nicht vor illegalen Falschmeldungen zurückgeschreckt.

Warum pump-and-dump illegal ist? Weil es ein Paradebeispiel für Marktmanipulation ist. Es missbraucht Marktmechanismem, um einen Wert zu suggerieren, den es nicht gibt und ist damit eine Form des Betrugs.

Was Reddit gemacht hat, war nicht illegal. Dort gab es keine geheimen Absprachen und auch keine Absicht, einen Hype zu erzeugen. Das war eher Beiwerk der Entdeckung, dass Gamestop übershortet wurde. Gamestop war aber prädestiniert für einen Hype, weil, die Millenials eine gewisse Hassliebe mit dem Unternehmen verbindet und die legendär niedrigen Zahlungen für gebrauchte Spiele ein beliebter Meme waren. Inzwischen sprechen sich die Teilnehmer des Forums zwar sehr intensiv Mut zu, aber von illegalen Absprachen ist das noch weit entfernt. Zumal Reddit eine öffentliche und sehr bekannte Plattform ist.

Zu deiner Ursprungsfrage also:
Ja, es ist das Recht eines freien Marktes in ein wertloses Unternehmen zu investieren und das bestreitet auch niemand. Es ist lediglich behauptet worden, dass Reddit zusätzlich in rechtswidriger Weise den Kurs gepusht hätte. Das ist nach meiner Einschätzung aber nicht richtig.

Ich hatte zumindest gelesen, dass sich die Broker dieses „Hausrecht“ in den AGBs sichern würden, habe es aber nicht nachgeprüft. Halte ich in der ganzen Sache aber auch nicht für des Pudels Kern. Das ist nämlich nur eine Scheindebatte im Sinne der „Wutbürger“ von Reddit. Dabei geht es nämlich um das Lenken der Empörung auf die Broker, um vom eigenen Verhalten abzulenken.

Die Initialzündung war die Nachricht, dass ein elon-musk-karätiger Vorstand die Leitung des Unternehmens übernimmt und der große Pläne mit dem vermeintlichen Pleitekandidaten hatte. Die ganze Geschichte hat damit eine realwirtschaftliche Ursache.

Daran ist überhaupt nichts Verwerfliches. Kein Gewinn ohne Risiko. Normalerweise ist der Gewinn eine Risikorendite. Je höher das Risiko, desto höher der Gewinn. Finde ich persönlich ziemlich fair.
Dass Geld Geld erwirtschaftet und Geld haben besser bezahlt ist, als Erwerbsarbeit nachzugehen ist ein Problem des Kapitalismus und nicht eine genuine Eigenschaft der Börsen. Ich will jetzt kein Fass aufmachen, aber wenn es darum geht dieses Problem anzugehen, bin ich voll dabei. Für Kleinanleger sollte das investieren an den Börsen deutlich vergünstigt werden, für Privatiers sollte es deutlich teurer werden. Der sogenannte Sparer-Pauschbetrag beträgt 801€, das ist derjenige Betrag, den Kleinanleger jährlich als steuerfreien Gewinn einstreichen dürfen. Dieser Freibetrag ist seit 2009 nicht mehr gestiegen. Davor ist er sogar gesunken. Auf der anderen Seite zahle ich auf den ersten Euro nach 801€ Gewinn 25% Steuern und damit exakt genau so viel wie auf den ersten Euro nach meiner dritten Milliarde.

Der Aktienpreis spiegelt nicht nur den Wert eines Unternehmens wider, sondern vor allem auch seine Zukunftsaussichten. Ich persönlich finde Tesla auch massiv überteuert und glaube, dass der Kurs fallen wird, aber viele andere Investoren sehen das anders. Für sie wird Tesla quasi in den Aktien-Kurs hineinwachsen, weil das Unternehmen in zahlreichen Zukunftstechnologien stark vertreten und
führend ist (Akkus, autonomes Fahren, etc pp).

Das ist lediglich eine moralische Wertung. Der Gamestop-Short-Squeeze ist aber eine Medaille mit zwei Seiten. Die Hedgefonds haben sich versehentlich an den Abgrund gestellt und Reddit wollte sie aus Mordlust und/oder Profitgier runterschupsen - egal was dann mit dem Rest der Welt passiert. Ich sehe damit Reddit moralisch im schlechteren Licht.

Auch hier noch mal: Das kann man schon so sehen, aber es lässt außer Acht, dass die Buyer-Seite die Hedgefonds bewusst ausbluten lassen will, egal was dann mit dem restlichen Finanzsystem passiert. Die Zocker von Reddit haben aus einem populistischen Sentiment heraus („es denen da oben mal richtig zeigen“) die ganze Welt als Geisel genommen. Man hat sich dort literally als Joker gefeiert, der ja bekanntermaßen einfach nur die Welt brennen sehen und eine Message senden will. Damit möchte ich das aber keineswegs skandalisieren. Man sollte sich nur darüber im Klaren sein, dass es eben nicht ein epochaler Showdown von Gut gegen Böse war. Zumal ich glaube, dass für viele Leute diese Erzählung auch einfach nur als Nebelkerze für ihre Gewinnabsicht bedienen.

Falsch, Optionen haben Fällichkeitsdaten, Leerverkäufe dagegen nicht. Einen Leerverkauf kann ich so lange ausstehen lassen wie mir Ressourcen zur Verfügung stehen, um die Zinsen zu bedienen.

Inkonsistente Verwendung von Präsens und Perfekt gehen darauf zurück, dass noch nicht ganz klar ist, ob die Sache nun gelaufen ist oder nicht.

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Dieses Argument habe ich schon des öfteren gehört hättest du einen Beleg dafür, ich habe es lediglich auf Twitter gelesen.

Auch wenn Großanleger mit am Kauf der Aktie beteiligt waren ändert dies nichts am grundsätzlichen Problem. Hätten die Hedgefonds nicht 140% der Aktien geshortet, dann wäre durch den Kauf der GameStop-Aktie nicht so eine große Lawine im Aktienmarkt entstanden. (Wahrscheinlich wäre es nicht einmal zu Kauf der Aktie gekommen, da es keinen Anlass gegeben hätte auf einen „Short-Squeeze“ zu hoffen).

Hey Peter,

die Anstrengung hat sich gelohnt. Super erklärt! Danke.

Hallo zusammen!

Dass große Investoren und Hedgefunds auch auf Käuferseite waren bestreitet wohl niemand. Allerdings heißt das noch lange nicht, dass Retailinvestor:innen nicht maßgeblich oder entscheidend verantwortlich waren. Es hielten zum Ende der letzten Woche 7 Millionen Robin Hood Nutzer:innen Aktien von Gamestar, bei ca. 50mio free floating Shares also bei im Schnitt (sehr konservativ geschätzt) 2-3 Aktien also bis zur Hälfte der Aktien. Wenn in einer so kurzen Zeit also durch Millionen Anleger:innen zugekauft wird, kann und wird das wohl sehr wahrscheinlich der Auslöser gewesen sein. Die großen Hedgefonds gehen da natürlich gerne mit und „dumpen“ dann bei 10x Gewinn. Was noch dazu gesagt werden sollte: BlackRock und co halten solche Aktien zu Großteilen in ETFs, also nicht direkt zugreifbar. Ich halte es für ausgeschlossen, dass Hfs und Whales alleine für die Rallye verantwortlich sind und die Kleinanleger:innen nur die kleinen traurigen (oder bis Freitag glücklichen) Beistehenden.

Was ich daran interessant finde ist, dass die Shortenden Hfs im Prinzip genau das getan haben, allerdings in die andere Richtung. Wer über 100% eines Stocks shorted pumped damit ordentlich nach unten und wer mir erzählen will, dass sie damit nicht koordiniert viel Geld am Niedergang einer Firma machen wollten, sollte mir zuvor ein Glas Wasser zum lauthals lachenden Ausprusten bereitstellen.

Auch das sehe ich anders. DFV (Der Reddituser, der das ganze „losgetreten“ hat) hatte Gamestop ursprünglich als stark unterbewertete Firma angesehen und sein „play“ war nicht unbedingt auf einen Short-squeeze ausgelegt. Das kam dann im Laufe der Zeit. Die Initialzündung war trotzdem die absurd hohe ShortInterest. Ohne das wäre das ganze (Der Squeeze, der bis er letzten Donnerstag durch starkes Eingreifen in den Markt unterbunden wurde, wie vorhergesagt passiert war) so nie passiert.

Hier musste ich grinsen. Kein Hedgefond dieser Welt shortet insgesamt 140% eines Stocks und stellt sich damit „versehentlich“ an den Abgrund. Zumindest hätte so ein Hedgefond nicht ausreichend Geld um so eine „Aktion“ zu starten ;). Unsere Verständnisse von Moral scheinen wohl stark zu differenzieren.

Hier bist du ein wenig inkonsequent, während du oben noch meintest die Reddituser:innen und Kleinanleger:innen hätten nichts mit der ganzen Aktion zu tun, stellst du sie hier als die bösen Geiselhaftnehmer:innen dar. Was denn nun? :slight_smile: Und noch einmal: Die Shorts haben zu 100% gewusst, welches Risiko sie eingehen und was das für das Finanzsystem als ganzes (wenn sie bei einem weiterlaufenden Squeeze irgendwann nichtmehr liquidieren können und dann ihre Broker als nächste Sicherheitsstufe in haftung genommen worden wären) bedeuten hätte können. Aber keine Sorge, bevor das passierte (Donnerstag) wurde ja einfach kurzerhand der Druck von der Leitung (Robinhood stellte die Kaufoption komplett ein) genommen, sodass die big players das unter sich ausmachen konnten.

Zu guter letzt: Was mit GME in den letzten Tagen passiert ist, ist in meinen Augen skandalöse Marktmanipulation. Vom ungeprüften Streuen von FUD (Fear uncertainty distrust) in den Medien, über Falschmeldungen hin zu Bots die in Reddit plötzlich massenhaft auftauchten und Panik verbreiteten beziehungsweise auf andere Anlagemöglichkeiten ablenken wollten (keine Belege dafür, aber ich war selbst ab und zu in Reddit unterwegs und habe ein paar Screenshots gesehen) über das Einschränken des Handelns (nur Kauf, natürlich nicht Verkauf :wink: ) bis hin zu short ladder attacks, die den Preis bei wenig Handelsvolumen üer die Tage hin immer weiter in den Keller getrieben haben, bis die Kleinanleger:innen schließlich so verunsichert waren, dass es Dienstag zu einem Panikverkaufsreaktion kam und die Shorts sich wohl mehr als ausreichend eindecken konnten. Kurz: Sie konnten sich aus der Affäre ziehen, welche Methoden genau sie genutzt haben und ob diese illegal waren werden wir bei dem bisherigen Engagement der SEC aber vermutlich nie erfahren. Eher wird ein Haufen von reddituser:innen festgenommen. Falls es doch zu einer Strafe kommen sollte, sehen das die HFs wohl eher als Betriebskosten, denn ohne diese Manipulationen hätten sie vermutlich hohe Milliardenbeträge verloren.
Kurze Rede langer Sinn: Wie so vieles im Kapitalismus ist der freie Markt nur solange frei, bis er das Reichtum der Reichen bedroht :wink:

Viele Grüße

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Heute gibt es einen Artikel in der FT, der genau aufdeckt wie die BaFin das Leerverkaufsverbot begründet hat, auch gegenüber der Bundesbank und der Esma. Alles verdreht! Wohlgemerkt: Das ist das einzige Mal in Deutschland, dass ein Leerverkaufsverbot für eine spezielle Aktie ausgesprochen wurde.

Formulierungen wie diese zeigen, dass das moralistische Bild der reddit-Blase ein Luftschloss war. Es war nämlich ja nicht eine Einzelperson, die den Stock über 100% geshortet hat, sondern eine Gruppe von Unternehmen, die sich dazu nicht abgesprochen haben. Wer soll da moralisch schuld sein, wenn es eine Marktdynamik war? Sagen wir HF(i) shortet 30%, HF(ii) shortet 70% und dann kommt noch HF(iii) und shortet noch mal 40%. Sind das also alles miese Zocker, die die Pleite verdient haben oder vielleicht doch nur der Letzte, der investiert hat? Was in der Welt von r/wallstreetbets (WSB) passiert ist, ist nichts anderes als ein populistisches Feindbild zu schaffen und alle Akteure auf der Shortseite in einen Topf zu werfen (auch auf der Long-Seite, obwohl WSB nur einen kleinen Teil von dieser stellt). Und tatsächlich hätte es auch zum guten Wirtschaften gehört, dass die frühen Shortseller die Zahlen (insb. short float) immer wieder überprüfen und ihre Shorts hätten schließen müssen, sobald sie gemerkt haben, dass hier Gefahr durch einen historischen Short-Squeeze droht. Aber es ist nun mal auch nicht alltäglich, dass ein Wert so stark übershortet wird und die entsprechenden Kennziffern sind deswegen nicht etwas, das üblicherweise täglich reevaluiert wird.

Auch wenn ich das anders sehe, kann man also schon argumentieren, dass alle Short-Seller die Pleite verdient hätten. Aber hätte man sie deswegen auch in die Pleite zwingen müssen? Ich verurteile niemanden der das aus reiner Gewinnabsicht wollte. Aber ich finde es haarsträubend sich hinzustellen und zu behaupten man sei „einer von den Guten“, wenn man das tut. Zumal eben prinzipiell die Gefahr bestand, den ganzen Markt zu zerschießen. Und da sind wir auch beim Thema:

Die Fakten

Retailer waren in Summe nicht verantwortlich für die Kursexplosion, da sich Käufer und Verkäufer dieser Gruppe die Waage gehalten haben. Aus der Reddit-Bubble sah das natürlich anders aus, da (i) der Löwenanteil der Leute dort wahrscheinlich tatsächlich bullish war und (ii) das Forum kritische Meinungen überhaupt nicht zugelassen hat.

Die Ideologie

Wir reden hier nicht mehr darüber, was der Show-Down tatsächlich war, sondern darüber, wie WSB ihn sah. Es geht in diesem Abschnitt also nicht darum, was wirklich war, sondern um das, was die WSB-Buyer Seite glaubte. Ich beziehe mich hier also nicht darauf, wie ein Außenstehender die Ereignisse um GME betrachten sollte, sondern warum die Innenperspektive einer ganz bestimmten Gruppe nach meinem moralischen Verständnis falsch ist.

Ich habe gerade versehentlich LdN-Tab geschlossen und die Arbeit der letzten Stunde verloren. Ich melde mich in den nächsten Tagen noch mal mit des Pudels Kern, den ich beim letzten Mal ja schon angeteasert habe.

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Vornweg: Ich habe zum Rundumschlag ausgeholt. Da sind wir auch wieder beim Thema wieso man sich vorher ein eng gestecktes Ziel setzen sollte (wie Philip und Ulf neulich erst bei dem Seehofer-Rechtsextremismus-Gutachten konstatiert haben). Ich aber wollte Gott und die Welt erklären und warum SchurkenGurke in vielen Punkten daneben liegt: Daher in diesem Machwerk, dessen Schöpfung mich so sehr ausgelaugt hat, dass ich davon eine Migräne bekommen habe: Was Hedgefonds sind und was sie tun. Wen sie vertreten und warum es schlecht ist, wenn HFs Pleite gehen. Warum es selbst, wenn sie schlecht wären, nicht fair wäre die User von reddit.com/r/wallstreetbets (WSB) als Helden darzustellen und es keine David-gegen-Goliath-Geschichte ist. Inwiefern die Kinder mit dem Feuer gespielt haben und warum sie damit die ganze Stadt in Gefahr gebracht haben. Was Neo-Broker sind und welche Rolle sie spielen. Warum es keine Verschwörung der internationalen Finanzgemeinschaft war und warum es gut war, dass der Handel eingeschränkt wurde. Dazu noch ein Exkurs, der ein Psychogramm der Seele von Wallstreetbets liefert: wer die User waren, wer sie sind und wohin sie gehen.

Meine einzige Motivation ist es, dem selbstgefälligen und vor allem völlig verzerrten Selbstbild von WSB und den dortigen Frischlingen etwas entgegenzusetzen. Meine manische Energie speiste sich aus der augenscheinlich falschen Erwartung, dass deren Narrativ sich außerhalb der Medienlandschaft durchsetzen würde – ein Bias als langfristiger Beobachter von WSB. Denn als ich die Kommentare hier noch einmal durchgelesen habe, ist mir aufgefallen, dass es bei weitem kritischer ggü. diesem Gut-gegen-Böse-Frame war, als ich zunächst dachte. Ggf. hilft die nachfolgende Darstellung, auch wenn sie damit ihr eigentliches Primärziel verfehlt, ja einigen Menschen, die gesamte Geschichte besser zu verstehen und bietet damit eine Grundlage für die eigene Meinungsbildung.

Ich bin eigentlich noch lange nicht fertig, gerade im hinteren Teil müsste man noch mal umsortieren, aber ich lass es jetzt einfach so.

Zur Rolle der Hedgefonds

Fangen wir zunächst einmal damit an, weshalb die Gleichung „Hedgefonds = böse“ - neben der offensichtlichen Oberflächlichkeit - (1) falsch ist und andererseits, (2) warum es keine Rolle spielen würde, selbst wenn die Gleichung richtig wäre. (3) Anschließend fassen wir zusammen, warum wenn man (a) sagt, auch (b) sagen muss und das WSB-Bild ((a) aber nicht (b)) damit nicht stimmen kann.

(1) Wer sind Hedgefonds?

Es gibt verschiedene Arten von Hedgefonds (nachfolgend HFs). Die von denen wir hier reden, verkaufen aber typischerweise Unternehmensanteile, die sie nicht haben, um Geld einzusammeln, das sie anderswo investieren. Das hat vor allem zwei Vorteile:

Hebel

Man kann prinzipiell mit weniger Kapital den selben Gewinn einfahren.

Insofern könnte man HFs also auch als Helden der weniger begüterten Marktteilnehmer sehen, sowie Optionen bzw. Hebelzertifikate eben auch einen riskanten, aber gangbaren Weg für „normale“ Leute darstellen, es auch in einer Lebenszeit zu Reichtum zu schaffen.

Sicherheit

Sie versprechen schlechtere aber konstantere Renditen und sind damit ein sichereres Investment.

„Hedgen“ kommt von Hecke. Man kann seinen Garten durch das Einhegen mit einer Hecke vor dem Zugriff von außen schützen. Genauso kann man sein Portfolio gegen schlechte Entwicklungen „hedgen“, indem man auf die eigene Gegenposition wettet. Ich profitiere dann nicht nur von einem steigenden Markt, sondern auch von einem fallenden. Die Gewinne aus einem fallenden Markt, kompensieren so die Verluste der Long-Positionen (bspw. Wenn ich eine Aktie gekauft habe), die ja eine „Wette“ auf steigende Märkte sind.

Das ist wie bei einer Versicherung. Man schließt sie nicht ab, weil man will, dass der Schaden eintritt, sondern um sich abzusichern, falls er eintritt. Man kann die Cashflows also auch gut mit einer Versicherung im privaten Bereich vergleichen: Wenn ich keine Krankenversicherung abschließen würde, hätte ich sicher mehr Geld in der Tasche. Aber wenn ich denn dann mal ernsthaft erkranken würde, wäre der Schaden größer als die Gesamtsumme der monatlich gezahlten Prämie für die Versicherung. Dagegen hedge ich, indem ich einen Teil meines Einkommens in eine Versicherung investiere. Eine Krankenversicherung ist in diesem Sinne eine „Wette“, dass man schwer erkranken wird – andernfalls zahlt man ja nur drauf. Der Unterschied zwischen klassischer Versicherung und Hedge ist lediglich, dass die Versicherungsgesellschaft ihre Versicherung über ein Geldtopf-Prinzip finanziert, wohingegen sich der Hedge, also die Versicherung am Kapitalmarkt, aus der Logik der Position ergibt (gehe ich Long auf den Markt, ist ein kleine Shortposition mit starkem Hebel ein Hedge. Shorte ich den Markt, ist eine kleine Longposition ein Hedge).

Jedenfalls performen deswegen HFs in Krisenzeiten besser, weil sie eben hedgen/versichern. Deswegen investieren große Geldtöpfe mit einem starken Bedürfnis nach Sicherheit besonders gerne in HFs und wer ist das? Pensionfonds. Hinter Melvin, einem der größten Shortseller von Gamestop, stand deswegen nicht zufällig ein Pensionsfonds von New Yorker Lehrern und Beamten (gelesen auf Reddit, genaue Quelle atm. leider nicht mehr auffindbar), die mit 1-2 Mrd. US-Dollar investiert waren. Es denen da oben also mal zeigen, ja? Die Investition dieses Pensionsfonds in Melvin war sicher ein Fehler, da die klare Strategie von Melvin das Hebeln und nicht das Sichern ist, wie aus diesem Interview zweifelsfrei hervorgeht. Aber ist die Fehlentscheidung eines Pensionsfonds also eine moralische Rechtfertigung, ihn eine Menge Geld zu kosten?

(2) Hedgefonds sind Aasgeier - na und?

Unsere Verständnisse von Moral scheinen wohl stark zu differenzieren.

Davon gehe ich stark aus. Ich habe was Moral ganz allgemein angeht, einen recht kühlen Kopf und bin eher der logische Typ, aber das ist hier nicht das Thema. Kommen wir zu einer fairen Bewertung des HF-Geschäfts: Dieses finde ich persönlich keineswegs verwerflich. Sie töten nämlich Zombieunternehmen ab und erfüllen damit dieselbe wichtige Aufgabe wie Raubtiere, die die Schwachen und Kranken aussortieren oder Aasfresser und die an Fäulnisprozessen beteiligten Mikroorganismen: sie verwerten ungenutzte oder lebensunfähige Biomasse, um anderswo neues Leben zu schaffen. Das mag man unappetitlich finden, es ist aber nichts qua seiner natur Schlechtes. Würde es diese „Marktteilnehmer“ (und zwar die aus Ökonomie genauso wie die aus der Ökologie) nicht geben, würde wohl alle Biomasse früher oder später in der Tiefsee landen und einfach nur ungenutzt und literally tot herumliegen.[kleine gedankliche Anregung] Wäre das nicht moralisch extremst verwerflich?

Ekel ist zwar ein starkes Gefühl, aber eben auch nur das: ein Gefühl, das nicht auf Fakten basiert und die Vernunft soweit vernebelt, dass man über den eigentlichen Gegenstand kein sachliches Urteil mehr fällen kann. Ich würde daher immer empfehlen, sich einem Thema aus einer vernünftigen Perspektive zu nähern und moralische Vorurteile und Ekelgefühle dabei ganz bewusst auszublenden, bevor man sich vom abscheugetriebenen Moralkompass ablenken lässt.

Gamestop hatte seine Chance und hielt an einem völlig veralteten in keinster Weise konkurrenzfähigen Geschäftsmodell fest, anstatt umzudenken. Es wäre besser gewesen, das Unternehmen wäre einen schnellen Tod gestorben und die Reserven in neue innovative Unternehmen geflossen, die den Menschen echten Mehrwert bringen und ihr Leben verbessern. Auch mit neuem Management-Board glaube ich persönlich nicht an die Zukunft von Gamestop, aber das ist nur eine Meinung. Die Geier kreisten jedenfalls schon zurecht.

Wer sich mehr für die Natur von Hedgefonds interessiert, findet z.B. [hier][oder hier] Inspiration für seine weiteren Nachforschungen. Diese Beispiele treffen im speziellen Fall von Gamestop jedenfalls besser zu als der Aasgeier-Vergleich. Ein besonders schöner Fakt über Geier ist übrigens, dass sie immun gegen zahlreiche schwere Krankheiten sind, so wie HFs sich auch von schlechten Büchern von Wirecard & Co. nicht anstecken lassen und so das restliche Ökosystem durch die Verdauung dieser Seuchenherde schützen. Hier ein zeiteffizientes TED-Ed Video, das die ganze Sache anschaulich darstellt.

(3) WSB als Hedgefond

Auf der anderen Seite: Was ist denn jetzt eigentlich der Unterschied im Wesen der HFs und der WSB-Spekulanten? Beide wollen mit dem Niedergang eines anderen Geld verdienen. Ist es nicht scheinheilig sich hinzustellen und zu sagen, dass der andere der Böse sei? Und um das vorweg zu nehmen: selbst, wenn das Tagewerk der HFs objektiv verwerflich wäre oder der ganz konkrete Fall vom Übershort wirklich eine Übel wäre, dass auf eine Kappe gehen würde, würde ein Unrecht ja nicht unbedingt ein anderes rechtfertigen.

Deswegen ist es auch egal, wie man zu Hedgefonds steht oder ob man dafür Schuld verteilen kann, dass übershortet wurde. Der Punkt ist, die Spekulanten von WSB sind ihnen ähnlicher als sie glauben. Man kann damit also nicht über Hedgefonds etwas sagen, was man nicht auch über WSB sagen müsste.

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Des Pudels Kern

Kommen wir endlich zum Wesentlichen und einen Punkt, der nicht nur ungeheuer wichtig ist, um eine distanzierte Perspektive einnehmen zu können, sondern leider auch zwischen den interessensgeleiteten Darstellungen von HFs und WSB-Spekulanten verloren zu gehen scheint:

Die Neo-Broker mussten den Handel einschränken. Egal auf wessen Seite man jetzt moralisch steht: die Idee, dass die Broker Teil einer Verschwörung der internationalen Finanzeliten seien, ist - zumindest in dieser Version (s. Neo-Broker: Stichpunkt 3) - hanebüchen und trägt starke Züge des Antisemitismus in sich. Ich verstehe, dass es so aussieht, aber es verkennt die wahren Ursachen. Denen nähern wir uns nun an.

Was ist ein Broker

Ein Broker ist das Unternehmen, das zwischen dem Marktteilnehmer und dem Marktplatz steht. Er nimmt Aufträge von Teilnehmern entgegen und sucht nach passenden Angeboten am Marktplatz (der Börse) um einen Handel zustande zu bringen. Heute sind Broker viel günstiger als noch vor wenigen Jahren und der Zugang zum Kapitalmarkt daher auch schon mit deutlich kleineren Beträgen interessant geworden. Jüngst bekommen die klassischen Broker aber auch noch Konkurrenz von „Neo-Brokern“ wie Robinhood (USA) und Trade Republic (Deutschland), die sich gerne als Volksbroker für den kleinen Mann gerieren (gerne mal einen Moment über die Namensgebungen kontemplieren).

Wer sind die Neo-Broker

Die sog. Neo-Broker sind Broker, die den Handel mit Wertpapieren zum Discounterpreis anbieten. Wie machen sie das?

  • Digitalisierung: Sie kürzen radikal auf eine App runter und alles andere wird über Bord geschmissen oder eben stark zurückgefahren. Kundenservice? Da nimmt die Zeit in der Warteschlange natürlich epische Ausmaße an, wenn es mal ein Problem gibt

  • Sparen bei der eigentlichen Dienstleistung: Sie matchen die Gebote ihrer Käufer nicht mit den besten Angeboten am Markt, sondern mit den für sie selbst (die Broker) billigsten. Das hat auch zur Folge, dass Orders häufiger nicht ausgeführt werden, obwohl der Markt das eigentlich hergeben würde. Ganz konkret bedeutet das: der Preis, den ich letztendlich kriege, ist im Zweifelsfall schlechter als der, den ich bei einem konventionellen Broker bekommen hätte. Insofern kann es also passieren, dass man beim Neo-Broker effektiv mehr bezahlt und der günstigere Preis nur günstig aussieht wie bspw. bei einem Online-Shop, wo der Preis zwar niedrig, aber der Versand hoch ist

  • Sie verkaufen die Daten ihrer Kunden: hier liegt der eigentliche „Betrug“ der Neo-Broker. Sie handeln nämlich nicht im Sinne ihrer Kunden, wenn sie deren Daten verkaufen, sondern verschaffen den zahlungsbereiten Big Playern des Markts einen Vorteil durch Informationsasymmetrie. Wenn ein auf Hochfrequenzhandel spezialisierter Arbitragehunter nämlich weiß, was Millionen von Menschen bereit sind zu bezahlen, bevor die entsrp. Orders ausgeführt werden, können diese Big Player für sie vorteilhafte Gegenangebote erstellen. Ein Milliardengeschäft für die Großen und ein oder zwei Euro gespart für die Kleinen. Insofern stecken Robinhood und der Sheriff eben doch unter einer Decke. Das ist aber schon lange bekannt und sollte jedem klar sein, der sich so einen Broker zulegt.

Warum haben die Neo-Broker den Handel eingeschränkt

Die Neo-Broker setzen, wie wir gesehen haben, die Priorität auf den Preis und den Preis über alles. Sie kalkulieren also auch viel knapper als reguläre Broker und haben weniger Rücklagen als am Markt etablierte. Im Grunde sind sie Startups, die auf aggressive Expansion setzen und weniger auf solide finanzierte Geschäftsmodelle (meine Mutmaßung).

Wenn jetzt aber ein Einzelwert explodiert muss der Neo-Broker bzw. sein Clearing-House die Liquidität bereitstellen, um die Gewinner auszuzahlen. Was aber wenn das nicht mehr gelingt, weil die Preise quasi unbegrenzt steigen? Was wenn die HFs insolvent gehen und kein Geld mehr bereiststellen kann? Dann haben die Gambler plötzlich nicht mehr den HF, pardon, bei den Eiern, sondern packen bei ihrem Broker zu. Verständlich, dass die nicht für die Fehler der HFs gerade stehen wollten.

Hier gibt’s eine Aufstellung welche Broker den Handel eingeschränkt haben und welche nicht. Auffällig ist, dass die Aufteilung mit der Art der Broker korreliert. Kleine Randnotiz: Vanguard und Fidelity waren ganz vorne mit dabei auf der Long-Seite von GME und haben den Handel nicht eingeschränkt. Sie haben direkt von einer Kursexplosion profitiert oder waren damit, selbst wenn sie nicht verkauft hätten, zumindest abgesichert für den Fall von zahlungsunfähigen HFs.

Was die Neo-Broker jedenfalls sagten war: „wir haben den Handel eingeschränkt, um uns selbst zu schützen – äh, um unsere Kunden und den Markt zu schützen” - [2:57] in einem insgesamt irgendwie seltsam anmutenden Interview.

Und tatsächlich: wenn die Broker in den Würgegriff der Spekulanten geraten wären, wären u.U. ja auch die Einlagen aller Anleger gefährdet gewesen. Von den Panikverkäufen, wenn mal ein Broker pleite gehen würde und denen die schon aufgrund von pleite gehender HFs losgetreten worden wären, fangen wir hier gar nicht erst an.

Besonders interessant und was Gegenstand von Untersuchungen sein sollte: Konnten sie keine Verluste schreiben oder wollten sie es nur nicht? Ich stecke nicht in den Finessen der US-Amerikanischen Einlagensicherung, aber sicherlich gibt es dort Eigenkapitalvorschriften (oder?). Ich sehe hier im Grunde nur zwei Möglichkeiten und beide sind nicht schön für die Neo-Broker: Entweder hätten sie sich das Glattstellen aller Positionen im GAU-Fall (Shortseite geht in die Knie) nicht leisten können, dann stellt sich die Frage, ob sie alle Regularien eingehalten haben oder ob es nicht zu wenig Regularien gibt. Denn für die klassischen Broker schien das ja kein bzw. kein großes Problem zu sein. Oder aber sie wollten es nur nicht bezahlen, dann könnte man wohl zurecht von einer Marktmanipulation sprechen.

Gründe noch mal destilliert

Selbstschutz

Wären sie auf den Kosten sitzen geblieben, hätten sie die Differenz dessen, was die Liquidierung der HFs gebracht hätte und dessen, was die Long-Seite noch an Forderungen hatte (nach oben offen!), bezahlen müssen. Das hätte mindestens die Neo-Broker in den Abgrund gestürzt.

Anlegerschutz

Wer hätte denn die Broker bezahlt? Mir ist kein Fall bekannt, bei dem ein Broker insolvent gegangen wäre und - wie gesagt - ich stecke in den rechtlichen Details der Einlagensicherung auch nicht tief genug drin, um hier definitive Aussagen zu treffen. Aber es ist wohl klar, dass die Einlagen von Anlegern nicht ungefährdet gewesen wären, wenn die Broker zahlungsunfähig geworden wären.

Schutz des Finanzsystems

Bereits die Aussicht darauf, dass mit GME HFs in den Bankrott getrieben wurden hatte letzte Woche die Kurse stark beeinträchtigt, Man könnte fast von Abstürzen reden. Das ganze Finanzsystem war massiv in Bewegung und zwar aus direkten Gründen, wie der Tatsache, dass die HFs ihre Longpositionen liquidieren mussten und aus indirekten Gründen wie der Panik angesichts der ungewissen Frage, wen die HFs mit in den Abgrund reißen würden.

Konklusion

Unschuldige GME-Longs?

Spätestens seit der Finanzkrise sollte jedem klar sein, dass das Finanzsystem, wie jedes Ökosystem, aus hochgradig verwobenen Akteuren besteht. Selbst wenn man nicht wusste, dass man einen Pensionsfonds Milliarden kosten wird, hätte man wissen müssen, dass man potentiell das ganze Finanzsystem abzufackeln droht. Das kann einem mit einer die-da-oben-Mentalität natürlich egal sein, aber Fakt ist, dass gerade die Kleinen darunter gelitten hätten. Die sind es nämlich, die ihren Job verlieren und keinen neuen mehr finden, wenn die Unternehmen wegen unsicherer Kapitalmärkte Investitionen zurückfahren und Sparmaßnahmen auflegen.

Böse Broker?

Die Broker haben richtig gehandelt. War das Marktmanipulation? Es war zumindest Marktbeeinflussung. Hätten sie den Markt nicht geschützt, hätten sie den Markt und damit ggf. auch die Existenz der kleinen Fische zerstört. Der Markt hat hier die Regulation selbst übernommen. Allerdings hat er nicht verhindert, dass die Kindern zündeln, sondern ist erst eingeschritten, als das Sofa schon gebrannt hat.

Verantwortung?

Nur weil es dem Internet-Wutbürger nicht gefällt, war es also nicht grundsätzlich falsch einzuschreiten. Im Gegenteil, hat ja die kollektive Verantwortungslosigkeit der Short-Seite, genauso wie die kollektive Verantwortungslosigkeit der Long-Seite überhaupt erst nötig gemacht, dass die Broker eingrifen. Es war aber falsch so spät einzuschreiten und das wirft eine wichtige Frage auf: Wo war eigentlich die mit Weitblick regelnde Distanz? Hier wäre nach meiner Auffassung ein wachsamer Staat in der Pflicht gewesen. Statt aber jetzt die Regierung in die Mangel zu nehmen, entlädt sich der Zorn an den Institutionen der Wirtschaft und da sind wir bei unserem letzten Thema angekommen.

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Ausblick: Make Kleinanleger Great Again

Ich habe es bereits einige Male durchblicken lassen: Ich vermute, dass die ganze GME-Aktion einen neuen, alten Populismus hervorgebracht hat und irgendwie passt alles hinten und vorne zusammen.

Die Wurzeln von WSB: Der spielsüchtige Arm von 4chan

Wenn wir uns nämlich anschauen, wo WSB ursprünglich herkommt, wird das schon deutlich: In ihrer Selbstbeschreibung heißt es

Like 4chan found a bloomberg terminal

4chan - und damit ist eigentlich /b/ gemeint [Anm: Klick auf eigene Gefahr] - wir erinnern uns: so eine Art Kellerverlies des Internets. Gewaltphantasien, Gore, Rassismus, Sexismus und offener Faschismus sind Wesenszüge von /b/ und das Forum die Kinderstube und Echochamber der Incel-„Bewegung“.

Diese Wurzel prägt die Community ja auch bis heute. Leute mit einer pessimistischen Markteinschätzung werden als „gay bears“ bezeichnet, riskantes und gegen Gepflogenheiten jedweder Art verstoßendes Verhalten wird enorm positiv aufgenommen (ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte, aber vielleicht genügt das als Beispiel) und die Leute nennen sich ironisch „retards“ und „autists“, um dem nahezu pathologischen Nonkonformismus und der gleichzeitigen Leichtsinnigkeit bar jeder Vernunft einen positiven Touch zu geben. Der incelism hinterlässt auch im wohl populärsten Running Gag seine Spuren: die WSB-User beleidigen sich gegenseitig als Non-Alpha-Males, indem sie ständig sarkastische Bezüge zum vermeintlichen wife’s boyfriend des jeweils anderen herstellen. Der cuck (kein WSB-Begriff, aber das steckt dahinter) ist schließlich die ultimative Entmannung. Der WSB-User so unfähig sein Leben zu gestalten, dass er auch noch damit zurechtkommen muss, dass seine Frau einen anderen hat und das nicht mal ein Geheimnis ist.

Was die Seele von Wallstreetbets damit auch ausmacht und das ist das Fundament, auf dem die Community steht, ist dieses Gefühl, dass das eigene Incel-Leben so miserabel ist, dass es keinen Unterschied macht, alles zu verlieren. Das YOLOing ist damit der Volkssport des Forums gewesen: Alles auf eine Karte setzen, und zwar am besten eine, die hochriskant und damit hochprofitabel ist, falls es gut geht. Gleichzeitig ist das voyeuristische Ergötzen am Loss-Porn eine der liebsten Beschäftigung von WSBlern. Da sehen die eigenen in die Tausenden gehenden Verluste schmerzen plötzlich viel weniger, wenn man a) für den eigenen autism gelobt wird und andererseits b) andere retards sieht, die Millionen vergamblet haben. Wenn das Leben schon scheiße ist, dann kann man wenigstens etwas offensichtlich schwachsinniges „for the lulz“ (kein typisches WSB-Vokabular, aber das steckt dahinter) tun.

WSB hat damit - zumindest vor dem Ansturm in jüngerer Zeit - mehr mit dem Attentäter von Halle, der ja 4chan Nutzer und Incel war, gemein als mit selbstlosen Revolutionären im Kampf gegen den Sheriff von Nottingham als die sich viele von ihnen, vor allem von den Neuen, gerieren oder als die sie von den Medien geframet wurden. Das mag sich durch den Zustrom dieser Neumitglieder geändert haben, aber die Community als „die Guten“ hinzustellen, nur weil zahlreiche unbedarfte Leute auf der Suche nach dem schnellen und vermeintlich sicheren Geld auf einen Hype-Train aufgesprungen sind, ist einfach nur grotesk.

Der Ist- bzw. Hype-Zustand von WSB

Das war eine Beschreibung der Vergangenheit von WSB. Wo steht das Forum heute?

Es gibt erwiesenermaßen einige Fälle von Leuten, die zumindest nach erfolgreicher Spekulation ihre Wohltäter-Seite entdecken. Umso verständlicher ist es aus einer WSB-Neuling-Perspektive zu glauben, dass WSB ein Forum von Wohltätern sei oder es hautpsächlich darum ginge, es „denen da oben“ (per se schon eine populistische Prämisse) mal so richtig zu zeigen. Ich behaupte einfach mal, dass es sich bei den Spendern im Verhältnis zu den 7.000.000 Neumitgliedern seit 2021 um eine Zahl, die quasi 0 beträgt, handelt.

Bei einer moralischen Bewertung dieser Wohltäter sollte man übrigens auch nicht vergessen, wer außer HFs und Pensionären noch für die Spielekonsolen für Kinderkrankenhäuser bezahlt: nämlich auch Menschen aus ziemlich armen Ländern, die auf schnelle, sichere Geld gehofft und ihr Leben verzockt haben.[Ägypten][nicht näher spezifiziertes Afrika].

Inzwischen, und damit ist diese ganze Ausführung auch noch ein bisschen unnötiger gewesen, werden auch kritische Stimmen zum Gehabe als Wohltäter oder als Revolutionär in WSB selbst laut.[Es geht ums Geld] [Sir, this is a casino]

Jedenfalls halte ich das Geschwafel vom „stick the finger“ zu denen da oben für unglaubwürdig. Ich persönlich glaube, dass das eben nur die Gewinnabsicht der goldsuchenden Spätnachzügler verschleiern soll.

Ein Blick in die Zukunft

Folgen für die Politik

Egal, wer WSB war und egal wer aus welchen Gründen dazugekommen ist, die ganze Aktion hat ein klares Vermächtnis: es hat dazu beigetragen einen anti-liberalen Populismus zu verbreiten, der sich vor allem aus dem Misstrauen gegen wirtschaftliche Institutionen und Eliten speißt. Es gibt hier erstaunliche Parallelen zum Trumpismus: Statt der Wahl hat man ihnen die Chance auf eine faire wirtschaftliche Partizipation gestoßen. Denn GME war ja ein sicheres Ding! Wie konnte das passieren? Ich habe dazu einige Beiträge gelesen, die wie feinster Trump-Sprech klangen und eine verzweifelte Fassungslosigkeit ausstrahlten, die religiösem Fanatismus in nichts nach standen.

Das Narrativ vom „gestohlenen Erfolg“ wird die Hinterköpfe zahlreicher GME-Spekulanten langfristig beeinflussen und eben zur Verbreitung einer populistischen Attitüde gegenüber der Wirtschaft und ihren Institutionen beitragen. Das schlummernde Potential, das sich in diesen Ideen verbirgt, hat enorme Sprengkraft. Es wird auf lange Sicht nicht ungenutzt bleiben und definitiv dazu beitragen, dass es – wie für Populismus typisch – die Umstände zementiert, die es vorgibt zu bekämpfen. Trotzdem sind diese Aussagen schon so normal, dass sie sich auch hier im Forum finden zu sind:

Ich habe einen Kommentar gelesen, der mich seither nicht mehr loslässt. Er hat mich zu meiner pessimistischen Einschätzung inspiriert und die Ereignisse rund um GME überzeugend quasi als ideologischen Erweckungserlebniss geframet. Leider finde ich ihn nicht mehr, aber es war etwas along the lines of:

They black pilled millions

Das ist übrigens ebenfalls ein Begriff aus dem rechten Spektrum.

für die Broker

Robinhood und andere Neo-Broker sind die großen Verlierer. Ob sie jetzt bewusst oder eher zufällig im Sinne der HFs gehandelt haben ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass sie die Story, die sie ja bereits mit ihrer Namensgebung verkaufen wollten, jetzt nicht mehr verkäuflich ist. Und so haben die einschlägigen Apps jetzt schon heftig gelitten und die eher klassische Konkurrenz massiv profitiert.

für r/wallstreetbets

WSB ist jetzt schon nur noch ein Schatten seiner selbst und hat sich totgesiegt. Durch den enormen Influx an ahnungslosen Leuten wird WSB jetzt das werden, was typischerweise Pennystocks-Foren sind: ein pump-n-dump scheme. Noch dazu gabs einen Coup-Versuch alter Moderatoren, die mit der ganzen Story Cash machen wollten.

für die Beteiligten

Die größten Verlierer sind natürlich diejenigen, die ihre Life-Savings weggegamblet haben. Ganz besonders traurig war es für diejenigen, die auf den Hype reingefallen sind und dachten, dass das ein sicheres Ding wäre.

Aber die ganze Sache hat wenigsten auch sein Gutes, wenn man auch eher optimistisch sein muss, um es zu sehen: Nämlich individuelle Erfahrung. Jeder, der anfängt mit Aktien zu handeln, zahlt früher oder später „Lehrgeld“. Bei Gamestop war dieses Lehrgeld für einige Bagholder leider besonders hoch.

Übrigens: ich habe die Kanonenkugel auch kurze Zeit geritten, wusste aber dass das kein einfacher Flug würde.

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