Zusätzlich zu den von dir @JWoens bereits aufgezählten und korrekt beobachteten „neuen“ Erkenntnissen, die keine sind, finde ich auch die folgende sehr beschämend:
Diese Empfehlung zielt in erster Linie auf den direkten Schutz der geimpften Kinder und Jugendlichen vor COVID-19 und den damit assoziierten psychosozialen Folgeerscheinungen ab.
Seit Beginn der Pandemie wird bereits gesellschaftlich diskutiert, welche psychischen Schäden sowohl Lockdowns als auch die konstante mediale Präsenz und Betonung von Infektionsgefahren insbesondere bei Kindern hinterlassen. Seit man weiß, dass Kinder zumindest physisch weniger stark gefährdet sind als ältere Menschen, hat sich diese Diskussion noch mehr auf die Gefährdung der psychischen Gesundheit konzentriert. Und das fällt der STIKO erst jetzt ein, dass man das vielleicht auch mal berücksichtigen sollte?
Wenn man über ein Jahr lang von der Gefährdung durch dieses neue Virus gesprochen und rigide Einschränkungen erlassen hat, die Kinder ebenso wie Erwachsene betroffen haben und daher ein gutes Stück weit implizit suggerierten, dass Kinder auch eine Gefährdung analog zu Erwachsenen hätten, dann ist es nicht so schlau, denselben Kindern dann die „rettende“ Impfung zu verwehren (bzw. ihnen zumindest unnötig Steine in den Weg zu legen) und ihnen mehr oder weniger verblümt zu sagen „vor ein paar Monaten solltet ihr noch penibel Infektionen vermeiden, aber ätsch, das sollte hauptsächlich uns Ältere schützen, und jetzt, wo wir geimpft sind, infiziert ihr euch doch jetzt bitte alle mal durch, ist ja nicht so schlimm für euch“. Gerade Kinder im Bereich 12-17 Jahre bekommen viel von den eigentlich für Erwachsene gedachten medialen Informationen mit, und sie trennen das nicht immer sauber ab, dass das allermeiste davon eben aus der Perspektive von Erwachsenen „geschrieben“ wurde (wenn es z.B. um die Gefährdung für Leib und Leben geht). Dementsprechend haben zumindest viele Kinder, die ich kenne, eine Gefahrenwahrnehmung, die eher über die tatsächlich für sie selbst vorhandene physische Gefahrenlage hinausgeht. Die Impfung als der ultimative Schutz vor dieser Gefahrenlage wird entsprechend von der überwältigenden Zahl dieser Kinder sehr positiv wahrgenommen und begehrt. Sie sehen um sich herum, wie fast alle Erwachsenen eine Impfung bekommen, wenig bis keine Nebenwirkungen dabei haben und danach mit einem QR-Code auf dem Smartphone wieder Optionen zur gesellschaftlichen Teilhabe erhalten bzw. diese vereinfacht (z.B. ohne Test) realisieren können. Und natürlich wollen 12-17jährige dabei mitmachen!
Und das kommt alles noch „on top“ auf die tatsächlich vermutlich eher unterschätzte Gefahrenlage in Bezug auf LongCovid, wie sie @JWoens schon ausgeführt hat. Und das ist alles nichts Neues - schon bei den ersten Empfehlungen der STIKO war diese „psychosoziale Komponente“ ganz genau so präsent wie heute, da zieht auch nicht die Standard-Ausrede von wegen „die wissenschaftliche Datenlage hat sich geändert“, denn diese Frage ist grundsätzlich überhaupt keine Frage von wissenschaftlicher Datenlage. Die STIKO hat schlicht verpennt, die psychische Gesundheit ebenso zu betrachten wie die physische, und macht jetzt dasselbe wie jede andere Institution auch: sich hinter scheinbar rationalen Argumenten verstecken und eigene Fehler nicht eingestehen.
Immerhin hat sie den Fehler endlich korrigiert. Ob man allerdings was über die eigene Arbeitsweise und ihre Unzulänglichkeiten dabei gelernt hat, bleibt offen. Meine Hoffnung darauf ist eher gering.