Energiepolitik - Häufiges Misverständnis Erzeugung und Netzbetrieb

Hi All, Hi Ulf, Hi Philip,

Erstmal liebe Grüße nach Berlin. Ich verpasse seit Jahren keine Lage Folge und bin immer wieder gerne dabei. :blush:

Im Großen und Ganzen teile ich Ulfs und Philips Überzeugungen und Sicht auf die Dinge. Leider gibt es ein Thema welches sie ab und zu anreißt, wo es dann aber leider drunter und drüber geht. Das liegt wohl weniger an Ihnen als an der Komplexität des Themas. Das ganze Thema der Energiepolitik ist Hochkomplex und wird leider zu oft nur unzureichend und fehlerhaft in den Medien dargestellt.

Kurz zu mir, ich arbeite seit Jahren als Wissenschaftler in dem Bereich der Energiewende und Energiepolitik und ich zerbreche mir regelmäßig den Kopf darüber, wie man einige der gröbsten Missverständnisse und Vorurteile in den dazugehörigen Themenfelder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen könnte.

Ich weiß, dass es in der letzten Lage gar nicht primär um Energiepolitik ging, sondern um die undurchsichtigen Verstrickungen von Wirtschaft und Politik und das daraus resultierende Korruptionspotential. Trotzdem würde ich hier gerne eine Korrektur einer von Ulf getätigten Aussagen machen, ungefähr bei 48:30.

Seit der Liberalisierung des Energiemarktes, welche die EU Ende der 1990 Jahre voran trieb, handelt es sich bei Betreibern von Stromnetzen um eigenständige Unternehmen, welche strikt von der Energieerzeugern abgespalten wurden. Die europäischen Stromnetzbetreiber sind heutzutage nur einem einzigen Ziel verpflichtet, der Aufrechterhaltung des Netzbetriebes. Da es sich bei den Stromnetzen um natürliche Monopole handelt, werden sie durch die nationalen Regulierungsbehörden streng überwacht und an eine Vielzahl von Auflagen gebunden. Zum Beispiel können Stromnetzbetreiber nicht einfach die Preise für den Netzzugang selber festlegen.

Auf der anderen Seite gibt es Energieerzeuger, welche Großkraftwerke, Wind Parks, PV-Anlagen Betreibern und Ihren erzeugten Strom über die Energiemärkte verkaufen.

Die Netzbetreiber müssen Allen Energieerzeuger gleichermaßen und diskriminierungsfrei den Zugang zu Ihren Netzen erlauben. Die Aussage das Energieerzeuger welche Kern- oder Kohlekraftwerke betreiben, kleiner Betreiber von erneuerbaren Energieanlagen nicht in Ihre Netze lassen wollen ist also grob falsch. Energieerzeuger sind einfach nicht im Besitz der Stromnetze und können auch nicht darüber entscheiden wer an das Stromnetz angeschlossen wird und wer nicht.

Dieses Missverständnis über die Funktionsweise unseres Energiesystems findet man leider nur zu häufig in den Medien.

Viele Grüße aus Brüssel und macht weiter so

Stephan

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Vielen Dank für den Beitrag.

Die beschriebene Trennung ist uns natürlich klar, aber über wirtschaftliche Verbindungen in Konzernen sind es dann eben doch häufig die Unternehmen, die große Kraftwerke betreiben, die zugleich die Kontrolle über Leitungsnetze ausüben. Das hatte ich in der Sendung wohl etwas verkürzt formuliert.

Wie gesagt, es gibt keine Kontrolle der Kraftwerksbetreiber auf die Energienetze. Kraftwerksbetreiber machen Sich über die Übertragung und Verteilung von Elektrizität keine Gedanken. Brauchen sie auch gar nicht, da wenn sie Ihren produzierten Strom an einem der verschiedenen Energiemärkten abgesetzt haben, es in der Aufgabe der Netzbetreiber liegt sich über Übertragung und Verteilung zu kümmern.
Ich habe mal einen Energietrader eines großen deutschen Energiekonzert gefragt, wie das seien kann, das sie sich so überhaupt keinen Gedanken über den Transport von Elektrizität machen. War lustig, der hat mich angeschaut wie ein Auto und meinte nur das sei nicht deren Aufgabe. Kann ich jedem nur empfehlen sich mal einen Trading Floor eines Energiekonzern anzuschauen, wenn man die Möglichkeit dazu bekommt.
Die strikte Trennung zwischen Netzbetreibern und Energieerzeugern hält natürlich gewisse Wirtschaftsvertretung nicht davon ab, den bestehenden konventionellen Kraftwerkspark so lange wie möglich im Betrieb halten zu wollen. Ich halte, dass aber nicht für das eigentliche Problem bei der Energiewende.
Kurzer Disclaimer: Ich stelle in meinen folgenden Ausführungen weder den Klimawandel noch den Einfluss der Kohleverstromung auf den Klimawandel in Frage. Ich unterstütze alle Maßnahmen die Notwendig sind, um den Klimawandel zu bekämpfen und im Besondern welche die Energiewende vorantreiben. Es geht mir nur darum das Problem in seiner Vielseitigkeit besser verständlich zu machen.
Das Problem bei der Energiewende ist ein Infrastruktur Problem welches sich nicht nur auf Deutschland beschränkt, sondern auf ganz Europa und darüber hinaus. Als Ursula von der Leyen den Green Deal, welcher ja auch die Energiepolitik der EU beinhaltet, mit der Mondlandung verglichen hat, hat sie nicht übertrieben. Die Probleme, die vor uns liegen sind wahrscheinlich um ein Vielfaches größer als eine Neuauflage einer erfolgreichen Mondmission. Aber ich habe keine Ahnung von Raumfahrt also vielleicht liege ich hier falsch. Wenn wir uns anschauen, wie Deutschland die anderen großen Infrastrukturthemen (Telekommunikation, Mobilitätswende, etc.) seit Jahren vor die Wand fährt, verzweifele ich, wenn es zum Thema Energiewende kommt.
Wenn wir uns die heutige Situation bei der Elektrizitätsversorgung in zentral Europa anschauen, stellt man schnell fest, dass wir die Fluktuation der Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen ausschließlich durch konventionelle Kraftwerksleistung ausgleichen. Das gilt für Deutschland vor Allem für die Erzeugung von Windkraftanlagen. Es kommt durch Wetterwechsel regelmäßig zu massiven Erzeugungsschwankungen von Windkraftanlagen. In 2019, habe ich mir das vor einiger Zeit mal genauer angeschaut. Diese Schwankungen in 2019 waren schnell bei +/- 30 GW Erzeugungsleistung aus Windkraftanlagen in Zeitraum von einem Tag. Diese Schwankungen sind keine vereinzelt auftreten Erscheinungen, sondern kommen häufiger vor. Deutschland hat einen Elektrizitätsverbrauch zwischen 50-75GW je nach Jahreszeit. Diese Schwankungen werden bis heute ausschließlich von fossil gefeuerten Großkraftwerken ausgeglichen.
Mittelfristig werden wir diese Schwankungen anders ausgleichen müssen. Und hier wird es nun ganz kompliziert da wir in Zukunft wohl eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen und Technologien miteinander kombinieren müssen. Leider geht es hierbei viel zu langsam voran und jeder der notwendigen Maßnahmen kommt mit einer ganzen Reihe an eigenen Problemen. Ich vermute mittlerweile, dass man sich mit dem zögerlichen Ausstieg aus der Kohleverstromung genug Zeit kaufen will, um die notwendigen Infrastrukturanpassungen umzusetzen.
Nur ein Beispiel hier: Die Power-2-Gas/Liquid Technologie, welche häufig als beste Lösung zum Saisonale Ausgleich von Erzeugungsschwankung angebracht wird, klingt auf Papier immer sehr gut. Im Labor oder in Versuchsanlagen funktioniert das auch immer ganz gut, aber wir müssen uns klar machen, dass es bis heute weltweit keine großtechnischen Anlagen zur Erzeugung von Methan oder Ammoniak gibt. Um die oben genannten Erzeugungsschwankungen konsequent durch Power-2-Gas/Liquid auszugleichen müssten wir, allein für Deutschland, ein Vielfaches der derzeitigen weltweiten Produktion an synthetischem Methan und Ammoniak aufbauen.
Ich könnte jetzt noch ewig weiterschreiben, aber ich belasse es mal hierbei. Den einzigen Punkt, den man im Hinterkopf behalten sollte, ist das es bei der Energiewende keine einfachen und schnellen Lösungen gibt.

Viele Grüße
Stephan

Diese Ausführungen sind meine persönliche Meinung welche ich versuch kontinuierlich weiterzuentwickeln.