Sehr geehrte LdN Forum, liebes Moderatoren Team
Wie sagt man so schön: Long time listener, first time Poster.
Ich verfolge die Lage der Nation jetzt schon seit Folge 52, bin also nicht ganz Fan der ersten Stunde aber doch schon seit einiger Zeit dabei. Mir gefällt dabei die anderen Ausführlichkeit, mit der sich den einzelnen Themen gewidmet wird, und die regelmäßigen, in der Regel recht spannenden Interviewgäste. Von daher an dieser Stelle erstmal ein dickes Lob für das Team, die Moderatoren und das gesamte Back-Office!
Leider ist es ja oftmals so, dass man sich erst meldet, wenn man etwas zu meckern hat, und so ist es auch in meinem Fall (falls mein Nick das nicht schon angekündigt hat): ich möchte nämlich die Ausführungen in der LdN Folge 270 vom 9.12.21 zum Thema Vorratsdatenspeicherung (VDS) aufgreifen, um hier zunächst etwas Kritik zu üben und daran anknüpfend eine Anregung zum Umgang mit rechtsextremen Gruppierungen vorzuschlagen.
In besagter Folge, ungefähr ab 1:06:52, werden einige Angaben zur VDS gemacht, die einfach falsch sind:
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Zunächst hat der EUGH die VDS nicht grundsätzlich als unzulässig bezeichnet, sondern nur das deutsche Modell. Andere EU Staaten haben durchaus gültige, durch den EUGH bisher nicht beanstandete Formen der VDS implementiert, Frankreich zB bis zu 2 Jahre. Das Argument, dass der EUGH die VDS damit grundsätzlich als unzulässig beurteilt, ist also hinfällig (sonst dürfte es die VDS ja nirgends in Europa geben)
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Als nächstes Argument gegen die VDS wird die angeblich unmögliche Zuordnungsproblematik im Spannungsfeld Anschlussinhaber vs tatsächlicher Straftäter aufgemacht. Das ist einfach zu kurz gedacht, da die Bestandsdatenanfrage (die aufgrund der VDS beauskunftet werden könnte) ja nur ein Zwischenschritt in den Ermittlungen ist - vielleicht wird der Gedankenfehler dieses Arguments deutlicher, wenn man den Vergleich zum Autoverkehr zieht:
Jeder Fahrzeughalter, der zB bei einem Tempoverstoß ermittelt wird, kann sich zunächst darauf zurück ziehen, dass er zum Zeitpunkt der Tat nicht Führer des Fahrzeugs gewesen ist. Dennoch ermöglichen wir als Gesellschaft dem Staat die Möglichkeit, diese Ermittlungen zumindest grundsätzlich anstellen zu können, um dann ggf mit weiteren Ermittlungen den tatsächlichen Führer des Fahrzeugs zu identifizieren.
Das wir ausgerechnet beim Datenverkehr über das Internet diese Möglichkeit ausblenden wollen, gerade im Hinblick auf die steigende Bedeutung digitaler Interaktionen in unserem täglichen Leben, erscheint nicht konsequent zu Ende gedacht.
Will sagen: Wenn die Polizei nicht weiß, in welcher Wohnung sie im Zweifel nach weiteren Beweisen suchen kann oder wen man dazu befragen könnte, verlaufen die Ermittlungen regelmäßig im Sande, was dazu führt, dass sich Straftäter im Netz, ähnlich wie Autofahrer in Kreuzberg, immer weniger behelligt fühlen. Ich finde, dass die Kritik an der VDS im Podcast oft zu allgemein und polemisch ist (Zuletzt: „Die Argumentation für die VDS ist schon eine Provokation für die Intelligenz der Menschen, die zuhören“, LdN Folge 270, Zeitstempel: 01:06:58), zumal die VDS ein wichtiges Werkzeug im Ermittlungskasten der Ermittler:innen sein kann. Gerne mit strengen Vorschriften (Richtervorbehalt, Verwendung nur bei bestimmten Straftaten, wie zB bei der Telekommunikationsüberwachung im §100a StPO) und besonderer Beachtung der Verhältnismäßigkeit - aber das pauschale Bashing einer VDS ist mir da etwas zu platt.
Es sollte meiner Meinung nach keinen Unterschied machen, ob der Mob mit Fackeln tatsächlich vor der Wohnungstür steht oder nur massenhaft Pizzas und Sexspielzeug an die Adresse bestellt. Digitale Nötigung/Doxing ist eines der Einstiegsdelikte, auch und gerade für Täter, die später rechtsextremen Kreisen zulaufen - und hier kann der Staat regelmäßig nicht agieren, weil sogar bei den Tätern, die zu doof/geizig für VPNs sind, die Spuren im Sande verlaufen und andere Ermittlungsansätze regelmäßig nicht vorliegen. Bei Kinderpornografie hat man die Auswertung des Filmmaterials und die zur Verbreitung genutzten Entitäten (Email/Jabber Account usw), bei Angriffen auf das Online-Banking den entstehenden Geldfluss (meist auf Konten von Finanzagenten, aber das ist ein anderes Thema) - aber um eine Pizza oder eine Küche auf Rechnung zu bestellen brauch ich nur eine Adresse und einen Internetanschluss.
Bevor man mir für den letzten Absatz an den Hals springt: natürlich ist nicht jede Pizzabestellung direkt und zwangsläufig der erste Schritt zum 3. Weg, und natürlich ist das persönliche Auftreten und Einschüchtern mittels Fackeln von der Qualität her etwas Anderes als ein Sexspielzeug im Briefkasten - für das Opfer macht es jedoch häufig nur einen geringfügigen Unterschied, denn die Botschaft ist in beiden Fällen dieselbe: Wir wissen, wo du wohnst. Und bisher konnte mir noch kein Gegner der VDS einen Ausweg aus diesem Dilemma aufzeigen.
Natürlich können wir sagen: „Es ist nicht Aufgabe des Staates, ALLE Straftaten zu verfolgen - es muss Graubereiche geben!“ - aber dann soll das bitte auch jedem klar sein, dass wir hier auf niedrigschwellige Präventionsanaätze (Gefährdeansprache beim jugendlichen Ersttäter) verzichten und warten, bis wir denselben Täter drei Jahre später festnehmen, weil er die privaten Daten von über 1000 Politiker:innen und Journalisten veröffentlicht hat, die dann durch rechte, gewaltbereite Gruppen weiterverwendet werden.
Wo wir gerade beim Thema sind: In derselben Folge wird auch über die Telegramm Gruppe der „freien Sachsen“ berichtet, verbunden mit dem Hinweis, dass diese ja bereits über 100.000 Mitglieder habe, was 2,5% der sächsischen Bevölkerung entspräche. Zum Glück habt ihr an der Stelle selbst gemerkt, dass man für die Mitgliedschaft der Gruppe keinen sächsischen Wohnnachweis an Telegramm übermitteln muss, und richtigerweise darauf hingewiesen, dass nicht alle der 100.000 Mitglieder Sachsen sein dürften.
Daher an dieser Stelle nur eine Ergänzung/Idee, die mir gekommen ist: Gibt es eigentlich Untersuchungen dazu, wie viele dieser Gruppenmitglieder in anderen Gruppen ebenfalls aktiv sind und ggf sogar nur Karteileichen sind? Wäre ja schließlich nicht das erste Mal, das Rechtsextreme sich größer schreiben, als sie sind, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten (schlechte PR ist eben auch PR).
Wenn von denen durch die Berichterstattung angelockten auch nur 10% in den Gruppen verbleiben, hätte es sich für die Betreiber bereits gelohnt, in ein paar tausend Bots zu investieren.
An dieser Stelle fehlt mir auch manchmal die journalistische Sorgfalt, wenn man über die nächste krasse rechtsextreme Bedrohung berichtet (kein exklusives LdN Problem, siehe die Debatte um die Frage „Haben Talkshows der AfD zum Aufstieg verholfen?“ vor ein paar Jahren).
Wahrscheinlich macht ihr euch sogar diese Gedanken noch vermehrt im Hintergrund, und stellt sie nur nicht noch Mal öffentlich dar, daher möchte ich euch das hier jetzt nicht ankreiden - zumal die Entscheidung, ob das jetzt für die Lage der Nation relevant ist, auch eurer Entscheidungsgewalt unterliegt, und da möchte ich mich nicht einmischen.
Zum Abschluss:
Bitte macht weiter mit der grundsätzlich guten Arbeit, recherchiert euch die Finger wund und ladet gerne mehr Gäste, auch von politisch oppositionellen Think-tanks, ein - der Markplatz der Ideen ist schließlich durch uns alle zu befeuern! Uns vielen Dank an jeden Leser, der bis hier hin durchgehalten hat! Ich verspreche, mich in Zukunft kürzer zu fassen.
PS: Ich denke bei „oppositionellen Think-tanks“ eher an die Initiative neue soziale Marktwirtschaft, weniger an den Antaios Verlag - diesen fehlgeleiteten Vollblendern sollte man keine Sekunde Sendezeit schenken, wenn es vermeidbar ist, da sie das am Ende nur für ihre Zwecke auszunutzen wissen.