Explosion im Libanon & Kritik am "Analyserecycling"

Lieber Ulf, lieber Philip,

danke, dass ihr mit der Explosion im Libanon ein wichtiges Thema aufgegriffen habt!
Vorab eine kleine „Warnung“. Dieser Text liest sich eventuell ziemlich vorwurfsvoll und überkritisch. Ich würde mich trotzdem freuen, wenn ihr ihn lest und vielleicht sogar kommentiert oder zu Herzen nehmt. Entschuldigt die teils drastische Wortwahl – ich habe den Text frustriert verfasst aber in der Hoffnung, dass mein Lieblingspodcast hoffentlich damit umzugehen weiß.

Insgesamt war ich etwas enttäuscht von der Oberflächlichkeit, mit der dieser vielschichtige Themenkomplex behandelt wurde. Zwar ist politisches Versagen im Libanon zweifellos ein riesiges Problem und sicherlich auch mitursächlich für die Explosion. Ich hätte mir aber gewünscht, dass ihr versucht, die politische Gemengelage im Libanon zumindest grob zu skizzieren (religiöse Klientelwirtschaft etc.). Bei eurer Darstellung fokussiert ihr euch auf 1) die unklaren Zuständigkeiten der beiden Hafenbehörden und 2) Dass Hariri nicht von der Macht abgelassen hat.

Zu 1): Auf mich wirkte das wie eine typisch deutsch-juristisch-bürokratische Sichtweise. Als Juristin ist mir natürlich bewusst, wie wichtig Zuständigkeitsfragen sind und dass es immer für einen Lacher taugt, wenn aufgrund unklarer Zuständigkeiten Aufgaben unerledigt bleiben. Allerdings ist die politische Situation im Libanon so blockiert, korrupt und von Klientelpolitik zerfressen, dass es mich sehr gefreut hätte, wenn ihr auch dieses „bigger picture“ mehr in den Blick genommen hättet. Wenn euer Anspruch auch ist, dass HörerInnen nach einer neuen Sendung etwas mehr über die von euch behandelten Themen wissen sollen, dann wäre das die perfekte Gelegenheit, einen Crashkurs über das politische System und die Situation des Libanon zu geben (zB Aufteilung der politischen Positionen nach Religionszugehörigkeit, Einbindung der Hisbollah in die Regierung, zunehmende massive Proteste aus der Bevölkerung, Wirtschaftskrise… Ad hoc habe ich bspw diese Artikel gefunden, die einen ersten Überblick verschaffen: Lebanon: Why the country is in crisis - BBC News, ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.).

Zu 2): Ihr stellt völlig zurecht auf das Problem ab, dass Hariri auch nach seinem Rücktritt 2019 eine politische Rolle spielt und verbleibende politische Loyalitäten – wie von euch am Beispiel der beiden Behörden gezeigt – das Land lähmen. Trotzdem ist es sehr vereinfacht, den verbleibenden Einfluss Hariris und die divergierenden Loyalitäten für die nicht sachgemäße Lagerung des Ammoniumnitrats verantwortlich zu machen: Da er schließlich erst 2019 als Ministerpräsident zurückgetreten ist und dieses Amt auch erst 2016 übernommen hatte, kann dies schwerlich allein die unsachgemäße Lagerung seit 2013 erklären.
Natürlich ist euer „Spezialgebiet“ deutsche Politik. Aber bei euer Darstellung der Situation im Libanon konnte ich mich nicht frei vom Eindruck machen, dass aus der privilegierten deutschen Politikbeobachtungsbubble heraus berichtet wurde und die Maßstäbe zur Bewertung deutscher Politik einfach auf den Libanon übertragen wurden (dass es keine klaren Zuständigkeiten gibt wäre in Deutschland zB ein Problem und wenn es gelöst würde, wäre auch das Problem als ganzes (vermutlich) gelöst. Der Libanon hat aber noch so viel mehr Probleme als die von euch angesprochene unklare Zuständigkeit. Es wirkt daher ziemlich realitätsfern, nur darauf abzustellen, und die viel größeren Probleme wie zB Korruption und staatliche Blockade durch religiöse Klientelpolitik überhaupt nicht anzusprechen).

Andere wichtige Aspekte der Explosion (was wird aus den zahllosen syrischen Flüchtlingen im Libanon? Wie kann humanitäre Hilfe Flüchtlinge und LibanesInnen erreichen, wenn die staatlichen Strukturen korrupt und dysfunktional sind? Welche Regionalmächte werden in den kommenden Wochen und Monaten ihren Einfluss auf das Land ausbauen und welche Folgen hat das für Land und Region) haben mir auch gefehlt.

Natürlich ist es für euch nicht möglich, euch jede Woche in großer Tiefe in immer neue Themen einzuarbeiten. Am Beispiel der Libanon-Berichterstattung möchte ich aber zeigen, dass es für mich nicht so gewirkt hat, als hättet ihr versucht, das Thema umfassend aufzubereiten. Vielmehr wurden einzelne spannend klingende Thesen (Libanon auf dem Weg zu einem failed state?) mit sehr wenig Kontext in den Raum gestellt. In den anderthalb Jahren als treue Lagehörerin hatte ich meistens den Eindruck, dass ihr entweder gewissenhaft und umfassend recherchiert und dementsprechend berichtet, oder offen mit Wissenslücken umgeht oder ExpertInnen einladet. Bei der Libanonberichterstattung war es hingegen meinem Eindruck nach so, als hättet ihr einfach zwei Artikel zum Thema gelesen und würdet die spektakulärsten Thesen wiederholen, anstatt eure eigene Analyse zu liefern (die ich an eurem Podcast sonst so schätze).

Es wirkte zudem eher so, als würdet ihr einfach versuchen, alte Problemmuster, die ihr bereits kennt (Wird Trump eine Abwahl anerkennen? How Democracies Die) auf dieses neue Thema überzustülpen. Das ist zwar verständlich, hat bei mir aber den Eindruck hinterlassen, als ginge es euch einfach darum, das neue Ereignis in eure bereits vorbereiteten Schubladen zu sortieren (und damit eure eigene, frühere Analyse zu bestätigen), ohne euch wirklich intensiver mit den Besonderheiten dieses konkreten Ereignisses und dessen Hintergründen auseinanderzusetzen. Mit anderen Worten: Es wirkte nicht wie eine neue Analyse einer neuen Situation, sondern mehr wie die Wiederholung einer alten Analyse nur durch einen neuen Aufhänger eingeleitet. Das führt für mich dazu, dass der Erkenntnisgewinn beim Hören eurer Sendung sehr gering bleibt, weil die Argumentationsmuster einander immer mehr ähneln und mir die echte Auseinandersetzung mit neuen Themen fehlt.

Ich hoffe, mein Punkt ist verständlich geworden und ich hoffe, die Kritik wirkt nicht destruktiv. Ich schätze die Lage sehr und wollte diese Gelegenheit nutzen, ein paar grundsätzliche Bedenken loszuwerden, vielleicht teilen ja auch andere HörerInnen meine Eindrücke.

Allerbeste Grüße aus Münster,

Felicitas