Furchtbare Vorbilder

Mich beschäftigt sehr, dass aktuell sogar hohe Amtsträger (von Würdenträgern möchte ich nicht sprechen) rechte Rhetorik übernehmen und das unter einem Mantel von sanftem, salbungsvollem Gerede.

Wie kann es sein, dass plötzlich Dinge sagbar sind, die über Jahrzehnte aus gutem Grund tabu waren?
Worauf steuern wir zu?

In den 90er Jahren gab es vermehrt rechtsextreme Anschläge. Die Politik reagierte mit einer Verschärfung des Asylrechts statt die Kommunen zu unterstützen. Doch obwohl die Verschärfung im Dezember 92 vereinbart wurde, kam es im Mai 93 zu dem verheerenden Brandanschlag in Solingen, bei dem fünf Menschen starben. Und auch seitdem gibt es immer wieder rechtsextreme Morde. Darunter die durch den NSU, Walter Lübcke und Hanau. Man könnte meinen, es sei mittlerweile bewiesen, dass Verschärfungen von Asylvorschriften und das Gerede von Begrenzung der Migration nicht dazu führen, dass die Rechtsextremen in Deutschland weniger Zulauf bekommen.

Und nun stellt sich der Bundespräsident hin und erklärt stolz, er sei damals an den Verhandlungen beteiligt gewesen und auch heute müsse man „illegale Migration“ (Wir wissen doch, dass es die so gut wie gar nicht gibt!) begrenzen…

Man möchte der deutschen Bevölkerung und ihren AmtsträgerInnen und natürlich vielen etablierten Medien zurufen: Mensch, hört auf, von „illegaler Migration“, Zahnersatz und überlasteten Kommunen zu sprechen!
Sprecht über Problemlösungen, über Entschuldung und finanzielle Unterstützung für die Kommunen, von den Chancen des Zuzugs, von der Bereicherung.

https://taz.de/Steinmeiers-Aeusserung-zu-Migration/!5961122/

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Siehe thread Zahnersatz…

Einfache Lösungen vs erfolgversprechende Lösungen…

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Ja, mir ist schon klar, warum Politiker:innen reihenweise „umfallen“, aber was um Himmels willen bringt (Ex-) Bundespräsidenten dazu, solche Dinge zu sagen?

Ein Bundespräsident hätte zum Tag der deutschen Einheit von Menschlichkeit, Versöhnung und Ausgleich sprechen können. Eine Art soziale Ruckrede. Sie fehlt.

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Gibt es hierfür wissenschaftliche Belege? Im Zuge der „Asylkrise“ der 90er kam in Baden-Würrtemberg die Republikaner als drittstärkste Kraft in den Landtag, sie forderten das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen und hetzten gegen den Islam. Nachdem sich die Politik dem Thema zugewendet hat (siehe Steinmeiers Äußerung) flog die Partei anfang der 2000er aus dem Landtag und dümpelt heute bei unter einem Prozent.

Ein aktuelleres Beispiel ist Dänemark. Dort sind die Socialdemokraterne letztes Jahr stärkste Kraft geworden; die rechtspopulistische Dänische Volkspartei kam nur noch auf 2,6 % (nach 21% im Jahr 2015 und 9% im Jahr 2019). Dies gelang den Sozialdemokraten indem sie deutlich rechte Positionen übernommen haben, sie versprechen eine sehr restriktive Asylpolitik und skandieren eine dänischen Kultur, in der sich Einwanderer zu assimilieren hätten.

Das eine rechte Politik immer nur zur Stärkung der AfD und zur „Wahl des Originals“ führt halte ich deswegen nicht für belegt, oder wie sind die oben genannten Beispiele in diese Theorie einzuordnen?

Deine Beispiele belegen vor allem die These aus der Lage, dass das ständige Gerede von zu viel Migration rechte Parteien stärkt, denn in beiden Fällen verschob sich einfach der Fokus der Debatte, nachdem aus anderen Gründen (zB Ende des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien) die Zahlen sanken.

Die Zahlen werden aber diesmal nicht mehr sinken - egal was wir machen. Selbst eine absolute Mehrheit der AfD im Bundestag könnte die Zahlen nicht signifikant senken.

Wir haben genau eine Option: mit Migration so leben, dass es möglichst wenig Probleme gibt.

Ist das so?
Also ich habe die entsprechende Folge LDN auch gehört und finde viele Erläuterungen der Hosts zu den „umstrittenen Werkzeugen“ für bzw. gegen Migration nachvollziehbar und gehe da mit. Politiker schmücken sich derzeit mit vermeintlichen Lösungen für das „Problem“, anstatt mit den vorhandenen Gegebenheiten was für die Gesellschaft und Menschlichkeit gewinnbringendes zu gestalten.

Gestern bin ich aber zufällig hier drauf gestoßen:

Das steht u.a.:
" Was ist mit irregulärer Migration?

Zwischen Januar und Ende August sind laut Bundespolizei mehr als 70.000 Menschen unerlaubt nach Deutschland eingereist. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es knapp 45.000.

Unerlaubt oder auch irregulär heißt, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht oder Duldung und ohne Kenntnis der Ausländerbehörden nach Deutschland kommen. Sowohl die unerlaubte Einreise als auch ein unerlaubter Aufenthalt sind grundsätzlich strafbar. Bei Asylsuchenden wird das Verfahren jedoch ausgesetzt, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist. Bei einer positiven Entscheidung wird es eingestellt."

Demnach gibt es schon zumindest irreguläre Migration, wenn eben kein Asylantrag gestellt wird. Kenne jetzt aber auch nicht mehr den genauen Wortlaut aus der Lage :slight_smile:

das ist eine besonders perfide Wortschöpfung: Nachdem sich langsam rumspricht, dass es praktisch keine illegale Migration gibt, erfinden offenbar manche Journalist:innen einen Begriff, den es juristisch nicht gibt, um irgendwie auszudrücken: Migration, die zwar völlig legal ist, die wir aber trotzdem nicht wollen. Was für ein Unsinn! Man sollte einfach mal den Mut haben, von legaler Migration zu reden.

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apropos Belege, hier mal eine Meta-Studie:

Auszüge:

We examined historical voting data going back to the French Revolution – and the findings, contained in our new book, offer a more optimistic view of what may happen in the coming years. They highlight the potential strength of the left’s electoral base and suggest that tacking to the right on migration to win back the working-class vote is a political dead end.

Our findings do give cause for optimism: indeed, the lack of public services in rural areas, deindustrialisation, unequal access to property and widening inequality are all issues that can be addressed by implementing adequate policies. Identity politics, on the other hand, tends only to lead to increased tensions and conflict within society.

Zur Grundausrichtung des Threads volle Zustimmung. Kurzer Stammtischausflug, bitte ich zu entschuldigen und bei kurzer Zündschnur diesen Absatz zu überspringen: Ich habe den seit Jahren zunehmenden Eindruck, dass v.a. Politiker auf der Bundesebene nicht nur schwierige, sachliche Kompromisse machen, sondern ihre Prinzipien, und schlimmer noch, demokratische, liberale und humanistische Prinzipien, auch einfach aus Opportunismus über Bord werfen. Oder vielleicht nie besessen haben (looking at you, Friedrich Merz). Das betrifft nach meinem Gefühl reine Parteipolitiker aus naheliegenden Gründen stärker als Amtsträger, aber es laufen doch alle gern der aktuell durchs Dorf getriebenen Sau hinterher. Verantwortung wird von sich geschoben, nicht übernommen. Unser aktueller Bundespräsident ist auch so ein politischer Karrierist.

Zur Frage der „illegalen Migration“: Ich denke da an § 95 Aufenthaltsgesetz, also es gibt schon so etwas wie die illegale Einreise. Aber natürlich darf das (Absatz 6) nicht die Genfer Flüchtlingskonvention unterlaufen. Sollte es wirklich so sein, dass bei Menschen, die Asyl oder subsidiären Schutz beantragen, bei Ablehnung ein Verfahren wegen unerlaubter Einreise eingeleitet wird, dürfte das gehen die Konvention verstoßen, oder wie ist da die juristische Einschätzung, @vieuxrenard?
Wenn nicht rechtswidrig, wäre es doch einigermaßen perfide. Und Menschen für die Zeit des Asylverfahrens nicht einreisen zu lassen, ist auch einigermaßen zynisch, denn wo sollen sie denn hin?
Dennoch kann es auch sein, dass Menschen es aus unterschiedlichen Gründen versäumen, einen Antrag zu stellen oder sich bei der zuständigen Behörde zu melden und ein kleiner Teil wird’s bewusst nicht tun. Dass daraus dann aber das Phänomen der illegalen Migration gemacht wird, das ein ganzes Politikfeld dermaßen prägt, ist für den Umgang mit Migration ganz und gar nicht förderlich, das habt ihr im Podcast auch sehr klar und überzeugend dargelegt.

Davon abgesehen ist hier vielleicht auch eine begriffliche Unschärfe im Spiel, denn ein aufgrund des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots klar zu definierender, an eine punktuelle Einreise oder einen Verbleib im Bundesgebiet anknüpfender Straftatbestand ist eben etwas anders, als eine pauschal „illegale Migration“.

Solche Straftatbestände können übrigens auch mal Nicht-EU-Ausländer betreffen, die schon lange hier leben und aus dem Heimaturlaub kommen.

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Ist es so einfach? Sorry, ich verstehe es nicht mehr. Es gibt eine Seite mit Überschrift „Irreguläre Migration“ des BMI auf der u.a. steht:

„Doch nicht jede Migration nach Deutschland und Europa ist zulässig. Die Bundesregierung leistet ihren Beitrag, um die Migrations- und Fluchtursachen in den verschiedenen Herkunftsländern zu bekämpfen – neben Internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit sind auch bilaterale Migrationsabkommen ein Element dieser Politik. Gleichwohl müssen wir auch im Hinblick auf die gemeinsame europäischen Einwanderungspolitik wgegen die irreguläre Einwanderung vorgehen.“

und später „Die irreguläre Migration nach Europa und Deutschland wird bekämpft.“. Das Wort „irregulär“ findet sich x-fach auf der Seite.

Belügt uns jetzt das (SPD-geführte) BMI?

Link: BMI - Irreguläre Migration

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Serap Gülay sagte gerade erst im Deutschlandfunk, die Migration werde noch zunehmen wegen mehr Kriegen und dem Klimawandel.
Es geht längst nicht mehr um Bekämpfung der Fluchtursachen, sondern nur noch um Verhinderung von Migration. Ob die legal oder illegal ist, ist da nur noch zweitrangig. Denn auch die legale wird ja aus Sicht der CDU weiter zunehmen.
Für mich ist die aktuelle Debatte ein Zeichen von politischem Totalversagen der vergangenen Regierungen mindestens seit 1985.

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Es lügt nicht direkt, denn es behauptet ja nicht, dass diese Migration illegal sei. Aber es erweckt bewusst diesen Eindruck: Es verwendet einfach ein Wort, das so ähnlich klingt wie illegal, aber nicht klar definiert ist.

Für ein Ministerium ist das ein skandalöser Fall von Desinformation. Es wundert mich aber auch nicht, denn immerhin ist das das Ministerium, indem ein offensichtlicher Rechtsextremer wie Maaßen Karriere machen konnte.

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Dazu passend von Herrn Merz das Thema Zahnersatz. Wie ich im Piratensender Powerplay gehört habe wurde das Thema zuerst von einem AFD Politiker aufgegriffen und der hat es von russischen Trollen…
Macht mich sprachlos und ich Frage mich Mal wieder, ob die CDU nicht doch noch ein gutes Stück weiter rechts ist, als ich denke.

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Samira El Quassil und Friedemann Karig stellen sehr treffend fest, dass wir das Amt des Bundespräsidenten abschaffen könnten, wenn er seine Funktion, für Menschlichkeit und die Würde des Menschen einzutreten, nicht erfüllt. Außerdem nehmen sie auch Steinmeiers Versäumnisse und Fehlentscheidungen der Vergangenheit auseinander und analysieren mögliche Gründe.
Ich bin wirklich froh, dass es wenigstens ein paar Stimmen gibt, die bemerken, was da gerade passiert. Denn wo bleibt der allgemeine laute Aufschrei?
Piratensender Powerplay „Steinmeier Special“

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Super Idee, schaffen wir den Rest, den die AfD nicht schafft, doch selber ab und gießen Öl in das Feuer der Narrative der Rechtsaußen über die Demokratie und unsere Politiker.

So klappt das bestimmt am besten, dass alle demokratischen Parteien zusammen gegen die AfD antreten.

Konjunktiv

Sehr interessant, hör ich mir an!

Geht vermutlich im Dauerschrei unter, den die Allgemeinheit grade raushauen könnte.
Bei dem Thema wüsste ich nicht mal, wo ich anfangen sollte. Einen Leserbrief an große Zeitungen? Ein Brief an die SPD? Oder an F.W.s Büro selbst?

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Ich meinte vor allem viele Medien.

Wenn ein Bundespräsident solche Dinge sagt, fühlen sich noch mehr Menschen legitimiert, auch so zu reden. Das ist wirklich eine ziemliche Katastrophe und nur wenige sagen es… wie Ulf und Philip.
Hab sonst nur Holger Klein und El Quassil/Karig vernommen.

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