Ethische Betrachtung der Coronagesamtlage

Hallo ihr Lieben,

Ich habe mich beim hören der Folge 266 gefragt, ob die ethische Betrachtung der Debatte Einschränkungen vs Pandemie laufen lassen, überhaupt so eindeutig ist, wie von Herrn Drosten und von euch dargestellt!? Mein Bauchgefühlt sagt mir (wie hoffentlich bei vielen Menschen) direkt, dass es 100.000 Tote unbedingt zu vermeiden gilt. Aber ist das überhaupt so?

Deontologisch betrachtet muss zunächst jeder einzelne geschützt werden bis eine Impfung verfügbar ist, weil es bis zu diesem Zeitpunkt keine andere Möglichkeit gibt, die Würde der Einzelnen und damit die Möglichkeit der freien Entfaltung im späteren Leben zu gewährleisten. Jeder Mensch hat das abgeleitete Recht auf Unversehrtheit und muss deswegen unter allen Umständen bis zur Impfmöglichkeit geschützt werden.

Ich frage mich (in meiner Vereinfachten Darstellung der Pandemie) ob dieser Grundsatz auch dann noch gilt, wenn es jedem und jeder möglich ist eine Impfung in Anspruch zu nehmen. Ein Impfverweigerer hat sich aus diversen Gründen GEGEN eine Impfung entschieden. In der Regel geschieht dies aus mehr oder weniger freien Stücken. (aus freiem Willen heraus).
Ist in diesem Moment im Falle eine globalen Pandemie der Anspruch auf körperliche Unversehrtheit überhaupt noch gegeben?

Ich persönlich finde nicht, dass der Staat jeden Bürger und jede Bürgerin, auch über deren eigenen freien Willen hinweg schützen muss.

Mir ist durchaus bewusst, dass es Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen können und somit unter allen umständen geschützt werden müssen. Abseits der rein ethischen Betrachtung weiss ich aber nicht, ob diesbezüglich die rechtliche Verhältnismäßigkeit in der Umsetzung der möglichen Maßnahmen noch gegeben ist, da es sich doch um einen erheblich kleinen Prozentsatz der Bevölkerung handelt. Da wären wir dann auch schon wieder bei der Utilitaristischen Betrachtungsweise.

Denn eins vergesse auch ich häufig: Impfungen sind ein Anwendungsmittel, was ausschließlich dem größten Teil der Menschen, unter Inkaufnahme möglicher (wenn auch unglaublich seltener) Kollateralschäden, einen Mehrwert bietet.

Ich bin hin und her gerissen und habe auch (leider) nicht Philosophie studiert, aber vllt kann mir der ein oder andere ja helfen, die Debatte und mögliche weitere Argumente besser zu verstehen?

Freu mich auf den Austausch.
Grüße,

Tom

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Die Zeugen Jehovas lehnen Bluttransfusionen ab.
Manchmal stirbt dann einer, obwohl er leicht hätte gerettet werden können.
Für Ärzte und Krankenpfleger manchmal ein schwieriges Dilemma, sie möchten helfen, sie könnten helfen und dürfen nicht.
Bei Corona ist es aber anders.
Denn sie können gerettet werden - und die meisten wollen auch gerettet werden.
Hier erwarten die nicht Geimpften, dass die Ärzte und Pfleger sie retten und heilen.
Und die wissen, dass sie ganz andere Fälle jetzt bearbeiten könnten, nicht in einer Ganzkörperschutzkleidung sein müssten und trotzdem alles für diesen Menschen tun wollen.
Das aber vermutlich nicht tun müssten, wenn er sich einfach geimpft hätte.

Hallo,

aus meiner Sicht ist das Hauptargument immer noch, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Zum einen, um die dort Beschäftigten nicht noch weiter zu belasten, die bereits seit 2 Jahren extrem unter Druck stehen. Zum anderen, damit andere Menschen die (intensivmedizinische) Versorgung im Krankenhaus brauchen, diese auch bekommen können.

Etwas platt ausgedrückt: Ich habe keine Lust, nach einem Autounfall zu sterben, nur weil alle Betten auf der Intensivstation mit ungeimpften Corona-Patienten belegt sind und man mich nicht versorgen kann.

Ob man unabhängig davon die Infektionen durchlaufen lassen sollte, wenn das erwartungsgemäß zu 100.000 Toten führt, das ist dann eine andere Frage. Hier muss man vielleicht schon sagen: Wenn sich diese Leute durch Unvernunft selbst in Gefahr bringen, ist das traurig, aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten, sich durch Unvernunft selbst zu gefährden (die klassischen Themen Rauchen, Alkohol, Übergewicht).

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Aus meiner Sicht sind hier folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • derzeit steht eine Impfung noch nicht allen in Deutschland in Theorie und Praxis zur Verfügung (Stichwort U12) - und global gesehen sowieso nicht,
  • bei Überlastung des Gesundheitssystems sind auch nicht an COVID Erkrankte betroffen, es können geimpfte Menschen sterben, weil sie z.B. bei Herzinfarkt keine adäquate Behandlung erhalten.

Da die Würde jedes einzelnen Menschen unantastbar ist, ist eine utilitaristische Betrachtung m.E. ethisch nicht zulässig. Mit Kant argumentiert: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“

Es gibt aber sicher aus philosophischer Perspektive auch andere Bewertungen. Da kenne ich mich aber leider auch nicht aus.