Flüchtlinge aus der Ukraine - Rassismus gegen Inder & Afrikaner an der Grenze

In der LdN280 wurde kurz die Diskussion angerissen, wie das Phänomen zu beurteilen ist, dass ukrainische Flüchtlinge schnell und unkompliziert Unterstützung erfahren, während Personen anderer Herkunft - oder Menschen, die aufgrund ihrer Physiognomie fälschlicherweise für Nicht-Ukrainer gehalten werden, mit sehr viel schärferen Kontrollen zu tun haben ab 20 Minuten,15 Sekunden im Podcast).
Im Podcast wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es absurd wäre, Flüchtlinge in „gute“ und „schlechte“ zu unterteilen und deswegen unterschiedlich damit umzugehen. Dass alle Menschen, die bisher in der Ukraine gelebt haben (eagl wie lange schon), nun gute Gründe haben, das Kriegsgebiet zu verlassen und anderswo Schutz zu suchen, ist unstrittig. Genauso das moralische Postulat, die Menschen, die genau dieses Schicksal teilen, nicht unterschiedlich zu behandeln.
Worauf ich aber gerne hinweisen würde, ist, dass die Formulierung „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge sehr nah an einem Strohmann-Argument ist: Die Aussage im Podcast klingt (nicht ganz genau, aber ungefähr) so, als ob diejenigen, die die strengere Kontrolle von Menschen mit offensichtlich langfristig anderer Herkunft als der Ukraine, „gute“ und „schlechte“ Menschen unterscheiden würden - das wäre dann eine Unterstellung, der erst einmal die Begründung fehlt. Wie gesagt, es wird den Verantwortlichen im Podcast nicht wirklich unterstellt, aber man kann den Eindruck gewinnen, dass dem so wäre.
Eine Unterstellung wäre deswegen problematisch, weil es durchaus andere Gründe als nur plumpen Rassismus gibt, Flüchtlinge aus unterschiedlichen Regionen der Welt unterschiedlich zu behandeln: Man könnte z.B. auch argumentieren, dass die Kapazitäten eines Landes nie für alle Flüchtlinge der Welt ausreichen, wodurch in irgendeiner Weise entschieden werden muss, wen man aufnimmt und wen nicht. Derzeit nehmen wir in Europa z.B überwiegend Flüchtlinge auf, die die Ressourcen haben, zu uns zu kommen. Das ist eine pragmatische Lösung, aber man kann über deren Richtigkeit streiten. Ein anderes Prinzip, dass bei der Entscheidung über die Aufnahme von Flüchtlingen zum Tragen kommen, kann, ist die geographische Nähe. Auch dieses Prinzip ist weit davon entfernt, perfekt zu sein, aber rein intuitiv ist es eine Entscheidungsheuristik, der viele Leute zustimmen würden: Wenn es z.B. in Hamburg eine Flutkatastrophe gibt, ist es für naheliegende Städte und Gemeinden relativ unstrittig, dass die Bewohner Hamburgs die Grenze ihrer Stadt und ihres Bundeslandes überschreiten, um anderswo unterzukommen. Das Problem mit den Kapazitäten stellt sich in so einem Fall auch nicht so zugespitzt, wie wenn man über weltweite Flüchtlingsbewegungen nachdenkt. Ein weiteres Besipiel in der politischen Praxis wäre der Schengen-Raum, der Freizügigkeit in einigermaßen zueinander nahen Gebieten gewährleistet. Damit will ich nicht sagen, dass geographisch entferntete Personen moralisch minderwertiger oder nicht weiter beachtenswert wären. Aber geographische Nähe wäre z.B. neben anderen Entscheidungsheuristiken eine (natürlich unzureichende) Möglichkeit, mit der Kombination aus vielen Fluchtwilligen und begrenzten Kapazitäten umzugehen, ohne dass gleich der böse Rassismus dahinterstecken muss.
Auch wenn man bedenkt, dass der Anteil von Flüchtlingen in der Ukraine wie in ganz Osteuropa bisher deutlich geringer war, als es in Westeuropa der Fall war und ist, ist die gezielte Suche der Polizei nach Personen, die „anders“ aussehen, zwar nicht angenehm, aber vermutlich zielführend, wenn man herausfinden möchte, wer wirklich aus der Ukraine flüchtet und wer die Flüchtlingsbewegung der Ukrainer nutzen möchte, um ebenfalls Ländergrenzen zu überschreiten. Und ja, natürlich ist es unschön, dass dann auch schwarze Ukrainer kontrolliert werden, die wirklich aus der Ukraine kommen. Die Alternative wäre, alle zu kontrollieren - auch möglich, aber bei der Organisation der Flucht sehr vieler Personen vielleicht nicht die pragmatischste Lösung. Hier trifft Idealismus auf Pragmatismus und natürlich ist in der ausführlichen Analyse der Idealismus (d.h. alle Menschen aus Prinzip und für das bessere Gefühl ausnahmslos gleich zu behandeln) die „bessere“ Variante. Wenn man Außenstehender und nicht direkt Beteiligter ist, scheinen idealistische Handlungen meist „besser“. Das heißt aber nicht, dass sie das immer sind.