Manifeste für den Frieden in der Ukraine: Analysen, Meinungen, Diskussion pro&contra

Heute in der Tagesschau:

„Die Publizistin Alice Schwarzer und die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht rufen in einer Online-Petition zu Verhandlungen statt weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine auf. „Verhandeln heißt nicht kapitulieren“, schreiben sie in einem gemeinsamen „Manifest für den Frieden“, das gestern als Petition online ging. Darin fordern sie Bundeskanzler Olaf Scholz auf, Waffenlieferungen zu stoppen und sich für einen Waffenstillstand sowie Friedensverhandlungen einzusetzen. Bislang hat die Petition rund 130.000 Unterschriften.“

Wenn man diesen Vorschlag mal kurz beleuchtet:

Wir stellen gemäss dieser Initiative/Petition alle Waffen- und Munitionslieferungen ein.
Alle westlichen Staaten folgen dieser Linie.

Was soll dann gemäss obiger Idee passieren? Putin stellt alle Angriffe ein und ist bereit zu Verhandlungen? Wie realistisch ist das?
Oder verstärkt er seine militärischen Bemühungen in dem Wissen, das die Ukraine ohne westliche Hilfe mangels Material zwangsläufig kapitulieren muss?

Wenn Wagenknecht und Schwarzer sagen, verhandeln heisst nicht kapitulieren, geht es aber mindestens darum, das die Ukraine einen Diktatfriieden akzeptiert und die besetzten Gebiete endgültig an Russland abgibt.

Was ist also das Ziel der beiden Damen und der Unterzeichner der Petition?

Eine schnelle Niederlage der Ukraine, die daraufhin als Staat und Volk von der Weltkarte verschwindet (und daher nicht kapitulieren muss), dann Friedensverhandlung des Westens mit Russland mit dem Ziel der Einstellung aller Sanktionen und Aufnahme aller wirtschaftlichen Abhängigkeiten, um wieder billig Öl und Gas beziehen zu können?

Oder tatsächlich nur die Angst vor dem 3. Weltkrieg verbunden mit einer sehr vagen Hoffnung auf Friedensverhandlungen?

Bin da nicht wirklich sicher…

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Beide haben sich verrannt. Bei Schwarzer glaube ich langsam es ist die Angst vor der Bedeutungslosigkeit. Außerdem haben beide zu viel Ego um von ihren unsinnigen Position abzurücken. Bei Schwarzer kommt hinzu, dass sie meiner Meinung überhaupt kein Fachwissen auf diesem Gebiet hat und nur ihre Position in der Öffentlichkeit nutzt. Beide sind außerdem gerne „dagegen“, egal ob es sinnvoll ist.

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Und Wagenknecht träumt von einer neuen Querfront-Partei mit ihr an der Spitze, nachdem sie in der Linken ja praktisch entmachtet wurde. Dafür versucht sie eine Basis zu sammeln.

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Einer der ersten, der diese Petition öffentlich unterstützt hat, war Tino Chrupalla. Weitere Namen, die sich auf der Unterstützerliste finden: Gauweiler, Grupp, Guerot, Käßmann, Lafontaine, Streeck, Todenhöfer, Vad, Varwick.

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Sie hat auch die Petition unterschrieben, aber im Gegensatz zu den Meisten, macht sie zumindest Vorschläge was man tun könnte.

„Sie plädierte dafür „zu versuchen, die russische Zivilgesellschaft dazu zu bringen, dass da eine Veränderung stattfindet in Russland“.“

"Außerdem forderte sie die Kirchen auf, massiveren Druck auf die russisch-orthodoxe Kirche auszuüben, damit diese ihren Einfluss geltend mache „und nicht weiter ein Patriarch Kyrill Waffen segnet“. "

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Veränderung wohin? Und von welcher Zeitachse reden wir hier? Wie hilft das den Menschen in der Ukraine jetzt und in den kommenden Monaten? Aber sie würden immerhin sicher dankbar sein können dafür, mit ungesegneten Waffen massakriert zu werden, das ist ja auch schon was…

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Bei Margot Käßmann ist es der Wunsch, dass die Zerstörung und das töten enden. Und das treibt wohl viele Unterzeichner um.
Es ist das Träumen von einer heilen Welt, die gerade sehr erschüttert wird. Letztendlich ist das ziemlich egoistisch. Aber indem der Egoismus hinter einem hehren Ziel versteckt wird, kann man egoistisch sein und sich trotzdem gut und moralisch überlegen fühlen.

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Was mich ja persönlich stört, ist diese sehr öffentliche moralische Arroganz der beiden Damen.
Sich einerseits hinzustellen und von oben herab zu sagen „So, Kinder, jetzt haben wir euch etwas spielen lassen, aber jetzt ist gut, gebt euch die Hände und gut ist.“
Zum anderen diese deutliche Gleichgültigkeit zum Schicksal der Ukraine. So etwa „sollen sie doch bitte schnell untergehen, dann ist Ruhe und Frieden, gegen Russland haben sie doch eh keine Chance“.

Vor allem somit in der Weltöffentlichkeit wieder sehr gezielt und bewusst das Bild des kalten, arroganten und besserwisserischen Deutsche(n) zu befördern.

Zudem diese Art von Nationalismus („uns interessiert die Welt nur bis zum deutschen Jägerzaun“) gemeinsam mit der AfD zu fördern, ist für die Ex-Linke schon krude

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Diese Arroganz kommt doch bei Schwarzer nicht überraschend. Man muss dich nur an die Treibjagd auf Kachelmann 2010 erinnern. Seit dem ist die doch endgültig medial verbrannt und hat in keinem Format mit einem Hauch von Anspruch etwas verloren.

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Man kann mal einzelne Highlights durchgehen. Kursiv ist der Text des Manifests:

Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Zahlen korrekt? Ach, ist doch egal.
[…] Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.
Nicht nur die Ukrainer leiden - auch wir in Europa.

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch?
Für die Antwort auf diese Frage, sollte man am Besten diejenigen fragen, die an der Solidarität teilhaben sollen - die Ukrainerinnen und Ukrainer.
Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden?
Auch für diese Frage sollten man diejenigen fragen, die auf dem Schlachtfeld Ukraine kämpfen und sterben - die Ukrainerinnen und Ukrainer.
Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges?
Die beste Antwort könnten auch hier die Ukrainerinnen und Ukrainer geben.
Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?
Die Außenministerin und auch sonst niemand hat diese unglückliche Wortwahl wiederholt. M.E. ein großer Fehler von Baerbock. Diesen Fehler weiter zu wiederholen im Wissen, dass dies nicht die Position der Bundesregierung wiedergibt, ist eine bewusste Irreführung der Bevölkerung. Der Zusatz Im Ernst? legt nahe, dass die AutorInnen sich bzw. Deutschland nicht im Kriegszustand mit Russland sehen. Das hindert sie aber anscheinend nicht daran, nach den Kriegszielen zu fragen.

Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? […]
Die Position im Text und im entsprechenden Absatz, an der der ukrainische Präsident genannt wird, soll dem Leser trotz aller Disclaimer klar machen, wen die AutorInnen für den (Mit-)Aggressor sehen, wen sie für das entscheidende Hindernis zum Frieden ist: Die Ukraine und ihr Präsident.
[…] - um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?
Eine klassische Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Verweis auf die militärische Fantasie, ukrainische Panzer könnten bald über den Roten Platz rollen. In Kombination mit der Einleitung des Absatzes Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis wird hier weiter suggeriert, die Ukraine treibe die Eskalation des Krieges voran. Und wer mag, darf hier auch reinlesen, dass es vielmehr Russland ist, dass sich in einem Abwehrkampf befindet.
Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. […]
Lesart: Russland hat sich bis jetzt sogar noch zurückgehalten. Es sind die erfolgreichen Gegenoffensiven der Ukraine, die Putin dazu bringen werden, den dritten Weltkrieg zu beginnen.
Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.
Es ist dies vor allem die Lesart von Erich Vad, der seit Kriegsbeginn diese Botschaft zu vermitteln sucht und nicht müde wurde, die ukrainischen Erfolge klein, Russland dagegen groß zu reden („Eskalationsdominanz“). Steht im krassen Widerspruch zur verblüffend inkompetenten taktischen und operativen Performance der russischen Armee in diesem Krieg.
Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!
Eine verzerrende Widergabe des von Mark Milley Gesagten: Im November letzten Jahres sagte er auf einer Pressekonferenz: „The probability of a Ukrainian military victory - defined as kicking the Russians out of all of Ukraine to include what they claim as Crimea - the probability of that happening anytime soon is not high, militarily.“

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten.
Inzwischen ein Klassiker: Leider kein Vorschlag der AutorInnen, worin dieser Kompromiss bestehen könnte.
Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken.
(Die These vom Stellvertreterkrieg)

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen.
In den Augen der AutorInnen sind die Waffenlieferungen nicht nur eine Eskalation, sondern die Eskalation. Kein Wort darüber, wie Russland den Krieg fortwährend eskaliert: Flächenbombardement durch Artillerie, Annexion von Gebieten, Bombardierung von ziviler Infrastruktur, Mobilisierung und Verheizung von hunderttausenden eigener Bürger usw. Den AutorInnen keine Erwähnung wert.

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hmm das ist intersaant. Dabei wird man doch gerade von „linken“ immer wieder genüsslich darauf hingewiesen wie die USA den Viertnam Krieg verloren haben.

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Einerseits enthält das „Manifest für den Frieden“ (drunter geht es wohl nicht) die aus den offenen Briefen bekannten Argumente:

  1. Ukraine kann eh nicht gewinnen, weil Russland übermächtig. Ergänzt inzwischen durch: Wenn die Ukraine doch mal zwischendurch gewinnt, dann sieht es nur so aus.
  2. Der Westen/Deutschland ist durch Waffenlieferungen der Motivgeber für eine russische (Nuklear-)Eskalation. Ergänzt durch: Ukrainische Erfolge könnten ein Motiv für den Atomkrieg sein.
  3. Für die Kriegstoten sind auch diejenigen verantwortlich, die die angegriffene Partei unterstützen. Ergänzt (rhetorisch) durch: Vor allem diejenigen sind für die Kriegstoten verantwortlich, die die Ukraine unterstützen.
  4. Die russische Führung und Putin selbst spielen in den Argumenten eher am Rand eine Rolle. Sie warten sozusagen weiterhin wie eh und je auf die westliche Verhandlungsbereitschaft.
  5. Und grundsätzlich gilt weiterhin: Nicht nach den Wünschen der Ukrainerinnen und Ukrainer fragen.

Insofern nichts Neues.

Aber wo dieses „Manifest“ über die offenen Briefe hinausgeht sind folgende Punkte:

  1. Die rhetorische Darstellung der Ukraine bzw. des ukrainischen Präsidenten als Aggressor (* Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis)
  2. Es wird suggeriert, die Waffenlieferungen dienten der Eroberung Russlands o.ä.( […] - um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?)
  3. Es wird suggeriert, handele sich um eine Art Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland (Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland […] einwirken)
  4. Die Waffenlieferungen des Westens werden als Hauptgrund für die Eskalation des Krieges dargestellt, verbunden mit dem Aufruf, die bereits getätigten bzw. zugesagten Waffenlieferungen zu stoppen.

Alle vier Punkte decken sich mit zentralen Narrativen der russischen Propaganda:
Es handele sich um einen Angriff der NATO auf Russland, die Ukraine sei wahlweise eine Marionette der USA bzw. habe den Rest Welt in den Krieg gezogen, die eigentliche Aggression sei die Unterstützung des Westens für die Ukraine.

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Während bei der COVID-19 Pandemie sich nach meinem Eindruck die sachliche Inkompetenz bestimmter Experten schnell negativ auf deren Medienpräsenz ausgewirkt hatte, ist es erstaunlich, wie lange Vad in den einschlägigen Medien und Formaten mit seiner „Expertise“ präsent war. Oft als einziger „Experte“ im Raum. Zumal er auch mit seiner politischen Einstellung zum Krieg kaum hinterm Berg gehalten hat. Mich erstaunt auch, mit welcher Systematik und Unbeirrtheit Vad seine falschen Prognosen vorgetragen hat bis zu dem Punkt, an dem sein Ruf als Experte völlig erledigt war. Er liegt ja inzwischen fast schon sprichwörtlich falsch:

Wegen seiner langen Präsenz in größeren Medienformaten hat sich sein Credo, dass die Ukraine eh nicht gewinnen könne, jede Hilfe also per se sinnlos sei, leider verfestigt. In offenen Briefen oder neuerdings „Manifesten“ wird die zwangsläufige ukrainische Niederlage gegen die russische Übermacht quasi schon als Naturgesetz vorausgesetzt.
Zitat: Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.

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Also mal wieder ein offener Brief mit dem schönen Wort „Frieden“ im Titel. Was ist passiert und was wird gefordert? Russland bricht zum wiederholten Mal internationale Vereinbarungen und missachtet nicht nur die Souveränität und territoriale Integrität eines Nachbarlandes, sondern tötet, foltert, vertreibt Tausende Menschen in diesem Land. Und die Reaktion darauf?: Nicht mal pro forma, nicht in einem Satz fordert die Petition Russland auf, das gefälligst sofort zu lassen.
Stattdessen die immerselben Phrasen von der angeblichen Unmöglichkeit eines militärischen Erfolges gegen eine Atommacht, vom angeblichen Automatismus einer Eskalation durch den Aggressor aufgrund von Waffenlieferungen an die Verteidiger, von der unsinnigen Dichotomisierung zwischen Kriegsführung und Verhandlungen, überhaupt von der komplett fehlenden kategorischen Unterscheidung zwischen einem Angriff und der Verteidigung gegen diesen. Und, leider auch nichts Neues: Der gesamte Text basiert darauf, mit keiner Silbe zu erwähnen, was eine weit überwiegende Mehrheit der Ukrainer:innen nach eigenen Aussagen will und solidarisch finden würde. Stattdessen meint man selber ganz genau zu wissen, was das Beste für sie ist.
Das Ganze gipfelt nach dann einem ebenso altbekannten Muster in der Forderung nach einem „Kompromiss“. Wie der aussehen könnte, bleibt wieder einmal komplett nebulös. Was das heißen könnte, hat letzte Woche die AfD-Bundestagsfraktion in einem Antragspapier ausbuchstabiert: Die 2014 besetzen und annektierten Gebiete soll Russland sowieso behalten; die 2022 formell annektierten Gebiete werden der Souveränität der Ukraine ebenfalls entzogen und unter ein UN-Mandat gestellt (wobei Russland ein Vetorecht und die Ukraine quasi kein Mitspracherecht hat). Einen Rückzug der russischen Armee soll es nur geben, wenn die Sanktionen gegen Russland gelockert werden. Vorkehrungen für den Fall, dass der Rückzug nicht geschieht, werden gar nicht erst erwähnt. In der Petition gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass der dort anvisierte „Kompromiss“ substanziell anders aussehen soll. Heißt auf Deutsch: Russlands Angriff auf Souveränität, territoriale Integrität und Bevölkerung der Ukraine soll in einer internationalen Vereinbarung zumindest teilweise rechtlich legitimiert werden – und alles nur aus der ebenso naiven wie unbegründeten Hoffnung, dass dies zu weniger Toten führe. Aber warum sollte sich Russland ausgerechnet dieses Mal an eine Vereinbarung halten? Warum sollte es nicht, wie bisher, den neuen Status quo lediglich als (günstigeren) Ausgangspunkt für eine spätere Fortsetzung genau derselben aggressiven Politik nutzen? Andernfalls: Warum sollte es einem „Kompromiss“ überhaupt zustimmen, der ihm eine solche Möglichkeit nicht bietet?
Hier kommen wir zum eigentlichen Motiv der Petition: der Angst vor einem (atomaren) Weltkrieg. Der Kreml macht bewusst Politik mit dieser Angst und zwar speziell in Deutschland, weil er unter anderem an solchen Petitionen sehen kann, wie wunderbar das funktioniert. Ob Wagenknecht und Schwarzer diese Angst auch bewusst mobilisieren oder einfach nur selbst von ihr getrieben sind, weiß ich nicht. Klar ist aber, dass sie sie zu ihrem wesentlichen Argument machen. Denn sie blenden zentrale Fragen aus: Wenn Russland mit seinen atomaren Drohungen Zugeständnisse vom Westen erpressen kann, warum sollte es das dann nicht auch weiterhin tun? Und warum sollten dann nicht möglichst viele andere Länder versuchen wollen, dasselbe zu tun? Und wie passt es zusammen, dem Kreml einerseits zuzutrauen, die ganze Welt (inklusive sich selbst und seiner Macht) zu zerstören – ihn aber andererseits als einen verlässlichen Verhandlungs- und Friedenspartner anzusehen? Das ergibt nur dann Sinn, wenn man versteht, dass es den Verfasser:innen des Aufrufs gar nicht um die Ukraine oder um die Menschen dort geht, sondern um ihre Angst, dass es sie selber treffen könnte – eben um den „Schaden am deutschen Volke“. Es geht also auf Deutsch gesagt darum, den eigenen Arsch zu retten und bloß nix mehr zu mit dem zu tun zu haben, was „die da irgendwo im Osten“ machen. Die Haltung kann man ja haben, aber sie ausgerechnet mit so hochtrabenden Begriffen wie „Frieden“ und „Solidarität“ zu schmücken finde ich perfide und selbstgerecht.

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Stimmt. Man könnte sogar noch weitergehen: Besteht nicht die Art von Solidarität, die die AutorInnen für die Ukraine vorgeben zu wollen bzw. zu fordern, nicht genau darin, die Solidarität für die Ukraine aufzukündigen?

Eine treffende Beobachtung. Das ist genau der Widerspruch.

Ich finde es krass zu beobachten, wie leer und ausgehölt diese Begriffe in einem „Manifest“ für den „Frieden“ dastehen, das kaum verholen dazu aufruft, die Ukrainer ihrem Schicksal zu überlassen, ihnen gleichsam eine Mitschuld an der Eskalation zuschiebt. In den ersten offenen Briefen ging es zwar in der Essenz um dasselbe - da hat man aber wenigstens noch mit relativ vielen Worten eine schwachbrüstige ethische Argumentation bemüht. Die rhetorische Aufrüstung und Kälte gegenüber dem Schicksal der Menschen in der Ukraine in diesem Manifest ist erschreckend.

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Es ist ja leider nicht das erste Dokument, in dem Begriffe wie „Frieden“ oder „Solidarität“ zur hohlen Phrase verkommen oder bewusst pervertiert werden. Carlo Masala vertritt ja die These, dass es eben keine Naivität, sondern eher böse Absicht ist, als einzige konkrete Maßnahme die Einstellung von Waffenlieferungen zu fordern und damit den Ukrainer:innen de facto die Solidarität aufzukündigen. Zumindest für Wagenknecht würde ich dem sofort zustimmen, bei Schwarzer bin ich mir nicht sicher…

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