Erneuerbare Energie/ Energiewende - Neokolonialität in der Debatte

LdN 276 - Neokolonialität in der erneuerbare Energien Debatte

Heribert Johann Bradtka, von dem Hessenreuther Wald Verein, der gegen Windkraftanlagen klagt, schlägt ja vor, Energie statt aus Windkraft aus einer Kombination aus Photovoltaik-Anlagen in Afrika, Wasserstoffproduktion und Verschiffung des Wasserstoffs zu beziehen (ca. 35:50 in der Folge 2 zum Windkraftausbau). Dass alles drei zusammengenommen schon enorm verschwenderisch klingt, klammere ich mal aus. Auffällig fand ich die Bemerkung zu Afrika: Bradtka setzt voraus, dass Deutschland Gebiete afrikanischer Staaten für die deutsche Energieversorgung einfach so zur Verfügung stünden. „Afrika“, als ob das ein Land und kein riesiger Kontinent mit 1,3 Milliarden Menschen und 55 Staaten wäre. Die Stromversorgung der lokalen Bevölkerung und ob es überhaupt Interesse am Handel mit Deutschland gibt ist für Bradtka offensichtlich völlig unerheblich. Dieser Verfügungsanspruch über afrikanisches Land fügt sich einwandfrei in (neo?)koloniale Logiken. Besonders zynisch - und noch dazu meist vergessen - ist dabei, dass auch Deutschland eine Kolonialmacht in Teilen Afrikas war und das bisher kaum aufgearbeitet wurde_wird. Im heutigen Namibia hat Deutschland auch einen Genozid gegen die Herero und Nama begangen, deren Nachkommen bis heute nicht entschädigt wurden.

Ist euch so ein „Gedanke“ auch schon mehr als einmal begegnet? Fallen euch weitere Beispiele ein, wo in der Debatte um erneuerbare Energien plötzlich Afrika, ein anderer Kontinent oder ein ehemals kolonialisiertes Gebiet zur Nutzung beansprucht? Ich finde es wichtig, beide Themen - Kolonialismus und Energiewende - zusammenzudenken und überall kolonialen Logiken zu widersprechen.

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Hm. Gibt es insbesondere in den armen Regionen dieses Planeten ein gesteigertes Interesse, an Euros zu kommen? Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und sage ja.

Herr Bradtka wird in dieser Frage einige Evidenz ins Feld führen können, fürchte ich.

… haben nichts miteinander zu tun. Oder alles. Weil die Verfasstheit unserer Weltwirtschaft eben maßgeblich durch die Nachwirkungen des Kolonialismus bestimmt wird. Das ist ein Faß ohne Boden.

Ein prima Thema für lange Abende in der Studenten-WG. Aber damit überzeugst du niemanden davon, dass es eine schlechte Idee ist, anstatt ein Windrad auf den nächsten Hügeln zu bauen, auf eine Energielieferung aus der Sahelzone zu setzen, die niemals kommen wird.

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Das müsste sich eben in der Praxis beweisen. Wenn ich höre, dass mindestens ein afrikanisches Land da Interesse bekundet, wäre meine Vermutung widerlegt. (Das wäre dann aber gleichzeitig auch ein Punkt, wo zumindest nicht mehr so einfach von Afrika als Land gesprochen werden könnte.) Bis dahin schätze ich eher: Nein. Warum?

•Vor allem weil ich diese Idee für ohnehin zu unpraktikabel halte, als dass sie ernsthaft wirtschaftlich verfolgt würde. Und das sogar mehr von Seiten Deutschlands/ Europas, das ja dann die Photovoltaik-Energie speichern (-> riesige Batterien - gibt es die in der Größenordnung überhaupt schon? Außerdem Speicherverlust) und zu Wasserstoff umwandeln (Stichwort Wirkungsgrad) und transportieren müsste (Stichwort riesige Schiffe, die

•Im Anschluss daran: Wenn Photovoltaik-Anlagen sich denn für ein Gebiet eignen würden, wäre doch viel naheliegender, mit der Energie, wenn nicht schon geschehen, erstmal die eigene Bevölkerung zu versorgen. Also inklusive auch großen Sädten und Industrien. So eine Art von Autarkie klingt mMn vielversprechender als Geld vom Westen. Und der Verkauf von Überschüssen an Nachbarländer wäre sicher auch praktikabler (Stichwort Infrastruktur).

•Genauso wie in Europa nicht überall immer Wind weht (die Sonne scheint, etc.), bzw. in Deutschland der Rotmilan und der Schwarzstorch lebt, etc. wird es auch überall auf dem afrikanischen Kontinent verschieden passende oder unpassende Bedingungen für Photovoltaik geben. Ein sehr technischer Punkt, der Bradtka und vielen anderen eher nicht bekannt ist: Photovoltaik-Anlagen sind hitzeempfindlich. Der Gedanke „Photovoltaik in Afrika“ ist sicher durch die Verallgemeinerung „Afrika = Wüste = viel Sonne“ bedingt. Aber selbst in den Gebieten, wo so etwas eher zutrifft, ist es doch nicht unbedingt ganz so reibungslos wie gedacht…

•Vom Technischen mal ganz abgesehen: In weitesten Teilen Afrikas dürfte es sehr viel mehr Natur geben, die sehr viel besser zu schützen wäre - Stichwort Regenwald. Von Artenvielfalt mal ganz zu schweigen. Eben insofern - wieder durch Kolonialismus im Klimawandel - gerade diese Ökosysteme besonders beschädigt wurden. Da wäre ja relevant, wie Photovoltaik-Anlagen eigentlich ins Ökosystem eingreifen - wäre eben genau zu prüfen.

•Vor allem fände ich, wenn jetzt alle wirtschaftlichen, politischen und technischen Bedingungen zusammenkämen, die Frage nach der Art des Vertrags noch mal interessant. Wenn alle Photovoltaikanlagen einer Firma mit Sitz im Produktionsland gehören und Deutschland den Strom nur kaufen müsste, dann würden sich, eine angenehme Abwechslung, Abhängigkeitsverhältnisse vielleicht verschieben. All das ist mMn hochtheoretisch und hypothetisch (siehe erster Punkt), aber ich möchte zu gern sehen wie afrikanische Länder Deutschland androhen, ihnen den Saft abzudrehen, wenn es nicht mehr Geflüchtete aufnimmt und besser behandelt, bis geraubte Kunstgegenstände zurückgegeben und die Herero und Nama entschädigt wurden…

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Im Wesentlichen stimme ich zu. Man trifft immer wieder auf rechtsgrüne Argumentationsmuster, die entweder blind neokolonial oder sogar rassistisch und eugenisch (gerade beim Themenkomplex Bevölkerungswachstum) argumentieren.

Die ganze Desertec-Idee ist aus technisch-ingenieurswissenschaftlicher Perspektive sicherlich spannend, aber ich habe da auch selten Stimmen aus Nordafrika gehört und die Anschauung, dass wir „denen dort“ das Land entwickeln und „sie ja auch selbst davon profitieren“ stinkt schon gewaltig nach Kolnialismus.

Vielleicht noch eine weitere koloniallogische Ergänzung: Wenn in Deutschland über eine Externalisierung der Energiewende nachgedacht wird, dann denkt man oft an althergebrachte Öllieferwege: Desertec war in Nordafrika angedacht, wo Algerien und (früher einmal) Libyen traditionalle Ölstaaten sind. Gerne fällt dann auch das Wort von den weiten Wüsten Saudi-Arabiens und der Golfstaaten, obwohl diese vielleicht ihre Zukunft eher in Dubai-artigen Retortenstädten als Finanzzentren mit Soft Power, als im Energierohstoffexportgeschäft sehen mögen.

Aber auch in Europa gibt es die Idee, Speicherseen in Norwegen, als Energiespeicher für Deutschland zu „verwenden“ und die Parallele zu Norwegens derzeitiger Rolle als Erdöl- und Gaslieferant ist frappierend. Auch hier halte ich die Idee technisch für klug, aber man muss anerkennen, dass es nicht allen SüdnorwegerInnen gefällt, wenn ihre Strompreise sich mitteleuropäischem Niveau anpassen.

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Das gibt es wohl, sollte aber als Begründung nicht ausreichen. Wenn Deutschland nicht Klimaschädlichkeit - je nach Land - mit Diktaturfinanzierung oder Ressourcenkonflikten austauschen will, sollte es da noch etwas genauer drüber nachdenken.
@Marius_Schmidt hat da ja schon entsprechende Kritikpunkte aufgezeigt.

Marokko.

Große Hoffnungen ruhen auf der marokkanischen Energiewende – nicht nur im nordafrikanischen Königreich selbst, sondern auch in Europa und Deutschland. […]
Nun hat Marokko noch ein weiteres ehrgeiziges Ziel auf seine energiepolitische Agenda gesetzt: Es will zu einem Weltmarktführer in der Produktion von grünem Wasserstoff aufsteigen.

Auch Deutschland profitiert […] und hat vor kurzem ein Pilotprojekt mit Marokko angestoßen zur Herstellung von „grünem“ Wasserstoff. In Deutschlands Wasserstoffstrategie spielt Marokko eine wichtige Rolle.

Ich würde mal unterstellen, dass mit Photovoltaik in Afrika eher der Bereich Sahara und Sahelzone gemeint ist. Regenwaldgebiete sind aus diversen Gründen nicht geeignet.
Grundsätzlich hast du aber natürlich Recht, Naturschutz muss immer mit bedacht werden.

Das wird, je nach Land, wohl eher nicht passieren. Marokko ist da vermutlich eher eine Außnahme. Viel wahrscheinlicher ist es doch, dass deutsche/europäische Unternehmen als „Entwicklungszusammenarbeit“ den Kram dort aufbauen und dann auch primär davon profitieren. Die wenigsten Länder werden es sich leisten können, selbst die riesige Infrastruktur aufzubauen, die für einen interkontinentalen Energietransport in diesem Ausmaß notwendig wäre.

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Danke für die Antworten!

[quote=„sereksim, post:5, topic:12453, full:true“]
Viel wahrscheinlicher ist es doch, dass deutsche/europäische Unternehmen als „Entwicklungszusammenarbeit“ den Kram dort aufbauen und dann auch primär davon profitieren. [/quote]
Ja, das halte ich auch - leider - für weit wahrscheinlicher angesichts der aktuellen Machtverhältnisse. Der Punkt mit sich verschiebenden Abhängigkeitsverhältnissen wäre eher etwas, was ich in der Zukunft lieber sehen würde.

Das mit Marokko wusste ich noch nicht - werde bei Gelegenheit mal reinschauen. Und vielleicht allgemein ins Thema „Wasserstoff“. Aber auch wenn es so ein Projekt mit Marokko und Wasserstoff wirklich geben wird und selbst wenn es weit „besser“ ist als ich erstmal vermute - es würde mir längst nicht als Grund reichen, hier beim Ausbau von Wind- und Solarenergie auf die Bremse zu treten (oder dafür, jetzt doch auf synthetische Treibstoffe für Pkws statt Elektro zu setzen). Dafür erscheint mir das alles dann doch zu komplex.

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@Marius_Schmidt, ziemlich so sehe ich es auch! Du hast es gut zusammengefasst. Der Wirkungsgrad mit Gasverflüssigung schlüge hier schon schwer zu Buche, man braucht ja bei 30% Wirkungsgrad 3 mal so viel PV-Paneele als wenn der Strom vor Ort abgenommen würde, also der 3-fache Ressourcenverbrauch. Der wird zu gerne vergessen, also ob EE einfach eine Wunderding wäre ohne irgendeinen Nachteil. Man müsste damit so sparsam wie möglich umgehen! Ein Sache halte ich für diese Art von Projekten noch für sehr wichtig: die politische Stabilität vor Ort. Ich hoffe, dass diese Unsicherheit die neuen Kolonialphantasten genug abschreckt, wenn es die ökologische Vernunft schon nicht tut.

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Von den jeweiligen Eliten schon - was die bestehenden Probleme in den „Partner“-Staaten noch verschärfen dürfte.

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Aber wenn wir uns alle einig sind, dass dieser Energieimport auf absehbare Zeit unpraktikabel ist, warum dann Kolonialismus ins Feld führen oder darüber spekulieren, ob afrikanischen Staaten auch ein Interesse hätten, diese Energie zu liefern?

Weil alleine der Gedanke heute enorme Konsequenzen hat und den Windkraftausbau hierzulande hemmt.

So lange wir nicht auch den nordafrikanischen Bradtkas in der Debatte Raum geben, welche uns den sprichwörtlichen Vogel zeigen würden, wenn unser deutscher Bradtka daheronkelt und anordnet, dass nun Nordafrika mit Solarzellen zugepflastert und die Küsten des Mittelmeers mit Wasserstoffterminals gespickt werden müssen, so lange werden hierzulande weiterhin Leute versuchen, Dinge an der Energiewende, die gesellschaftlich verhandelt werden müssten, einfach in Länder des globalen Südens zu verschieben. Egal, für wie realistisch man ein solches Vorhaben erachten mag.

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Meinst du, irgendeiner der Windkraftgegner nimmt dieses Argument selbst ernst? Sowas zu erzählen, das geht PR-technisch und psychlogisch schlicht leichter von der Hand, als die Wahrheit a la „Energiewende will ich nicht, wenn ich deswegen auf ein Windrad blicken muss“.

Ich habe so meine Zweifel, dass dir da jemand den Vogel zeigen würde. Das brächte Arbeit und Geld in eine Region, deren Jugend zu Zehntausenden eher den Tod im Mittelmeer riskiert, anstatt die (vermeintlich?) unberührte Natur in ihrer Heimat zu geniesen.

Es haut halt derzeit technisch, ökonomisch und politisch nicht hin. Das ist alles.

Also wenn das Ganze mal ein business case wird – und ich bin überzeugt davon, dass das langfristig passiert – und wenn ein Investor das entsprechende Risiko eingeht, dann glaube ich, dass die „nordafrikanischen Bradtkas“ keine Rolle in der Debatte spielen werden.

Sofern in dem Projekt halbwegs faire Konditionen für die nordafrikanische Seite ausgehandelt werden, können die Länder dabei relativ zu ihrer aktuellen Lage nur profitieren. Es gibt kaum eine komfortablere Situation, als einen Rohstoff zu besitzen, der zuverlässig gefördert werden kann, der nie knapp wird und für den es immer einen Abnehmer geben wird (der weltweite Bedarf an erneuerbaren Energien wird in absehbarer Zeit kaum abnehmen).

Wir werden halt als Deutsche nicht die einzigen sein, die an diesem Strom interessiert sind. Da würde ich mich als Marokkaner eher über so einen Bradtka freuen. Was kann mir Besseres passieren, als dass jemand so bekloppt ist und seinen eigenen billigen Windstrom nicht fördern will, damit den Strompreis in die Höhe treibt und mir ein besseres Geschäft beschert.

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Hallo Marius,

ich glaube, dass in den Wüstenregionen in Nordafrika eher Sonnenwärmekraftwerke erwogen werden, insbesondere in Form von Parabolrinnenkraftwerken. Möglicherweise hatte auch Herr Bradtka diese, gerade auf Hitze angewiesene Form der Energiegewinnung im Kopf. Ist aber nur eine Vermutung.

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Hier zu gibt es eine spannende, wenn auch in guter alter ARTe-Manier etwas melodramatische Doku zu den neokolonialistischen Logiken der Energiewende.
Sehenswert, weil auch der Hoffnungsträger E-Auto heftige Kratzer im Lack abbekommt.

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Das erinnert doch stark an die Aussage des Intendanten des ZDF, man müsse Kohlekraftwerke nach Indien verkaufen (erst kürzlich). Hier sind halt plötzlich die Flügel von WKA aus seltenen Erden und ein E-Auto hat eine schlechteren Wirkungsgrad als ein Verbrenner. Es schmerzt wirklich und man braucht sich nicht zu wundern, wenn große Teile der Bevölkerung die einfachsten Zusammenhänge nicht verstehen oder verstehen wollen. Ich finde eine solche Verbreitung sollte unter Strafe stehen.

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Das ist einer der Knackpunkte. Wer handelt mit wem was zu welchen Konditionen aus und wer profitiert dann am Ende. Natürlich kann so ein Rohstoff den Ländern einen breitenwirtschaftlichen Aufschwung bereiten. Die Realität sieht doch aber meistens anders aus.

Wie oben schon erwähnt, besteht je nach Land das nicht unerhebliche Risiko, dass das meiste Geld am Ende sowieso bei den westlichen Unternehmen bleibt, die das ganze wahrscheinlich durchführen werden.
Und selbst wenn es das nicht tut, gibt es je nach Land nicht wenige mächtige Hände die sich öffnen werden, bevor das Geld im Land der einfachen Bevölkerung zugute kommt. Wenn die Geldflüsse unabhängig von der Qualität der Lebensbedingungen der Bevölkerung sind, (Öl, Gas, in diesem Fall Solarenergie…) profitieren am Ende oft nur die oberen Prozent und sonst kaum jemand (siehe diverse Diktaturen mit natürlichen Ressourcen). [1]

Das soll kein grundsätzliches Gegenreden gegen Investitionen und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern sein! Es ist nur die Realisierung, dass dies heutzutage in der Regel so passiert, dass der Westen und die lokalen Machthaber profitieren und nicht zwangsläufig auch die Menschen vor Ort. Das ist aber natürlich nicht in Stein gemeißelt.
Auch ist natürlich nicht jedes nordafrikanische Land eine Diktatur/Monarchie oder droht eine zu werden. Im Bereich der Sahara und der Sahel-Zone sind es aber leider mit Ausnahme von Tunesien (Demokratie) und Senegal, Gambia und Marokko (hybride Regime) die meisten. Das muss man also auch berücksichtigen[2]

[1] - „The Rules for Rulers“ - Adapted from ‚The Dictator’s Handbook‘ by Bruce Bueno de Mesquite (YouTube)
[2] - Demokratieindex

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Ich kann @Marius_Schmidt hier nur beipflichten. Wenn Länder des globalen Südens mal wieder für den maßlosen Konsum und Verbrauch des globalen Nordens Ressourcen und Energie liefern sollen, dann ist das - vor allem in der Form, die Herr Bradtka anscheinend ins Feld führt - koloniale Ausbeutung. Vielleicht gibt es theoretische Szenarien, in denen so etwas auf Augenhöhe und beidseitigem Vorteil passieren könnte, ist aber im Kontext der Machtverhältnisse und Wirtschaftordnung mehr als unrealistisch. Diese kolonialen Kontinuitäten müssen finde ich erst einmal komplett unabhängig von der Frage der praktischen Umsetzbarkeit benannt werden. Sicher sind damit erst mal nicht viele Stimmen zu gewinnen oder Windkraftgegner:innen zu überzeugen, aber es geht ja auch darum, diese Strukturen zu erkennen und sichtbar zu machen (diesen Anspruch habe ich auch an die LdN, ein Kommentar wäre da schon sehr angebracht gewesen).

Zum Thema Marokko: das Land wurde ja als Beispiel angeführt, wo eine solche Energieproduktion für Europa (jedenfalls von den Eliten) gewollt ist. Richtig ist, dass Marokko ein ambitioniertes Programm für Erneuerbare Energien am Laufen hat und langfristig auch Energie nach Europa exportieren will (zur Zeit sind sie sehr abhängig von Gasleiferungen, größtenteils via Spanien, Algerien hat den Hahn gerade zugedreht und Marokko keine LPG Terminals). Aber genau dort ist die angesprochene neokoloniale Dimension unübersehbar: ein Großteil der Erneuerbaren Energie, die das Königreich erzeugt bzw. geplant hat, befindet sich gar nicht auf dem Staatsgebiet Marokkos, sondern in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara. Die Westsahara wurde nie entkolonialisiert, und die Ausbeutung ihrer Ressourcen (auch Wind und Sonne) verfestigen dort die illegale Besatzung und die damit einhergehenden, massiven Menschenrechtsverletzungen. Profitieren tut dort in erster Linie der marokkanische König (Betreiber der Wind- und Solarparks ist Nareva, Privatfirma größtenteils in Besitz des Königshauses), und internationale Konzerne, allen voran Siemens Energy.

siehe dazu auch die Beiträge Baerbock und Marokko - #8 von Kahanamoku
und
Urteil Europ. Gerichtshof zur Westsahara / rechtswidrige Praxis der EU / Spannungen zw. EU und Marokko

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Also ich fand die Idee, afrikanischen Solarstrom zu kaufen, noch eine der intelligentesten, die der Bradka von sich gegeben hat :smile:. Klar „wir bauen in Afrika Solarkraftwerke“ ist etwas unglücklich ausgedrückt :slightly_smiling_face:. Trotzdem würde ich keine Denkverbote für solche Ideen verhängen. Ich bin nämlich nach wie vor der Überzeugung, dass es für so ein Unternehmen eine Win-Win-Win (Stromkunden, lokale Bevölkerung und Regierung) Situation geben kann unter der Voraussetzung, dass es sich technisch und wirtschaftlich lohnt und dass ein Investor das Risiko eingeht.
Selbst wenn der marokkanische König alle Gewinne selbst einstreicht, entstehen in der Region zumindest dauerhaft neue Arbeitsplätze. Dass das Ganze kein Selbstläufer ist, versteht sich von selbst. Wie viel Bedingungen man an die Regierung (z.B. bzgl. Beteiligung der Bevölkerung) stellen kann ist allerdings fraglich, da es ja neben Europa sicher auch andere Kunden gibt, die da weniger Bedenken hätten. Übrigens zieht China im Dialog mit Afrika sehr gerne die Kolonialismus-Karte, um sich gegenüber Europa in ein besseres Licht zu setzen. Ohne das vollständig bewerten zu können, bin ich mir nicht sicher, ob das die Dinge zum Besseren wendet.
Zu beachten ist auch, dass man hier nicht davon sprechen kann, dass die Industrienationen Marokko den Wüstenstrom „wegnehmen“, wie man das z.B. mit Weideflächen machen könnte. Marokko hätte deutlich mehr Potential für Solarstrom, als es selbst zur Versorgung der eigenen Bevölkerung braucht. Das kann man entweder nutzen, oder „versanden“ lassen. Wenn man schlau ist, verkauft man es an den Meistbietenden.

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In der Züricher Zeitung ist zu dem Thema ein aus meiner Sicht interessanter Artikel erschienen.
Als problematisch sehe ich allerdings, dass man sich wieder mal in die Abhängigkeit von instabilen oder undemokratischen Staaten begibt. Und am wichtigsten, wir brauchen es einfach nicht.

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Es muss nicht unbedingt aus afrikanischem Solarstrom kommen, aber dass Deutschland auf Strom- oder Wasserstoffimporte angewiesen sein wird, halte ich für ein realistisches Szenario.

Die Fraunhofer Studie geht von rund 300 – 1000 TWh pro Jahr aus. Quaschning geht von rund 100 – 300 TWh aus. In der Agora Studie sind es rund 200 TWh, wenn ich das richtig lese. Das DIW nimmt dagegen an, dass wir ohne Importe außerhalb von Europa auskommen.

Denke daher schon, dass es Sinn macht, sich mit dem Szenario zu beschäftigen.

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