Ein schönes Thema zum Schluss der Lage: Bundesprogramm Patriotismus

Wir haben ja einige Krisen und Herausforderungen aktuell:

  • Klimakrise
  • Migration
  • Versorgung mit Medikamenten
  • Krankenhausversorgung
  • Kinderbetreuung und Schulen
  • Rentensystem

Ein Problem hab ich dabei völlig übersehen: die Vaterlandsliebe. Gott sei Dank gibt es die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Die hat nämlich jetzt ein „Bundesprogramm Patriotismus“ vorgelegt: Link zum Antrag

Denn wie es der Antrag richtig sagt:

Ein Patriotismus im Geiste unserer Rechts- und Verfassungsordnung, der andere nicht abwertet und ausgrenzt, kann dadurch zum Erhalt und zur Stabilisierung unseres Gemeinwesens beitragen.

Na dann.

#WasDarfSatire

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https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-05/cdu-csu-bundesprogramm-patriotismus

Einen besseren Werbeträger dafür gibt es nicht als Phillip Amthor.

Das kann nur Satire sein. :joy:

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Ich lese Deinen Beitrag so, dass Du den Antrag „Verfassung und Patriotismus als verbindendes Band stärken“ nicht gut findest. Vielleicht wäre es für die Mitforisten dann hilfreich, dass Du erklärst, warum? Gibt es inhaltliche Kritik – am Konzept Patriotismus? Oder der Verfassung? Oder einzelnen Punkten im Antrag, zB der Sichtbarkeit nationaler Symbole? (Siehe aber insoweit auch den Verein „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, der hauptsächlich von SPD-Mitgliedern getragen ist und sich ebenfalls um eine positive Besetzung von Schwarz-Rot-Gold für die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland einsetzt, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V. - Reichsbanner Heute). Oder meinst Du, dass man einen solchen Antrag nicht stellen darf, bis die von Dir benannten Krisen bewältigt sind?

Darüber kann man ja reden, aber es ist vielleicht etwas wenig, den Antrag als Satire abzutun und gar nicht selbst Stellung zu beziehen.

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Also im Kontext vieler Krisen und von der Union selbst geförderten Spaltung der Gesellschaft wirkt dieser Antrag wie eine Anbiederung an AfD Klientel. Außerdem widerspricht er völlig dem Gedanken eines geeinten Europas. Dieser Antrag provoziert ehr eine geschwächte EU mit mehr Kleinstaaterei.

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Da lese ich den Antrag anders. Er fordert unter II.3.i, dass das „Bundesprogramm Patriotismus“ sicherstellt, „dass die Erkenntnis verfängt, dass – entsprechend der Europa- und Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes – der Nationalstaat und der ihm geltende Patriotismus überstaatlichen Verflechtungen des Grundgesetzes und insbesondere der Europäischen Union nicht entgegensteht, sondern gerade deren Fundament bildet“. Die Frage, inwieweit Nationalstaaten Grundlage der europäischen Einigung sind, kann man unterschiedlich sehen und das EU-Motto: In Vielfalt geeint - Das EU-Motto | Europäische Union unterschiedlich lesen. Aber dass der Antrag „völlig dem Gedanken eines geeinten Europas widerspräche“, finde ich dann doch etwas arg.

Ich fände es durchaus lohnend, sich mit weniger Abwehrhaltung auf den Antrag bzw. die Fragen dahinter einzulassen. Gibt es nicht Raum für einen „Patriotismus im Geiste unserer Rechts- und Verfassungsordnung, der andere nicht abwertet und ausgrenzt“? Kann man das Potential des Grundgesetzes zur Identifikationsstiftung nicht auch von linker Seite aktivieren? Vielleicht ja, vielleicht nein. Aber ich fände es schön, wenn die Diskussion mehr auf der inhaltlichen Ebene und weniger reflexhaft verliefe.

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Ich lese den Antrag auch als Teil der Strategie Rechter Parteien in (nicht nur) Europa, auf die Nationalismus-Karte zu setzen, anstatt die wirklichen Probleme anzugehen (wo ich der Liste von @Herbert noch einige Punkte hinzufügen würde, z. B. zunehmende soziale Schere, wachsende Armut, zunahme von Populismus, Verrohung und Verkümmerung des politischen Diskurses etc. pp.). Diese Strategie ist ja leider auch sehr erfolgreich (im SInne von rechten Wahlerfolgen), aber ich würde gerne mal hören, was genau an mehr Nationalismus vroteilhaft ist, insbesondere bezogen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Die Auftreilung in guten Patriotismus (der nur positive Aspekte hat, in dem es keine Ab- oder Ausgrenzung gibt) und bösen Nationalismus (der nur negative Aspekte hat und keine inklusive WIrkung) halte ich für ein theoretisches Konstrukt. Ich kenne keine überzeugenden Kriterien für die Untescheidung zwischen beiden. Alle mir bekannten sozialwissenschaftliche Theorien gehen zudem davon aus, dass eine Wir-Identität immer notwendigerweise mit einer Abgrenzung von „den anderen“ einhergeht. Und, mal ganz praktisch formuliert: Wenn ich wirklich stolz auf die Inhalte unserer Verfassung bin, brauche ich nicht möglichst oft die Farbkombination schwarz-rot-gold oder das Wort „Deutschland“ in der Öffentlichkeit, um das auszudrücken.
Was den Unionsantrag in meinen Augen so lächerlich macht, sind die kleinteiligen Maßnahmen, mit denen „sichergestellt“ werden soll, dass die Bevölkerung nationalistischer wird. Ein Beispiel: Der Antrag konstatiert, dass die meisten Menschen in Deutschland den 3. Oktober vor allem als einen freien Tag ansehen - mir ist das ehrlich gesagt sehr viel lieber, als wenn (wie in anderen Ländern) an diesem Tag ein Mob von (meist alkoholisierten und männlichen) Nationalisten durch Städte läuft und andere Menschen vor ihnen Angst haben müssen. Im Endeffekt weiß die Union selber, dass dieser Antrag nur fürs Protokoll geschrieben wurde - insofern kann man ihn wirklich nur als armselige Anbiederung an Afd-Wähler:innen lesen. Nur wie so oft stellt sich auch hier die Frage: Wenn die mehr Nationalismus wollen , warum sollten sie dann nicht das Original wählen, sondern die billige, lächerliche Kopie?
An dem Punkt, dass EU und Nationalstaaten bzw. Nationalismus kein Widerspruch sind, stimme ich Dir zu. Allerdings würde ich stark bezweifeln, dass mehr Nationalismus zu mehr Weltoffenheit und grenzüberschreitendem Denken führt.

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Du hast Recht, es ist keine Satire. Es ist ernst. Das macht es leider noch schlimmer.

In der CDU/CSU sind viele höchstintelligente Leute, denen komplett klar ist, was die Herausforderungen sind. Es gibt für diese Krisen aber keine Lösungen, die nicht entweder bevormunden (z.B. durch Ordnungsrecht) oder zu Verzicht führen (z.B. durch Steuerveränderung). Beides will die Union nicht und daher ist ihr in 16 Jahren keine Lösung für die Krisen eingefallen.

In den meisten Fällen ist die Kritik der Union an der Regierung zwar verbal überzogen aber inhaltlich richtig, im Sinne:

  • Ja, es ist gerade sehr viel, sehr schnell im Vergleich zu 16 Jahren Merkel.
  • Ja, Ordnungsrecht fühlt sich bevormundent an.
  • Ja, Steuererhöhungen fühlen sich nach Verzicht an.

Es gibt aber keinen anderen Weg außer Ordnungsrecht oder Steuern, um der Krisen her zu werden. Wenn es den gäbe, wären wir ihn schon gegangen.

Den Antrag zum Patriotismus kann ich nur lesen, als den verzweifelten Versuch mal in einem Thema einen konstruktiven Vorschlag zu machen,

  • wo eigentlich keiner dagegen sein kann,
  • wo man die eigene Wählerschaft anspricht und
  • der einfach zu verstehen ist.

Das alles getragen in der naiven Hoffnung, dass man damit den rechtsextremistischen Parteien das Wasser abgräbt. Funktioniert das? Ich denke, in den meisten Fällen wählen die Leute dann lieber das Original.

Es ist eine Nebelkerze und erinnert böse an die Culture Wars in den USA, welche die dortige Bevölkerung so ablenken, dass viele nicht merken, wie sie immer tiefer in die Armut rutschen.

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Johannes Rau in seiner Rede nach der Wahl zum Bundespräsidenten (23.05.1999):

„Ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“

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Danke für das Beispiel. Hättest Du den folgenden Satz meines vorherigen Posts auch noch mitzitiert, würde deutlich werden, dass Raus Rede exemplarisch ist für das, was ich ein „theoretisches Konstrukt“ nenne.

Im besten Fall ist das was Rau beschreibt, ein Kontinuum, aber auch er erklärt nicht, wie eine Aufwertung des Eigenen ohne Abwertung des Anderen funktionieren soll. Bei seiner „Berliner Rede“ im Mai 2000 wurde Rau dann auch etwas konkreter:

Schwer wird das Zusammenleben dort, wo sich manche alteingesessene Deutsche nicht mehr zu Hause fühlen, sondern wie Fremde im eigenen Land.
Im klimatisierten Auto multikulturelle Radioprogramme zu genießen, ist eine Sache. In der U-Bahn oder im Bus umgeben zu sein von Menschen, deren Sprache man nicht versteht, das ist eine ganz andere.
Ich kann Eltern verstehen, die um die Bildungschancen ihrer Kinder fürchten, wenn der Ausländeranteil an der Schule sehr hoch ist. Ich kenne das aus eigener Erfahrung.
Ich kann auch verstehen, wenn überdurchschnittlich hohe Kriminalität junger Ausländer und Aussiedler vielen Menschen Angst macht.
Ich kann verstehen, wenn nicht nur Mädchen und junge Frauen Angst vor Anmache oder Einschüchterung durch Cliquen von ausländischen Jugendlichen haben.

Sich „fremd im eigenen Land“ zu fühlen (was nicht umsonst eine Parole von NPD und AfD war) klingt für mich schon deutlich anders als die „Liebe zum eigenen Vaterland“.

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Ich glaube, er meinte es nicht als relative Aufwertung sondern als absolute Hinwendung. Das sind keine kommunizierenden Röhren. Liebe zum eigenen Land als Bestrebung, es zu verbessern und zwar für sich genommen und nicht in messbarem Abgleich mit anderen. Wobei ihm die anderen Länder schon auch wichtig waren, denn der nächste Satz seiner Rede lautete:

„Wir aber wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, in Europa und in der Welt.“

Meiner Meinung hatte Rau - ebenso wie der aktuelle Unionsantrag - das politische Anliegen, „Patriotismus“ zu stärken - mit allem was dazugehört. Dass dieser nicht ausschließlich positiv definiert ist, sondern dass dazu auch Verständnis für Menschen gehört, die sich schon durch die bloße Anwesenheit von „Fremden“ gestört fühlen (was man m. E. nicht anders lesen kann als eine indirekte Ausgrenzung), hat Rau ja selbst deutlich gemacht.

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Patriotismus kann man nicht verordnen.
Das muss aus der Gesellschaft selbst kommen. Das ist auch verständlich, denn nicht die Politik entscheidet, was deutsch ist oder zu Deutschland gehört, sondern das gelebte Miteinander.

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Gustav Heinemann, zit. n. Hermann Schreiber in Der Spiegel (13.01.1969):

Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!

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In „mit allem was dazugehört“ steckt eine Unterstellung (mögliche negative Seiten habe er auch gewollt), die ich da nicht herauslesen kann. Und Verständnis heißt nicht Akzeptanz - aus seinem Aufruf zu guter Nachbarschaft dürfte folgen, dass es als Ansatzpunkt gesehen wird, solche Ängste anzugehen und den Staat zu verbessern, indem sie gerade überwunden statt hingenommen werden. Gute Nachbarschaft baut keine Mauern. Die Schaffung einer multikulturellen Gesellschaft kann einen Staat schließlich zukunftsfest machen und damit gerade auch als ein patriotisches Gebot gesehen werden…

Ich unterstelle nichts - ich beobachte nur, dass Rau in seiner Rede Verständnis für nationalistische und rassistische Positionen formuliert und das im Kontext seiner Thematisierung von Patriotismus. Natürlich ist Verständnis nicht dasselbe wie Akzeptanz. Aber ich kann in dieser Rede keine grundsätzliche Kritik an diesen Positionen finden - und auch keine Solidarisierung mit denjenigen, die nationalistisch und rassitisch ausgegrenzt werden. Und daher gehört die „indirekte Ausgrenzung“ wie ich es genannt habe, zu den Folgen des Patriotismus, die Rau mit seinem Plädoyer bewusst in Kauf nimmt.

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Während man dem historischen Patriotismus des 18. Jahrhunderts wahrscheinlich noch die eine oder andere positive Leistung in Rechnung stellen kann, tendiert Patriotismsu tatsächlich immer schon dazu, neben Kohäsionen auch Ausschlüsse zu produzieren. Genau diese Überlegung der Vergeblichkeit patriotischen Verhaltens, wenn man nicht zum „Wir“ gehört, liegt z.B. Theodor Herzls Judenstaat zugrunde:

Wir haben überall ehrlich versucht, in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen und nur den Glauben unserer Väter zu bewahren. Man lässt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwängliche Patrioten, vergebens bringen wir dieselben Opfer an Gut und Blut wie unsere Mitbürger, vergebens bemühen wir uns den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichthum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unseren Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge ausgeschrieen; oft von Solchen, deren Geschlechter noch nicht im Lande waren, als unsere Väter da schon seufzten. Wer der Fremde im Lande ist, das kann die Mehrheit entscheiden; es ist eine Machtfrage, wie Alles im Völkerverkehre. […] Im jetzigen Zustande der Welt und wohl noch in unabsehbarer Zeit geht Macht vor Recht. Wir sind also vergebens überall brave Patrioten, wie es die Hugenotten waren, die man zu wandern zwang.

Der Antrag wirkt außerdem ziemlich hilflos im Hinblick darauf, wie eine so emotionale Einstellung wie die „Liebe zum Vaterland“ mit einem so trockenen Gegenstand wie einem "Grundgesetz"vermittelt werden soll. Ein freier Tag im Jahr, eine Rede des Kanzlers, ein Bürgerfest - schön und gut. Aber wenn man die wenigen Kandidaten anschaut, die für so eine emotionale Vermittlungsleistung in Frage kommen, dann gerät man schon ins Schaudern: Das Singen der Nationalhymne als Pflege des „deutschen Liedguts“ und „Gelöbnisse und Appelle“ der Bundeswehr bei öffentlichen Anlässen. Dazu der Bundestag als „parlamentarisches Zentrum patriotischer Selbstvergewisserung“ durch „Portraits bedeutender Parlamentarier und durch Bilder der deutschen
Nationalgeschichte auf den Fluren des Reichstagsgebäudes“.

Der von mir und der von dir zitierte Text sind zwei verschiedene Reden, also nicht „im Kontext“. Und der von dir zitierte Text formuliert keine solchen Positionen.

Dass es um zwei verschiedene Reden geht, ist mir wohl bewusst und ich habe das auch so benannt. Auch Raus „Berliner Rede“ von 2000 thematisiert m. E. Patriotismus, daher der „Kontext“. Es mag sein, dass die von mir daraus zitierten Passagen aus Deiner Sicht kein Verständnis für nationalistische und rassistische Positionen formulieren - dann interpretieren wir denselben Text offensichtlich unterschiedlich.