FDP vs. Berliner Staatsanwaltschaft

Hallo liebe Lagenation,

ich finde als absoulter Rechtsamateur ehrlich gesagt, dass in der Causa Lindner beide Seiten nicht ganz so sauber gespielt haben (…).
Hat die Staatsanwaltschaft eine Auskunftsfunktion? Sicherlich. Aber es wurde ja nicht nur Auskunft erteilt. (…) Ob das zur Beantwortung der Frage ob auch nur ein ANFANGSVERDACHT besteht wirklich notwendig ist, da würde ich doch mal ein Fragezeichen hinter machen.

Auf der Gegenseite hat sich Herr Kubicki in die Öffentlichkeit gestellt und die Entlassung der zuständigen Staatsanwältin gefordert. Das hat nichts mit dem Ergebnis der Ermittlungen zu tun, aber hier hat doch ein Mitglied des Bundestages und ein ranghohes Parteimitglied gezielt versucht Einfluss zu nehmen. Ganz so frei würde ich unsere lieben Gelben an dieser Stelle deshalb nicht sprechen.

Also: Verschörungen? Nein. Abgewürgte Ermittlungen? Auch nicht, soweit stimme ich zu.
Aber zumindest den Vorwurf eines extrem unredlichen Versuches, Staatsanwaltschaft und Ermittlungen zu beeinflussen und einzuschüchtern, muss sich die FDP schon gefallen lassen.
Das ist einer demokratischen Partei mit Rechtsstaatsverständnis unwürdig… aber da ist die FDP ja eh eher locker seit sie in der Regierung sitzt.

Liebe Grüße und bitte immer weiter so.

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Der FAZ-Einspruch-Podcast hat das ganz gut aufgearbeitet.

Hier zum Podcast, Thema ab Minute 27:12.

Kurzfassung der (zum Teil neuen) Erkenntnisse:
Der Berliner Tagesspiegel hatte eine gezielte Anfrage an die Berliner Generalstaatsanwaltschaft gestellt. Das bedeutet, dass es irgendwo in der Staatsanwaltschaft vermutlich ein Leak gibt, daher: Die Information ist irgendwie aus der Staatsanwaltschaft an den Tagesspiegel geraten.

Die Generalstaatsanwaltschaft hätte nun abwägen müssen, ob der Anfangsverdacht groß genug ist, um die Einschränkung von Lindners Persönlichkeitsrecht durch eine Stellungnahme zu rechtfertigen. Das wird weitestgehend eher bestritten, da der Anfangsverdacht relativ gering war. Andererseits dachte die Staatsanwaltschaft vielleicht, dass die Katze ohnehin schon aus dem Sack ist, daher: Würde die Staatsanwaltschaft hier mit „No Comment“ agieren, würde der Tagesspiegel vermutlich berichten, dass man aus einer (natürlich geschützten) Quelle von dem Verdacht erfahren habe und die Staatsanwaltschaft sich dazu nicht äußern würde.

Da sich die Staatsanwaltschaft geäußert hat, durften - ich würde sogar sagen: mussten - die Medien auch über die Sache berichten, denn andernfalls entsteht der Eindruck, man wolle etwas vertuschen. Hätte die Staatsanwaltschaft hingegen keinen Kommentar gegeben, wäre es im Hinblick auf die Verdachtsberichterstattung sehr sehr fragwürdig gewesen, ob der Tagesspiegel darüber hätte berichten dürfen, also zumindest nicht unter Nennung des Betroffenen oder mit so vielen Details, dass der Betroffene isoliert werden kann.

Die Antwort auf diesen Punkt lautet daher:
Das Fragezeichen ist berechtigt, die Staatsanwaltschaft hätte mMn bei dem sehr geringen Anfangsverdacht keine Auskunft erteilen sollen.

Er hat so weit mir bekannt ist nur den Rücktritt der Berliner Justizsenatorin gefordert. Diese ist der Staatsanwältin theoretisch weisungsbefugt, sodass in dieser Forderung nach dem Rücktritt im Prinzip die Beschuldigung steckt, die Justizsenatorin hätte die Staatsanwaltschaft hier als politisches Mittel gegen Lindner genutzt. Dafür gibt es aber keinerlei Hinweise.

Es ist ein typischer Kubicki - der Mann tut alles, um in die Schlagzeilen zu kommen - und er hat in der Vergangenheit auch immer wieder gezeigt, dass er Rücktrittsaufforderungen permanent nutzt, wann immer er irgendwas zu meckern hat. Den Mann kann man einfach nicht ernst nehmen, es ist ein typisches politisches Theater zwischen den „Erzfeinden“ FDP und Linke.

Die Entlassung einer Staatsanwältin wäre undenkbar, also wenn Kubicki das tatsächlich auch gefordert hat, spricht das nicht für ihn. Denn dazu müsste der Staatsanwältin gerichtsfest nachgewiesen werden, in strafbarer Weise rechtsmissbräuchlich gehandelt zu haben. Das kann hier nahezu ausgeschlossen werden. Man könnte allenfalls an eine Versetzung denken, wenn der Verdacht bestünde, dass sie ihr Amt politisch ausnutzt, aber auch dafür gibt es keinerlei Hinweise.

Was folgt daraus? Angenommen hier wurde sich tatsächlich falsch verhalten, wofür es natürlich keine Belege gibt. Es kann doch nicht sein, dass eine Staatsanwaltschaft solche Informationen basierend auf dünner Faktenlage heraus gibt, damit Einfluss auf das politische System nimmt (es ist Wahlkampf in Berlin) und die Konsequenz effektiv lediglich ist: „Abwischen und weitermachen.“.

Ein Fallenlassen der Anschuldigungen würde doch trotzdem an Lindner kleben bleiben. Historische Vorbilder von Folgen der Verbreitung nicht bewiesener Anschuldigungen gibt es einige, sowohl unter relativ Unbekannten als auch unter Promis.

Edit: @Daniel_K hat zurecht darauf hingewiesen, dass problematisches Verhalten der Staatsanwaltschaft nicht belegt ist. Daher habe ich einen Satz hinzugefügt, der meine Frage unter den theoretischen und unbewiesenen Vorbehalt stellt es hätte Fehlverhalten gegeben.

Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass die Generalstaatsanwaltschaft keinen Ermessensspielraum bei der Frage nach der Informationspflicht hat - und nur dann! - weil der Verdacht so gering und die Persönlichkeitsrechte Lindners, der als Bundesminister eine öffentliche Person ist, so schwer wiegen, dass keine andere rechtliche Interpretation möglich ist, dann hätten wir es mit einem Fehler zu tun.

Ich persönlich denke wie gesagt auch, dass die Generalstaatsanwaltschaft hier keinen Kommentar hätte abgeben sollen. Aber ob die Rechtslage so eindeutig ist, dass hier kein Ermessensspielraum mehr besteht, da bin ich mir nicht so sicher.

Aber gehen wir für einen Moment davon aus, dass hier kein Ermessensspielraum vorlag, also rechtlich unstreitbar kein Kommentar der Staatsanwaltschaft hätte erfolgen dürfen. Die Frage ist dann, was für Erwartungen wir an Menschen (also Mitarbeitern in Unternehmen und Behörden) stellen. Sollten Menschen gefeuert werden, wenn sie einen Fehler machen? Wie groß muss ein Fehler sein, damit es arbeits- bzw. beamtenrechtliche Konsequenzen gibt?

Wir sind immer schnell dabei, zu fordern, dass „Köpfe rollen“ sollen - aber wenn man selbst einen Fehler macht ist jeder empört, wenn die Konsequenzen als „zu hart“ wahr genommen werden.

Drastische Konsequenzen wären dann angebracht, wenn man den Nachweis erbringen würde, dass hier kein Fehler begangen wurde, sondern absichtlich gehandelt wurde, um Lindner zu schaden. Dann könnten wir sogar in den Bereich des Strafrechts kommen und dann wären auch drastische Konsequenzen angebracht.

Wenn das jedoch nicht der Fall ist, ist die logische Konsequenz, dass der Fehler in der Generalstaatsanwaltschaft aufgearbeitet wird, die undichte Stelle, die durch den Leak an den Tagesspiegel das Ganze überhaupt erst in’s Rollen gebracht wurde, gesucht wird und die Behörde versucht, für die Zukunft ähnliche Fehler zu vermeiden, z.B. durch eine interne Dienstanweisung, in der strengere Vorgaben für öffentliche Stellungnahmen und die Beantwortung von Presseanfragen gemacht werden. Den direkt zuständigen Mitarbeitern wird auf die Finger geklopft (aber nicht öffentlich!) und gut ist.

Sollten solche Dinge öfter vorkommen, also würde die Berliner Generalstaatsanwaltschaft häufiger mit dem Verdacht konfrontiert, politisch zu agieren und Informationen an die Presse durchzustechen, dann wären auch drastischere Konsequenzen (z.B. Auswechslung der Behördenleitung, also der Generalstaatsanwältin) sinnvoll. Denn dann ist offensichtlich keine hinreichende Aufarbeitung erfolgt - und das rechtfertigt im Gegensatz zu einem einfachen Fehler tatsächlich auch wieder stärkere Maßnahmen.

Bis daher war es nur ein einfacher Fehler, eine einfache juristische Fehleinschätzung. Bei den tausenden juristischen Einschätzungen, die so eine Staatsanwaltschaft im Jahr trifft, werden zwangsläufig auch mal ein paar fragwürdige enthalten sein. Das ist normal. Dass es jetzt mal einen Bundesminister getroffen hat und dadurch besonders öffentlich war ist insofern kein relevantes Kriterium.

Kurzum:
Hier muss man auch einfach mal den Ball flach halten. Auch Staatsanwälte sind nur Menschen und Menschen machen nun einmal Fehler.

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Du hast Recht, @Daniel_K. Ich habe glaube ich ungenau kommuniziert. Alles was ich schrieb steht unter dem Vorbehalt, dass wirklich Fehler gemacht wurden, was keineswegs bewiesen ist.

Ich halte nicht viel davon zu fordern Köpfe sollten rollen. Aber ich erwarte, dass eine fehlerhafte Entscheidung dazu führt, dass sich jemand öffentlich und sehr medienwirksam dafür entschuldigt.

(…)