Digitale Demokratie und Diskussionsplattform

Hallo,

ich bin sehr daran interessiert Wege zu finden die kollektive Intelligenz der Menschen in den politischen Problemlösungsprozess zu integrieren. Meine Vision wäre eine strukturierte Diskussionsplattform auf der jeder Bürger insbesondere zu dem Prozess der Problemidentifikation und der Ideenfindung beitragen kann (explizit keine direkte Demokratie). Im Fokus stünde dabei immer eine wissenschaftsbasierete (soweit wissenschaftliche Studien existieren) und rein rationale Kommunikation.
Konkret stelle ich mir aktuell eine Mischung aus Reddit und kialo.com vor, aber es wäre natürlich ein fortwährender iterativer Prozess eine „optimale“ Plattform zu entwickeln. Spannend finde ich hier auch das Potentzial Ideen auf verschiedenen hierachischen Ebenen abzubilden von kommunal bis national.
Ich denke durch die Digtalisierung und die zunehmenden Fähigkeiten künstlicher Intelligenz sind wir erstmals in der Lage eine solche Plattform tatsächlich zu entwickeln und damit Demokratie weiterzuentwickeln. Ich halte das auch gerade im Wettbewerb mit Autokratien für essentiell, die eine solche Möglichkeit nicht haben.
Für dieses Forum würde ich mir eine separaten Bereich für allgemeine politische Ideen o.Ä. wünschen aus dem sich dann evtl. Beiträge in der Lage destillieren ließen. Außerdem wäre ich dankbar für konstruktives Feedback und Menschen, die sich vielleicht ähnliche Gedanken gemacht haben oder daran interessiert wären soetwas voranzutreiben.

Viele Grüße
Darius

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Ich halte eine Digitalisierung der demokratischen Meinungsbildung tatsächlich für überfällig. Machen wir mal ein Beispiel:

Demokratie lebt vom Austausch und von Teilhabe. Ich lebe in der Schweiz und in meiner Gemeinde stand ein grösseres Infrastrukturprojekt an. Dieses wurde abgeschlossen und hat massive Folgen auf den Ortskern. Die Gemeinde hat vor dem Infrastrukturprojekt bereits ein Konzept für die neue Nutzung der Innenörtchens erdacht. Nun darf die Bevölkerung mitreden und in einer gross angelegten Umfrage wurde geschaut, welche Option aus dem Konzept von der Bevölkerung die Mehrheit erhält. Ich lobe mir das und wünsche es mir ehrlicherweise in grösserem Kontext.

Beispiele für Deutschland:
Eine zentrale App, die solche Umfragen, Informationen und Diskussionen für die Bevölkerung auf allen Ebenen ermöglicht. Sollen auf dem Kreisverkehr in Oberunterbayernhausen Blumen gepflanzt oder ein Kunstwerk installiert werden? Soll im Regierungsbezirk XY eine Förderung für kommunale erneuerbare Energie ausgezahlt werden? Soll im Bundesland XY eine neue Bildungsoffensive zum Thema Digitalisierung eingeführt werden? Welche Themen sind für die Bundesregierung besonders dringlich? Gibt es gute Vorschläge aus der Bevölkerung?

Dies würde für mehr Mitwirkung und „Bürgerdialog“ führen und mit den Daten werden mutmasslich signifikant bessere (im Sinne von „von der breiten Öffentlichkeit getragene“) Entscheide herbeigeführt. Dazu kommt, dass eine Sammlung von Vorschlägen und konstruktiven Veränderungsmassnahmen (sowohl regional als auch national) den legitimierten Organen Arbeit abnimmt - es gibt dann ja bereits Vorschläge und man kann sich auf die Prüfung derselben konzentrieren.

Dazu gibt es dem Volk eine gewisse Selbstwirksamkeit. die mutmasslich die Politikverdrossenheit schälern könnte. Zudem könnte mit einem solchen Tool offen kommuniziert werden und ein Dialog entstehen (siehe nachfolgendes Beispiel).

Beispiel:
Vorschlag von Günter Gerstensaft gemäss öffentlichem Diskussionsbeitrag vom 15.02.2033 wurde in der Sitzung vom 25.13.2033 geprüft und bewilligt. Per 1.1.2034 wird eine 30-er Zone in der Bussardstraße umgesetzt, um die Lärmbelästigung für die Anwohner zu reduzieren.

Oder:
Vorschlag xy von Anonym wurde in der Sitzung vom 11.11.2033 abgelehnt. Der Vorschlag ist aus rechtlichen Gründen unzulässig (siehe Paragraph y Absatz x, FantasieGesetzBuch).

Ich bin dabei.

Aber: Ich halte die direkte Demokratie nicht für das richtige Mittel in DE, mehr Teilhabe und Transparenz sollte aber das oberste Ziel sein.

Für das Thema wären wahrscheinlich https://okfn.de/ als Verein und mit seinen verschiedenen Subprojekten (z.B. FragDenStaat und die Code For X Labs) eine gute Einstiegsstelle.

Ich halte es auch für überfällig, dass wir es irgendwie schaffen, den politischen Betrieb näher an die Bürger zu bringen. Vorhandene Initiativen sind da z.B.

Auch könnte man sich Liquid Democracy näher anschauen, wo ich je nach Modell z.B. für bestimmte Themen, in denen ich Experte bin, direkt abstimmen möchte, während ich Entscheidungen für andere Themen entweder an Personen oder Parteien deligiere.

Hier können digital viele Unterstützungsangebote kommen, am Ende bin ich aber der Meinung, das wir nicht umher kommen, uns bei wichtigen Entscheidungen gegenseitig in die Augen zu schauen, denn:

Klar, sowas könnte man wahrscheinlich per einfachem Votum umsetzen, weil es nicht so wirklich um was wichtiges geht. Die Entscheidungen, bei denen die Fetzen fliegen, sind aber andere: Soll die Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete geschlossen werden? Wo soll die neue JVA gebaut werden? Soll in Straße X 50% der Parkplätze entfernt werden, um einen Fahrradweg auszubauen? Soll die Windenergieanalge auf Feld X oder Feld Y gebaut werden? Die digitalen Diskussionsbeiträge zu diesen Fragen werden doch nicht anders aussehen als die Kommentarsektion eines beliebigen Youtube-Videos des ÖRs, in dem gegendert wird. Denn:

diese Vorstellung kann ich gut nachvollziehen, aber ist glaub ich nicht realisierbar. Man müsste superhart moderieren und auch innerhalb der Moderation würde es dann ständig Rangeleien geben, ob ein Beitrag jetzt noch „rational“ ist oder zuweit in reine Meinung abdriftet, sieht man ja schon hier im Forum. Dazu wünschen sich die meisten Bürger:innen wahrscheilich gar keinen wissenschaftlichen Diskurs, sondern eben eine Plattform zur Meinungsbildung.

Irgendwie habe ich die Hoffnung verloren, dass ein vernünftiger Austausch zu heftig umstrittenen Themen auf einer rein digitalen Plattform wirklich Früchte trägt, weil uns das Internet am Ende des Tages doch irgendwo entmenschlicht, aber ich würde mich gerne eines besseren belehren lassen…

Das sind die klassischen Abstimmungen, bei denen mit „ja, aber nicht hier“ abgestimmt wird. Gerne auch „Soll hier ein Atommüllendlager gesucht werden“ oder „Soll eine Strmntrasse an unserem Dorf vorbei führen“.

Generell halte ich aber solche basisdemokratischen Abstimmungen bei lokalen Themen generell für sinnvoller als z.B. über irgendwelche komplizierten EU Gesetze abstimmen zu lassen. Denn seien wir mal ehrlich, wieviele schauen sich sowas wirklich an und versuchen das zu verstehen, und wieviele rufen nur etwas nach, was jemand anderer ihnen in den Mund gelegt hat?

Ja würde auch nochmal betonen, dass ich direkte Demokratie für den falschen Weg halte (auf lokaler Ebene mag es teilweise einen Platz haben). Es geht ja gerade darum das Menschen, die sich besonders mit bestimmten Themen beschäftigt haben zu eben diesen beitragen. Zentral für eine solche Plattform sollte wirklich immer die Frage sein wie wir die kollektive Intelligenz am besten in der Politik nutzen können. Das heißt auch dass die Ergebnisse der Plattform in der Regel nicht die Mehrheitsmeinung abilden werden, zumindest initial, da die Mehrheit sich einfach nicht genug mit gewissen Themen auseinandersetzt und setzen kann. Deshalb müssten Ideen immer sehr wohl begründet sein und könnten so sogar eher zur Bildung einer neuen Mehrheitsmeinung beitragen.

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Bin mit @dschaub bis hierhin ziemlich der selben Meinung. Ich würde die Themen sehr viel allgemeiner setzten. Z.B., nicht fragen, wollen wir hier eine Unterkunft für Geflüchtete einrichten, sondern: was heisst Gerechtigkeit in der Welt? Was wären so oder so die Konseqenzen für das Land bzw. für die Stadt/Dorf und die Einzelnen Bürger? Wenn das grosse Ganze noch gar nicht bedacht worden ist von Seiten jedes Teilnehmenden, führt eine davon abhängige Frage in tieferen (konkreteren) Schichten zu einer ausufernden, meist nicht mehr beherrschbaren Diskussion. KI könnte helfen, die Diskussion immer wieder zu konzentrieren und so zugänglich zu halten (rhetorische Tricks und Wiederholungen zu kennzeichnen bzw. auszufiltern usw.) Ich wäre begeistert!

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Vielen Dank für die hilfreichen Links! Okfn sieht wirklich sehr interessant aus und open government geht auch in ne sehr ähnliche Richtung auch wenn ich eine solche Plattform (oder politisches social media wenn man so will) von Anfang an also Open Source project starten würde, das dann entweder direkt von der Politik übernommen wird oder nochmal neu aufgesetzt wird (bestenfalls trotzdem open source). Gerade den Transparenz und Informationsgedanken finde ich auch sehr wichtig, da spielen auch Data Science und Datenvisualisierung eine große Rolle, siehe zum Beispiel diverse Klimadashboards, so etwas sollte es für jeden Bereich geben. Anders lassen sich letzlich ja nur schwierig Probleme identifizieren oder Ideen finden. Daran anschließend wäre auch eine Art open access und state-of-the-art „Deutschland Simulation“ extrem sinnvoll, um Ideen vorab zu evaluieren und so zumindest Indizien für Auswirkungen zu erhalten. Gerade in der Wirtschaftsforschung wird sowas ja schon sowieso viel eingesetzt wenn auch oft unter unrealistischen Gleichgewichtsannahmen.

Hier würde ich nochmal mein Statement von oben wiederholen, dass ich den tatsächlichen Entscheidungsprozess komplett den gewählten Repräsentanten überlassen würde. Ich denke die gesamte Bevölkerung kommt einfach mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu guten Entscheidungen, Stichwort kollektive Dummheit.

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Ich stimme dir zu, die Umzusetzung ist extrem schwierig, aber ich denke wir sind weit davon entfernt da etwas optimales entwickelt geschweige denn getestet zu haben. Genau das wäre die Langzeitaufgabe. Außerdem hat sich bei mir der Gedanke festgesetzt, dass man schon viele Probleme über eine sehr klare Strukturierung der Beiträge erreichen könnte. Beispielweise sollte es bindende Templates geben für die Formulierung von Problemen oder Ideen. Außerdem sollten sich Ideen immer mindestens einem Problem zuordnen lassen. Um die Hürde des Befüllens eines solchen Templates zu minimieren, könnte man nur einen Teil befüllen und der Beitrag wird für andere geflaggt, als noch zu bearbeiten. Zu jedem Beitrag gäbe es dann mehrere Diskussionchannel, die aber erst angezeigt werden wenn man sich für spezielle Teile des Beitrags interessiert. Natürlich ist das Design dieser Templates auch wieder sehr schwierig (ich habe dazu bisher nur unreife Ideen) und müsste laufend verbessert werden und die Diskussionen in den separaten Channels müssten natürlich auch moderiert werden. Wie gesagt das ist alles noch nicht zuende gedacht, aber ich denke es hat ein sehr großes Potential.

Ich spreche von Teilhabe, nicht von direkter Demokratie. Es wird immer noch unliebsame Entscheidungen geben, diese können aber viel direkter kommuniziert und begründet werden. Viele Entscheide haben ja Hand und Fuss - aber das nimmt halt die Bevölkerung oft nicht so wahr.

Es geht darum sich konstruktiv mit konstruktiven Vorschlägen umzusetzen. Um es mal ganz plastisch zu machen:

Ich möchte nicht, dass die Bevölkerung per App abstimmen kann, ob die Todesstrafe für Pädophile eingeführt werden soll. Es geht darum, Vorschläge zu prüfen und zu analysieren und dann die Entscheide zu begründen, nicht darum, dass Dieter Diesel jetzt direkt entscheiden soll, ob sein neuer V8-Dienstwagen subventioniert wird, um das wiedermal drastisch zu formulieren.

Da gehe ich voll mit. Es wird eine Langzeitaufgabe - aber aus meiner Sicht eine Notwendige für eine breitere Unterstützung der Demokratie innerhalb der Bevölkerung. Ich bin der Meinung, dass viele Probleme und nicht zuletzt die hohe AfD-Wählerschaft von diesem Problem herrühren - es geht um Teilhabe und Transparenz. Was wir heute erleben sind zwar öffentliche Debatten im Bundestag und komplexe Textdokumente, das ganze sollte einfacher und zugänglicher werden. Hierfür braucht es neue Methoden.

Mit einer App und Push-Benachrichtigung könnte man beispielsweise in Kommunen kleinere Änderungen mit breiter Unterstützung der Bevölkerung umsetzen oder aber bundesweit schlauere Lösungen als die Cannabis-Clubs erreichen.