Einstimmigkeit / Vetorecht in multinationalen Gremien

Die EU krankt an einem Geburtsfehler: Das Prinzip der Einstimmigkeit im Rat für die meisten wichtigen Themenfelder. Ganz ähnlich wie mit dem Veto-Recht für die Siegermächte und China im UN-Sicherheitsrat. Beide Fälle lähmen diese für uns wo wichtigen multinationalen Institutionen. In beiden Fällen ist das Problem ohne die Mitwirkung derjenigen, die diese Dinge bislang immer nur zu ihrem Vorteil ausgenutzt haben, nicht zu ändern: Die Visegard-Staaten werden eine strukturellen Reform der EU, die Siegermächte bzw. China einer strukturellen Reform der UN, die jeweils die Einstimmigkeit / das Vetorecht durch eine qualifizierte Mehrheit ersetzen würde, stets widersetzen.

Wie realistisch ist die zunächst utopisch wirkende Vision wirklich, eine EU 2.0 bzw. eine UN 2.0 zu gründen, die weitgehend das Spiegelbild der heuten EU bzw. UN ist, aber in den betroffenen Gremien die Einstimmigkeit bzw. das Vetorecht durch eine qualifizierte Mehrheit korrigiert hat. Ja, dabei werden zunächst Mitglieder „verloren“ gehen, die vielleicht versuchen werden, noch andere Änderungen durchzusetzen. Ja, es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die neuen multinationalen Gremien dann wieder die EU-Staaten (vielleicht ohne die Visegard-Gruppe) bzw. die Weltstaatengemeinschaft abbilden und wirklich funktionieren. Aber dann funktionieren sie endlich wieder.

Just a thought …

Guten Tag,
Darüber habe ich auch schon nachgedacht.

Ganz kurz zu deiner Kritik daran: Diese ist völlig berechtigt und ich glaube auch, dass durch diese Veto-Rechte diese Organisationen gelähmt werden. Du meinst jedoch, dass gerade die Visegrad-Staaten und China solche Reformationen ausbremsen würden. Das ist sicherlich auch der Fall. Aber ich würde die alleinige Schuld an keinen Reformationen nicht nur in die Schuhe der Genannten schieben. Ich denke gerade in der EU würden leider fast keine Länder das Recht aufgeben, im Rat etwas zu blockieren. Selbst Deutschland würde das nicht machen, weil dadurch hätte man nicht mehr so viel Einfluss in der EU und würde an Macht verlieren. Das würde die CDU auf jeden Fall nicht mitmachen und wird momentan auch nicht passieren, da hat die Regierung momentan glaube einfach zu viel Angst davor von anderen EU-Ländern überstimmt zu werden.
Und zur UN: Im Sicherheitsrat sind mit einem Veto ausgestattet: USA, China, Frankreich, Großbritannien und Russland. Keiner von den genannten Ländern würde momentan ihr Veto-Recht aufgeben.

Deine Idee zu der Spiegelung der UN/EU funktioniert glaube nicht. Diese Organisationen sind bereits schon relativ gut verankert in der Weltpolitik und es würde einfach viel zu lange dauern diese neu aufzubauen. Gerade auch, weil sie in Krisengebieten eine wichtige Rolle spielen.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht wüsste, wie man diese Veto-Rechte/Einstimmigkeit irgendwie überwinden kann. Man muss auf die Freiwilligkeit und Kooperation dieser Länder hoffen. Das sieht aber momentan eher nicht gut aus.

Grüße

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Auf UN-Ebene erscheint mir das sehr schwierig und eventuell auch gar nicht nötig. Die UN ist ja ein Gremium, das sich explizit dem Dialog der Völker verschrieben hat, daher ist auf der Ebene eine wie auch immer geartete politische Handlungsfähigkeit aus meiner Sicht auch nicht so wichtig. Auch finde ich, dass es durchaus das Recht einzelner Staaten sein sollte aufgrund geschichtlicher Begebenheiten und kultureller Traditionen die Welt eben etwas anders zu sehen, als wir das tun.

Etwas anders sieht es bei der EU aus. Die EU hat ja nun doch viel Einfluss auf unser alltägliches Leben und braucht Handlungsfähigkeit dringend. Ich finde es unerträglich, dass allen voran Deutschland die von Macron seit Jahren ausgestreckte Hand immer wieder ausgeschlagen wird und zwar um ein Europa der 2 Geschwindigkeiten zu schaffen mit noch deutlich tieferer Integration. Aus meiner Sicht ist das der Weg. Allein hat doch keiner der europäischen Staaten genug Gewicht um in der Welt irgendetwas zu melden. Und gerade weltweit muss die EU sich stark aufstellen, was spätestens seit dem von den Amerikanern hinterlassenen Machtvakuum offenbar wird.
Die weitere europäische Integration wäre auch recht einfach umzusetzen und gleichzeitig eine Lösung für die rechtsstaatlichen Probleme in beispielsweise Polen und Ungarn oder auch die Datenschutz- und Steuerfragen rund um den Sitz der großen Internetkonzerne in Irland. Wenn Deutschland, Frankreich, eventuell noch Italien oder Spanien und die Benelux-Länder Verträge zur weiteren Integration unterzeichnen und dann größere Teile ihrer Beiträge an die Mitgliedschaft im Europa der „schnelleren Geschwindigkeit“ koppeln, sind sehr schnell alle anderen Länder mit dabei.
Dass Merkel diese historische Chance verpasst (hat), in Spanien und Italien wären derzeit auch „passende“ Regierungen an der Macht, ist aus meiner Sicht der schlimmste Fehler ihrer Amtszeit. Ich hoffe, dass uns das auf lange Sicht nicht ganz böse auf die Füße fällt. Stellt euch vor, in Frankreich wird Le Penn gewählt, dann ist die EU am Ende. Aus meiner Sicht bleibt der EU nur die Flucht nach vorne.

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@campusnovus

Der UN-Sicherheitsrat war früher ein relativ effektives Eskalations-Interventions-Gremium. Diese Funktion wäre heute noch viel wichtiger. Durch die Veto-Blockade ist der UN-Sicherheitsrat seit Jahrzehnten weitgehend nutzlos. Daher wäre ein Reform ebenso wichtig.

In Bezug auf die EU bin ich grundsätzlich bei Dir. Aber: Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten muss scheitern, sobald Themen betroffen sind, die Einstimmigkeit erfordern: Die Visegard-Staaten werden das blockieren. Leider sind es viele, wichtige Themen, bei denen Einstimmigkeit erforderlich sind.

Womit ich jedoch nicht übereinstimme, ist die immer wieder aufgestellte Behauptung, Deutschland hätte Frankreich die ausgestreckte Hand ausgeschlagen. Wenn eine Nation einen Vorschlag macht, mit dem eine anderen Nation nicht einverstanden ist, ist es ein völlig normaler Vorgang, dem Vorschlag nicht zuzustimmen.

Die Union (CDU/CSU), die die Regierung und damit die deutsche EU-Politik ja seit vielen Jahren maßgeblich beeinflusst, ist nun mal sehr skeptisch in Bezug auf die gemeinschaftliche Schuldenaufnahme („Schuldenunion“) und auf die Haftung für individuelle Schuldenaufnahme („Haftungsunion“). Darüber mag man unterschiedlicher Meinung sein. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland mit Abstand größter Nettozahler ist und bleibe und vor dem Hintergrund des fiskalischen Gebarens und Selbstverständnisses der Südeuropäischer Staaten (durchaus einschließlich Frankreichs) und des Rechtsstaatsverständnis der Visegard-Staaten gibt es aber durchaus gute Gründe für diese Skepsis.

Diese Skepsis aber so auszulegen, dass die Union bzw. Deutschland die weitere Entwicklung der EU blockiere, bremse, ausgestreckte Hände ausschlage, Frankreich brüskiere, wie auch immer … ist der Sache nicht angemessen.

Eine Schulden- oder Haftungsunion kann es m.E. durchaus geben. Aber erst, wenn das Erpressungspotenzial der Einstimmigkeit abgeschafft wurde.

Ich finde es problematisch die Schuld für die aktuelle Situation nur auf die anderen zu schieben.
Gerade weil Deutschland in der EU immer eine zentrale Rolle gespielt hat und häufig auch richtungsweisend war. Die Chance etwas zu verändern ist da gewesen und man hätte die Veränderung auch selber voranbringen können. Das hat man jedoch nicht gemacht. Deswegen würde ich die Schuld nicht nur auf die Visegrad-Staaten abweisen.
Zudem haben viele in Deutschland Angst davor, nicht mehr alles kontrollieren und im Fall auch verhindern zu können. Wenn man mehr EU wagt, bedeutet das gleichzeitig ein Einflussverlust Deutschlands und der nationalstaatlichen Ordnung. Das würde ich sehr begrüßen. Aber viele Politiker:innen und Parteien (gerade Union/FDP) sind dafür viel zu national-konservativ, kontrollbesessen und nicht bereit dafür.
Finde ich extrem schade, aber es fehlt an so vielen Ecken die Bereitschaft und der Willen.

Hoffen wir auf r2g und ein neues Denken in der EU.

Auch wenn Du sicherlich Recht hast - Deutschland hat sich in den letzten Jahren innerhalb der EU nicht immer mit Ruhm bekleckert - bleibt das strukturelle Problem, dass der Europäische Rat aufgrund der notwendigen Einstimmigkeit von einzelnen Ländern blockiert werden kann und so erpressbar wird. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Beides müsste geändert werden. Das eine haben wir - die deutsche Politik, die Wähler - in der Hand, das andere geht nicht ohne strukturelle Änderungen auf EU-Ebene. Zuzulassen, dass quasi-autokratische Politiker in Ungarn, Polen, Tschechische Republik die EU faktisch blockieren lassen, hat nichts mit „Mehr EU wagen“ zu tun.