Eine Kassenärztliche Vereinigung: Gender-Verbot am Arbeitsplatz

Liebes Lage-Forum,

was klingt, wie die Überschrift einer „links-grün-versifften“ Version der BILD-Zeitung ( :wink: ), ist leider keine stilistische Übertreibung, sondern in meinem Fall Realität. Aber alles der Reihe nach…

Man liest immer wieder von Arbeitgebenden, die sich dafür entscheiden, ihre Arbeitnehmer:innen zu gendergerechter Sprache zu verpflichten und sich damit um die sprachliche Inklusion zu bemühen. Ehrlich gesagt ist das Thema mittlerweile politisch so aufgeladen und so häufig instrumentalisiert worden, dass es müßig ist, darüber zu diskutieren; jedoch finde ich es in diesem Fall notwendig und würde um eure/Ihre Meinung bzw. Einschätzung zu meinem Fall bitten.

Ich arbeite seit mehreren Jahren bei einer der Kassenärztlichen Vereinigungen. Dort haben einige Kolleg:innen und ich uns bisher immer um gendergerechte Sprache bemüht. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit vielen, vielen Mitarbeitenden und sehr starken Frauenquote, haben wir gehofft einen positiven Impuls setzen zu können. Vor kurzem erhielten jedoch alle Mitarbeitenden eine Mitteilung des Vorstandes. Durch einen Beschluss muss mit sofortiger Wirkung auf gendergerechte Sprache verzichtet werden. Das generische Maskulinum soll standardmäßig verwendet werden, selbst auf Doppelnennungen soll bis auf wenige Ausnahmen verzichtet werden. Dieser Beschluss soll sowohl für die externe, aber auch für die interne Kommunikation gelten. Ein Schock für mich und auch viele Kolleg:innen.

Nach vieler Recherche im Internet, ob dieser Beschluss rechtens ist, oder nicht, sind wir allerdings kaum schlauer geworden. Während hunderte Beitrage zu dem Thema verfasst wurden und man ständig von Menschen liest, die sich juristisch gegen den „Zwang zum Gendern“ wehren wollen, ist ein Fall, wie der unsere, eher ein Kuriosum. Deshalb schreibe ich nun hier, um euch/Sie um eure/Ihre Expertise bzw. Einschätzung zu bitten.

Da dies den Rahmen sprengen würde, möchte ich bitten, darauf zu verzichten die Sinnhaftigkeit von gendergerechter Sprache an dieser Stelle zu diskutieren. Stattdessen würde ich mich freuen, wenn wir eher die Einschränkung der Kommunikation durch die Arbeitgeberin zum Mittelpunkt des Diskurses machen würden.

Ich freue mich auf eure/Ihre Sichtweisen und Beiträge.

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Im „Basisregelwerk Bürgernahe und geschlechtergerechte Sprache in der Steuerverwaltung“ ist die Verwendung von Gendergap und Genderstern ebenfalls untersagt.

„In allgemeinen Texten kann die Gleichstellung der Geschlechter sprachlich durch Paarformen,
z. B. Ehefrau und Ehemann, Steuerpflichtige und Steuerpflichtiger, zum Ausdruck gebracht
werden oder durch geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen, z. B. Geschäftsführung statt
Geschäftsführerin oder Geschäftsführer. Oftmals können Personenbezeichnungen auch durch
„wer“ ersetzt werden, z. B. „Wer eine unrichtige Bestätigung ausstellt …“ statt „Der Aussteller
einer unrichtigen Bestätigung …“

„Geschlechtergerechte Formulierungen dürfen sich nicht vom allgemeinen Sprachgebrauch
entfernen, ansonsten könnten sich Lesewiderstände aufbauen. Verwenden Sie daher keine
gesplitteten Personenbezeichnungen, z. B. Mitarbeiter/-in, Mitarbeiter*in oder MitarbeiterIn.
Asterisk („Gender-Stern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder andere verkürzende
Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen. Diese beeinträchtigen die
Verständlichkeit, Vorlesbarkeit und automatische Übersetzbarkeit sowie vielfach auch die
Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten.
Ihre Verwendung widerspricht
auch dem Amtlichen Regelwerk des Rats für deutsche Rechtschreibung. Das Regelwerk ist
verbindlich für den amtlichen Schriftverkehr (vgl. Rundschreiben des Bundesministeriums des
Innern (BMI) und des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) vom 13. September 2006).“

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Danke für deine Antwort!

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass in der externen Kommunikation aufgrund der aktuell, zumindest nach meinem Empfinden, etwas sperrigen Ausgestaltung der gendergerechten Sprache, darauf verzichtet werden soll. Barrierefreiheit bzw. -armut und Verständlichkeit ist vor allem in unserem Fall ein hohes Gut und die patient:innen-orientierteste Lösung sollte Priorität haben.

Für die interne Kommunikation tue ich mich mit dieser Begründung allerdings schwer. Ich bin mir unsicher, ob die Arbeitsplätze bei uns überhaupt geeignet sind für Menschen mit Lese- oder Rechtschreibschwäche, zumindest ist mir so ein Fall aber nicht bekannt. Aus dieser Perspektive spräche daher eigentlich nichts gegen die Verwendung solcher komplexerer, aber dafür mutmaßlich repräsentativerer Formulierungen.

Besonders schwierig finde ich unseren Fall aber vor allem, weil auf von dir angesprochene Passiv- oder Doppelnennungen (Patientinnen und Patienten oder behandlungsbedürftige Personen/Menschen) vollkommen verzichten werden soll. Stattdessen wird das generische Maskulinum sogar noch explizit erwünscht bzw. gefordert. Barrierefreiheit ist dem Anschein nach den Beschließenden zweitrangig, vordergründig soll sprachlich Androzentrismus suggeriert werden.

Ich hätte es für sinnvoll erachtet, in der externen Kommunikation Doppel- oder Passivnennungen zu erlauben, bis die Verständlichkeit beeinträchtigt werden könnte, und intern jedem/-r freizustellen, ob er/sie gendergerechte Sprache verwenden möchte. Falls deine rechtlichen Querverweise auch für andere Bereiche außerhalb der Steuerverwaltung anzuwenden sind - wovon ich als Laie einfach mal ausgehe - finde ich das etwas enttäuschend. Dass sogar die betriebsinterne Kommunikation so stark reglementiert ist und kein Raum für natürlichen Wandel der Sprache eingeräumt wird, finde ich -wenngleich es rechtens sein mag -, fehlgeleitet

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Auch Winfried Kretschmann hat sich inzwischen Gedanken zum Gendern gemacht und ich kann seine Position verstehen und teile sie.

https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2023-01/gendergerechte-sprache-winfried-kretschmann-schulen-gendern

Es kann nicht sein, dass ohne Regelwerk in zahlreichen Medien eine Sprache verwendet wird. Wie sollen Schüler denn das Lesen und Schreiben lernen, wenn die „grammatikalische“ Welt um sie herum macht was sie will?