Erbpacht | Verfassungsänderung in Hamburg

Moin Moin aus dem Norden,
heute habe ich aus den Nachrichten im NDR erfahren, dass die rot-grüne Regierung in der Freien und Hansestadt Hamburg eine Verfassungsänderung anstrebt. Das alleine ist schon ein beachtlicher Vorgang, kommt es doch nicht jeden Tag vor, dass eine entsprechende Mehrheit zustande kommt. Der Grund ist jedoch ebenso revolutionär wie verwirrend - zumindest für mich.
Was ich verstanden habe, ist, dass zukünftig die Stadt keine Grundstücke mehr verkaufen wird bzw. kann, sondern nur noch verpachtet. Davon sind aktuelle Privatgrundstücke wohl nicht betroffen, aber die Stadt (ist hier der Stadtstaat, die Regierung oder alle Hamburgi gemeint?), verspricht sich davon bezahlbaren Wohnraum. Ich sehe vor allem eine mächtige Maßnahme zur erweiterten Kontrolle der Stadtentwicklung und u.U. auch Mieten, die durch die zusätzliche Pacht noch weiter steigen könnten. Was wäre, wenn dieses Beispiel Schule macht, bspw. in München oder Berlin? Über mehr Informationen und eine tiefere Diskussion würde ich mich freuen.
Beste Grüße!

Spannend.

Böse Zungen würden nun Parallelen zum Lehnwesen im Mittelalter ziehen - nach dem Motto: Der König gibt Land nie endgültig ab, er „verleiht“ es nur. Die Obrigkeit will die Kontrolle über die Eigentumsstruktur der Grundstücke behalten.

Aber selbstverständlich muss man demokratische Strukturen anders bewerten als feudale Strukturen, weil es den demokratischen Strukturen nicht um Eigennutz, sondern um Verteilungsgerechtigkeit geht.

Die Frage ist, wo wir gesellschaftlich hin wollen. Der Kapitalismus im Hinblick auf die Eigentümerstruktur im Bereich Grundstücke wird letztlich zur gleichen Werte-Akkumulation führen, wie es bei anderen Gütern auch der Fall ist. Immer mehr Grundstücke werden in den Händen immer weniger Menschen und vor allem Unternehmen liegen. Über Vermietung und die natürliche Wertsteigerung der Grundstücke kommt es dann auch zu einer noch stärkeren Vermögensakkumulation.

Mich würde interessieren, wie sich der Bestand an Grundstücken im Eigentum von Kommunen, Ländern und Bund die letzten 70 Jahre entwickelt hat. Ich gehe davon aus, dass ein langsames Ausbluten stattgefunden hat, daher immer mehr Grundstücke verkauft wurden (oder im Zuge vor Privatisierungen ins Privateigentum übergegangen sind).

In diesem Sinne bin ich für eine derartige Regelung. FDP und CDU werden natürlich vor Wut schäumend dagegen kämpfen.

Das wäre auch verfassungsrechtlich nicht machbar. Also da wären wir im Bereich Enteignung und Entschädigung. Die Rechtslage für die Zukunft zu ändern ist wesentlich einfacher und günstiger.

Mieten sollten durch ein Erbpachtsystem nicht wirklich steigen.

Wenn ein Unternehmen aktuell Grundstücke kauft, um darauf Mietwohnungen zu errichten, wird die Zinslast des Kaufpreises umgelegt. Die reale oder hypothetische Verzinsung des Kaufpreises erhöht somit die Miete.

Die Kosten der Erbpacht werden i.d.R. nicht höher sein als diese Kaufpreisverzinsung. Der Sinn ist ja gerade nicht, zusätzliche Einnahmen über hohe Pachtforderungen zu generieren, sondern die Kontrolle zu behalten.

Es wird nur Schule machen, wenn es in Hamburg gut läuft. Und das wird man erst in vielen Jahren im Rückblick einschätzen können. Zumal eine derartige Regelung Verfassungsänderungen erfordert, wenn es langfristig festgeschrieben werden soll - es kurzfristig durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift anzuordnen ist sinnlos, weil die nächste Regierung es wieder kippen wird… dass in einem Land Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün eine Zwei-Drittel-Mehrheit hat, ist die absolute Ausnahme.

Eine Stadt (z.B. München) hat zudem nicht die Kompetenz für Verfassungsänderungen, daher: Sie könnte es nur für die aktuelle Legislaturperiode durch Verwaltungsvorschriften regeln - und wie gesagt, diese Änderung macht nur langfristig Sinn. Der übliche Zeitraum für Erbpacht / Erbbaurecht liegt zwischen 50 und 99 Jahren mit Option zur Verlängerung. Eine Regelung, die nicht auf Verfassungsebene zumindest halbwegs dauerhaft zementiert wird, macht hier einfach keinen Sinn.

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Bitte schreibt doch solche Diskussion nicht im luftleeren Raum, sondern kopiert erst einmal eine Quelle hinein, damit wir uns ein Bild machen können, worum es geht. Google fördert hier beispielsweise folgendes zutage:

Der geplante Text scheint der hier zu sein:

Artikel 72 Absatz 6 erhält folgende Fassung:

„(6) Zur Gewährleistung der Wohnraumversorgung soll das Eigentum an Grundstücken der Freien und Hansestadt Hamburg, die für den Wohnungsbau bestimmt sind, grundsätzlich nicht an Dritte übertragen werden. Das Nähere regelt ein Gesetz, das insbesondere im öffentlichen Interesse liegende Übertragungen zulassen kann. Eigentumsübertragungen von Grundstücken im Sinne von Satz 1 sind nur zulässig, wenn sie durch Gesetz oder auf Beschluss der Bürgerschaft zugelassen sind. Im Übrigen ist die Veräußerung von Staatsgut, die nicht zum regelmäßigen Gang der Verwaltung gehört, nur auf Beschluss der Bürgerschaft zulässig.“

Als Jurist fällt mir da zunächst mal die sehr laienhafte Formulierung des geplanten Artikels in der Hamburger Verfassung auf. An Dritte übertragen? Entweder „auf Dritte“ oder noch besser „veräußert“. Und wer sind Dritte? Jede Veräußerung geht notwendigerweise an einen anderen Rechtsträger. Das ist offenbar von Menschen formuliert, die nicht wissen, wie juristische Fachsprache funktioniert. Außerdem sehe ich da ein „soll“ und ein „grundsätzlich“, was soviel bedeutet wie „soll, muss aber nicht“. So wäre diese Verfassungsänderung ein ziemliches Wischiwaschi. Ich bin immer wieder erschüttert, wie oft es insbesondere auf Landesebene nicht gelingt, wenigstens klare Regelungsvorschläge zu schreiben. Über den Inhalt kann man dann noch genug streiten.

Schließlich soll das ganze auch nur für Grundstücke gelten, die für Wohnbebauung vorgesehen sind. Nach der Erläuterung des Gesetzentwurf sind das Grundstücke, bei denen Wohnbebauung bauplanungsrechtlich zulässig ist. Dann würde es schon genügen, einen Bebauungsplan aufzustellen, in dem irgendwas anderes steht, Gewerbe zB, und schon könnte das Grundstück veräußert werden. Dann ändert man den Bebauungsplan zurück, lässt wieder Wohnbebauung zu, und schon ist die Sache geritzt. So kann man seine Zweidrittelmehrheit natürlich auch verpuffen lassen.

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Aus anderen Gründen ebenfalls sehr kritisch äußert sich die Zeit, die auch davon ausgeht, dass die Verfassungsänderung im Ergebnis gerade keine Bindung zur Folge hat:

https://www.zeit.de/hamburg/2022-11/bezahlbarer-wohnraum-hamburg-regierung-sozialwohnungen

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Man fragt sich, ob das Inkompetenz oder Vorsatz wäre?

Zur juristischen Interpretation des geplanten Textes kann ich nichts beitragen, aber der politische Hintergrund ist im Wesentlichen der Folgende:

  1. Die Hamburger SPD ist im Wesentlchen die bürgerliche Volkspartei in Hamburg, und als solche anscheinend unweigerlich auch mit der Immobilienlobby verbunden. So hat die Hamburger SPD sich stets geweigert, die eskalierenden Mieten insbesondere in den innenstadtnahen Bereichen durch Eingriffe zu kontrollieren, wie es Berlin bspw. mit dem Mietendeckel versucht hat. Stattdessen hat man auf ein „partnerschaftliches“ Konzept mit der Wohnungsbranche gesetzt, dass bereits Thema in der LdN war und hier im Forum:
  1. Diese Strategie ist aber mittlerweile komplett gescheitert, und auch hier in Hamburg steht nach dem Berliner Vorbild ein Volksbegehren für Enteignungen großer Wohnungskonzerne in den Startlöchern, das im Erfolgsfall in Hamburg aus verfassungsrechtlichen Gründen noch einmal deutlich schwieriger auszusitzen wäre als in Berlin.

  2. Hinzu kommt, dass es in den vergangenen Jahren einige Skandale gab bzw. noch gibt, wo Konzerne große Grundstücke angeblich zum Wohnungsbau erworben haben, dann aber jahrelang mit dem Gelände nichts passiert ist, außer dass es mehrmals zu Eigentümerwechseln zu stetig steigenden Preisen kam. Oder dass ein städtisches Filetgrundstück zum Vorzugspreis für eine gemischte Bebauung mit Ladenzeile und Wohnungen im Drittelmix veräußert wurde, am Ende dann aber dort auf Betreiben des bezirklichen Bauausschussvorsitzenden, der kurz darauf seine politische Karriere beendete und eine Beratertätigkeit aufnahm, eine reine Bürobebauung genehmigt wurde, wo jetzt eine große Werbeagentur ihren Hauptsitz hat.

Ich kann mir also vorstellen, dass mit der Verfassungsänderung zwar schon geplant wird, dass solche peinlichen kleineren, offensichtlichen Korruptionsfälle in den eigenen Reihen behindert werden sollen, aber man letztendlich gar nicht so sehr darauf erpicht ist, wirklich verbindliche Regelungen ohne Schlupflöcher zu schaffen. (Abgesehen davon, dass der Ausverkauf sowieso bereits weit fortgeschritten ist, es also gar nicht mehr viel zu schützen gibt.) Es geht eher um ein symbolisches „wir tun doch was“, was man gegen den Enteignungsvolksentscheid ins Feld führen könnte.