Liebes Lage-Team und Mitglieder des Lage-Forums,
Ich habe mich gerade neu im Forum angemeldet und lese gerade mehrere Threads zum Thema Klimakrise, Digitalisierung der Verwaltung und Bauen.
Zu diesen Themen möchte ich einen eigenen Beitrag beisteuern.
Seit einem Jahr sind meine Frau und ich Bauherren eines möglichst klimaschonenden Einfamilienhauses im Osten Berlins.
Damit man auch mal einen Einblick bekommt, wie so ein Projekt in Berlin konkret abläuft und wie sehr sich der Staat bei der Energiewende, Digitalisierung und Wohnungsbau selbst im Weg steht, möchte ich so kurz wie möglich schildern, welche Steine uns dabei von den Ämtern und Behörden in den Weg gelegt worden sind:
- Abriss: Ich hatte das große Glück, ein Grundstück geerbt zu haben. Weil auf dem Grundstück bereits ein abrissreifes Haus stand, bin ich nach dem Zweckentfremdungsgesetz verpflichtet, an der gleichen Stelle neuen Wohnraum zu schaffen. Damit neuer Wohnraum entstehen kann, muss natürlich erst einmal ein Abriss stattfinden. Doch der Abriss darf nach der Bauordnung erst beginnen, wenn eine Baugenehmigung erteilt wurde. Das dauerte in meinem Fall 5 (!) Monate und hat das gesamte Projekt dementsprechend verzögert. Lustiges Detail: Ich musste 208,64€ für eine Gehwegüberfahrtsgenehmigung zahlen, für eine Einfahrt, an der sich gar kein Gehweg befindet.
- Baugenehmigung: Das Bauamt erreichte man kaum (am besten per Fax!), auf E-Mails wurde so gut wie nie geantwortet (vielleicht auch wegen Corona). Der Antrag blieb im Wesentlichen so lange liegen, kurz bevor die sogenannte “Verwaltungsfiktion” eintrat, d.h. unbearbeitete Anträge gelten nach Nichtrückmeldung nach 2 Monaten automatisch als genehmigt (2 Monate wegen Corona, davor 1 Monat). Mit dem Bauamt gab es dann auch noch ein paar Auseinandersetzungen, z.B. musste ich die Original-PDF-Antragsdateien (was ist bitte ein PDF-Original?) auf eine CD-R gebrannt einreichen (die Älteren unter uns wissen noch, was das ist), gleichzeitig sollten die Dateien aber schreibbar sein - finde den Fehler. Dann habe ich auf die CD versehentlich ein paar Dateien zu viel gebrannt, sich die Beamtin bei mir umgehend beschwerte, wie ich denn überhaupt dazu komme so etwas einzureichen.
- Vermessungsamt: Für die Finanzierung und die Baugenehmigung benötigt man eine aktuelle Flurkarte. Die Flurkarten kann über das amtliche Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS) online einsehen. Leider kann man dort keine Links für seine eigene Flurkarte schicken, aber das würde ohnehin weder von der Bank noch vom Bauamt akzeptiert werden und deshalb musste ich zwei beglaubigte Ausdrucke der Flurkarte beantragen, was nochmal 20€ Bearbeitungsgebühr kostet.
- Heizung: Für das Haus ist eine Wärmepumpe vorgesehen, auf eine Gasheizung haben wir bewusst verzichtet, wäre aber weitaus billiger gewesen! Für Wärmepumpen gibt es mE nach keine staatliche Förderung (mehr).
- Auf dem Dach ist ursprünglich eine 10,3kW-Photovoltaik-Anlage installiert. Ab 10kW muss ich jedoch wg. EEG-Umlage (die aber gedeckelt wurde) für die Einnahmen ein Gewerbe anmelden und die Einnahmen versteuern. Theoretisch hätten noch mehr Module auf das Dach gepasst und die Wärmepumpe zieht ja alleine schon 7kW Strom. Ein Gewerbe kann man zwar in Berlin sogar online (!) anmelden, allerdings muss ich dann dafür wieder meinen Steuerberater bezahlen für den Rattenschwanz an Papierkram. Darauf hatte ich keine Lust, sodass ich ein Modul weniger installieren ließ, was jetzt die symmetrische Anordnung der Module bricht, dafür aber das fehlende Modul jetzt als Symbol für Solarförderung in Deutschland herhalten kann.
- Energiespeicher: Zusätzlich zur Photovoltaikanlage will ich im Dezember ich einen 10kW-Speicher installieren lassen. Dafür gibt es Förderung von 300€ pro kW von der IBB (“EnergiespeicherPLUS”). Dafür muss man einen Antrag stellen und einreichen. Ich habe von der beauftragten Firma am 29.6. ein Angebot erhalten, am 5.7. den Antrag bei der IBB eingereicht und am 13.7. die Auftragsbestätigung erhalten. Dann wurde mir gesagt, weil ich ja am 29.6. schon mit dem Vorhaben begonnen habe, sei das “förderschädlich” und der Antrag müsste leider abgelehnt werden. Die Mitarbeiter der Senatsverwaltung (Leitung Ramona Pop, Grüne) sehen das mit der Förderschädlichkeit übrigens ähnlich, weil man kann ja davon ausgehen, wenn ich am 29.6. schon das Angebot unterschrieben habe, dass ich die Finanzierung dann selbst übernehmen möchte und man müsse als Land Berlin ja sparen (vgl. LHO §7).
- KfW: Als Kredit erhielt ich unter anderem 120.000€ von der KfW für energieeffizientes Bauen. Als Effi-55-Haus erhält man dort einen Tilgungszuschuss von 18.000€. Der Tilgungszuschuss wurde mit dem Klimaschutzpaket infolge der Fridays-for-Future-Proteste erhöht, vorher waren maximal 100.000€ und 5.000€ Tilgungszuschuss in dieser Effizienzklasse möglich. Das insofern erst mal eine gute Nachricht: Demonstrieren wirkt! Den Tilgungszuschuss erhalte ich jedoch nicht als Gutschrift aufs Konto, sondern erst, wenn der Kredit nach x Jahren abbezahlt sein wird.
- Energieberater: Jedoch muss ich um den KfW-Kredit zu erhalten einen Energieberater beauftragen, der mir die nötigen Gutachten und Zertifikate ausstellen kann. Der Mann kostet mich mindestens 5.000€ und außerdem müssen zusätzliche Baumaßnahmen durchgeführt werden, deren Sinnhaftigkeit nur im KfW-Modell, aber nicht in der Wirklichkeit zu erklären ist (z.B. zusätzlich Dämmung in der Bodenplatte für 3.000€). Mein Architekt baut gerade ein Effi-40Plus-Haus und dafür müssen alleine zusätzlich 10.000€ in die Bodenplatte gesteckt werden, obwohl wie alle wissen, die in Physik gut aufgepasst haben, 98% der Wärme nach oben abgegeben wird und der Rest über die Bodenplatte.
- Internetanschluss: In meiner Straße kann man bis zu 200MBit bekommen, leider reicht die Verfügbarkeit nur bis zum Nachbargrundstück, bei mir kommen nur 100MBit an. Ein Ausbau sei laut Telekom nicht vorgesehen, ich könne aber gerne für 15.000€ einen Glasfaseranschluss bekommen, für den ich dann aber trotzdem jeden Monat die üblichen Kosten von 100€ zahlen muss.
Das waren meine Erlebnisse mit den Ämtern und der Telekom. Wenn wir das Regulierungsproblem nicht in den Begriff bekommen, können wir die Projekte Energiewende und Digitalisierung aus meiner Sicht ganz vergessen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir eure Kommentare dazu schicken könntet - eure Meinung dazu interessiert mich sehr!
Viele Grüße
Micha