Ein Gedanke zu den Ausgangssperren

Hallo Zusammen,

etwas, dass mir beim Gedanken zu den geplanten Ausgangssperren seit einigen Tagen durch den Kopf geht: Vielleicht ist das einfach nur die Karotte, die man dem Bundestag vor die Nase hält und am Ende überlässt, um das Gesetz nicht ganz zu verlieren?

Das dieser Teil vom BVerfG kassiert wird, noch bevor die Tinte aus Steinmeiers Füller trocken ist, dürfte den Leuten im Bundeskanzleramt klar sein. Gleichzeitig muss man der Opposition (allen voran Christian Lindner) einen kleinen Sieg lassen, damit sie eine Trophäe haben die sie ihren Wählern präsentieren können.

Was denkt ihr?

BG/Stephan.

Ich halte das inzwischen auch für möglich, also ein Kalkül, dass sagt: es wird ein paar Wochen dauern, bis die Ausgangssperre von Karlsruhe kassiert wird und bis dahin hat sie hoffentlich was gebracht. Aber was ist das bitte für eine erbärmlicher Umgang mit der Verfassung? Und was für ein grottenschlechter Politikstil ist das, wenn ich es nicht einmal für eine „Notbremse“ schaffe, zumindest 2 der 4 Oppositionsparteien mit ins Boot zu holen und auf jegliche verfassungsrechtliche Bedenken pfeife?

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Das Thema der nächtlichen Ausgangsbeschränkungen (was es ja technisches nichts anderes ist, denn begrifflich und rechtstechnisch sind Ausgangssperren etwas anderes) wird in der juristischen Literatur sehr unterschiedlich bewertet - auch in der Rechtsprechung. Während der BayVGH diese für rechtmäßig erachtet, da sie einen Anteil zur Pandemiebekämpfung ausmachen, sieht das OVG Niedersachsen dies (wie in der Lage erläutert) anders. In diesen zwei Polen bewegen sich auch die Stimmen der juristischen Literatur. Voraussetzung ist für eine solche juristische Bewertung zuerst einmal die Erkenntnis der Wissenschaft zu solchen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Auch hierzu hat die aktuelle Lage etwas dazu gesagt.

Spannend war gestern die öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses zum Vierten Bevölkerungsschutzgesetz (hier zum Nachhören bzw. Nachsehen - evtl. muss noch bei der Auswahl „Anhörung“ ausgewählt werden): Die Kritik an v.a. nächtliche Ausgangsbeschränkungen bezog sich v.a. auf die „triftigen Gründe“ und was sind diese. Von der Mehrheit der juristischen Experten wurde u.a. gefordert, Bewegung an der frischen Luft (bspw. Radeln oder Joggen) dort aufzunehmen. Dies erfordert natürlich auch eine effektive Kontrolle. Auch die meisten Infektiologen sagen, dass in der Nacht von einsamen Menschen keine Infektionsgefahr ausgeht.

Grds. sind die Erwägungen des OVG Niedersachen sehr richtig. Eine nächtliche Ausgangsbeschränkung ergibt juristischen wie wahrscheinlich infektiologischen Sinn, wenn dies als ultima ratio angesehen wird, wenn alle anderen Maßnahmen als Paket nicht zur Eindämmung der Pandemie effektiv beitragen. Dazu gehört es eben auch diese Ver- und Gebote effektiv zu kontrollieren oder die komplette Gesellschaft an den Lasten der Pandemie beteiligen (bspw. durch eine richtige Homeoffice-Pflicht). So lange dies nicht geschieht, müssen erst diese Möglichkeiten ausgeschöpft werden, bevor diese ultima ratio-Maßnahme angewendet wird.

Der Freistaat Bayern ist am Anfang einen anderen Weg gegangen. So wurde auch tagsüber eine Ausgangsbeschränkung eingeführt. Das klingt nun härter als es war. So war der Aufenthalt im Freien nur gestattet, wenn ein triftiger Grund vorlag. Diese waren neben den schon bekannten aus der aktuellen Lage auch bspw. Besorgungen, Bewegung an der frischen Luft (Radeln, Spazieren, Joggen etc.) sowie andere sozial-gewichtige Gründe. Dies war dann aber auch für 24/7 vorgesehen. Dieser „bayerische“ Weg könnte in meinen Augen auch generell ein Konzept für eine „Bundesnotbremse“ sein. So werden soziale Aspekte beachtet, aber es ist auch ein bußgeldbewährtes Gebot, das auch Kontakte verringert. Eben auch hier wieder, sofern diese Einhaltung kontrolliert wird.

Zusammenfassend muss ganz klar sagen, nächtliche Ausgangsbeschränkungen sind nicht per se verfassungswidrig. Es kommt, wie immer, auf die Ausgestaltung an. Ich bin mir aber sicher, dass die nun im Raum stehende Ausgestaltung den Bundestag nicht so verlässt, wie sie dort eingegangen ist. So haben schon die Union- und SPD-Fraktion Änderungsbedarf angemeldet.

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Bei dieser Ausgestaltung bleibt halt ein bisschen die Frage, was dann übrig bleibt, vor allen Dingen im Vergleich wenn das Treffen mit Personen anderer Haushalte in der Öffentlichkeit schon untersagt ist.
Das einzige (roughly speaking) was ich dann nicht machen darf, ist mich mit einem Buch in den Park zu setzten, alles andere ist entweder eh schon verboten (weil mit anderen Haushalten) oder erlaubt (weil spazieren).
Ob das den Kohl fett macht - sowohl von der direkten Infektiösität als auch vom psychologischen Effekt - wage ich zu bezweifeln.

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Ich habe in diesem Thema etwas Kritik an die Lage, die meiner Ansicht nach etwas zu scharf über die geplanten Ausgangssperren geurteilt hat.
Erstens: Ein Punkt, der mir komplett gefehlt hat, war, dass Ausgangssperren einfach im Vergleich zu anderen Maßnahmen leichter zu überprüfen sind. Ihr meintet dann in der Lage „Man sollte zuerst mal richtig überprüfen, dass die Leute sich an die Regeln für Treffen in Innenräumen halten, bevor man so drastische Maßnahmen einsetzt“. Aber wie soll man das denn überprüfen? Soll die Polizei von Haus zu Haus gehen, und nachfragen, ob gerade mehr Leute außer der Haushalt drin ist? Das gute an Ausgangssperren sind eben, dass es sehr leicht zu überprüfen ist, ob sich alle daran halten. Die wenigen vereinzelten Personen, die noch draußen unterwegs sind, kann die Polizei gut befragen. Bitte versteht mich nicht falsch, das rechtfertigt immer noch nicht, dass es keine home office Pflicht gibt, aber Ausgangssperren, aber es gibt schon gewisse Vorteile dieser Idee im Vergleich zu anderen.

Zweitens, und daran anschließend: In Bezug auf die Ausnahmeregeln bei der Ausgangssperre habt ihr argumentiert, dass „triftige Gründe“ zu viele Optionen offen lässt. Aber es gibt nun mal sehr viele individuelle Probleme, bei denen Ausnahmen Sinn machen. Wenn ich meine Oma ins Krankenhaus bringen will, dann sollte ich das tun dürfen. Nun könnte man vielleicht alles rechtlich fixieren und versuchen, alle möglichen Gründe abzudecken, aber für mich macht es schon mehr Sinn, das allgemein zu formulieren. In Bayern gab es ja schon einige Zeit Ausgangssperren, und dort sind die Leute nicht in Scharen auf die Straßen und haben behauptet, sie hätten triftige Gründe. Das Signal ist klar, und eine große Mehrheit der Menschen hält sich dann auch daran, und das ist ja das einzige Ziel der Regel.

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Naja, das war jetzt von mir auch ein bisschen zu einfach dargestellt. Die Bewegung an der freien Luft war schon auf im Rahmen der geltenden Kontaktbeschränkungen zulässig. Am Anfang gab es in jedem Bundesland (auch in Bayern) sehr restriktive Auslegungen - wie Ihr Beispiel mit dem Buch. Allerdings wurde dies mittels liberaler Auslegung geändert. Auch musste der Grund den Beamten glaubhaft gemacht werden, also es muss schon stichhaltig sein.

Diesen Weg einer Ausgangsbeschränkung wie in Bayern bis ca. Januar ist um Wesentlichen verhältnismäßiger wie die „Formulierungshilfe“ der Bundesregierung. Hinzu muss eben auch eine effektive Kontrolle, evtl. sollte neben dem kommunalen Ordnungsamt, der Parkraumüberwachung, den Polizeibeamten, „Fahrscheinkontrolleure“ auch die (in manchen Bundesländern vorhandene und ehrenamtliche) Sicherheitswacht mit ins Boot holen, um die Regeln durchzusetzen.

PS: in Bayern kam eine nächtliche Ausgangsbeschränkung hinzu.