Bevor wir hier abdriften: wann lohnt sich Arbeit? Also finanziell und ideell?
Finanziell dann wenn die erbrachte Arbeitsleistung im Vergleich zu ähnlichen Tätigkeiten angemessen entlohnt wird. Dafûr sollen ja u.a Tarifverträge sorgen. Wir sehen hier aber noch Ungleichgewicht von Ost nach West oder zwischen den Geschlechtern. Wäre ein Handlungsfeld.
Zudem muss die Entlohnung so bemessen sein, das man damit im lokalen Lebensumfeld seinen Lebensunterhalt problemlos bestreiten kann, ausgehend von Vollzeit. Also Miete oder Raten fürs Eigenheim, Nebenkosten, Lebensmittel, Kleidung, plus Reserve. Das bezieht auch die Abzüge vom Lohn ein.
Ideell sollte Arbeit in gewisser Form erfüllend sein, sinnstiftend, oder zumindest etwas Spaß machen.
Zudem sollten die Arbeitsbedingungen angemessen (oder mehr) sein. Arbeitsschutz, Arbeitsmittel, BGM, BEM, etc.
Wie gesagt, ideell, also eher on top.
Dann lohnt sich Arbeit aus meiner Sicht immer mehr als mit weniger Geld und ggf eingeschränkten Sozialkontakten ohne Aufgabe zuhause zu sitzen.
Ausnahmen bestätigen die Regel.
Jetzt habe ich in dem Lage-Interview mit Kerstin Bruckmeier doch noch eine interessante Zahl aus empirischen Studien gefunden. Nämlich: selbst bei extremen finanziellen Anreizen (vor allem negativen - also z.B. Bürgergeld Reduzierung, die ja bzgl. Existenzminimum gar nicht so einfach möglich ist) würde man schätzen, dass man gerade mal eine Größenordnung von 100.000 Menschen mehr in Arbeit bringen könnte.
Das ist zwar nicht vernachlässigbar, aber wenn man das mal überschlägt kann das nicht viel mehr als 1 Mrd im Jahr sein* bei einem Bundeshaushalt von 400 Mrd Euro also kein so großer Posten, wie uns manche glauben machen wollen.
*. mal überschlagen mit 1000€/ Monat pro Person für Regelbedarf + Wohnkosten, was eher eine Abschätzung nach oben sein dürfte
Sehr interessant, ich behaupte nämlich, dass wir die letzten 40 Jahre (Kohl, Schröder & Merkel) konservativ regiert wurden. Demzufolge haben in meinem Weltbild die Konservativen unser Land zugrunde gerichtet.
Vielleicht ist das ein Beispiel für die „Ganz Große Koalition“ aus dem Lage-Buch.
Zurück zum Thema:
Ich teile diese Postion, aber wer A sagt muss auch B sagen.
Wenn wir mit dem „Umverteilen“ aufhören wollen, dann muss der niedrigste Lohn für ein auskömmliches Leben und eine auskömmliche Rente reichen.
Momentan braucht man für € 1.000,- Rente einen arbeitslebenlangen Durchschnittsverdienst von ca. € 2050,- pro Monat. Wir haben also zum ersten Mal einen Mindestlohn, der zu einer „halbwegs vertretbaren“ Rente führt.
Daran sollten sich meiner Ansicht nach Löhne orientieren. Der Mindestlohn sollte so hoch sein, dass er zu einer Rente führt, mit der man im Alter keinen Anspruch auf Leistungen hat.
Es gab dazu vor ein paar Tagen auch einen sehr interessanten SWR Wissen Podcast [1].
Demnach gibt es Aussagen vieler Arbeitgeber im Niedriglohn-Bereich (z.B. Putzfirmen), die von Kündigungswellen ihrer Mitarbeiter berichten, mit dem Ziel jetzt Bürgergeld zu beziehen. In den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit ließ sich das aber nicht nachvollziehen. Außerdem zeigte eine Umfrage in den Chefetagen der Jobcenter, dass etwa 70% dort Sanktionen weiter für notwendig halten. Entsprechende Studien konnten die Wirkung aber bisher nicht nachweisen.
Vielleicht hängt die Verbreitung der hier diskutieren Narrative und die Reproduzierung in der Politik eben auch damit zusammen, dass solche Menschen, die grundsätzlich sehr nah am Geschehen sind, sich so äußern. Was nicht hinterfragt wird sind neben den verfügbaren Fakten die Interessen, die diese Gruppen an dem entsprechenden Narrativ haben könnten.
Herr Merz wird sich einfach die schlechten Nachrichten rauspicken, zum Beispiel:
Obwohl nach wie vor viele Jobs entstehen, gab es 2023 deutlich mehr Arbeitslose. Da wird gestritten, ob das Bürgergeld die Probleme verschärft und schon genug geflüchtete Ukrainer arbeiten. (…) 2023 waren im Schnitt 2,6 Millionen Bürger arbeitslos, knapp 200.000 mehr, meldet am Mittwoch die Bundesagentur für Arbeit. [Süddeutsche]
Laut Umfrage spüren viele Unternehmen bereits jetzt erste Auswirkungen des Bürgergelds, welches 2024 um mehr als 12 % steigen soll: 28,4 % der befragten Unternehmen geben an, dass bereits mehrere Beschäftigte mit konkretem Verweis auf das Bürgergeld gekündigt bzw. eine Kündigung in Aussicht gestellt haben. Weitere 40 % bestätigen diesen Trend, sprechen aber noch von Einzelfällen. 31,6 % können einen Negativeinfluss des Bürgergeldes auf die Personalsituation bisher nicht bestätigen.
Zur Einordnung ist es natürlich wichtig zu sagen, dass es sich hier um einen Arbeitgeberverband handelt.
Was mich irgendwie stutzig macht: Die Erhöhung des Bürgergeld ist ja keine Wohltat, sondern eine gesetzliche Vorgabe. Außerdem gleicht dieser Erhöhung nur einen realen Verlust in der Vergangenheit aus, de facto können sich die Bezieherinnen und Bezieher also nicht mehr leisten als vor 2-3 Jahren.
Heißt das nicht, dass die jetzige Erhöhung einfach den Status von vor 2-3 Jahren wiederherstellt und die Situation zwischenzeitlich einfach so schlimm geworden ist, dass sich viele zu einem zusätzlichen Job gezwungen waren?
Die Zahlen finde ich schon etwas absurd. Selbst wenn man unterstellt, dass kündigen und dann Bürgergeld beziehen eine realistische Option ist, soll ich dann glauben, dass die Leute das auch massenhaft ihrem Arbeitgeber kommunizieren?
Durchaus neheliegend ist, dass sie mit Verweis auf das Bürgergeld eine Gehaltserhöhung oder bessere Arbeitsbedingungen aushandeln wollten.
Interessant wäre also wieviele von denen, nachdem sie die nicht bekommen haben, ins Bürgergeld gegangen sind.
Das würde ich auch als eine mögliche Erklärung sehen. Eine weitere wäre, dass die Arbeitgeber etwas übertrieben haben, da ein niedriges Bürgergeld im Interesse derer ist, die niedrige Löhne zahlen.
Eine andere Möglichkeit wäre, dass tatsächlich gekündigt wurde. Weniger aus einer rationalen Entscheidung heraus (das hat @thunfischtoast ja schon gut begründet) sondern vielleicht eher aus einer emotionalen. Es hat ja vielleicht nicht jeder das genau durchgerechnet sondern vielleicht nur die Regelleistungserhöhung mitbekommen, die passenden Narrative dazu gehört und vom eigenen Leiden am Arbeitsplatz genug gehabt. Interessanter Gedanke, dass das viele Reden von „Arbeit lohnt sich nicht mehr“ vielleicht wirklich dazu führen könnte, dass viele denken, Arbeit lohnt sich nicht mehr und dann kündigen.
Es wird ggf. auch schwieriger, die Kosten an die Kundschaft weiterzugeben. Beim meiner Friseurin bezahle ich mittlerweile 42 Euro für einen Herrenschnitt (etwa eine halbe Stunde, wenige Haare). Ich denke, ab 60 Euro kaufe ich mir einen Haarschneider und trimme nur noch. Will sagen, da gibt es eben auch noch einen andere Seite, die da Grenzen setzt.
Wo das denn? Ich Wechsel je nach Situation zwischen 3 verschiedenen Friseurläden. Die zahlen alle faire Löhne und bei keinem zahle ich für meinen Herrenhaarschnitt mit vollem Haar mehr als 25€. Es gibt natürlich auch bei uns ein paar gehypte Friseurläden (ich sage nicht selber wäre das), wo man dann aus mir unerklärlichen Gründen deinen genannten Preis zahlt, aber das weiß man vorher.
21€ Kinder (Jungen), 34€ Herren ist bei uns ähnlich. Nur der Barbershop liegt noch zwischen 15-20€ und da darf bekanntlich nur Maschinenschnitt (keine Schere) gemacht werden.
Dies kann natürlich auch an der Lage liegen. Wenn ich im Zentrum oder Szeneviertel bin zahle ich eine höhere Miete für meinen Laden. Da kommen ja wesentlich mehr Aspekte zusammen als der reine Lohn.
Zweiter Speckgürtel um Frankfurt, eher schon ländlich geprägt. Die 34€ sind alteingesessener Friseurladen in 2. Generation. Ich war zuletzt dann auch paar Mal in „Discounter-Friseur-Kette“ deren Filiale nur 200m entfernt im Einkaufszentrum ist, dort liegt Herrenschnitt bei 28€. Da war auch Kinderschnitt (Junge) mit 21€.
Edit: Wobei das für mich für anständige Friseurleistung auch in Ordnung ist, auch wenn Schnitt nur 20 Min dauert.