Der Polizeivizepräsident verwechselt natürlich völlig bewusst die Wörter „legal“ und „legitim“. Ob ein Protest legal ist, regelt das Gesetz, ob er legitim ist, liegt im Auge des Betrachters, und auch illegaler Protest kann in den Augen weiter Teile der Bevölkerung, oder sogar der Mehrheit, legitim sein.
Ziviler Ungehorsam ist bloß die Bezeichnung für eine Protestform, unabhängig vom Inhalt, die an sich nicht von Vornherein „gut“ oder „schlecht“ ist. Selbst der reaktionärste deutsche Polizeigewerkschaftsfunktionär wird vermutlich die Montagsdemonstrationen 1989 in der DDR als gerechtfertigt ansehen, während man auf der anderen Seite die wiederholten, bewussten Holocaustleugnungen einer Ursula Haverbeck formal sicherlich auch als zivilen Ungehorsam bezeichnen könnte, die aber eben völlig zu Recht praktisch einhellig nicht als legitim angesehen werden.
Womit der Herr Polizeivizepräsident aber natürlich prinzipiell Recht hat, ist dass ziviler Ungehorsam in aller Regel gegen Gesetze verstößt – wobei es sich durchaus auch bloß um Ordnungswidrigkeiten handeln kann, also nicht unbedingt um Straftaten, wie er behauptet. Die Gesetzesübertretung ist aber geradezu das entscheidende Kriterium, neben der grundsätzlichen Friedfertigkeit (zivil = Gegensatz zu militant), was einen Protest erst zum zivilen Ungehorsam macht. Angemeldete Demonstrationen, die auch den Verkehr behindern, sind also bspw. kein ziviler Ungehorsam.
(Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Bspw. kann es sein, dass Menschen sich im Wege zivilen Ungehorsams Anordnungen/Maßnahmen der Polizei widersetzen, die sich im Nachhinein als rechtswidrig herausstellen. Dann wäre z.B. eine Widerstandshandlung nicht strafbar gewesen, aber zum Zeitpunkt der Aktion wäre das vermutlich unklar gewesen.)
Allgemein gilt aber: Wer zivilen Ungehorsam ausübt sollte sich im Klaren sein, dass er eine Gesetzesübertretung begeht, für die er vom Rechtsstaat belangt werden kann, wenn er identifiziert wird. Ziviler Ungehorsam ist also vor dem Gesetz kein Rechtfertigungsgrund, der zu Straffreiheit führt, und man kann das mit etwas gutem Willen so interpretieren, dass der Herr Polizist das meinte, als er sagte es wäre ein „erfundener Rechtsbegriff“.
Auf der anderen Seite existieren in unserem Rechtsstaat allerdings auch für die staatlichen Organe Grenzen bei der Beseitigung rechtswidriger Zustände und der Verfolgung von Gesetzesübertretungen wie Sitzblockaden, was u.a. unter den Begriff Verhältnismäßigkeit gefasst wird.
So darf die Polizei z.B. ein falsch geparktes Auto nicht einfach in die Luft sprengen, um diesen Zustand zu beenden, sondern muss selbst bei einer notwendigen Umsetzung sorgfältig darauf achten, dass das Fahrzeug nach Möglichkeit unbeschädigt bleibt, zumindest solange keine schwerwiegende anderweitige Gefahr droht, bspw. weil das Auto die Feuerwehrzufahrt zu einem brennenden Haus blockiert. Oder es gibt sogar gar keinen ausreichenden Grund, das Auto zu entfernen und sie darf zwar ein Bußgeld verhängen aber muss den rechtswidrigen Zustand ansonsten einstweilen dulden.
Verschiedene Polizeibehörden sehen sich bei Einsätzen gegen zivilen Ungehorsam aber leider nicht in einer vergleichbaren Pflicht zur Schadensminimierung oder temporären Duldung, sondern sehen das Motiv insbesondere „linksgerichteter“ Protestierer eher noch als extra Motivation, es diesen mal so richtig zu zeigen und bei der Räumung möglichst viel Kollateralschaden zu erzeugen. Das können sie tun, denn sie haben ja nichts zu befürchten. Entsprechende Strafverfahren werden routinemäßig eingestellt, Verwaltungsgerichtsurteile zur Rechtswidrigkeit von Maßnahmen haben keine praktischen Folgen, und wenn im Extremfall doch mal ein Schmerzensgeld gezahlt werden muss, übernimmt das sowieso der Steuerzahler.