Hey, die Diskussion nimmt ja richtig fahrt auf – gefällt mir !
Ich stimme Dir absolut darin zu, dass das Deliktsrecht etwas mit Grundrechten zu tun hat, wie sich ja schon aus § 823 Abs. 1 BGB und den dort enumerierten Schutzgütern (Eigentum, Leben, Gesundheit etc.) ergibt. Mit Deiner Argumentation ließe sich in Zusammenschau mit besagten (grundrechtlichen) Schutzgütern eine Anwendung des deutschen Deliktsrechts aber praktisch für jeden Fall konstruieren – wirklich ubiquitär.
Was die Anreizfunktion angeht, hast Du wohl Recht, dass wir schlicht unterschiedliche Herangehensweisen haben. Mir erscheint es geboten, offene Fragen zu klären, ggf. auch durch ein Gutachten, bevor der rechtliche Vorschlaghammer gezogen wird (polemisch, ich weiß ). Umgekehrt ist es natürlich genauso möglich, bei mangelnder Sachverhaltsaufklärung erst einmal vom Schlimmsten, nämlich keiner Anreizfunktion im Ausland auszugehen und das halte ich tatsächlich auch vielfach bei der juristischen Arbeit für geboten. Mir ist aber nicht ganz klar, ob Du bei der Steuerungswirkung des Schadensersatzes auf die Wirkung oder den Zweck abstellst und wir insofern über dasselbe sprechen; ich für meinen Teil meinte den Zweck. Für die konditionierende Wirkung bin ich ganz bei Dir. Von einem über den Ersatz des erlittenen Schadens hinausgehenden Steuerungszweck kann ich mich aber nicht so recht überzeugen – wenn er auch vertreten werden mag. Warum geben sich deutsche Juristen bei der Schadensberechnung dann so viel Mühe, ja nicht zu viel zu gewähren?
In der von Dir zitierten Rz. 22 des Urteils geht es im Übrigen um das pakistanische Sachrecht und nicht das deutsche; eine Grundlage im deutschen Haftungsrecht wird überdies explizit und – obwohl für nicht anwendbar gehalten – abgelehnt. Ich verstehe daher nicht so recht, inwiefern das Urteil gegen/nicht für die Annahme der Gleichwertigkeit (aus deutscher Sicht) spricht. Ich kann für den Moment nur feststellen, dass hier das deutsche Recht ungenügend war, während ich es für das pakistanische schlicht nicht weiß und dementsprechend eher von einer Ungleichwertigkeit zulasten des deutschen Rechts ausgehen würde. Diese „Lücke“ soll ja nun – im Anwendungsbereich des dt. Rechts – behoben werden. Ein Gebot zur Ausgestaltung als Eingriffsnorm folgt daraus aber noch nicht. Wenn ich also auf das KiK-Urteil Bezug genommen habe, dann wollte ich damit nur sagen, dass das Lieferkettengesetz an diesem Zustand im konkreten Fall nur etwas geändert hätte, wenn man auch das deutsche Verjährungsrecht als Eingriffsnorm begriffe. Das ist nicht nur insgesamt fragwürdig, sondern wäre wohl auch in der KiK-Entscheidung auf richterliche Bedenken gestoßen (vgl. Rz. 31).
Was den Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des anwendbaren Rechts habe ich persönlich keine besondere Präferenz; für vieles werden sich gute Argumente finden lassen. Der europäische Verordnungsgeber hat sich aber nun einmal für eine Ansicht entschieden und lässt davon lediglich eng auszulegende Ausnahmen in Form von Eingriffsnormen zu. Mir liegt insgesamt viel daran, dass man diese Entscheidung im Sinne der Europarechtstreue auch als deutscher Gesetzgeber ernst nimmt.
Im Übrigen bezieht sich Ingmar auf einen unverfälschten Wettbewerb im (gesamten) Binnenmarkt und soweit ich weiß nicht auf Drittstaaten, wenn ein solcher im konkreten Fall auch eine Rolle gespielt haben mag. Mit dem Versuch der Durchsetzung menschenrechtlicher Standards in Drittstaaten nach den Vorstellungen nur eines Mitgliedstaates hat dies wenig zu tun.
Dies führt jedoch geradewegs wieder zu der von mir für vorzugswürdig gehaltenen multilateralen Handhabung, bei der bestenfalls die EU insgesamt zu Vereinbarungen mit den betroffenen Drittstaaten gelangt oder immerhin einheitliche Regelungen schafft und erforderlichenfalls auch die Anküpfungsmerkmale in der Rom II-VO anpasst. Gegen eine solche, vom Verordnungsgeber auch tatsächlich getragenen Entscheidung, hätte ich wenig einzuwenden.
Mit dem forum shopping hast Du vermutlich Recht; das halte ich mit Blick auf das deutsche Recht für nicht besonders tragisch, allerdings nur solange sich das deutsche Schadensrecht darin treu bleibt, nur den tatsächlich nachweisbaren Schaden zu ersetzen.
Bis dann!