Energiewende komplexer denken: Wir brauchen klimaneutrale Stadtquartiere!

Klingt nicht besonders sexy, ist sehr komplex, inhaltlich sperrig und eignet sich nicht für polarisierende Debatten. Interessiert deshalb auch kaum jemanden. Eigentlich kein gutes Thema für einen podcast. Aber gerade weil es in der medialen Welt meist untergeht, solltet die LdN das Thema mal aufgreifen.

In den energiepolitischen Diskussionen dreht sich die Frage meist darum: Woher soll die Energie für XY kommen? Wenn nicht aus dieser Quelle, woher dann? Sind Sie für (Windkraft, Atomenergie etc.) oder dagegen? Aus dem Blick fallen dabei systemische Lösungen, die etwas komplexer und sektorübergreifend sind. Und gerade diese sind enorm wichtig und spannend für das Gelingen der Energiewende.

Einigermaßen anschaulich lässt sich das bei der klima- und energiepolitischen Planungen für ganze Stadtquertiere zeigen.

Ein Beispiel dafür ist das Stadtquartier NEUE WESTSTADT in Esslingen. Zum ersten Mal in Deutschland wird hier die Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff auf Quartiersebene geplant und umgesetzt. Das technische Herzstück der Neuen Weststadt ist eine unterirdische Energiezentrale, in der mittels Elektrolyse grüner Wasserstoff erzeugt wird. Der dafür benötigte Strom stammt aus Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern im Quartier sowie aus externen Energieerzeugungsanlagen, die überschüssigen erneuerbaren Strom über das öffentliche Netz liefern. Die bei der Elektrolyse anfallende Abwärme wird ebenfalls gleich im Quartier genutzt: über eine Nahwärmenetz werden Wohnungen und Büros mit Wärme versorgt.

Die Effizienz des Elektrolyse-Betriebs kann so auf 80 – 85 Prozent gesteigert werde. D.h. die Aussagen, dass grüner Wasserstoff generell keine gute Effizient habe, stimmt so pauschal nicht: Man muss das intelligent in gesamte Systeme einbauen. Wir brauchen bei der Energiewende viel mehr solche systemischen, sektorübergreifenden Lösungen. Das wird in Wissenschaft und Fachwelt zwar diskutiert, aber kommt selten in den öffentlichen Diskurs.

PS: Stehe in keiner privater oder beruflicherh Verbindung mit dem Projekt in Esslingen.

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Hört sich nach einem spannenden Projekt an, über das ich gerne mehr erfahren würde. Könntest du ein paar Links ergänzen?
Insbesondere würde mich interessieren, was mit dem Wasserstoff gemacht wird. Die Nutzung der Abwärme hört sich nämlich zunächst mal gut an, allerdings könnte man das ja auch mit Wärmepumpen tun. Falls man also z.B. den Wasserstoff nutzen würde, um ihn in PKWs zu verbrennen, wäre das in meinen Augen kein gelungenes Konzept. Wird er als saisonaler Speicher verwendet, stellt sich die Frage, wozu man im Sommer die viele Abwärme braucht. Daher würden mich ein paar mehr Infos interessieren.
Vielen Dank!

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Hallo MarkusS:
Hier gibt es (allerdings aus einer Sicht geschriebene) Infos zum Projekt Neue Weststadt:

Eine wichtige Idee in dem KOnzept ist, dass der grüne Wasserstoff SYSTEMDIENLICH produziert wird. D.h. vor allem dann, wenn im gesamten Netz ein Überschuss an Strom aus erneuerbaren Quellen vorhanden ist. Die Elektrolyse kann also dazu dienen, entsprechende Produktionsspitzen abzupuffern.

Hallo @AGreiner

Ich finde die Idee gut, Wasserstoff für die Anwendung in Industrieprozessen (wo kein Strom verwendet werden kann) und für die saisonale Speicherung in einem sektorgekoppelten Ansatz zu erzeugen. Bei der saisonalen Speicherung wird der Wasserstoff vor allem im Sommer erzeugt, sodass die Abwärme nur begrenzt genutzt werden kann. Aber immerhin kann man den Warmwasser-Bedarf damit abdecken. Bei Industrieprozessen fällt der Wasserstoffbedarf das ganze Jahr an, so dass der Wärmebedarf auch zum Heizen genutzt werden kann. Sehr guter Ansatz, vor allem wenn Industriebetriebe und Wohngebäude nah beieinander liegen. In dem Link wird aber auch davon gesprochen, dass der Wasserstoff zur Betankung von PKW mit Brennstoffzellenantrieb genutzt werden soll. Das ist aus meiner Sicht nicht zielführend. Dazu eine kurze Rechnung mit Zahlen des Umweltbundesamtes [1]:

Ein PKW benötigt eine Antriebsleistung von 100kWh. Ausgehend von Strom als Primärenergiequelle hat das Brennstoffzellenfahrzeug einen Gesamtwirkungsgrad von 28%, braucht also 357kWh Strom, um den nötigen Wasserstoff herzustellen. Die Elektrolyse hat einen Wirkungsgrad von 75%. Es können also max. 25% der 357kWh (also 89kWh) davon als Raumwärme im Sinne der Sektorkopplung genutzt werden.

Beim Elektroauto liegt der Gesamtwirkungsgrad (ausgehend von Strom als Primärenergiequelle) bei 62%. Es werden also 161 kWh Strom für dieselbe Antriebsleistung benötigt. Jetzt muss ich aber noch die Raumwärme von 89 kWh bereitstellen. Das mache ich mit einer Wärmepumpe mit einer Leistungszahl von 3, ich brauche also nochmal ca. 30 kWh Strom. In Summe sind das 191 kWh Strom, was immer noch deutlich weniger als 357 kWh für die Brennstoffzellen-Anwendung sind.

Selbst wenn ich mit einem optimistischeren Gesamtwirkungsgrad für das Brennstoffzellenauto von 35% rechne und für die Raumwärme eine reine Stromheizung annehme, komme ich mit dem Elektroauto immer noch besser hin.

Insofern: Ich finde das Konzept sehr gut und vorstellenswert, finde aber, dass sich dadurch der Einsatz von Wasserstoff im PKW Bereich trotzdem nicht mehr lohnt.

[1]

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Eine weitere interessante Realisierung von diesem Konzept in der Industrie wurde in Erlangen/Fürth am Fraunhofer Institut IIS umgesetzt. Photovoltaik Anlagen auf dem Dach, Wärme-und Kältespeicher, etc. und alles gekoppelt, um einen möglichst effizienten Energieverbrauch zu garantieren, sowie um ein Reallabor zur Forschung für solche ‚dezentralen Energiesysteme‘ zu schaffen.

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Was sofort Sinn macht: Wärmerzeuger und Wärmeverbraucher lokal zu koppeln. Sprich: (Fern-)Wärmenetze zu fördern, wo es nur geht.

Die Stromerzeugung in räumlicher Nähe zum Verbrauch bzw. Wandlung bietet jedoch keinen nennenswerten Vorteil. Man kann Strom glücklicherweise mit geringen Verlusten und geringen Kosten über große Distanzen transportieren.

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Vielen Dank, MarkusS für die interessante Rechnung! So wie ich das Konzept der Neuen Weststadt verstanden habe, soll der größte Teil des Wasserstoffs über eine Abfüllstation mit LKW an regionale Industrie- und Mobilitätskunden gehen.

Das wird hier überall um uns rum auch „wie eine neue Sau“ durchs Dorf getrieben. Muss man ganz genau prüfen, wo das wirklich Sinn macht.
Hier wird das den Leuten untergeschoben mit einer neu zu errichtendem Biomasseheizkraftwerk (als ob Biomasse immer ausreichend verfügbar wäre).

So ein Werk muss gebaut werden= Umweltschaden
So ein Fernwärmenetz muss gebaut werden = Umweltschaden
Die Biomasse muss wo herkommen, so wie die Waldarbeiter derzeit arbeiten mit Diesel Betriebenen Schwerlast maschinen = alles andere als Umweltfreundlich.

Außerdem muss in vielen Bereichen im Sommer bald gekühlt werden, was bringt dann da ein Fernwärmenetz mit Rieseninvestition und Umweltschäden die sich erstmal wieder lange amortisieren müssen? Der Biomasse-Produzent und Betreiber freuen sich, aber ob das für die BürgerInnen in jedem Fall sinnvoll ist, da würde ich aber ganz ganz, ganz genau hinsehen und rechnen! Man ist wieder von einer zentralen Versorgung abhängig und im Zweifel ist diese kein bischen grün, außer dem Gefühl nach.

Natürlich bietet es immer einen nennenswerten Vorteil, wenn der Strom lokal erzeugt und verbraucht wird, es gibt

  • keine Transformationsverluste
  • die Erzeugung und Kosten sind in BürgerInnenhand
  • Die BürgerInnen haben beigetragen, die Energiemärkte zu demokratisieren und sie zu dezentralisieren, damit sollte es einem Aggressor schwer fallen uns zu erpressen
  • Langstrecken Übertragagungen mit z.B. HGÜ Leitungen sind nur über sehr große Distanzen möglich- 5000 km. Was soll uns das bringen, Wiir haben bereits im EU Verbundnetz perfekte Netze, und die HGÜ Leitung von ganz im Norden nach ganz im Süden wird beklagt ohne Ende.
    Wem nützt sie auch, muss wieder teuer und klimaschädlich gebaut werden.

Hi John,

bei der Fernwärme ist es glaub ich sinnvoll zu unterscheiden, zwischen der grundsätzlichen Bereitstellung solcher netzte, und der kraftwerkart die sie betreibt.
Ich bin da kein großer Experte, und auch hier im Forum ist da auch schon intensiv drüber diskutiert worden, aber meiner Wahrnehmung nach ist für den großstädtischen Bereich ( hohe Lärmbelastung, wenig Platz, viel bestandsgebäude, Vermietung statt eigennutzung, Mehrfamilienhaus) macht das Konzept „hauseigene wärmepumpen“ zumindest gefühlt deutlich komplexer als für echte im ländlichen Raum.
Das man diese fernwärmenetze dann eher nich mit Biomasse betreiben sollte sehe ich aber auch so :slight_smile:

Zum zweiten Punkt: lokale Stromerzeugung:
Hier muss man glaub ich drüber reden was man mit „lokal“ meint. Der Titel dieses topics ist ja „klimaneutrale Quartiere“, und die Frage von Günther würde ich so lesen, ob denn nun im (räumlich sehr begrenzten) städtischen Raum die Energie komplett lokal hergestellt werden muss.
Auch wenn solarpanele (und insb. Wind) im Umland stehen hat man da nicht unbedingt Probleme mit aggressiven drittstaaten :wink:
Mir ist auch nicht so klar ob „die Erzeugung und Kosten sind in bürgerInnenhand“ automatisch folgt, das kommt ja in erster Linie drauf an wem die Immobilien und Flächen gehören auf denen Solar installiert wird, das sind ja nicht nur bürgerInnen, und auch nur bestimmte. Außerdem kann das in der Schnelle der Transformation auch problematisch sein: manchenbürgerInnen sind sicher schneller, mutiger und innovativer als viele Konzerne, andere sind es eher nicht :slight_smile:

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Das gleiche könntest du auch für den Bau von Autos oder Smartphones auf lokaler Ebene ins Feld führen. Was dagegen spricht: Skaleneffekte sowie unterschiedlich gute bzw. schlechte Standortbedingungen. Letzteres trifft vor allen Dingen auch auf die Windkraft zu.

Ein Gutteil der europäischen Energieversorgung wird zukünftig wie bisher aus der Nordsee kommen. Nur wird es Windkraft sein anstatt Erdöl und Erdgas.

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Stichwort: Bürgerenergiegenossenschaften. Können Kommunen und BürgerInnen und Landkreise etc etc sein.

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Hallo @AGreiner ,

spannendes Projekt. Allerdings kann der Elektrolyseur wegen des kleinen Speichers ja nur für eine kurze Zeit Heizwärme speichern. In den Unterlagen steht etwas von 2 Stunden, die man die Blockheizung laufen lassen könnte. Und dann sollen wohl auch nur ein Teil der Anlage mit dem selbsterzeugten Wasserstoff heizen können, oder?

Klingt ja erstmal nicht so, als würde damit im Winter damit klimaneutral heizen können. Und trotzdem soll der Wasserstoff auch noch an regionale Firmen verkauft und an eine Wasserstofftankstelle geliefert werden. Hört sich sehr ambitioniert an.

Soll denn noch zusätzliche Elektrolyseur-Leistung installiert werden oder der Speicher vergrößert werden?

Hallo Guenter,

das wünscht sich die alte Energieversorgung genau so. Ich bin wirklich nicht immer mit der Regierung einverstanden, insbesondere mit den 16 Jahren Energiewende-Verhinderungen war ich nicht einverstanden. Jetzt allerdings bin ich grade voll auf Regierungslinie:

BMWK schaltet folgende Banner:

Quelle: Mein derzeitiges Lieblings Wirtschafts-,Klima- und Energiewende Ministerium

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spannende Frage zur Speicherkapazität. Kann ich aus dem Stegreif nicht beantworten. Aber zufällig sind diese Woche dort gerade Führungen. Ich nehme die Frage mal mit…:slight_smile:

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Voll, ich bin Mitglied in ner energiegenossenschaft und finde das ein super Konzept.

Ich wollte nur sagen, dass das erzeugen von Strom Lokal nicht automatisch damit Hand in Hand geht dass das die Bürger:innen vor Ort machen, sondern dass das ebenso immobilienkonzerne, Kommunen, Unternehmen mit viel Industriefläche, unternehmen die Dachflächen Pachten sein können.

Sowas wurde bei der Intersolar für 1-2 Familenhäuser vorgestellt Picea HPS, damit produziert man mit dem Überschuss seiner PV Anlage , Wasserstoff. Dieser soll einen dann über den Winter bringen. Die Gasflaschen stehen dann im Garten und können an den Bedarf angepasst werden.

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Wir wollten das bei uns einbauen, aber es muss billiger werden, war irgendwas mit 60.000 € aufwärts. Da gibt es m.e. jetzt schon günstigere Lösungen. Nur wer auf 100% Autarkie Wert legt und meint, er will das bezahlen ist der richtige Abnehmer dafür. Uns war das dann eindeutig zu teuer, nach Wartungskosten haben wir noch nicht mal gefragt, sieht aber schon sehr komplex aus…

Hast du evtl aktuellere Preise?

Nur das was ich am Messestand erfahren habe.
60000€ - 85000€ je nach Speichergröße H2, für ein EFH
Wartungskosten waren 500€ im Jahr.

Hmm… ist das denn jetzt wirklich die Lösung? ich sehe schon den Vorteil, dass man sich das Fernwärmenetz sparen kann und die Abwärme möglichst gut ausnutzen kann, wenn alles innerhalb der eigenen vier Wände passiert. Aber ich kann mir nicht so richtig vorstellen, dass es die effizienteste Lösung ist, wenn in einem Wohnviertel mit 1000 Häusern dann auch 1000 kleine Wasserstoffspeicher, 1000 Brennstoffzellen und 1000 Elektrolyseure aufgestellt werden. Und das soll dann ressourceneffizienter und umweltfreundlicher als ein zentrales Elektrolyseur / Brennstoffzellen-Kraftwerk (mit entsprechendem Wirkungsgrad) und ein Fernwärmenetz sein?

Ich hab’s nicht durchgerechnet, deswegen lasse ich mich gerne eines Besseren belehren, aber vorstellen kann ich’s mit gerade irgendwie nicht …

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Natürlich nicht, dies ist eine Möglichkeit von vielen. Zum Beispiel da wo es keine anderen Alternativen gibt. Ich bin eh der Meinung das in Zukunft viele verschiedene Technologien auf ein Ziel hinarbeiten. Grünen Wasserstoff und Pumpspeicherwerke für die Metropole, Batteriespeicher für Dörfer usw.

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