Ausgangspunkt war folgender, sehr interessanter Beitrag von @kaigallup aus einem anderen Thread, in dem ein (angeblicher?) Arzt erhebliche Zweifel an mRNA- und Vektorimpfstoffen äußert und sich für die Forcierung bei der (mutmaßlich eigentlich nicht möglichen) Entwicklung von althergebrachtem Totimpfstoff ausspricht: Daraus entwickelt sich eine mehr oder weniger hitzige Diskussion, die @kaigallup zum Anlass für folgende Gedanken nimmt:
Mir geht es hier nicht um die Impf-Frage. Dazu verweise ich u.a. auf den o.g. Thread. Mir geht es um die Diskussionskultur. Ich empfinde ähnlich wie @kaigallup: Die Qualität der Diskussionskultur auch in Deutschland nähert - zumindest bei einigen Themen: Corona, Klimakatastrophe, nur um zwei zu nennen - sich bedenklich der Qualität im „Trump-Land“ oder im „Brexit-Land“. Ähnliches kann man u.a. in Polen oder Frankreich beobachten.
Auch wenn ich selbst ein Freund klarer Worte bin, würde ich persönlich eine Ergebnis-orientierte Diskussionskultur bevorzugen, in der es darum geht, am Ende den anderen von seiner Position zu überzeugen oder am Ende mit einem „wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind“ friedlich auseinander zu gehen. Dazu ist ein sicherlich verständnisvoller, emphatischer Ansatz, wie in @kaigallup mit b) beschreibt, sicherlich hilfreicher.
Aber in der Umsetzung fällt mir das immer dann schwer, wenn man sich über die Faktenlage uneins ist: Man kann über Meinungen gern und viel streiten, nicht aber über Fakten. Und ich treffe immer mehr Menschen, die - angefeuert von Medien mit einer klaren Agenda oder kommerziellen Interessen, wie z.B. die BILD oder die Welt oder von „den sozialen Medien“ - falsche Informationen und „Fakten“ völlig unreflektiert und kritiklos als Grundlage ihrer Einschätzungen übernehmen und dann mehr oder weniger bewusst allerlei Argumentationsmuster (u.a. PLURV) verwenden, um ihre „Faktenlage“ zu verteidigen und die wahre Faktenlage zu erschüttern.
Mir will es in solchen Fällen einfach nicht gelingen, die Contenance zu waren und die Empathie aufzubringen, um mit Respekt und Verständnis für eine solche Position zu reagieren. Ich weiß, Respekt müsste ich doch mindestens aufbringen.
Aber ich kann einfach kein Verständnis und auch keine Toleranz mehr aufbringen für Menschen, die den menschengemachten Klimawandel oder die Gefährlichkeit der Corona-Pandemie heute immer noch anzweifeln. Ich kann kein Verständnis aufbringen, für Wahlkampftaktiken, die den Gegner herabwürdigen, anstatt den Wähler von der eigenen Position zu überzeugen. Ich kann kein Verständnis aufbringen für Politiker, die jetzt ein „Erneuerbaren-Energie-Turbo“ ankündigen - die gleiche, die während der den letzten 16 Jahren alles in Bewegung gesetzt haben, um erneuerbare Energien zu verhindern. Und ich kann auch wenig Respekt aufbringen für Menschen, die intellektuell und material durchaus dazu in der Lage wären aber zu träge, zu faul sind (oder Angst vor den Konsequenzen haben), um sich hinreichend über die Fakten zu informieren. Ich kann kein Verständnis für (u.a. die o.g.) Medien aufbringen, die der Verbreitung von Fake News aktiv Vorschub leisten. Ich habe einfach nicht die Kraft, hier Verständnis und Respekt aufzubringen und mir fehlt die Zuversicht, dass man in solchen Fällen überhaupt etwas ausrichten kann.
Dabei habe ich ja die Hypothese, dass viele, die ihre Position auf „falschen Fakten“ aufbauen, dies aus einer für sie unerträglichen Überforderung mit der Realität tun. Sie ertragen die mit der schier unendlich erscheinenden Komplexität einhergehenden scheinbare Ausweglosigkeit der Klimakrise / Pandemie / [you name it] nicht. Und die „falschen Fakten“ - bis hin zu Verschwörungsmythos - bieten scheinbar eine einfache Erklärung und eine einfache Lösung für die undurchdringliche Komplexität. Das mag psychologisch und menschlich verständlich sein. Aber mir fehlt die Kraft, dem mit Verständnis und Respekt zu begegnen.
Und so werde ich immer wieder Teil der Polarisierung! Das kann und will ich nicht, weil ich eine Gesellschaft wie in USA, UK etc. hier auf gar keinen Fall haben möchte.