EU füllt Putins Kriegskassen?

Sind Sanktionen denn nur gerechtfertigt, wenn sie zum Regimesturz beitragen? Oder „reicht“ es nicht, wenn Sanktionen die wirtschaftliche Basis eines Gegners treffen? Wenn eine Volkswirtschaft jedes Jahr 1% weniger wächst, als sie es ohne Sanktionen täte, klingt das erstmal nicht nach viel, das summiert sich mit den Jahren allerdings zu katastrophalen Verlusten auf und kann die Möglichkeiten eines Gegners, Krieg zu führen, empfindlich schwächen. Was die arg verkürzte Sicht auf den Zusammenbruch des Ostblocks angeht, kann ich einen Vortrag von S. M. Paine empfehlen, die die unterschiedlichen Aspekte, die zum Ergebnis beitrugen sehr gut und einigermaßen knapp aufarbeitet. Sanktionen kommen da auch vor: https://www.youtube.com/watch?v=KXVQhpIKxDg&t=87s Die ersten ca. 3 Minuten kann man getrost überspringen.

Mal Beispiele:

Das Ende des Ostblocks war Multikausal. Natürlich. Monokausale Ereignisse sind in der Geschichte die absolute Ausnahme.

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Das Paradoxe an diesem Krieg ist wohl, das man sich in einigen Punkten sehr abhängig gemacht hat von Russland. Die Idee „Wandel durch Handel“ hat Putin/Russland für sich anders interpretiert und diese Abhängigkeiten auch gezielt befördert.

Nun will man zwar einerseits die Ukraine aus völkerrechtlichen und moralischen Gründen unterstützen, kann diese wirtschaftlichen Abhängigkeiten nicht von heute auf morgen kompensieren.
Da in unserem westlichen Wirtschaftsverständnis der Wohlstand im Vordergrund steht (wohl auch oft vor Moral und Völkerrecht), ist es jetzt die Gratwanderung vieler Politiker, einerseits die Ukraine glaubhaft und wirksam zu unterstützen, andererseits die negativen Folgen für den eigenen wirtschaftlichen Wohlstand nicht zu groß werden zu lassen.

Müssen die Menschen in einem westlichen Land zu sehr verzichten oder sich einschränken, schwindet schnell die Bereitschaft zur Unterstützung der Ukraine.
Je nach politischer Führung (Orban, Vukovic,…) ist dann das Hemd (Wohlstand) näher als die Hose (Wahrung Völkerrecht).

Ist sehr komplex

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Die meisten Raffinerien sind in Richtung Sibirien.
Belgorod dürfte da eher kein Problem darstellen.
Es gilt ja auch für Vereinbarung: kein Beschuss von nicht ukrainischem Gebiet mit westlichen Waffen, mit den Drohnen müssen sie also erst mal so weit kommen und dann darf dort keine ausreichende Luftverteidigung installiert sein.

Dazu kommt, dass auch das Denken, dass der „Wandel durch Handel“-Politik zugrunde lag, natürlich nicht 2022 plötzlich verschwand. Bestes Zeichen dafür sind die Seitenhiebe von Leuten wie Mützenich und Steinmeier gegen Sicherheitsexperten, nur weil diese tatsächlich einen Bruch mit diesem Denken einfordern, gerade auch von der Nordstream-Fraktion in der SPD.

Es ist eh schwer zuzugeben, das man falsch gelegen hat mit seiner Idee/Vision, besonders in der Politik.

Das man Frieden anstrebt, ist ja erstmal positiv. Muss aber realistisch sein.
Verhandeln ist gut, funktioniert aber nur, wenn Kriegsparteien auf Augenhöhe verhandeln.

Warum Putin sich mit weniger als der ganzen Ukraine (langfristig) zufriedengeben sollte, konnte auch noch niemand schlüssig erklären :wink:

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Das kann dann natürlich dazu führen, dass kaum noch jemand diese Politik ernst nimmt, in diesem Fall weder die die immer noch an Wandel durch Handel und Frieden mit Russland glauben, noch die, die wirklich der Ukraine zu einem Sieg verhelfen wollen.

Das gelingt regelmäßig, zuletzt hier

https://twitter.com/Gerashchenko_en/status/1788425553340428796?t=bdCIXLIZpBjc6pH_tGLJVQ&s=19

Der Krieg ist kein Beleg dafür dass Wandel durch Handel die falsche Strategie gewesn ist. Mir erscheint es typisch deutsch sich Jahrzehnte für den klugen Wandel durch Handel zu feiern um anschließend eine 180grad Wende zu machen. Den Krieg gibt es trotz der richtigen Strategie.

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Hat Putin nicht möglicherweise genau die gleiche Interpretation gehabt, nur eben aus der anderen Richtung und mit (viel?) mehr Erfolg?

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Kann man auch so sehen. Wenn Putin sich dachte, durch den Handel schaffe ich Abhängigkeiten und forciere so den Wandel weg von der Demokratie. Wird wohl so der Plan sein.
Scheint aber eine andere Intention zu sein wie der westliche Ansatz

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Das Problem ist, dass der Kapitalismus immer mehr Interesse am Handel als am Wandel hat.
China macht uns gerade vor, wie angreifbar kapitalistische Staaten auf dieser Flanke sind.
Wenn es nach der deutschen Wirtschaft gegangen wäre, hätte es 2020 schon längst keine Sanktionen mehr gegen Belarus gegeben. Unser Verhalten dort war mit ein Grund weshalb Putin die EU und insbesondere Deutschland nicht ernst genommen hat.

Stell dir vor es gibt ein Unrechtsregime und keiner handelt mit ihnen. Dann wäre der Ofen schnell aus.
Das ist leider Wunschdenken, da sind die Leute moralisch nicht gesichert genug :slight_smile:

Der Fairness halber sollte noch gesagt werden, dass die Ungarn beim Gas von Putin ja keine Alternative haben.
Nicht jeder hat so eine gute Regierung wie wir, bei der ein Wirtschaftsminister der Grünen (!) und seine Partei die Kröten schlucken, Aromstrom kurzzeitig weiter laufen zu lassen, LNG Terminals schnell an den Start zu bringen und Fracking Gas aus den USA oder aus Unrechtsregimen wie Katar zu akzeptieren. Diesen Satz meine ich tatsächlich nicht ironisch, ich denke die CDU wäre da eher eingeknickt und AfD, Linke und BSW sind ja sowieso auf dem Orban-Kurs

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Östereich hat auch noch hohe Importe. Da ginge auch noch mehr.
Die Tschechen haben hohen Kohleverbrauch.
Schwierig wenn man noch auf Fossile setzt.

Es war auch ein Rundumschlag mit „Solange die Chinesen den Iranern noch Öl abkaufen und Gas aus Russland beziehen kann die EU nich viel tun“ zusammen.
Aber ja, Abhängigkeiten sind bei sowas enorm unpraktisch und wir müssen sie reduzieren.

Was man auch nicht ganz außer acht lassen sollte: Putin ist altgedienter Geheimdienstler.

Der ist ja nicht morgens auf der Badematte ausgerutscht und ist deswegen in der Ukraine einmarschiert.

Vieles ist da schon langfristig strategisch geplant.
Die Besetzung der Krim war erstes Abtasten, wie reagiert der Westen. Die systematische Forcierung von Abhängigkeiten von fossilen Energien war auch ein Baustein, samt Nordstream 1 und 2.
Parallel das verstärkte Engagement in Afrika (mit seinen Rohstoffen) mit dem Ziel den Westen/USA rauszudrängen (siehe Mali).

Sein Timing mit dem Einmarsch in die Ukraine war nicht ideal, aber dem Druck durch den möglichen Beitritt der Ukraine zu EU/NATO wohl geschuldet.
Auch hat er die Abhängigkeit und damit Beeinflussbarkeit des Westens überschätzt (oder unsere Konsequenz, die uns wohl selbst überrascht hat) wie auch die Schlagkraft der russischen Armee. Oder die Fähigkeiten der Ukraine unterschätzt. Manko bei Diktaturen, wo man nur gesagt bekommt was man hören will.

Doch er hält den Draht zu ehemaligen Bruderstaaten wie Ungarn oder Serbien, bremst so die EU indirekt mit aus, und ist auch offen nach China, Iran und Nordkorea.

Also als Gesamtbild ist das schon komplex, was Putin da tut. Dumm ist er nicht, höchstens Altersstarrsinn kann ihm gefährlich werden….

Edit: und man darf die Ukraine wohl auch nicht als Kriegsziel betrachten, sondern nur als Etappe zum großen Ziel.
Idealerweise ein Sammelsurium von bündnisfreien Autokratien und Diktaturen in Europa unter der Ägide Russlands.

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