Einordnung Prozess zu Lina E

Was ich mich auch frage und etwas ungläubig war beim lesen ist die doch sehr lange Untersuchungshaft? Bestand Fluchtgefahr oder wie kann es sein das ein Junger Mensch eventuell zu Unrecht (bei möglichem Freispruch) so lange festgehalten wird?

Nur mal zum Vergleich wie gezielte körperliche Angriffe von Neonazis so juristisch geahndet werden (ja, ich weiß, dass die Fälle nicht 1:1 übertragbar sind):

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Ronen Steinke hat in der SZ einen mMn ausgewogenen Kommentar verfasst, ist aber leider hinter der Paywall: Urteil gegen Lina E. in Dresden: Staat duldet auch keine "gute" Selbstjustiz - Meinung - SZ.de

Er betont auch die Notwendigkeit, Selbstjustiz gar nicht erst aufkommen zu lassen. Er weist aber auch darauf hin, dass die sächsische Politik nach allen Regeln der Kunst gegen die linke Szene vorgeht, während der Eindruck entsteht, dass die rechte Seite wesentlich zahmer angefasst wird. Anscheinend wurde gerade dieser Prozess mit gewaltigem Aufwand von den Behörden öffentlichkeitswirksam verfolgt.
Steinke weist darauf hin, dass das Gericht wenig Spielraum hatte und nur verhandeln kann, was von den Behörden auf den Tisch kommt.

Gleichzeitig kritisiert er die übliche Hufeisentheorie und macht einen klaren Unterschied zwischen massiver Gewalt der rechten Szene gegen alle möglichen Minderheiten, wohingegen die Gewalt der linken Szene öfter als nicht reaktiv zur rechten Gewalt entsteht.
Interessant fand ich den Schlussgedanken, dass durch die offensichtlich unterschiedlichen Maßstäbe des Staates gegen rechte und linke Gewalt es der linken Szene leicht gemacht wird, von ihren sehr wohl vorhandenen Problemen abzulenken und jedwede Kritik als politisiert abzutun.

Der Kronzeuge war wohl ein langjähriges Mitglied der Gruppe und hat auch von speziellen Trainings berichtet unter Leitung von Lina E… Von daher ist das Strafmaß wohl in Ordnung. Hier sollte nicht zu viel Hufeisenrhetorik rein, denn dies hier ist keinen Deut besser als die Gewalt der Rechtsradikalen. Jeder Radikalismus ist stets abzulehnen, besonders wenn er zu Gewalt führt. Und hier scheint Lina E. genau darauf gezielt aus gewesen zu sein.

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Dass es im Grunde keinen Unterschied zwischen der „linken und rechten Gewalt“ gibt IST ja gerade das Hufeisenargument - siehe dagegen die Argumentation von Steinke, die @Numeno referiert hat.

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Teile des Urteils sind jetzt online. Hier kann man ganz gut sehen, was genau vorgeworfen wurde und zum Teil auch, welche Beweise berücksichtigt wurden.

Also der Zeuge, der Lina E am stärksten belastet hat, war kein „politischer Gegner“, sondern ein ehemaliger Mitstreiter. Auch hier kann man natürlich argumentieren, dass er eigene Gründe zur Belastung hat, weshalb seine Aussagen auch hinterfragt und mit anderen Beweisen abgeglichen werden. Zudem gibt es da den Ladendetektiv und die Polizisten, die Lina E auf der Flucht nach der Tat vom 13/14. Dezember festgenommen haben. Dazu noch alle Beweise, die bei den Durchsuchungen gesichert wurden, was wohl auch einiges war.

Dass es sich das Gericht hier nicht leicht gemacht hat, wird schon daran klar, dass es ein Prozess mit 97 Verhandlungstagen war. Das zeigt auch, wie viel Beweismaterial und Zeugenaussagen hier berücksichtigt wurde. Ich habe wenig Zweifel daran, dass die Beweise für eine Verurteilung ausreichen - dass die Verteidigung argumentiert, es seien alle nur Indizien, ist normal, wenn der Täter nicht auf frischer Tat mit noch blutigen Händen angetroffen wird - und dass Unterstützer von Lina E diese Version verbreiten, ist ebenso normal. Aber es lagen mMn weit mehr Beweise vor, als nur Indizien.

In jedem Fall, schließlich geht es hier nicht um den Plan der gemeinschaftlichen Begehung von Nötigungen oder anderen kleinen Delikten, sondern zumindest um die gemeinsame Begehung von gefährlichen Körperverletzungen, durch die auch mindestens ein Mensch in konkrete Lebensgefahr gebracht wurde. Dazu verweise ich auf meinen Beitrag zur Reform des § 129 StGB.. Ich denke, wir wollen schon, dass z.B. Neonazi-Gruppen, die sich für gefährliche Körperverletzungen zusammenschließen, als kriminelle Vereinigungen verfolgt werden können, oder? Dann muss das gleiche aber auch für andere Gruppen gelten, unabhängig davon, ob wir deren politische Position teilen.

Ihr (Ex-?)Freund Johann G ist seit zwei Jahren untergetaucht, daher muss man wohl davon ausgehen, dass Lina E es ihm gleich getan hätte.

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Ah danke für die Info.

Was ich bei einer Einordnung ebenfalls interessant fände, wäre auf das folgende Zitat der Bundesanwaltschaft einzugehen: „Es gibt keine gute politische Gewalt.“ (gefunden bei: Fünf Jahre und drei Monaten für Lina E. - ZDFheute)

Ich finde es könnte gut diskutiert werden, ob eine solche Aussage in ihrer Absolutheit theoretisch wie praktisch richtig ist, wobei ich leider nicht weiß, ob sie hier nicht aus dem Zusammenhang gerissen bzw. ganz fallbezogen gemeint war.

Naja, kannst du ein Beispiel für gute politische Gewalt nennen?

Wenn wir über konkrete Notwehr / Nothilfe reden, ist die Gewalt nicht primär politisch (dh. auch wer in einer Notwehrlage das Maß der erforderlichen Gewalt überschreitet, weil er „es dem politischen Gegner mal richtig zeigen will“ würde bestraft; sobald also politische Motive bei der Notwehr eine beherrschende Rolle spielen, wird es auch hier problematisch).

Ansonsten fallen mir nur die typischen Diskussionen im Hinblick auf das Widerstandsrecht ein, hier gäbe es natürlich „gute politische Gewalt“, wenn die öffentliche Ordnung z.B. nach einem erfolgreichen Reichsbürger-Putsch (unwahrscheinlich, ich weiß…) tatsächlich zusammengebrochen wäre und rechtsextreme Gruppierungen die Bevölkerung terrorisieren würden. Aber diese Szenarien sind generell nur theoretischer Natur, die Bedeutung des Widerstandsrechts geht aus gutem Grund (und rein logisch) nicht über einen reinen Symbolcharakter hinaus.

Ich glaube das typische Beispiel aus der Moralethik wäre die Frage, ob jemand den an die Macht strebenden „jungen“ Hitler umbringen dürfte, noch bevor er beginnt Gegner und Minderheiten systematisch zu verfolgen oder umzubringen.

Ich denke unser juristisches System verneint das aus sehr gutem Grund.

Wollen vielleicht schon. Passiert aber nicht. Das allerhöchste ist, dass solche Vereinigungen alle paar Jahre mal nach Vereinsrecht „verboten“ werden, was bedeutet, dass sie ihre Symbole dann nicht mehr so einfach offen präsentieren können und unter anderem Namen oder einfach nur etwas dezenter auftreten müssen.

Das sehe ich anders. Ja, der Staat könnte noch mehr tun, gerade hier in der Ecke Bochum/Dortmund gibt’s da einige Fälle, wo ich auch mehr erwarten würde. Aber zu sagen, der Staat würde gar nicht gegen rechtsextreme kriminelle Vereinigungen vorgehen, ist nicht haltbar.

Dieser Fall hier ist sehr gut mit dem Fall Lina E. vergleichbar, er ist quasi auch einer der Auslöser für den Tatkomplex um Lina E. Hier haben sich Rechtsextreme zusammengeschlossen, um Flüchtlingsunterkünfte, linke Wohnprojekte und generell die linke Szene in Leipzig Connewitz anzugreifen, die Täter wurden zu Haftstrafen zwischen 2 Jahren und 4 Monaten bis zu 6 Jahren verurteilt (im Fall Lina E waren die Haftstrafen zwischen 2 Jahren und 5 Monaten bis zu 5 Jahren und 3 Monaten, also vergleichbar).

In diesem Fall („Sturm 34“) hat der BGH nach Revision der Staatsanwaltschaft, die bemängelt hat, dass das Landgericht die Angeklagten nicht wegen § 129 StGB verurteilt hat, der Revision stattgegeben, daher: Auch hier wurde eine kriminelle Vereinigung vom BGH angenommen.

Also es gab bisher mehrere große Fälle von rechtsextremen Gruppierungen, die wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ verurteilt wurden.

Zu den von dir genannten Vereinsverboten kommt es in der Regel dann, wenn eine Verurteilung wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung wenig aussichtsreich ist, weil z.B. noch keine hinreichenden Taten begangen wurden oder der Zusammenhang zur Organisation nicht bewiesen werden kann („Combat 18“, „Blood & Honor“ und co. sind da typische Beispiele).

Vereinsverbote sind daher eher präventive Maßnahmen, die wesentlich niedrigschwelliger sind, eben weil im Verwaltungsrecht nicht die strengen strafrechtlichen Prinzipien gelten. § 3 Abs. 1 VereinsG ist halt gerade im Hinblick auf Rechtsextremismus wesentlich offener als der schon relativ offene § 129 StGB…

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Danke für die Beispiele.

Diese Leute wurden nicht nur wegen „krimineller Vereinigung“ zu diesen Haftstrafen verurteilt, sondern auch wegen etlicher damit in Zusammenhang stehender Delikte, u.a. „Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen“ – was interessanterweise eigentlich bereits eine Katalogstraftat für eine terroristische Vereinigung nach § 129a ist.

Ich zitiere ebenfalls mal aus Wikipedia:

Die Staatsanwaltschaft erhob auch Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, da der Sturm 34 keineswegs nur eine „Sauf- und Schlägertruppe“ gewesen sei. Der Richter sprach die Angeklagten in diesem Punkt aber frei, da es am Gruppenwillen gefehlt habe. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil in diesem Punkt Revision beim Bundesgerichtshof ein. Dieser urteilte, dass der Sturm 34 durch seine Zielsetzungen eine kriminelle Vereinigung war und gab damit der Revision statt. Der Prozess wurde an das Landgericht Dresden zurückverwiesen, welches im Urteil vom 13. April 2011 die Bildung einer kriminellen Vereinigung als gegeben sah. Im Januar 2013 bestätigte das Landgericht Dresden eine Verurteilung von fünf Rädelsführern von Sturm 34 wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Bewährungs- und Geldstrafen (!).

Mag sich jeder seine eigenen Gedanken zu machen.

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@Daniel_K die Fälle kenne ich auch und ich finde es gut, wenn gleiches Maß angelegt wird.

In den von dir genannten Fällen ist es aber auch interessant, sich ein paar der Details der Fälle aus Sachsen anzuschauen. Bei der Kameradschaft Dresden und deren Überfall auf Connewitz erinnere ich mich, dass ein Tatverdächtiger in Chemnitz einsaß und der ihn betreuende Justizvollzugsbeamte ebenfalls bei dem Überfall dabei war. Obwohl das lange bekannt war, wurde er erst drei Jahre später aus dem Dienst suspendiert und erst sechs Jahre später überhaupt angeklagt.

Die lange Abstand der Tat zum Urteil sorgte auch dafür, dass die meisten Tatbeteiligten mit Bewährungsstrafen bekamen.

Im Fall der Gruppe Freital war es so, dass erst die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich ziehen musste gegen den Widerstand der sächsischen Justiz, da diese nur ein paar verwirrte Einzeltäter erkennen wollte und keine terroristische Vereinigung.Die wurden sogar von einem befreundeten Polizisten vor Razzien gewarnt. Auch zum Verfassungsschutz gab es Kontakte.

Und dann gibt es da noch Fälle, bei denen schwere Körperverletzung von Journalisten mit Bewährung bestraft wurde.

In Sachsen gab es andererseits auch Fälle wie den vom Jenaer Pfarrer Lothar König, der öfter an Anti-Nazi Demos teilnahm (zusammen mit Verdi, den Grünen, etc.) und gegen den dann die sächsische Justiz wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelte inklusive Durchsuchung des Pfarrhauses und TKÜ. Das Verfahren wurde schließlich eingstellt und die Staatsanwaltschaft musste eingestehen, dass Beweise manipuliert und entlastendes Material vorenthalten wurde.

Das sind alles so ein paar Fälle, die mir in den Sinn kommen, die natürlich ihre eigenen Besonderheiten haben und die ich als Laie nicht beurteilen kann. Aber ich verstehe, dass der Eindruck entsteht, dass die Justiz gegen Linke mit aller Härte vorgeht, während bei Rechten weniger hart vorgegangen wird. Vielleicht ist das auch nur mein Eindruck, weil ich lange in Sachsen gelebt habe und mir die Fälle dort aufgefallen sind. Wenn das so ist wäre es schön, mehr von Fällen zu lesen, in denen Rechtsextremisten ihrer Tat nach angemessen verurteilt werden.

Vielleicht kennt ja jemand eine Übersicht dazu?

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Am 7. November 1968 verpasst Beate Klarsfeld dem NSDAP-Mitglied und Bundeskanzler der BRD Kurt Georg Kiesinger auf dem CDU-Parteitag in Berlin eine Ohrfeige. Serge Klarsfeld wird später gegenüber der FAZ sagen, das erlittene Hämatom sei „eher braun als blau“ gewesen. Beate Klarsfeld wird daraufhin im Eilverfahren zu einem Jahr Haft verurteilt. Begründet wird diese Höchststrafe im Eilverfahren damit, dass politische Überzeugungen nicht mit Gewalt durchgesetzt werden dürften. (Die Haftstrafe wird später auf vier Monate auf Bewährung reduziert; Beate Klarsfeld muss sie aufgrund ihrer französischen Staatsbürgerschaft nicht antreten.)

Am 22. März 1971 wird der SS-Obersturmbannführer, Gestapo-Chef und maßgeblich an der Organisation der Judenvefolgung beteiligte Kurt Lischka auf dem Heimweg von der Arbeit in der Mittagspause an einer Straßenbahnhaltestelle in Köln von drei Männern überfallen, unter ihnen Serge Klarsfeld. Seine Ehefrau Beate Klarsfeld hatte die Wege Lischkas ausgekundschaftet. Einer der Komplizen Klarsfelds versetzt Lischka einen Schlag mit einem Schlagstock auf den Kopf. Die Entführung misslingt. Beate Klarsfeld kündigt an, noch mehr als 300 weitere Entführungen vornehmen zu wollen. Sie kommt für zwei Wochen in Untersuchungshaft.

Der internationale Protest gegen die Inhaftierung Klarsfelds und weitere Demonstrationen gegen Lischka führen schließlich mit dazu, dass ein geplantes, aber von einem FDP-Bundestagsabgeordneten verzögertes deutsch-französisches Abkommen 1975 in Kraft gesetzt wird („Lex Klarsfeld“). Dieses Abkommen ermöglicht die Prozesse gegen und schließlich die Haftstrafen für die NS-Verbrecher Kurt Lischka, Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn. Um die Prozesseröffnung Lischkas zu beschleunigen werden in Köln mehrmals die Scheiben von dessen Büro eingeworfen.

Im Mai 2015 erhalten Beate und Serge Klarsfeld von Bundespräsident Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

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Ich denke, dass jedwede Form physischer Auseinandersetzung in einer Demokratie fehl am Platze ist (analog zur Überwindung der Körperstrafen im Strafrecht). Der zivilisatorische Fortschritt dieser gesellschaftlichen Organisationsform liegt doch gerade darin, dass es nicht länger um das „Recht des Stärkeren“ geht, sondern um eine inhaltliche (letztendlich intellektuelle) Auseinandersetzung.

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Aber nicht für die Ohrfeige, sondern für das generelle Engagement der Eheleute Klarsfeld im Hinblick auf die Verfolgung von Nazi-Tätern.

Dass die Ohrfeige Klarsfelds ein Gesetzesbruch war, der auch bestraft werden musste, ist auch heute noch unbestritten. Das damalige Strafmaß wird dabei mit Recht kritisiert, heute würde man dafür wohl eine Geldstrafe im relativ niedrigen Bereich ansetzen und gut ist.

Und so muss es in einem Rechtstaat eben laufen: Ja, wir können Verständnis für Gewaltanwendung - oder im Fall Daschner sogar für Folterandrohung - aufbringen. Das können wir bei der Festlegung des Strafmaßes erheblich berücksichtigen. Aber es muss zumindest eine symbolische Strafe im Rahmen des zulässigen Strafmaßes verhängt werden.

Wie gesagt, das sind alles Beispiele dafür, dass wohlfeile Motive die Strafzumessung wesentlich reduzieren können, aber eben nicht die Strafbarkeit an sich negieren, daher: Es sind alles Fälle, die auf der Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden, nicht auf der Tatbestandsseite.

@FieteWerner und @otzenpunk
Ihr habt absolut Recht, dass die Justiz oft eine Beißhemmung nach Rechts hat, die in dieser Form nach Links nicht besteht. Das will ich gar nicht bestreiten - wie gesagt, ich stimme völlig zu, dass die Justiz gerade gegen Rechts stärker vorgehen sollte. Aber das kann eben nicht zur Rechtfertigung genutzt werden, warum eine linke Gruppierung nicht bestraft werden sollte, wenn eindeutig bestrafungswürdige Taten vorliegen, was bei Lina E der Fall zu sein scheint.

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Mich würde hier auch eine Einordnung interessieren, auch Gedanken dazu, inwiefern Gewalt gegen Rechts praktisch präventiv gerechtfertigt sein könnte, wenn der Staat nicht ausreichend handelt. Also um Straftaten bspw. gegen Mitbürger mit Migrationsgeschichte zu verhindern.
Siehe dazu diesen Kommentar auf Instagram von der Journalistin und Autorin Mia Latkovic, die diesen Gedanken aufgreift:

https://www.instagram.com/p/Cs84GYeqJub/

Ich verstehe, wie man zu diesem Gedanken kommt, habe aber große Bauchschmerzen dabei (auch wenn es „die Richtigen“ trifft). Allein schon, weil man in viele Richtungen in der Form argumentieren könnte („Staat tut nichts, daher darf/muss ich…“)

Wie gesagt, das geht eigentlich nur im Rahmen des Widerstandsrechts, und das würde verlangen, dass die staatliche Ordnung quasi zusammengebrochen sei. Das ist eindeutig nicht der Fall.

Wie stark gegen rechtsextreme Gewalt vorgegangen wird, entscheiden Legislative (über die Gesetzgebung), Exekutive (über die Innenministerien und die tatsächliche Polizeiarbeit) und Judikative (über die Auslegung des Rechts und die Härte der Urteile) quasi zusammen.

Es wird immer Menschen geben, die nicht einverstanden sind mit den Wertungen staatlicher Stellen. Wenn wir aber einem Linken das Recht geben, wenn dieser mit den Wertungen nicht einverstanden ist, einen Rechten anzugreifen, müssen wir das auch für alle anderen Gruppen erlauben - und das führt offensichtlich zu Straßenkämpfen und totaler Anarchie.

Wenn uns nicht gefällt, wie Politik, Verwaltung und Rechtsprechung mit dem Thema Rechtsextremismus umgeht, können wir daraus nicht das Recht ableiten, mit Gewalt gegen Rechtsextreme vorzugehen, ebenso wie der Rechtsextreme, dem es nicht gefällt, wie Politik und Verwaltung mit ausreiseverpflichteten Migranten umgeht (daher nicht mit eiserner Hand alle abschiebt) nicht das Recht hat, auf Migrantenjagd zu gehen. Wir müssen dieses Problem im Rahmen der Demokratie lösen - und ja, ich weiß, dass das nicht wirklich schnell genug funktioniert, aber anders geht es in einer Demokratie nicht.

Wir kommen offensichtlich in Teufels Küche, wenn jeder, der mit einer Wertung von Politik und Verwaltung nicht zufrieden ist, ein Recht auf Selbstjustiz damit begründet. Das kann einfach unmöglich gut gehen.

—> Eine präventive Rechtfertigung von Gewalt kann daher unmöglich mit dem staatlichen Gewaltmonopol vereinbart werden.

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In der Laudatio der deutschen Botschafterin in Frankreich, Susanne Wasum-Rainer, in der deutschen Botschaft in Paris werden Beate und Serge Klarsfeld ganz explizit auch wegen der von mir geschilderten Aktionen ausgezeichnet. Ich zitiere nur mal eine dieser Stellen, verlinke aber das gesamte Dokument:

Liebe Beate, Sie haben - gemeinsam mit Ihrem Mann - die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland, Frankreich, weltweit vorangetrieben. Sie haben dabei - immer in der Überzeugung von der moralischen Legitimität Ihres Handelns - auch gesellschaftliche und rechtliche Grenzen überschritten. In Erinnerung bleibt z. B. Ihre spektakuläre Auseinandersetzung mit Bundeskanzler Kiesinger.

Deine Frage, auf die ich geantwortet habe, lautete allerdings nicht, ob gute politische Gewalt straffrei bleiben sollte, sondern ob es ein Beispiel für sie gibt.