Ehrliche Debatte bei Corona

Hallo zusammen,

bei fast allen Themen bin ich begeistert von der Lage. Beim Thema Corona muss ich leider zunehmend feststellen, dass eine ehrliche Debatte bei euch nicht (mehr) wirklich erfolgt. Man hat vielfach leider gar nicht das Gefühl, dass überhaupt der Wunsch bei euch da ist, alternative Standpunkte und Argumentationen nachvollziehen zu wollen.
Ich empfehle die Analysen (nicht geschwurbelt!) von Jens Berger auf den Nachdenkseiten (zuletzt z.B. hier) Derartige Inhalte, Fragestellungen und auch Kritik an den aktuellen Maßnahmen drängen sich doch geradezu auf. Leider wird extrem schnell lieber diffamiert, anstatt eine Debatte zu führen.
P.S. Ich bin geimpft.

Ich kann die Analyse nicht empfehlen. Sie ist in einigen Punkte fehlerhaft. Ich hab nur kurz überflogen, aber hier mal ein paar Beispiele, die einen nach wenigen Sekunden schon auffallen: Beh.: „Inzidenz – ein vollkommen ungeeigneter Schwellenwert für die Corona-Maßnahmen“.
Seine Punkte sind zwar nicht falsch, aber nicht ausreichend. Jeder Virologe wird dir sagen: Inzidenzen sind das beste Frühwarnsystem, dass wir haben. Wenn wir uns nach den Intensivpatienten richten, dann kommt jede Maßnahme zu spät. Von Maßnahme bis Wirkung auf die Intensivstationen vergehen locker 3 Wochen. Der Inzidenzwert ist ist allerdings mit den Intensivbetten gekoppelt. Der Proportionalitätsfaktor ist über die Zeit nicht konstant und hängt von einigen Faktoren ab, aber eignet sich, um kurze Prognosen (<1 Monat in die Zukunft). Daher ist er als Frühwarnsystem wichtig.

In Erkrankung – gerade im Kontext mit „Impfdurchbrüchen“ eine große Unbekannte wird vollkommen die Ansteckung durch geimpfte ignoriert. Geimpfte stecken deutlich seltener andere Personen an. Das ist hochgradig wichtig weil dadurch Infektionsketten durch Geimpfte unterbrochen werden.

Sterbefälle – wann ist man an Corona gestorben? Diese Frage stellt man sich bei Grippe auch nicht. Fun fact normalerweise stirbt man nicht an Grippe, sondern mit Grippe. Durch die Grippe wird das Immunsystem der Lunge geschwächte und es kommt mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Pneumokokkeninfektion. Die hat dann eine Pneumonie zur folge und nicht die Grippe. (Es gibt auch Grippeviren die eine Pneumonie selber hervorrufen, zb.: Schweine-Grippe). In der Regel stirbt man nicht aus einem einzigen Grund, es sind viele Faktoren die zusammenspielen, bei jedem tot.
Dafür gibt es dann die Übersterblichkeit. Und die Korreliert eindeutig stark mit Corona, weltweit.

Intensivbettenauslastung – kein Grund zur Panik
Das zeigt, dass er keine Ahnung von simpler Mathematik hat. Aber naja, ich habe festgestellt, dass selbst Menschen die es eigentlich wissen müssten, exponential-Funktionen falsch einschätzen. Der Zusammenhang ist nicht linear und 10% Auslastung heißt nicht, dass man noch 10x so lange Zeit hat. Im Ernstfall kann das ein unterschied von wenigen Wochen sein. Die exp.-Funktion steigt immer erst langsam und dann immer schneller (bei f(x)=a^x mit a>1). Jede Exponentialfunktion mit einem Exponenten > 1 verhält sich gleich. Ich glaube Prof. Weitz von HAW-Hamburg hat dazu ein Video gemacht.

Übersterblichkeit und der verbotene Grippevergleich
Zeigt wiedermal, wer auch immer hier nachdenkt hört nach kurzer Zeit auf. Traue keiner Statistik die du nicht versteht oder selbst gefälscht hast. Schaut man sich die Übersterblichkeit in den kommulierten Fällen an, dann wird z.B. selbst die schwere Grippe 2018 von Corona in den Schatten gestellt. Nicht zu vergessen, dass aufgrund der Maßnahmen die Coronainfektionen in DE extrem gering waren. Ohne Infektionen auch keine Coronatoten, und dann auch keine große Übersterblichkeit. Eigentlich ein No-Brainer.

Impfquote – Spaltung der Gesellschaft aus Basis unvollständiger Daten
Auch dieses Kapitel zeigt wenig Sachverstand. Die benötigte Impfqoute berechenet sich aus R_0, simple Mathematik. R_0 gibt an, wie viele Personen ein Infizierter bei normalen Verhalten ansteckt. Wenn für diese Personen gilt, dass alle außer 1 immun sind (genesen, infiziert oder geimpft), dann hält die Krankheit ihre Infektionszahl konstant. Da sich Leute anstecken und sich die Zahl der infizierten/genesen erhöht sinkt also, ab diesem Zeitpunkt die Anzahl der Infektionen ab.
Wenn ich also R_0-1 immune Personen haben muss, damit die Pandemie nicht mehr schlimmer werden kann, wieviel müssen dann geimpft sein? Richtig (R_0-1)/(R_0) = 1-1/R_0 Anteilig. Bei R_0=3 wie bei der Corona-Ursprungsvariante sind das 66%. Leider ist Corona sehr Mutationsfreudig und ist stark mutiert. Alpha und Delta sind wesentlich ansteckender. Daher brauchen wir auch einen höhere Impfquote als 66%. Simple Mathematik, wie man das durch nachdenken nicht sehen kann, ist mir schleierhaft. Die Politik trifft hier keine Schuld. Selbst die Wissenschaftler sind überrascht wie stark und schnell das Coronavirus mutiert ist.

Falls du wirklich ordentliche Fakten zu Corona haben möchtest empfehle ich die den NDR-Potcast „Das Coronavirus-Update“ mit Drosten. Dort wird sehr sehr ausführlich alles besprochen und alle Informationen beleuchtet. Die guten, wie die schlechten.

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Ich weiß nicht, inwieweit es noch sinnvoll ist, diese Debatte jetzt immer noch zu führen. Meinem Gefühl nach sind die „Fronten“ (so man sie denn identifizieren kann) seit über einem Jahr dieselben und keiner ändert mehr zu dem Thema substantiell seine Meinung.

Zudem gehen wir, laut Drosten, gerade auf die „lange Zielgerade“ zu und als geimpfter Mensch, besonders ohne Kinder, ist man aktuell ohnehin wenig eingeschränkt - selbst bei sich verschlechternder Lage rechne ich damit, dass man dank 2 oder 3G-Regelungen nicht mehr großartig Nachteile zu erleiden haben wird. Will heißen - für viele Menschen (mich inklusive) ist dieses Thema langsam etwas lästig, da es zu viel unnötigem Streit führt und man jetzt eigentlich persönlich, wenn man geimpft ist, nicht mehr so viel bewirken kann.

Man kann sich aber vielleicht mal fragen, auf welche Art und Weise man sich „Wissen“ über eine komplexe Faktenlage verschaffen will.

Der Blog, den du verlinkst, kommt mit einigen Argumenten daher, die sicher auf den ersten Blick plausibel scheinen. Nun gibt es aber für vermutlich alle dieser Argumente auch ebenso plausible Gegenargumente, bzw. würde ich mich wundern, wenn die nicht alle schon im Drosten-Podcast aufgegriffen worden wären (bei einigen ist das auf jeden Fall der Fall).

Es stellt sich die Frage, ob es jetzt wirklich sein muss, dass absolute Laien ohne fundierte Faktenkenntnisse Argumente nach Plausibilität überprüfen sollen, oder ob wir nicht doch ein bisschen Grundvertrauen in wissenschaftliche Einrichtungen haben sollten und in die Sauberkeit ihrer Arbeitsweise. Ich kann natürlich beim besten Willen nicht aus eigener Forschung ausschließen, dass der Impfstoff uns allen einen Chip einpflanzt, genau so wenig wie ich jemals selber gesehen habe, dass die Welt keine Scheibe ist, oder ich nicht ausschließen kann, dass Autos spontan explodieren, wenn man den Motor startet.

Beispielsweise ist mir nicht klar, wieso ich weder der DIVI noch befreundeten Krankenpflegern glauben soll, wenn sie von der Situation auf den Intensivstationen berichten, aber stattdessen irgendeinem Blogpost.

Am Ende ist das finde ich überhaupt keine Diskussion mehr über ein Virus, sondern eine über Vertrauen, und hier muss man feststellen, dass es eine ganze Reihe an Menschen gibt, die - vielleicht sogar aus nachvollziehbaren Gründen - extrem wenig Vertrauen in Medien, öffentliche Einrichtungen etc. haben. Auf so einer Grundlage ist es aber extrem schwer, noch irgendeine funktionierende Gemeinschaft zu haben.

Allen Leuten, die also wirklich denken, dass in dieser Pandemie der gesamten Gesellschaft (noch dazu in fast allen Ländern dieser Welt) ein riesiger Bär aufgebunden wurde, würde ich mal nahelegen, sich zu fragen, wie denn RKI, Charité, DIVI, Helmholtz-Institut, Leopoldina, usw. noch hätten auftreten sollen, damit man ihnen Glauben schenkt, oder ob es am Ende einfach darum geht, dass man nicht glaubt, weil man nicht glauben will.

(NB: Es geht hier nicht drum, die konkrete Corona-Politik bis ins letzte zu verteidigen. Welche konkreten Maßnahmen getroffen werden, war schon immer eine politische Abwägung und hier wurden auf alle Fälle auch Fehler gemacht.)

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Mir fehlt auch eine ehrliche Debatte darüber. Ich befasse mich viel mit den Zahlen die veröffentlicht werden und ich verstehe die Reaktionen der Politik darauf nicht, zumal sie wiedersprüchlich sind. Beispiel: Tests, die ab mitte Oktober Geld kosten sollen. Damit wird auf ein Mittel zur Feststellung de Infektionsausbreitung einfach verzichtet. Epidemiologisch ist das nicht nachvollziehbar.
Beispiel Genesen. Warum gilt dieser Status nur 6 Monate und warum soll man sich dann Impfen lassen? Der Schutz vor Delta kann es kaum sein, wenn man sich erst in den letzten Wochen infiziert hat.
Ich bin auch nicht der Meinung das Impfen solidarisch ist und eine weitere Verschärfung der Regeln notwendig ist.

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