Fr. Richter, die LdN, und die Rückkehr des falschen Klassenbewusstseins

Wer Fr. Richters Text gelesen hat, der durfte eine charmante Abrechnung mit der Politik genießen. Diese traut sich nicht zu sagen was doch so bitternötig ist, und zeigt abwehrend auf das jeweils andere Ende der Gesellschaft. Leider ist es in der Sache mal wieder nicht viel mehr als ein vager, allgemeiner Aufruf zum Verzicht, der wie so oft die Lebensrealität der Klassenzugehörigkeiten ausblendet. Ohne Einschränkungen für uns alle wird’s nicht gehen, lässt Fr. Richter also verkünden, während ein Fußballspieler Steak mit Blattgold isst und Milliardäre just for fun ins Weltall fliegen.

Wer in einer Gesellschaft leben will, die sich gerecht schimpft, der muss die Klimafrage als Klassenfrage verstehen. Fr. Richter erwähnt das einlassend. Es reicht aber leider nicht bis zur Einsicht, warum.
Solange Geld die gewissensfreie Zugriffsmöglichkeit auf alle Waren/Dienstleistungen erlaubt, die uns die Segnungen des freien Marktes so artenreich bescheren, ist ihre Vorstellung einfach nicht zu erreichen:

„Nicht mehr Pendlerpauschale, sondern besserer öffentlicher Verkehr. Nicht mehr Eigenheim und mehr Wohnraum für alle, sondern weniger Wohnraum für viele und genug für alle. Nicht mehr Schnitzel für alle, sondern gute Nahrung auch für die Ärmsten.“

Klingt ja gut, aber wie glaubt Fr. Richter denn, dass es dazu kommt? Soll ein derart radikaler Umbau zu einem starken grünen Staat entgegen mächtiger Interessen vom Himmel fallen?

Außer Ehrlichkeit in der Kommunikation hat sie zu dem Thema leider auch nichts anzubieten, und dementsprechend dünn schlägt es auf die Lage durch. „Wir“ müssen die höheren Preise stemmen (und uns nebenbei dafür auch noch psychologische Bewältigungsmechanismen einfallen lassen). „Wir“ müssen den Gürtel enger schnallen. Oder „wir“ müssen auch mal für die Freiheit frieren, wie Hr. Gauck vor einiger Zeit den Vogel abgeschossen hat. Derartige Wunschträume eines großen Kollektivs, das in Zeiten der Not doch irgendwie zusammenfindet um am selben Strang zu ziehen, verfehlen völlig die Realität einer Gesellschaft, die vorne und hinten von Gegensätzen geprägt ist.

Dieses „Wir“ gibt es nicht. Die verschiedenen Leben in Deutschland gestalten sich anhand des verfügbaren Vermögens, und sind dementsprechend so unterschiedlich wie man es sich nur vorstellen kann. Einige Menschen werden den Winter womöglich stellenweise auf Heizen, Kochen, Duschen verzichten müssen. Diesen Menschen stellt Fr. Richter dann auch noch ein Zeugnis der Unvernunft aus, wenn sie sich daraufhin mit gelbwesten-artigen Protesten gegen die notwendige Transformation stellen. Das ist nah dran an blankem Hohn, und nebenbei bester Beweis dafür, dass es die „Klassenkampfrhetorik“ eben doch braucht. Denn Hr. Gauck wird wohl im Winter nicht für die Freiheit frieren, dieses edle Opfer dürfte anderen vorbehalten sein.
Ohne den begleitenden staatlichen Zwang werden höhere Preise nicht als Katalysator für eine umweltfreundliche Gesellschaft dienen. Sie produzieren eine Verzichtsgesellschaft für die Habenichtse einerseits, und business as usual dank öko-Ablasshandel für Vermögende andererseits.

Mag ja sein, dass Politiker entsprechend ihrer Klientel die (angebliche) Bedürftigkeit unerträglich ausweiten. Aber die echte Bedürftigkeit gibts eben auch noch, und zwar massenhaft, auch in Deutschland. Es ist eben nicht nur der ganz normale Wahnsinn des Durchschnittsbürgers, manche sind ein wenig wahnsinniger. So viel Ehrlichmachen darf mMn dann auch gerne sein.

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