Eine kleine Anmerkung zu euren Kommentaren zu den Gewerkschaften, die manche Pläne nicht unterstützen, die Jobs in ihren Betrieben kosten würden: so sehr ich für Klimaschutz bin und euren Punkt unterstütze und er sachlich richtig ist, bin ich dennoch der Meinung, dass sich eine Gewerkschaft als Interessenvertretung der Belegschaft versteht und alles dafür tun muss, um die Jobs zu erhalten. Wenn ich in einer Gewerkschaft wäre, die sich nicht für meinen Job einsetzt, würde ich sofort austreten, warum sonst wäre ich denn Mitglied. Ja, vllt finden einige nach einer Umschulung (die nur für einen Teil tatsächlich realistisch ist) bald einen neuen Job, aber das ist eine erstmal unabhängige Frage. Von daher halte ich die Position der Gewerkschaften für aus ihrer Sicht sehr verständlich.
Ja, nein, zu kurz gedacht.
Hier in Schweden macht die Gewerkschaft nicht nur Lohnerhöhung und Arbeitsplatzerhalt.
Sie macht auch: Arbeitsbedingungen, Arbeitnehmerrechte bzw. Vertretung/Wahrung dieser, Arbeitslosengeld, bei größeren Krisen Arbeitsvermittlung (für Mitglieder) und eben auch Transformationsbegleitung.
IF Metall (meine Gewerkschaft) berichtet in ihrer Zeitung immer mal wieder über Anstrengungen die sie unternimmt ihre Mitglieder in Arbeit zu vermitteln.
Was ich auch weiß, ist dass meine Gewerkschaft bei Umzugsorganisation hilft, wenn es zu Arbeitsplatzmobilität kommt.
Es ist also mitnichten so, dass es nur um den Erhalt von Arbeitsplätzen gehen sollte, sondern auch um die Begleitung einer Transformation weil dann:
Deren Anteil wesentlich größer ist.
Die Positionen der Gewerkschaften zur Transformation auf eine Aussage/Forderung der DGB-Vorsitzenden zu reduzieren, greift m.E. etwas zu kurz. Ich bin seit über 10 Jahren bei der IG Metall beschäftigt und wir befassen uns schon seit vielen Jahren mit dem Thema der Transformation. Es ist der IG Metall sehr bewusst, dass sich die Arbeitsplätze verändern werden, dass sich der Prozess nicht aufhalten lässt und dass wir als zuständige Gewerkschaft für die Automobilindustrie massiv von diesem Prozess betroffen sein werden.
Wir haben deshalb bereits 2019 eine große Demonstration mit über 50.000 Mitgliedern in Berlin organisiert, um die Politik zum Handeln zu im Bereich der Energie- und Mobilitätswende zu bewegen. Aus der Zeit gibt es auch ein lesenswertes gemeinsames Positionspapier von Nabu, BUND und der IG Metall.
Mit Sicherheit werden durch die Transformation neue Arbeitsplätze entstehen. Vielleicht auch mehr als Wegfallen. Es gibt dabei aus meiner Sicht aber zwei Dinge zu beachten.
1.) Die wegfallenden „alten“ Jobs sind meist gut bezahlte und gut abgesicherte Arbeitsplätze. Also Arbeitsplätze, die nach Tarif bezahlt werden, die einen Betriebsrat haben und bei denen die Arbeitsplatzsicherheit und der Gesundheitsschutz einen hohen Standard haben – was alles in der Bundesrepublik keine Selbstverständlichkeit ist. Die „neuen“ Arbeitsplätze haben diese Absicherung meist nicht. Sie werden meist nicht nach Tarifbezahlt und die Arbeitgeber verhindern häufig die Gründung von Betriebsräten – dabei rede nicht einmal von Start Ups, wo Betriebsratsgründungen massiv behindert werden. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Windindustrie. Abgesehen von einigen wenigen etablierten Akteuren, wie SienemsGamesa, werden die meisten Arbeitsplätze in dieser Branche (egal ob Produktion oder Service) nicht nach Tarif bezahlt und Betriebsräte gibt es auch selten. Der Kampf um einen Tarifvertrag bei Vestas (die Kolleg:innen streiken bereits seit über 100 Tagen für einen Tarifvertrag) ist dafür exemplarisch.
2.) Bei der Entstehung neuer Arbeitsplätze muss auch gefragt werden, was die Qualifikationsanforderung der neuen Jobs ist. Natürlich ist es schön, wenn hochwertigere Tätigkeiten entstehen und dafür körperlich schwere und schmutzige Tätigkeiten wegfallen. Aber wir brauchen auch einfachere Tätigkeiten. Nicht alle Menschen haben einen Hochschulabschluss. Wir brauchen auch vernünftig bezahlte Jobs, die auch Menschen mit einem Hauptschul- oder Realschulabschluss ausüben können. Ansonsten haben wir eine Verschärfung des Fachkräftemangels in Verbindung mit steigender Arbeitslosigkeit. Was das für die Akzeptanz der Energie- und Mobilitätswende und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeutet, kann man sich ja vorstellen.
Ulf beschrieb die Gewerkschaften in der Lage 339 als „old school“. Sie klammern sich viel zu sehr an den Erhalt alter Jobs, statt die Transformation zu neuen, oftmals besseren Jobs zu unterstützen.
Mir ist das auch schon aufgefallen und ich fand es schon immer merkwürdig und kann es mir nur mit einem falschen Mindset erklären. Man hat das Gefühl, die Gewerkschaften glauben, sie wären Lobbyisten für bestimmte Branchen an sich, zum Beispiel Kohle, und entsprechend für Arbeitsplätze in diesem Bereich.
Dabei sind sie doch in Wahrheit Lobbyisten für die Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, und nicht für die Arbeitsplätze selbst. Sie müssten sich also viel mehr darauf konzentrieren, was wirklich für diese Menschen am besten ist und das kann auch ein neuer Arbeitsplatz in einer Zukunftsbranche sein, der möglicherweise sogar besser bezahlt ist.
Diesen Perspektivwechsel müssten die Gewerkschaften hinbekommen. Das würde den von Ihnen vertretenen Menschen vermutlich mehr helfen, als ein krampfhaftes Festhalten an sterbenden Branchen unter Einsatz staatlicher Mittel, die oftmals sinnvoller genutzt werden könnten.
Das ist schon etwas arg verallgemeinernd schließlich findet sich zwischen den Polizeigewerkschaften die eher der verlängerte arm der Instution Polizei und nicht der Polizist*innen ist (wenn nicht gerade gegen Migranten gehetzt wird) und jenen kleinst gewerkschaften die sich fast ausschließlich um die Beratung von unorganiserten Arbeitenden kümmern wie die FAU, auch der großteil der gewerkschaften. Diese treten hier oft ambivalent auf.
Trotzdem würde ich anmerken dass die sektorelle fokussierung und damit in verbindung mit dem stark beschränkten streikrecht einhergehende Depolitisierung der Gewerkschaften transformative Ansätze stark einschränkt. In der starren struktur der sozialpartnerschaft ist man letztlich auf den Lobbyaspekt zurückgeworfen. Schließlich hängt die Macht die Gewerkschaften entfalten an den jeweils gut organisierten sektoren und den damit verbundenen jobs.
Obwohl dies letztlich vor allem auf die Politik zurückfällt, welche Gewerkschaften stets als lästig empfinden (die BRD hat zum streikbrechen sogar extra das THW gegründet) muss man allerdings auch anmerken dass die deutschen Gewerkschaften extrem träge sind sich an wirtschaftliche Veränderungen anzupassen. Sie schaffen es kaum neue sektoren (bzw. beim Dienstleistungsektor kann man kaum von einem neuen sektor sprechen) zu organisieren. Das führt allerdings auch zu einem verfestigten Fokus auf ihre derzeitige Machtbasis in spezifischen berufen. Bspw. jene in der Autoindustrie.
Ich finde die Ansicht von Ulf und Phillip zu dem Thema … zu kurz gedacht.
Man muss ja erstmal nochmal nachvollziehen, wie die auf die Position gekommen sind. Das Thema war Industrie Strompreis und dann haben sie eine Gegenüberstellung von Skeptikern, vor allem Ökonomen der sogenannten Wirtschaftsweisen (Veronika Grimm, Monika Schnitzer, …) gegenüber tendenzielle Befürworter, wie Achim Truger (ebenfalls WW und Vertreter der Gewerkschaften) und DGB Chefin Yasmin Fahimi gemacht.
Aber aus dieser Situation zu drehen, dass die Gewerkschaften altmodisch sind und an Berufen festhängen, die nicht zukunftsfähig sind, ist Unfug. Erst einmal vertritt Fahimi exakt die gleiche Position, mit der Scholz in den Wahlkampf gegangen ist. Hält der SPD also ein bisschen den Spiegel vor. Das würde ich grundsätzlich erstmal nicht als altmodisch empfinden.
Dann muss man bedenken, dass Grimm und Schnitzer beides Vertreter einer ordoliberale oder neoklassischen Schule sind, die sich eher gegen Staatseingriffe und für den Markt (mir) regeln einsetzen. Also eher eine Position, die der FDP näher kommt.
Und nun muss man verstehen, dass die ordoliberale Position dafür ist, den Markt regeln zu lassen. Das bedeutet, bildlich gesprochen, die „alten“ nicht zukunftsfähigen Industrien gegen die Wand fahren zu lassen, ohne als Staat direkt durch Subventionen, wie dem Industriestrom-Preis, einlenken und die Transformation unterstützten und den Aufprall abzufedern / umzulenken.
Wer dieser Position auf den Leim geht und sich nicht für staatlichen Eingriff einsetzt, wird mit großen sozialen Verwerfungen rechnen müssen. Diese, welche viele der Betroffenen und Verängstigten genau in die Arme der AfD treibt.
Und sich dafür einzusetzen ist genau die Aufgabe der Gewerkschaften. Diese setzen sich dafür ein, die Transformation so umzugestalten, dass eben auch die Mitarbeiter parallel zur Industrie mitgedacht werden und diesen sichere Zukunftsperspektiven mit sicherem guten Job nach Tarifbezahlung in Aussicht zu stellen. Auch in der Vergangenheit haben sich ja Gewerkschaften mit Klimabewegungen zusammengetan um genau das zu fordern.
…
Es geht doch nicht um Kohleförderung sondern um die vielen energieintensive Industrien danach. Glasbrennerein, Stahlproduktion etc. Diese Industrien, die es jetzt irgendwie schaffen müssen, weniger auf Gas und mehr auf Strom und Wasserstoff zu setzen. Und ja, mehr Strom. Bedeutet, dass der eh schon nicht günstige Strom in Deutschland sich noch mehr auswirkt, da in diesen Industrien der Stromverbrauch durch die Transformation auch noch steigen wird.
Wir können uns als Gesellschaft nicht leisten, den Markt regeln zu lassen und die Industrien und damit die Arbeitsplätze ungeordnet zu verlieren, sondern gerade durch einen aktiven Staat, kluge Wirtschaftspolitik und Gewerkschaften mit dem Fokus auf die Arbeitenden / Menschen die Wirtschaft zu einer klimafreundlichen zu transformieren.
Die hohen Energiepreise sind Folge der Entscheidungen unserer Volksvertreter, andere Länder haben oft niedrigere ( Monthly natural gas prices United States and Europe 2023 | Statista , Electricity Prices Worldwide » (June 2023) « ElectricRate ). Wenn wir diese jetzt für zu hoch halten, so dass wir uns deren negative Konsequenzen für die Wirtschaft nicht mehr leisten könnten, dann sollten wir die Energiepreise für alle reduzieren, und nicht eine weitere Transferzahlung von Steuerzahlern (insbesondere Arbeitnehmern) zu Besitzern von Unternehmen, die besonders viel Energie verbrauchen, einführen. Dem Klima ist es egal, für wessen Nutzen das Treibhausgas ausgestoßen wird, entscheidend ist die Menge.
Vielen Dank für eure Gedanken. Haben mir definitiv den Blick auf Gewerkschaften erweitert.