Liebes Lage-Team,
ihr habt jetzt schon mehrfach eure Idee von einem sog. digitalen Gewaltschutzgesetz vorgestellt. Demnach sollen insb. (amerikanische) Konzerne wie Facebook nicht selbst über die Sperrung von Konten etc. entscheiden dürfen, sondern sich dies von den Gerichten genehmigen lassen.
Ich halte dies allerdings für keine Idee, da es meiner bisherigen Erfahrung nach die Gericht massiv überfordern würde:
Zunächst dürfte zumindest Juristinnen und Juristen die angespannte Personallage bei den Gerichten bekannt sein. Ulf berichtet davon ja auch manchmal aus seiner Zeit bei der Berliner Justiz.
Das von euch vorgeschlagene Gesetz zum „digitalen Gewaltschutz“ würde m.E. zu einer (weiteren) Flut an Verfahren bei den Gerichten führen (vermutlich zunächst bei den Amtsgerichten, dann aber auch in der zweiten Instanz). Es müssten daher zahlreiche neue Stellen geschaffen werden, die aufgrund der derzeitigen angespannten Haushaltslage nicht oder jedenfalls nicht ausreichend kommen werden. Die eigentlich gute Idee würde dann dazu führen, dass entweder die anderen Verfahren noch länger liegen bleiben und/oder man alle Anträge ohne genauere Prüfung im schriftlichen Wege „durchwinkt“. Solltet ihr hingegen sogar die Notwendigkeit einer mündlichen Anhörung des/der Betroffenen als notwendig erachten, dürfte das dazu führen, dass man sich in einer Vielzahl der Verfahren mit z.B. Querdenkern, Reichsbürgern etc. über deren vermeintliche „Wahrheiten“ vor Gericht austauschen darf, am besten noch mit deren störender Entourage im Zuschauerraum.
Insgesamt sehe ich die Tendenzen, viele Probleme einfach auf die Justiz auszulagern, sehr kritisch. Wenn die Politik keinen gesetzmäßigen Konsens in der Koalition hinbekommt, wird es schon „Karsruhe richten“ (und später feiern dann alle in der Politik das Urteil ab, inkl. derer, die es selbst nicht hinbekommen haben, siehe Klimaurteil). Statt einer guten Kinder- und Jugendpolitik sollen u.a. höhere Strafen (u.a. bei Verbreitung von Kinderpornografie) das Problem lösen (dass dann aber alle Sachen zwingend mind. zum Schöffengericht müssen ohne die Möglichkeit eines Strafbefehls, gleichzeitig aber kein neues Personal kommt, wird nicht gesehen …).
Im bayerischen PAG wurde vor wenigen Jahren ein Richtervorbehalt für Ingewahrsamnahmen eingeführt (soweit ich weiß auch ohne adäquate Aufstockung des Personals). Wiederum eigentlich eine gute Sache, die aber in der Praxis in aller Regel nur dazu führt, dass ein/e Richter/Richterin zu Besoffenen im Rahmen der nun notwendigen Anhörung zur Polizeiwache fahren muss, um denen dann zu verklickern, dass sie noch ein paar Stunden in Gewahrsam bleiben, um auszunüchtern.
Zuletzt steht für die Betroffenen der Rechtsweg gegen die Sperrungen offen.Jedenfalls bei willkürlichem Verhalten der Konzerne könnten hier ggf. auch Erfolgsaussichten bestehen.
Was meint ihr dazu?
Liebe Grüße
Thomas