Ethik und Rücknahme der Maßnahmen für Geimpfte

Hat der Ethikrat nicht einer Impfpriorität zugestimmt aber auch gleichzeitig gesagt, dass im Gegenzug auch “Erleichterungen” erst dann für alle ermöglicht werden sollen?

Wieso stimmt die Lage damals der Empfehlung des Ethikrat zu, weicht nun aber davon ab in dem man sich an einer Definition von Solidarität versucht?

Der Ethikrat hat nämlich explizit gesagt, dass in dem Fall, dass nur für geimpfte die Maßnahmen zurückgenommen werden, die Frage der Gerechtigkeit zu berücksichtigen ist.
Ich finde es geht am Thema vorbei, wenn versucht wird mit Solidarität diesem ethischen Konflikt zu begegnen.

“Eine vorherige individuelle Rücknahme von Freiheitsbeschränkungen nur für geimpfte Personen ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn hinreichend gesichert wäre, dass sie das Virus nicht mehr weiterverbreiten können. Dabei wären allerdings auch Fragen der Gerechtigkeit sowie der Folgen für die Akzeptanz der Impfstrategie zu berücksichtigen.”

https://www.ethikrat.org/mitteilungen/mitteilungen/2021/besondere-regeln-fuer-geimpfte/

Das vorgebrachte Argument ist hier, dass es nicht gerecht ist. Es ist solidarisch auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen. Es ist aber nicht gerecht, wenn man diese Solidarität zeigt, dass dein solidarisches Verhalten dir zum solch einem Nachteil wird.
Deswegen hat der Ethikrat auch gesagt, dass grundsätzlich die Maßnahmen nicht Aufgrund der geimpften zurückgenommen werden sollen, sondern auf Grundlage der Gesamtsituation. (Weniger erkrankte, weniger Tote, bessere Situation in den Krankenhäusern)

Die aktuellen Rücknahmen der Maßnahmen sind getrieben von der bevorstehenden Wahl (größte Wählergruppe sind die Älteren, Schulkinder dürfen gar nicht wählen) und der Urlaubssaison.

Deswegen geht man das Restrisiko ein neue Varianten einzuschleppen und das geimpfte und genesene nicht zu ansteckend sind.

Nachdem nun die Impfpriorität aufgehoben wurde, wer sorgt dafür dass die Risikogruppen 3 - die Termine für eine erste Impfung bis in den Juni hinein (22. Juni) erst erhält noch - in den Genuss der Solidarität kommt?

Als Gesellschaft sind wir also nur bis zu einem gewissen Grad solidarisch - und dieser ist nicht besonders groß- aber sehr groß wenn die wählende Mehrheit betroffen ist.

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  1. Es gibt zu diesem Thema gefühlt ein Duzend Threads. Such bitte mal unter den Stichwörtern „Geimpfte“ und „Solidarität“ und sortiere nach „Letzter Beitrag“. Dort wurden wirklich erschöpfend sämtliche Argumente ausgetauscht.
  2. Die Argumentation von Philip und Ulf in der Lage ist völlig anders, als von Dir hier dargestellt (oder ich habe etwas falsch verstanden): Die Rücknahme der Einschränkungen von Freiheitsrechten für Geimpfte hat eben nichts mit Solidarität zu tun
  3. Man kann nicht jemanden weiterhin ein Grundrecht einschränken, wenn man es ihm zurückgeben kann, ohne dass irgendjemanden dabei einen Nachteil hätte. Und genau das ist der Fall. Es sei den, Du betrachtest „Neid“ als Nachteil.
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„Als Gesellschaft“ handeln wir hier überhaupt nicht. Die ganzen Maßnahmen werden definiert von Politikern, die getrieben sind von Angst vor den nächsten Wahlen und keinen Arsch in der Hose haben, z.T. vielleicht auch nicht die kognitiven Fähigkeiten.
Dann handeln viele einzelne Bürger jeweils für sich.
Diese ganze Soße hat kein einheitliches ethisches Subjekt, dem man dieses Handeln oder gar das Ergebnis zurechnen könnte, wenn man auch argumentieren kann, dass die Politiker die größere Verantwortung tragen und die größere Schuld. Aber das sollte man dann auch so benennen: nicht „wir als Gesellschaft“, sondern „gewählte Amtsträger“.

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Ich stimme nur im Punkt 3 zu, du gehst aber in keinen Punkt auf mein Thema ein.

Ich sage, es geht nicht um Solidarität oder Neid, sondern Folge der Einschätzung des Ethikrats, dass das Thema Gerechtigkeit beleuchtet werden muss. Mein Argument ist die fehlende Beleuchtung der Gerechtigkeitsfrage. Dieser Punkt wurde in der Lage mehr oder weniger in einem Nebensatz genannt. „Stichwort: Politische Entscheidung“

In der Lage wurde gesagt, - verkürzt - es sei eine politische Entscheidung, ob das Restrisiko klein genug ist und somit das zugrundeliegende Argument - es gehe keine Gefahr von Ihnen aus - überhaupt anwendbar ist.
Hier gibt es in der Tat einen solidarischen Aspekt, nämlich wenn geimpfte nicht mehr einen schlimmen Krankheitsverlauf haben aber doch das Infektionsgeschehen mit weiter vorantreiben können oder neue Varianten verbieten könnten.

Die Studienlage, auf der die Politik für ihre Entscheidung zurückgreift, zeigt tendenziell ein beruhigendes Bild. Es ist jedoch noch eine sehr dünne Studienlage.

Letztendlich kann niemand mit vertretbarem Aufwand eindeutig bestimmen, ob eine zu kontrollierende Person tatsächlich geimpft ist. Da die Kontrolle so gut wie unmöglich ist, sind Maßnahmen wahrscheinlich akzeptabel. Zumindest kann man das ableiten, weil das Bundesverfassungsgereicht selber angedeutet hat - Ausgangssperre und dessen Kontrolle sei ein geringerer Eingriff als die unmittelbaren und direkten Kontrollen in Privatwohnungen.

Mit meinem Beitrag wollte ich versuchen, die Diskussion auf den Kern zu führen, den der Ethikrat explizit erwähnt hat.

Die Politik trifft eine politische Entscheidung und akzeptiert ein Restrisiko in dem Einschränkungen zu Bekämpfung der Pandemie zurückgenommen werden.
Ist diese Entscheidung Gerecht in Anbetracht der weiterhin hohen Auslastungen der Intensivstation, in der doch erstaunlich unbekannten Situation bezüglich der verbreiteten der Varianten in Europa und in Deutschland ist?

Vielleicht kann man es noch einfacher formulieren: Ist es Gerecht beim aktuellen Stand der Wissenschaft und des Infektionsgeschehen, politisch zu Entscheiden das Restrisiko ist klein genug?

Meine persönliche Meinung ist, dass diese politische Entscheidung mehr durch den Wahlkampf beeinflusst ist als durch die wissenschaftliche Faktenlage. Es ist nur recht und billig die Annahme zu akzeptieren, dass keine Gefahr von immunisierten ausgeht, um dann folgerichtig und unstrittig die Grundrechtseinschränkungen für diese bestimmte Gruppe zurück zu nehmen.

Ich finde ja diesen Halbsatz von Ethikrat einen lazy Allgemeinplatz. Welche Gerechtigkeitsfragen sehen sie denn? Wenn man das Fass schon aufmacht, sollte man auch sagen, was drin ist.

Dass wir auch bei der Pandemie etliche Fragen zum Thema Gerechtigkeit und Verteilung von Lasten beantworten müssen, da stimme ich Dir zu. Wie das aber gegen die Rücknahme einiger (!) Maßnahmen für Geimpfte spricht, verstehe ich nicht.

Die Schwierigkeiten, zu kontrollieren, können doch kein Argument sein, Geimpften oder Genesenen weiter ein Grundrecht vorzuenthalten, für das es keine Begründung mehr gibt.

Dass noch gar zuverlässige klar ist ist, ob Geimpfte und Genesene nicht doch Treiber der Pandemie sind oder dazu werden können, ist ein völlig anderes Argument, dass ich aus dem, was Du bislang geschrieben hattest, nicht herausgelesen habe.

Genau! Der Etnikrat hat hier in einem Halbsatz ziemlich Unausgegorenes gesagt und das bis heute nicht zu Ende gedacht.

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Nichts für ungut, aber ich finde, da machst Du es Dir etwas zu einfach. Das klingt für mich ein wenig so, als würde man nach einem Sieg des eigenen Lieblingsteams sagen „wir haben gewonnen“ und nach einem verlorenen „die haben’s mal wieder vergeigt“.
Noch bis vor ein paar Wochen wurde doch - auch hier im Forum (ich weiß nicht ob auch von Dir persönlich) -. immer wieder betont, wie groß doch der Rückhalt für die Corona-Politik in der Gesellschaft ist, z.B. in dem Thread über Umfragen. Natürlich gab es da auch Kritik, hier im Forum vor allem an zu wenig Schließungen, aber die generelle Akzeptanz des Ansatzes der Pandemiepolitik war hoch, obwohl die Politik seit über einem Jahr keine langfristige Strategie entwickelt hat, obwohl sie sich beständig weigert, ihr Handeln auf eine solidere Datengrundlage und auf eine breitere Expertise zu gründen, obwohl sie im Wesentlichen auf eine in sich widersprüchliche und kaum noch durchschaubare Mischung aus Schließungen & Öffnungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen setzt und obwohl sie mangels langfristiger Strategie Impfungen als einzigen Ausweg anpreist. Dass dieses noch vor Wochen breit akzeptierte Herumwurschteln genau zu der Situation führen würde, in der wir jetzt sind, war m. E. seit Monaten absehbar. Jetzt auf einmal zu sagen, die Politik hätte nichts mit der Gesellschaft zu tun, finde ich da etwas billig.
Die ganzen unterschiedlichen Interessengruppen und Partikularinteressen gibt es ja nicht erst seit ein paar Wochen und auch nicht erst seit Beginn der Pandemie. Dennoch sind sie alle Teil einer Gesellschaft, die wie immer voller Konflikte und Widersprüche ist.

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Verstehe ich nicht. Der Rückhalt war doch für die Maßnahmen, die es gab und gegen die „Querdenker“. Die Kritik war doch typischerweise (zumindest von mir), dass sie nicht ausreichten. Ich sehe hier also hier schon ein gewisse Spaltung in denkende Bürger, covidioten und rückgratlose Politiker (leicht vereinfacht und zugespitzt).

Was dagegen spricht ist:

  1. Es gibt keinen sicheren Nachweis, dass man geimpft worden ist. Der Anreiz diesem Nachweis zu fälschen ist sehr hoch. Es geht sehr einfach und ist kaum kontrollierbar. Daher geht bei mangelnder Kontrolle (Test) von Personen weiterhin ein hohes Risiko aus. Es wird nur angenommen, dass jemand geimpft wurde.

  2. Gegen die Variante B.1.351, die sich in Deutschland bereits verbreitet, wirken die Impfungen weniger gut. Es ist eine politische Entscheidung, dass man das Restrisiko neuer Wellen in Kauf nimmt damit 10% der Bevölkerung nicht mehr getestet werden sollen.

Inwieweit ist eine Testpflicht denn ein solch schwerwiegender Grundrechtseingriff? Oder sich auch „freitesten“ zu können, wenn man aus dem Urlaub zurückkommt?

Wenn man Maßnahmen zurücknimmt, dann finde ich es „gerecht“ dass geimpfte den getesteten gleichgestellt sind. Jedoch sind die Kontroll- und Nachweismöglichkeiten nicht gleich und deswegen bleibt es eine Annahme statt einer Gewissheit, dass von der Person keine Gefahr mehr ausgeht. Ich verstehe nicht, warum man dieses Risiko eingeht, es sei denn wegen dem Wahlkampf.

Weiter werden geimpfte nicht nur gleichgestellt. Im Gegensatz zu getesteten werden sie von den Kontaktbeschränkungen befreit. Wieso gilt das nicht auch für getestete?

Genauso ist es doch mit den Ausgangssperren: Sie tragen doch nur indirekt etwas zur Pandemiebekämpfung bei. Dem Virus ist es doch egal, ob wir uns mittags um 12 oder Abend um 12 im Park treffen. Aber es lässt sich besser kontrollieren und ist ein geringerer Eingriff als Hausdurchsuchungen, um zu prüfen, ob sich alle Haushalte an die Regelungen halten.

  1. Der Impfschutz liegt nicht bei 100%, sondern je nach Impfstoff so bei 90-95%. Somit können 5% der Geimpften immer noch das Virus verbreiten. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass das passiert. Aber wenn, dass werden genau die solidarischen, nicht geimpften infiziert.