Die Theorie der Verdünnung aus der Homöopathie wissenschaftlich betrachtet

Hallo zusammen,

hier im Forum wird ausführlich über Homöopathie diskutiert. Ausgehend von dieser Diskussion Anerkennung von Homöopathie als Religion - #62 von Kenny wollte ich an dieser Stelle mal kurz etwas zu der Theorie die hinter der H. steht sagen. Es geht mir also an dieser Stelle nicht darum, ob das Zeug wirkt oder den Placebo, sondern wie kann man aus wissenschaftlicher Sicht Verdünnen? Das ist nämlich gar nicht so einfach, vor allem wenn man eine möglichst exakt definierte, sehr kleine Konzentration herstellen möchte. Genau das habe ich in einem Forschungsprojekt bearbeitet. Was meine ich mit sehr kleinen Konzentrationen? Damit meine ich Konzentrationen im Bereich von 1 zu 1 Milliarde bis zu 1 zu 10 Billiarden.

An den Namen merkt man bereits, dass es um sehr hohe Zahlen geht. Das kann man vereinfachen, indem man gar nicht die Zahlen direkt verwendet, sondern nur die Anzahl an Stellen, die diese Zahlen haben. Hier auch gleich der Hinweis, dass es mir hier nur um grundsätzliche Effekte geht, die auftreten und ich diese nur durch eine grobe Abschätzung untermauern möchte.

Zur Verdünnung: Ausgehend von der Urtinktur wird die Grundsubstanz bei der Homöopathie schrittweise im Verhältnis 1:10 (manchmal auch 1:100) verdünnt. Details dazu gibt es z. B. bei Mailab Homöopathie im Eigenbau – was kommt raus? | Mai Thi Nguyen-Kim - YouTube. Die Verdünnungen werden als Potenz mit einem „D“ davor gezählt. D2 = 1:100, D3 = 1:1.000 usw. Grundsätzlich kann man das immer weiter wiederholen und so immer kleinere Konzentrationen herstellen. Aber das geht nicht beliebig. Interessant wird es etwa ab Verdünnungen von unterhalb 1:1.000.000, also D6. Hier spielt plötzlich Adsorption eine Rolle. Heißt, dass gar nicht alle Moleküle der Grundsubstanz in der Flüssigkeit sind, sondern es sind auch welche an der Behälterwand adsorbiert. Kurze Abschätzung:

Teilchen in Lösung:

1l Wasser => 1kg bei 18g/mol => 55 mol Wasser * 6e23 Teilchen / mol => 3e25 Teilchen Wasser => 3e19 Teilchen Grundsubstanz

Adsorption:

1l Wasser => Würfel mit 6 Flächen a 100 cm² => 600 cm² => 6e17 Teilchen Grundsubstanz (Erfahrungswert)

Wir haben also eine Zahl mit 19 Stellen an Molekülen Grundsubstanz und davon klebt eine Zahl mit 17 Stellen an Substanzmolekülen an der Flaschenwand. Heißt das sind nur 2 Stellen Unterschied und damit wäre der Fehler bei der weiteren Verdünnung im Prozentbereich. Noch nicht so schlimm. Bei D8 ist es aber bereits so, dass die ganze Substanz, die verdünnt werden soll, an der Flaschenwand adsorbiert sein kann. Das ist auch der Grund warum üblicherweise im Handel keine Lösungen mit Verdünnungen kleiner 1e-6 erhältlich sind. Anzumerken ist dabei, dass die Adsorption von den Eigenschaften der Grundsubstanz abhängt, z. B. Adsorptionsfähigkeit, Molekülgröße,… und den Eigenschaften der Behälterwand (und auch dem Lösungsmittel). Dazu kommt, dass die Moleküle nicht sofort adsorbieren, sondern im Laufe der Zeit immer mehr. Heißt solche Lösungen sind nicht mehr stabil. Bewegt man sich oberhalb von 1e-6, was meistens der Fall ist, ist die Adsorption vernachlässigbar. Ohne entsprechende Messtechnik, die in diesem Bereich messen kann, kann man diesen Effekt somit nur schwer beobachten. Und zu der Zeit als die Homöopathie entstand, gab es diese Messtechnik noch nicht.

Was passiert jetzt also, wenn weiter verdünnt wird? Irgendwann ist mehr Grundsubstanz an der Behälterwand als in der Lösung. Das heißt also, man braucht viel weniger Verdünnungen als gedacht, bis kein Molekül mehr da ist, da die Behälterwand als zusätzlicher Filter wirkt. Voraussetzung ist aber, dass alle Behälter auch sauber sind. Werden die Behälter wiederverwendet, sieht das ganz anders aus. Denn dann ist ja immer noch Grundsubstanz adsorbiert und zwar die 6e17 Teilchen! Die kriegt man da nämlich auch gar nicht so einfach wieder raus. Sauberes Wasser rein, schütteln, wegschütten hilft nicht wirklich. Man stelle sich vor, das sei der Schritt Nummer 40 (D40), wo kein einziges Molekül mehr in der Lösung sein sollte. Wenn die Flasche zu 99,9999% gereinigt wurde, sind immer noch 6e11 Teilchen übrig – und nicht „Nicht mal ein Molekül“!

Es kommt also beim Verdünnen ganz erheblich darauf an saubere Behälter zu haben. Um adsorbierte Stoffe zu entfernen, muss man ziemlichen Aufwand betreiben. Ausheizen bei 200-300°C unter Reinstgasspülung z. B., aber ob da alle Moleküle desorbiert werden können, weiß vermutlich niemand. Von einer vergleichbaren Reinigung habe ich im Zusammenhang mit H. bisher noch nichts gehört.

Beim Thema Sauberkeit kommt man sehr schnell auch auf einen zweiten wesentlichen Effekt, der eine Rolle spielt: Der Dampfdruck. Aus einer Flüssigkeit verdampft solange etwas, bis der Dampfdruck dieser Flüssigkeit erreicht ist. Bei Wasser beträgt der Dampfdruck bei Raumtemperatur ca. 25 mbar. Heißt im Gleichgewichtszustand ist die Verdünnung in Luft etwa 1:40. Dies gilt für eine Luftfeuchte von 100%. Die haben wir natürlich nicht immer, aber es ist klar, dass durch den Dampfdruck eigentlich immer eine ganze Menge Wassermoleküle durch die Gegend schwirren. Jetzt hat aber nicht nur Wasser einen Dampfdruck, sondern auch alle anderen Flüssigkeiten (Feststoffe grundsätzlich auch), auch die in der Homöopathie genutzten Grundsubstanzen. Der Dampfdruck ist stark von der Grundsubstanz abhängig. Alkohole haben einen etwas höheren Dampfdruck, Öle und Fette dagegen deutlich geringere Dampfdrücke und Feststoffe sehr niedrige. Ich kenne mich mit den in der H. verwendeten Substanzen nicht aus, aber einige sind auf jeden Fall im Bereich von Alkoholen bis zu Fetten/Ölen. Die Dampfdrücke von diesen Substanzen sind bei denen mit geringen Dampfdrücken in der Regel unbekannt und unter 1 ppm (1e-6) auch schwer zu messen. Daher war der Effekt auch bei der Entstehung der Homöopathie nicht so genau bekannt wie heute.

Was bedeutet das also für das Verdünnen? Der Dampfdruck bewirkt, dass in einem Behälter die Grundsubstanz nicht nur in der Flüssigkeit ist, sondern auch in dem Gas darüber (die Flasche ist ja nicht ganz voll). Wird die Flasche aufgeschraubt, so kann das Gas entweichen. Ich will mal abschätzen, wie viel Substanz in diesem Gasvolumen sein kann:

22,4l Gasvolumen => 1mol Teilchen

Für eine einfache Rechnung gehen wir von 22ml Gas in der Flasche aus => 1/1000 mol Teilchen => 6e20 Teilchen. Bei einem Dampfdruck von 1e-12 (1 ppt) sind das 6e8 Teilchen Grundsubstanz, also 600.000.000 Teilchen.

Wird die Flasche in einem Raum mit 100m³ Volumen (=100.000 l) geöffnet, entspricht das 6000 Molekülen der Grundsubstanz pro Liter, die in dem Raum herumschwirren. Und das sind die Substanzen mit den geringen Dampfdrücken. Heißt der Raum ist kontaminiert. Dazu kommt noch, dass weiter Substanz aus der Lösung verdampft und in die Raumluft geht, solange die Flasche geöffnet ist.

Und damit komme ich zum dritten Punkt der beim Verdünnen extrem wichtig ist: Saubere Ausgangsstoffe und Behälter. Dazu muss man sich als erstes klar machen, dass unsere Welt eigentlich ziemlich „dreckig“ ist. Es gibt im Prinzip keine reinen Substanzen, wenn man in den Spurenbereich guckt. Von allen Substanzen verdampft etwas und geht in die Luft. Das ist so wenig, dass man es nicht merkt, oft gar nicht nachweisen kann und auch keine Rolle spielt. Aber je genauer man hinguckt, desto mehr Substanzen findet man. Daher ist bei der Spurenanalytik die Herausforderung eigentlich auch gar nicht irgendetwas möglichst genau zu messen, sondern den ganzen Kram den man nicht messen will, herauszufiltern. Denn das ist in der Regel um Größenordnungen mehr.

Für die Verdünnung heißt das konkret, dass es gar kein Wasser gibt, in dem kein Fremdmolekül vorhanden ist. Kann man sogar relativ einfach ausprobieren. Einfach eine größere Menge (1l) des zu testenden Wassers in ein geeignetes Gefäß mit blankem Boden geben und verdampfen. Da wird sich ein kleiner Rückstand bilden, der nicht verdampft. Je sauberer das Wasser, desto weniger Rückstand gibt es. Aber selbst bei zweifach destilliertem Wasser wird ein Rückstand bleiben. Und das betrifft nur Feststoffe, nicht Flüssigkeiten oder Gase. Und jeder sichtbare Rückstand ist selbstverständlich noch weit von einem Molekül entfernt.

Insofern ist im Prinzip davon auszugehen, dass in jedem Wasser, das für die Verdünnung in der H. verwendet wird, bereits die Moleküle enthalten sind, die eigentlich verdünnt werden sollten. Atropin z. B. Das ist in jeder Tollkirsche vorhanden, dort verdampft es, mal fällt eine Kirsche in einen Fluss und somit ist das Zeug – mit der Genauigkeit von einzelnen Molekülen betrachtet – faktisch überall. Wenn man sauberes Wasser haben möchte, muss man sich bereits ganz schön anstrengen, um für die Spurenanalytik sauberes Wasser zu erhalten. Wasser in dem sich kein Fremdatom/-Molekül mehr befindet, kann meines Wissens nach mit den momentan zur Verfügung stehenden Mitteln nicht hergestellt werden (und wenn doch, dann kann es nicht überprüft werden…).

Eine kurze Schlussanmerkung: Das Gebiet der Spurenanalyse ist relativ „neu“. Messgeräte mit denen man Konzentrationen von ppm - ppb - ppt und kleiner messen kann, gibt es und sie werden immer mehr. Aber sie sind noch relativ selten und vor allem sind es relative Messungen. Um einen genauen Konzentrationswert zu erhalten, muss man erst einen Kalibrierstandard messen (so wie bei einer Waage einmal Tara drücken). Um solche Kalibrierstandards herstellen zu können, benötigt man jedoch die genaue Messung. Ist also ein Henne-Ei Problem, bei dem man sich Schrittweise auf beiden Seiten vorwärtsbewegt.

Daher sind das oben auch pauschale Schlussfolgerungen. Anhand der bisherigen Erfahrungen sollten sich Substanzen so verhalten, wie beschrieben. Je nach Substanz schwankt das ein paar Größenordnungen hin oder her, aber das Prinzip sollte gleich sein.

Viele Grüße

Florian

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Vollkommen richtig Florian, ich setze u.a. aus eben diesem Grund seit jeher darauf, für meine Ethanol D1 Tinkturen ausschließlich frische Gefäße zu benutzen.

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