Fraktionszwang und Abstimmung im Bundestag

Wie funktioniert das eigentlich bei so einer Abstimmung im Bundestag?
Kann ein Abgeordneter trotz Fraktionszwang theoretisch anders abstimmen? Ist die Abstimmung anonym, würde die Partei das überhaupt mitbekommen? Falls ja, kann die das rechtlich irgendwie sanktionieren, oder ihn nur aus der Fraktion ausschließen?

lg

Die Abstimmung ist frei, eine geheime Abstimmung geheim.
Letzteres führt dann zu so schönen Situationen, dass der Gegenpartei schon mal vorgeworfen wird, drei Leute hätten dagegen gestimmt, um es der eigenen Partei unterzuschieben (was auch bestimmt schon passiert ist).
Sanktionierungsmöglichkeiten gibt es viele, da das Parteimitglied ja in einigen Situationen auf seine Partei angewiesen ist.
Wer aber seinen Wahlkreisverband hinter sich und das Direktmandat gesichert weiß, der kann sich schon einiges erlauben (auf die eine Stimme kommt es halt selten an, was die Show dann eher sinnlos macht).

Geheim sind nur Personenwahlen (Bundeskanzler o.ä.). Abstimmungen über Gesetze usw. sind alle offen, schließlich muss man sich als Wähler ein Bild davon machen können, wie weit die gewählten Abgeordneten die Interessen ihrer Wähler vertreten. (Die Arbeit in den Ausschüssen mal außen vor gelassen.)

In der Praxis – wenn keine Fraktion namentliche Abstimmung beantragt – sind gar nicht unbedingt alle Abgeordneten anwesend. Die Fraktionsgeschäftsführungen(?) erklären wie die Fraktion abstimmt bzw. die Sitzungsleitung erkennt optisch, wie die Mitglieder einer Fraktion abstimmen, und das zählt dann auch für die nicht anwesenden. Wer abweichend von der Fraktion abstimmen möchte, muss eben persönlich auftauchen.

Solche abweichenden Voten sind im Prinzip immer möglich. In der Praxis wird auf Regierungsseite aber schon vorher in den Fraktionen mit Testabstimmungen sichergestellt, dass die Mehrheit für ein Gesetzesvorhaben steht. In der Fraktionssitzung Zustimmung signalisieren und dann im Plenum spontan doch dagegen stimmen wäre natürlich ein grobes Foulspiel gegenüber den Parteikollegen, und wer so etwas machen würde, müsste in der Tat damit rechnen in der Partei/Fraktion keine Zukunft mehr zu haben.

In der Regel läuft es aber so, dass die Fraktionen intern mehrheitlich die Position bestimmen, und evtl. unterlegene Abgeordnete sich diesem Mehrheitsvotum beugen und im Plenum dann trotzdem dafür stimmen. Ausnahmen bei echten Gewissensentscheidungen werden aber in den meisten Fraktionen durchaus toleriert, sofern es vorher angekündigt wird, die Regierungsmehrheit dadurch nicht in Gefahr gerät, und das nicht häufiger vorkommt

Oder es stellt sich eben fraktionsintern heraus, dass der Widerstand gegen ein Vorhaben zu groß ist, dann wird das rechtzeitig von der Tagesordnung genommen und noch einmal überarbeitet oder komplett in Ablage P versenkt. Prominentes Beispiel hierfür bspw. die Geschichte mit der Erhöhung des Rundfunkbeitrags im Landtag von Sachsen-Anhalt.

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otzenpunk hat das meiste ja schon beantwortet.

Rechtlich können Abgeordnete dafür eindeutig nicht sanktioniert werden. Letztlich können sich die Abgeordneten auf Art. 38 I GG berufen. Dass Art. 38 I GG in der Praxis nicht gelebt wird steht auf einem anderen Blatt :wink: Außerdem gibt’s noch Art. 46 I GG:

Auch der Ausschluss aus der Fraktion wäre nur ein äußerstes Mittel, welches so bisher meines Wissens nach noch nicht vorgekommen ist. Auch die rechtlichen Voraussetzungen sind hier sehr streng, also der betreffende Politiker müsste mit seinem Abstimmungsverhalten und vielleicht damit zusammenhängenden Erklärungen schon erheblich dem Ansehen seiner Partei schaden.

Grundsätzlich haben die Parteien ja auch kein Interesse an einem Ausschluss aus der Fraktion, denn das einzige, was sie damit erreichen würden, wäre, dass der Abgeordnete danach konsequent gegen seine Fraktion stimmen würde, also absolut jede Kooperation einstellen würde. Das Mandat würde der Abgeordnete auch bei Ausschluss aus der Fraktion behalten - und aus Sicht der Partei hat man lieber ein unzuverlässiges Fraktionsmitglied als ein Fraktionsmitglied weniger…

Die einzige wirkliche Konsequenz, die ein (wiederholter) Verstoß gegen die Fraktionsdisziplin hätte, wäre, dass der betreffende Politiker von seiner Partei für die nächste Legislaturperiode wohl weder auf einen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste, noch für ein Direktmandat nominiert werden würde.

Kurzum: Man muss schon eine ausgesprochen starke Rolle in seinem Wahlkreis haben, um sich regelmäßige Verstöße gegen die Fraktionsdisziplin leisten zu können. Ströbele war einer der wenigen Politiker, auf die das zutraf…

s. auch