Direktkandidaturen, Wahlkreise und Hans-Georg Maaßen

Hallo zusammen,

ihr habt ja sicher auch hiervon gelesen:
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-04/hans-georg-maassen-bundestagswahl-cdu-thueringen-kandidatur-verfassungsschutz

Fassungslosigkeit bei Seite: Herr Maaßen ist ja nun kein Thüringer und hat lt. Wikipedia eine Kanzlei in Mönchengladbach (was ja doch recht weit von Thüringen entfernt ist.
Auch wenn sich das als schlechter April-Scherz entpuppen sollte, würde mich interessieren, wie die Verbindung von Wahlkreis und seinem Abgeordneten gedacht ist. Ein regionaler Bezug wäre ja praktisch. Gibt es dazu irgendwelche Regularien oder Traditionen?

Grüße & Frohe Ostern

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Nun ist es tatsächlich amtlich: ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl. (Kommentar von Ferdinand Otto).

Die Wahlkreisabgeordneten, 299 an der Zahl, sollen die Interessen vor Ort in die Arbeit des Bundestags einbringen und das Regionale besonders repräsentieren. Daher sollen sie auch regelmäßig dort präsent sein und als Ansprechpartner/in fungieren (i. d. R. über ein Wahlkreisbüro, was entsprechend über die Diäten auch abgedeckt ist).
Das genaue Prozerede der Wahl ist nicht so ganz einfach. Oft wird man auf einer Versammlung der Partei nach Wahl bestimmt. Die Grundlagen sind jedenfalls im Bundeswahlgesetz sowie in der Bundeswahlordnung geregelt. Ein regionaler Bezug wäre in der Tat praktisch oder hilfreich, ist aber nicht zwingend. Man muss ja kein Thüringer sein (was hieße das dann genau bzw. wie ließe sich das bestimmen?), um thüringische Interessen vertreten zu können. Nicht selten stellen Parteien Kandidaten/-innen für einen bestimmten WK auf, von dem sie wissen, dass dieser sicher gewonnen wird. Beispielsweise war Armin Schuster (CDU), mittlerweile Präsident des BBK, jahrelang WK-Abgeordneter im Raum Lörrach, obwohl ich bei ihm keinen Bezug zu BaWü (höchstens/mutmaßlich privat) erkennen kann. Kurz: Auch wenn ich in Flensburg lebe, könnte ich versuchen, ein Direktmandat in Rosenheim zu erringen – z. B., weil mein Kreis- oder Landesverband in SH nicht gut auf mich zu sprechen ist und mich gar nicht erst aufstellen will.

Auf politischer Ebene wird eher interessant, was es mit den Ost-Landesverbänden der CDU machen wird. Da sehe ich eher blau statt schwarz, v. a. auch für die anstehende LTW in Sachsen-Anhalt. Ob Maaßen selbst regelmäßig in seinem zukünftigen Wahlkreis auch entsprechend präsent/vor Ort sein wird, wird sich zeigen, aber das wird medial sicherlich ausführlich begleitet werden.

Etwas ähnlich Interessantes wird es in diesem Jahr im WK 61: Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II geben: Dort treten Scholz und Baerbock als Direktkandidat/in für SPD bzw. Die Grünen an. Mal abwarten, was die Brandenburger SPD macht, aber eigentlich und konsequenterweise müsste sie Scholz auf die Landesliste setzen.

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Hmja, erstmal danke für die Infos. Nach allem, was ich so höre und lese, könnte das für die thüringer CDU ziemlich nach hinten los gehen: Der Knick in den Umfragen nach der Kemmerich-Wahl zeigt ja schon, was die Wähler von so allgemein von AFD-Nähe (die man bei Herrn Maaßen ja durchaus so sehen kann) halten.
Die CDU-internen Diskussionen spielen dann ja auch wieder anderen in die Hände – und die „scharfe Abgrenzung“ von der AFD wird zumindest interessant und mit Sicherheit gut diskutiert.
Ich glaube langsam, dass die den Wahlkampf eher für die anderen Parteien machen.

Prinzipiell kann in Deutschland jeder Wahlberechtigte überall im Wahlgebiet kandidieren. (Natürlich nur jeweils in einem Wahlkreis und auf einer Landesliste.) Dass Maaßen in Thüringen kandidiert und nicht in NRW liegt also vermutlich daran, dass ihn die CDU in NRW nirgendwo aufgestellt hätte. Im Osten kommt jemand mit AfD-Nähe allerdings wohl besser an.

Dieses Wahlsystem mit „Erststimme“ für den Wahlkreis ist sowieso völlig aus der Zeit gefallen. In den 50er und 60er Jahren, als eine Zugfahrt nach Bonn um einen Abgeordneten zu treffen 1 ½ Tage (einfache Fahrt) gedauert hat, und Telefongespräche außerhalb des Ortsnetzes ein Vermögen gekostet haben, war das sicherlich sinnvoll, flächendeckend überall mindestens ein Abgeordnetenbüro zur Verfügung zu stellen. Und da die zwei Volksparteien zusammen von bis zu 90% gewählt wurden, hat der örtliche Abgeordnete dann auch in der Regel die Mehrheit der Einwohner vertreten.

Mittlerweile ist es aber nur noch ein Werkzeug für große Parteien, „wichtige“ Politiker mit sicheren Mandaten zu versorgen und der Wahlbevölkerung ein geringeres Maß an echter Auswahl zur Verfügung zu stellen.

Was leider auch daran liegt, dass den allermeisten Wählern gar nicht bewusst ist, was sie mit ihrer Erststimme überhaupt bewirken. Klar wissen sie, dass sie damit den Wahlkreiskandidaten wählen, aber effektiv tritt der ja gar nicht gegen die Kandidaten der anderen Parteien an, sondern gegen die eigenen Parteikollegen auf der Landesliste.

Besonders absurd wird es, wenn ein Wahlkreiskandidat gleichzeitig oben auf der Landesliste steht, dann ist es nämlich völlig egal, ob man ihn wählt. Er ist dann bloß eine Gegenstimme gegen einen Wahlkreiskandidaten und für einen Listenkandidaten einer ganz anderen Partei.

Von der Logik her könnten also viele AfD-Wähler in Südthüringen mit der Erststimme Maaßen wählen, während alle mit Maaßen nicht so glücklichen CDUler dort ihrer Partei dadurch nützen würden, indem sie seinem größten Konkurrenten vor Ort ihre Stimme geben, was absurderweise sogar der AfD-Kandidat sein könnte!

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Es ist eben doch ein bisschen komplizierter, da man z. B. für eine Kandidatur, sofern man nicht für eine Parlamentspartei kandidiert, zunächst Unterstützungsunterschriften benötigt, i. d R. 2000 (auch bei Europawahlen).

Und? Natürlich sollten Leute, die zu Wahlen kandidieren, erstmal eine minimale Ernsthaftigkeit und Wählerbasis nachweisen, ansonsten haben wir bei der nächsten Wahl einen 10km langen Wahlzettel mit irgendwelchen Kegelclubs, Tanzgruppen und Internettrollen darauf, die die Bundestagswahl für eine Lotterie halten, bei der vierjährige bedingungslose Grundeinkommen verlost werden.

Für eine Wahlkreiskandidatur benötigt man übrigens 200 und keine 2000 Unterschriften. Wer die nicht auftreiben kann, hat sowieso keine Chance die meisten Stimmen zu bekommen.

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Ja, ich hatte das mit der Landesliste verwechselt: Unterstützungsunterschriften - Der Bundeswahlleiter
Anonsten Zustimmung.

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