Fehlende Medikamente

Moin Team LDN, ich arbeite im Gesundheitswesen und in unserer Stadt herrscht akuter Mangel von Medikamenten, insbesondere für Kinder. Hustensaft und Antibiotika. Ausgelöst durch viele Scharlacherkrangungen die bei vielen Kindern auftritt. Warum ist dies aber anscheinend nur in Deutschland so? Bei den Nachbarn in Dänemark sind die Medikamente verfügbar. Die Regierung hat diese Not, auch durch Corona, erkannt und Deutschland und EU werden zukünftig wieder Medikamente in Europa herrstellen. Nur ist der Mangel und der Bedarf ja aktuell und nicht in ferner Zukunft. Beitrag von der Regierung vom 05.04.2023 Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Lieferengpässen
Nur sehe ich da in naher Zukunft keine Lösung und warum ist das Problem nur in Deutschland so groß?
Vielleicht hat das Team Zeit/Lust dafür zu recherchieren?

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Hallo liebes Team LDN,
Das Thema finde ich auch sehr wichtig und bekommt in der Öffentlichkeit kaum einen angemessenen Stellenwert. Letzte Woche gab es dann doch einige Meldungen, da der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte einen offenen Brief an die Gesundheitsminister geschrieben hat

Mich wundert es, warum der Brief erst jetzt kommt, da der Antibiotikamangel für Kinder sich die ganze letzte Erkältungssaison zugespitzt hat.

Ein kleiner Erfahrungsbericht (2 kleine Kinder):
Im Februar mussten wir einfach noch lange fahren um eine Apotheke zu finden, die das Mittel noch hatte. Wenn auch in einer anderen Konzentration, da musste eben die Dosierung angepasst werden. Ähnliche Lage dann auch mittlerweile bei den Antibiotika in der Konzentration für Erwachsene. Hier konnte man zumindest von Amoxicillin auf Amoxiclav ausweichen. Auf meine Fragen bei den Apothekern und Kinderärzten, ob überhaupt noch „frische Ware“ von außen rein kommt, oder ob gerade nur Bestände aufgebraucht werden, sprich höhere Dosen umverteilt, größere Tablettenpackungen in kleinere aufgeteilt und Tabeletten für Suspensionen gemörsert werden. War die Antwort eher: „Wir hoffen, dass die Erkältungssaison bald vorbei ist und sich dann die Bestände wieder erholen können.“ Also an der prekären Versorgungslage wird sich von Seiten der Produzenten kaum etwas ändern.

Zur Sitaution jetzt (1.Mai):
Der O-Ton aus dem ärztlichen Bereitschaftsdienst am Wochende. Den muss man leider mit kleinen Kindern hin und wieder aufsuchen. Bereits um 9:30 wurden alle Apotheken (in Bereitschaft) abtelefoniert und die Bestände telefonisch, einzeln ermittelt (so viel zur Digitalisierung…). Fazit kein Antibitioka explizit für Kinder mehr da. Wenige Flaschen/Tabletten von Antibiotika, die nicht zur eigentlichen primären Wahl der Ärztin gehörten. Es wurden dann alle Rezepte der Patienten neu ausgestellt auf die noch Verfügbaren. Die Apotheken konnten die Antibiotika nicht zurücklegen. Die Eltern wurden angehalten sich so schnell wie möglich zur Apotheke zu begeben (z.T. bis zu 15-20 km entfernt). Wer da kein eigenes Auto hatte. Pech gehabt. Ab 11 Uhr war in den Apotheken bestimmt nichts mehr verfügbar.

Das Problem ist rein ökonomisch zu verantworten. Es handelt sich hier nicht um komplizierte Medikamente in der Herstellung. Gewarnt wird seit vielen Jahren von ApothekerInnen und PädiaterInnen. Das Problem wurde lange ausgesessen und muss nun jetzt von den Eltern und insb. von den Kindern getragen werden. Es ist schon stressig genug, wenn Kinder krank sind. Gerade die Kleinen sollten da einen garantierten Zugang zu geeigneten Medikamenten haben.

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Ich möchte mich den beiden Postings anschließen.

Ich arbeite als niedergelassener Kinder- und Jugendarzt. Insbesondere die Medikamente für Kinder sind nicht lieferbar. Ich versuche zwar, möglichst wenige Antibiotika zu verordnen, allerdings waren in der sehr beeindruckenden Streptokokken-Pandemie der letzten acht Monate - die übrigens ebenfalls wenig Beachtung in den Medien fand - einfach sehr viele Verordnungen von Antibiotika notwendig, um Folgeerkrankungen zu verhindern. An den Wochenenden und an Feiertagen gibt es immer wieder Situationen, wo keine Antibiotika zu bekommen sind, weil die wenigen Notdienstapotheken (bei uns im ländlichen Raum ist das manchmal nur eine einzige im Landkreis) einfach keine vorrätig haben. Die Situation ist aus meiner Sicht eines Industriestaates wie Deutschland unwürdig. Es entsteht relevanter Schaden an der Gesundheit unserer Kinder - das Leiden an Infektionskrankheiten wird verlängert, die Komplikationsrate erhöht, die Notwendigkeit von stationären Behandlungen wird häufiger, die Anzahl an Arztkonsultationen mehr. Des weiteren entstehen zusätzliche Resistenzen gegen Antibiotika, weil die teilweise noch erhältlichen Wirkstoffe oft viel breiter wirksam sind, als es notwendig wäre. So wird auch die Wirksamkeit in der Zukunft durch Resistenzen noch schneller infrage gestellt und auch die Darmflora des Patienten unnötig zusätzlich angegriffen.

Nebenbei seien noch die zusätzlichen Kosten für das Gesundheitswesen erwähnt, wegen mehr Arztkonsultationen. Fraglich, ob diese durch die Einsparungen der nicht verordneten Medikamente ausgeglichen werden. Und dann wäre da noch die erhebliche Mehrbelastung für uns und unsere MitarbeiterInnen, aber die interessiert ja grundsätzlich eh niemanden, der ein politischer Entscheidungsträger ist.

Es wundert mich sehr, wie wenig dieses Thema in den Medien und in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Als wäre es keine grundlegende und schwere Krise der medizinischen Versorgung unserer Kinder! Auch findet nach meiner Wahrnehmung nur eine völlig unzulängliche politische Aufarbeitung dieser ernst zu nehmenden Krise statt. Ja, es gibt jetzt einen Gesetzentwurf, aber der wird allenfalls langfristig Erfolge zeitigen. Wie konnte es soweit kommen? Warum macht sich niemand über die Versorgungssicherung Gedanken und alle anscheinend nur über noch strengere Kostenregulierung?

Aus meiner Sicht wäre es schön, wenn die Lage der Nation sich dieses relevanten und interessanten Themas annehmen würde. Euer Vorteil: Vieles könnt ihr problemlos von eurer sehr gelungenen Abhandlungen bezgl. der Lehrer/innen übernehmen, es gibt sehr viele Parallelen.

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Tatsächlich ist die Situation alarmierend. In der Liste der veröffentlichten Lieferengpassmeldungen sind mittlerweile über 490 Arzneimittel aufgenommen, fast 1/5 betrifft Antibiotika, darunter 40 in der Pädiatrie wichtige Säfte.
https://anwendungen.pharmnet-bund.de/lieferengpassmeldungen/faces/public/meldungen.xhtml
Es gibt auf der einen Seite einen deutlich erhöhten Bedarf, unter anderem aufgrund der häufigeren Streptokokken-Infektion in den letzten Monaten (aber Vorsicht mit dem Begriff Pandemie…). Paradoxerweise hat zu den Engpässen auch beigetragen, dass die Hersteller die Antibiotikaproduktion während der Covid-19-Pandemie reduziert hatten. Die Nachfrage war zu diesem Zeitpunkt wegen der Infektionsschutzmaßnahmen zurückgegangen. Die Produktion wurde danach nicht ausreichend gesteigert.
Zwar hat das Lauterbach-Ministerium den „Versorgungsmangel mit Antibiotika-haltigen Säften für Kinder“ im Bundesanzeiger bekannt gegeben. Dadurch kann man zwar vereinfacht Medikamente aus anderen Ländern importieren; das wird aber nicht wirklich helfen, weil nicht nur hierzulande Mangel herrscht.
Allgemein (nicht bezogen auf den Ersteller des POsts): Allerdings werden nach wie vor auch viel zu viel Antibiotika verschrieben; längst nicht jede Streptokokkeninfektionen des Rachens muss antibiotisch behandelt werden (siehe auch: https://www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/DEGAM-S3-Leitlinien/053-010_Halsschmerzen/oeffentlich/053-010l_Halsschmerzen_07-12-2021.pdf)
Der Fehlgebrauch verschlechtert die Versorgungslage zusätzlich.

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Ja ich finde auch, dass die Versorgung mit Medikamenten akut gefährdet ist.
Darüber hinaus ist aber die wirtschaftliche Situation der Apotheken unglaublich schlecht. Gewinne über rezeptpflichtige Medikamente sind gesetzlich geregelt, praktisch keine Steigerung in den letzten 10 Jahren. Gehälter und Energiekosten steigen dagegen laufend an.

Vergangenes Jahr hatten 10 mal mehr Apotheken geschlossen als neueröffnet ( dazu leider keine Quelle parat, aber die Größenordnung dürfte stimmen). Durch laufende Medikamentenengpässe werden die Kunden den Internet-Apotheken in die Arme getrieben, die allerdings für die Notfallversorgung nachts und am Wochenende nicht zur Verfügung stehen und keinerlei Beratung bieten.

Am 14.6. findet ein bundesweiter Protesttag mit hoffentlich flächendeckendem Apothekenstreik statt.

Ich würde mich freuen, wenn Ihr zu ein paar Hintergründen berichten könntet

Ich habe die Zahlen von 2021 gefunden. 77 Neueröffnungen standen 369 Schließungen gegenüber.
Auf 100.000 Einwohner kommen je Bundesland 20-30 Apotheken. Supermärkte, im Vergleich, erreichen eine Dichte von 45,5.
https://www.abda.de/aktuelles-und-presse/publikationen/detail/die-apotheke-zahlen-daten-fakten-2022/
Das Jahrbuch kam im Juni 2022, es dürften also bald aktuelle Zahlen kommen.

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