Freiheitsindex 2022

Hallo Lage Team!

Ich fände eine Einordnung der Ergebnisse des Freiheitsindex 2022 durch euch in einer der nächsten Lagefolgen interessant.

Ich bin über diesen Artikel im Stern auf das Thema aufmerksam geworden: Umfrage-Ergbenisse: Die Deutschen fühlen sich 2022 wieder freier | STERN.de

Persönlich finde ich es in einer Demokratie erschreckend, dass 37% der Befragten angeben, dass man vorsichtig sein muss, seine Meinung zu äußern. Genauso, dass sich bei der Abwägung von Freiheit und Gleichheit nur 47% für die Freiheit entscheiden würden. Und das in einem Land mit unserer Vergangenheit.

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An sich her erschreckend wenig, wenn man bedenkt wie missverstanden das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist.

Das Grundrecht sagt ja nichts weiter aus, als dass der Staat dich nicht aufgrund einer Meinungsäußerung strafrechtlich verfolgt.

Er sagt nicht, dass du als Linker ohne Folgen einem Nazi in’s Gesicht brüllen kannst und umgekehrt.

Man sollte also durchaus vorsichtig sein wo man seine Meinung äußert.
Wer einen „stramm konservativen“ Chef hat sollte ihm vielleicht auch nicht gerade unter die Nase reiben dass man doch „nett zu Transpersonen“ sein sollte, wenn man seinen Job behalten will.

Sich da dann auf das Recht auf Meinungsfreiheit zu berufen macht es nicht besser, denn der Chef wird dich bestimmt nicht wegen deiner Meinung feiern sondern irgend was anderes finden, was er als Grund angibt.

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Der Vergleich ist eben aus zwei Gründen nicht sinnvoll:

  1. Insbesondere der Begriff „Freiheit“ krankt an subjektiven Definitionen. 100% Freiheit kann bedeuten „keine Sklaverei“ oder „unregulierter Neoliberalismus ohne jeglichen Sozialstaat“ (oder irgendetwas anderes).
  2. Er erzwingt eine radikale Entscheidung in die eine oder andere Richtung, wobei viele Mitbürger sicherlich lieber „50% von beidem“ hätten.

Von daher ist das Ergebnis von grob 50-50 doch ein gutes Zeichen, dass unsere Mitbürger nicht einseitig in die eine oder andere Richtung radikalisiert sind. :slight_smile:

Naja, die einen sind halt der Meinung, strafbare Verleumdungen, wüste Beschimpfungen, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gehörten zu ihrer Meinungsfreiheit, und die anderen haben unter Umständen keine Lust, solche Reaktionen auf sich zu ziehen, und ziehen sich daher erzwungenermaßen ganz oder teilweise aus dem öffentlichen Diskurs zurück.

Auch das verwundert nicht wirklich und ist vermutlich direkte Folge der erfolgreichen Kampagne u.a. aus der FDP, Teilen der Union und von BILD/WELT/NZZ/usw., das Wort „Freiheit“ als Synonym für radikale Rücksichtslosigkeit und arroganten Egoismus zu definieren. In meinem Umfeld ist das Wort z.B. mittlerweile komplett verbrannt und wird quasi nur noch ironisch gebraucht. Damit würde ich mich folglich in einer Umfrage auch nicht identifizieren wollen.

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Absolute Zustimmung. Ich könnte mich hier auch nur schwer entscheiden, meine persönliche Gewichtung wäre vermutlich 60% Gleichheit, 40% Freiheit (was wohl üblich in eher linken Kreisen wäre), beim FDPler wäre es wohl eher 80% Freiheit, 20% Gleichheit. Ich würde daher auch Gleichheit antworten, der FDPler eher Freiheit.

Man darf diese Antworten jetzt nicht so deuten, als hätten 53% der Menschen gesagt: „Freiheit ist mir völlig wurscht, so lange es Gleichheit gibt“…

Ich denke der Großteil sind eher die typische „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“-Fraktion. Also Leute, die nicht verstehen, dass bestimmte Dinge wie z.B. Alltagsrassismus eben nicht okay sind und entsprechende Antworten von der Umgebung zur Folge haben werden.

Wenn man dumme Meinungen vertritt, wie z.B. Sarrazin oder Maaßen, muss man natürlich vorsichtig sein, seine Meinung zu äußern. Man wird für diese Meinungen zwar nicht strafrechtlich verfolgt, aber sie verbauen halt doch vieles, z.B. die weitere Karriere als Behördenleiter oder die Parteimitgliedschaft :wink:

Aber das ist halt völlig normal. Das andere Extrem sind die USA, wo klare QAnon-Anhänger es schaffen, in einer der beiden ständigen Regierungsparteien hohe Posten zu bekommen, weil man sie nicht für ihre dummen Meinungen bestrafen will. Da wollen wir denke ich auch nicht hin.

Es gibt meines Erachtens in Deutschland einen relativ breiten Meinungskorridor, den man öffentlich vertreten kann. Wenn man sich außerhalb dieses Korridors bewegt, muss man eben akzeptieren, in Teilen der Gesellschaft Konsequenzen tragen zu müssen. Sarrazin und Maaßen können jederzeit in der AfD weiter offen mit ihren Haltungen hausieren gehen, ohne befürchten zu müssen, vom Staat bestraft zu werden…

Ist bei mir ähnlich, wobei das Wort „Liberal“ durch die FDP deutlich verbrannter ist als das Wort „Freiheit“. Wobei „Freeeedom“ auch der typische ironische Kommentar ist, wenn Amerikaner dumme Dinge äußern…

Also auch in den USA die Begriffe „Freedom“ und „Liberal“ stark verbrannt sind, interessanterweise für die unterschiedlichen Seiten. Also für Konservative hat „Liberal“ eine deutlich abwertende Konnotation, während für Progressive „Freedom“ im Hinblick auf z.B. die Waffendebatte eine negative Konnotation hat. Das ist also kein deutsches Problem.

Edit:
Während ich diesen Beitrag schrieb kam auf der Tagesschau ein passender Artikel zu dem Thema raus:
„Freiheit“ zur Floskel des Jahres gekürt

Daraus:

Das umschreibt das Problem ganz gut.

Dazu nochmal ein Nachtrag:

Das Wort „Gleichheit“ scheint gerade im konservativen Sektor ähnlich verbrannt zu sein („Gleichmacherei“, „Sozialismus“) wie Freiheit im linken Sektor. Wenn sich der Threadersteller z.B. wundert, dass viele Gleichheit den Vorrang vor Freiheit geben, liegt das vermutlich daran, dass nicht gesehen wird, dass Gleichheit mehr als nur ökonomische Gleichheit ist.

Gleichheit bedeutet auch „Gleichheit vor dem Gesetz“, daher keine Ständegesellschaft, was eine zentrale demokratische Errungenschaft ist.
Gleichheit bedeutet auch, „Gleichberechtigung“, daher keine Diskriminierung von Frauen, was eine zentrale zivilisatorische Errungenschaft ist.

Damit enthält „Gleichheit“ auch starke Elemente von „Freiheit“, denn „Gleichheit“ ermöglicht erst Freiheit unabhängig vom eigenen ökonomischen, sozialen und biologischen Hintergrund. Desto mehr ich über das Thema nachdenke, desto mehr wird mir klar, dass ich bei der (unsinnigen) Entscheidung zwischen Freiheit und Gleichheit definitiv Gleichheit den Vorzug gebe - und dass es scheinbar eine relativ klare „Rechts-Links“-Frage ist.

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Ich sehe den Hauptgrund für die gefühlt zurückgehende Meinungsfreiheit darin, dass man für nahezu jede Meinung inzwischen einen Shitstorm ernten kann. Es gibt immer eine radikale und gutorganisierte Minderheit, die etwas dagegen hat und nicht beabsichtigt das Thema sachlich zu debattieren. In der Konsequenz verlagert sich immer mehr Meinungsaustausch ins Private, da man dort keinen rein destruktiven Debattenbeiträgen begegnen muss.

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Ist das nicht etwas unterkomplex? (…) Gleichheit als allgemeinen Begriff klingt für mich eher nach Orwell. Gleichheit vor dem Gesetz ist toll, Gleichheit der Chancen ebenfalls.

Aber meine Erfahrung zeigt mir, dass Gleichheit in Form von undifferenzierten Entscheidungen oft zu Ineffizienzen führt. Liberale nutzen Freiheit auch, um damit Effizienzen mittels beispielsweise monetärer Anreize zu erhöhen und das ist durchaus gut so.

Daher würde ich dem Begriff Freiheit den Vorzug vor Gleichheit geben. Freiheit gibt mir schließlich auch die Möglichkeit Ungleichheit, wo es sinnvoll ist, auszugleichen. Gleichheit nimmt mir diese Optionen. Sie schreibt einen Status fest ohne Spielraum für optimalere Lösungen.

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Das ist definitiv ein Problem, das meines Erachtens damit einhergeht, dass durch Social Media plötzlich viele Menschen sich öffentlichkeitswirksam äußern können (was an und für sich eine positive Sache ist). Im Hörsaal-Podcast von Deutschlandfunk Nova lief letztens ein passendes Thema dazu, der Vergleich der ersten Medienrevolution durch den Buchdruck 1522 mit der zweiten Medienrevolution durch Social Media in den 2000er-Jahren. Hier gibt es doch erstaunlich viele Parallelen dadurch, dass beide Medienrevolutionen dazu führten, dass die Gruppe der Beteiligten am öffentlichen Diskurs massiv gestiegen ist, was Fluch und Segen zugleich ist.

Bedeutet bezogen auf das hiesige Thema:
Durch die zweite Medienrevolution ist es möglich, dass sich kleinere Interessengruppen, die in der Vergangenheit im Hintergrundrauschen untergegangen sind, nun klar organisieren und artikulieren können.

Die zweite Medienrevolution bringt ähnlich wie die erste Medienrevolution ein unheimliches Plus an Freiheit mit sich, eben weil der öffentliche Diskurs nicht mehr nur vom Klerus (vor der ersten Revolution) bzw. Staat und Presse (vor der zweiten Revolution) geführt wird, sondern weil jetzt jeder mitmischen kann.

Dabei wird sehr deutlich, dass Freiheit kein „unbegrenztes Gut“ ist. Denn die Freiheit, dafür kämpfen zu können, dass z.B. Alltagsrassismus verschwindet, oder die Freiheit, für eine gendergerechte Sprache kämpfen zu können, wird natürlich von der Gegenseite als Einschränkung ihrer Freiheit verstanden - denn auch die Freiheit, dumme Meinungen zu äußern, ist eine Freiheit.

Das Kernargument derjenigen, die über „Cancel Culture“ und ähnliche rechtspopulistische Kampfbegriffe schwadronieren, ist die - durchaus zutreffende - Einsicht, dass eine Selbstzensur der Gesellschaft stattfindet. Daher: Es ist nicht mehr der Staat, der etwas zensiert oder verbietet, sondern es findet ein öffentlicher Diskurs darüber statt, welche Meinungen „okay“ sind und welche nicht. Und desto größer der Teil der Gesellschaft ist, der eine Meinung für „nicht okay“ befindet, desto stärker sind die Auswirkungen, wenn man diese Meinung dennoch öffentlich äußert.

Das kann man als im Kern grund-demokratisch empfinden, aber gerade wenn man viele Meinungen vertritt, die von vielen als „nicht okay“ empfunden werden, wird man das natürlich als Problem wahrnehmen.

Mit anderen Worten:
Wir befinden uns mitten in einer Umbruchphase, in der über einen gigantischen semi-öffentlichen Dialog erörtert wird, wo wir gesellschaftlich hin wollen. Und wie immer gilt hier: Währet den Extremen, in beide Richtungen.

Wie gesagt, das sind die Extrempositionen. Absolute Gleichheit unter Ablehnung jeder Freiheit wäre Orwell / real-existierender Sozialismus. Das will denke ich niemand.
Absolute Freiheit unter Ablehnung jeder Gleichheit bedeutet im Kern das Recht des Stärkeren und absoluten Raubtierkapitalismus, quasi gelebten Darwinismus. Das will denke ich auch niemand.

So gesehen ist Freiheit und Gleichheit eine Skala (1= extreme Freiheit ohne Gleichheit, 10 = extreme Gleichheit ohne Freiheit) und die Frage, ob man Freiheit oder Gleichheit bevorzugt, sagt nur, ob man auf der Skala eher im Bereich 1-5 oder 6-10 steht. Die gesellschaftliche Verteilung dürfte hier eine typische Gaußsche Normalverteilung sein, daher eine große Glocke mit Maximum irgendwo zwischen 5 und 6, deren extreme Ausläufer bei 1 und 10 höchstens nicht mal ein Promille der Gesellschaft beinhalten.

Ja, es kommt auf die Definition der Begriffe an. Solche Umfragen halte ich für schwer interpretierbar, weil eben die Frage weit interpretierbar ist.
Wenn mit Gleichheit Chancengleichheit und Gleichheit vor dem Gesetz gemeint ist, bekommt sie vermutlich von anderen Zustimmung als wenn damit gemeint ist, alle bekommen gleich viel, egal wievielt sie leisten.

In Deutschland wohl breiter als in Russland oder China. Aber trotzdem sollte man überlegen, ob es richtig ist, dass „Teile der Gesellschaft“ anderen für Meinungsäußerungen „Konsequenzen“ auferlegen - wobei auch die Art der Konsequenzen eine Rolle spielt.

Wenn jemand eine Meinung vertritt, die Teile der Gesellschaft nicht teilen, ist es völlig OK, wenn er damit rechnen muss, dass diese Teile seine Bücher nicht kaufen oder zu seinen Vorträgen nicht kommen. Wenn diese Teile aber dafür sorgen, dass auch andere die Bücher nicht kaufen oder nicht zu den Vorträgen kommen können, sehe ich das kritisch (vorausgesetzt die Bücher/Vorträge sind nicht illegal).

Meinungsfreiheit als Freiheit von staatlicher Zensur ist wichtig, in der Gegenwart sollte man meiner Meinung nach aber auch überlegen, dass Kontrolle der Information nicht nur durch staatliche Stellen, sondern auch durch wirkmächtige (Gruppen von) Privatpersonen ein Problem sein kann und einer freien, pluralistischen Gesellschaft schaden kann.

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