Die extreme Marktwirtschaft im Gesundheitssektor

Ulf fragt, ob diese Form der MW im Impfstoffkomplex nicht an ihre Grenzen stösst. Ja, m.E. tut sie das. Überhaupt stellt sich diese Form der Wirtschaft als ungeeignet heraus, sobald Grundbedürfnisse des Menschen Gegenstand sind. In der Pharmaindustrie ist die Fehlentwicklung besonders krass.

Sie funktioniert im Wesentlichen nach den Grundsätzen:
• Winner takes ist all
• Der Wert eines Produktes ist genau und rechtmässig der, den ein Käufer bereit ist zu zahlen.
• Jede Person hat die Chance, ein Marktsegment zu beherrschen und mit dem höchsten Verkaufspreis extrem reich zu werden (sie muss nur an sich glauben und das Richtige tun).
• Die Leistung und das Können einer Person bemisst sich genau an deren Einkommen.

Das sind fragwürdige Grundsätze, die auf lang gepflegten Mythen beruhen. Sie können entzaubert werden:

Tatsächlich hat jede Person die theoretische Chance, ein Marktfeger-Produkt zu entwickeln. In der Praxis ist es aber eine Lotterie. Die wenigen Gewinner sind in den Schlagzeilen, die Masse der Verlierer ist uninteressant. Im Unterschied zum Lotto ist in der Wirtschaft natürlich schon das Talent, die Willenskraft, das Können usw entscheidend, sodass 99,9% der Bevölkerung für den Weg ganz nach oben ausscheiden. Wenn das übrigbleibende 0,1 Prozent 80.000 in DE) mit etwa gleichen unmittelbar persönlichen Voraussetzungen ausgestattet ist, dann schaffen es jedes Jahr vielleicht 100 Personen, dahin zu kommen, wo angeblich jede Person hinkommen kann wenn sie nur will usw. Denn unter den 80.000 entscheidet nicht mehr Können, sondern günstige Umstände (Herkunft), Dusel etc.

So war es mit der Impfstoffentwicklung. 200 sind ins Rennen gegangen, 3 sind bis jetzt angekommen, vielleicht kommen noch 5 dazu, die restlichen haben dann einfach nicht mehr genug ungeimpfte, nicht-immune Probanden, um eine Zulassung zu bekommen. Sie haben umsonst gearbeitet und müssen sich woanders refinanzieren. So viel zu „winner takes it all“, dem himmelschreiend unfairen Grundsatz der Sieger bzw. derjenigen, die auf die Sieger wetten oder auch nur das Spektakel lieben.

Höchstpreise für Medikamente zu nehmen, ist einfach, weil keine hochentwickelte Gesellschaft es sich erlauben kann, ein lebensrettendes Medikament wegen eines hohen Preises zu verweigern. Das Druckpotential ist also enorm. Und es wird angewendet. So viel zum angeblich eindeutigen Wert eines Produktes.

Die Pharmaindustrie erweckt den Eindruck, dass ein erfolgreiches Medikament ausschliesslich auf der eigenen Forschung beruht. Sie verschweigt, dass die Grundlagenforschung weitestgehend staatlich finanziert an staatlichen Einrichtungen und Universitäten geleistet wird, auf denen die Industrie dann aufsetzt, sobald ein Ergebnis vielversprechend erscheint. Die Politik ist leider zu verschlafen bzw. lobbyunterwandert, als dass sie z.B. ihren Anteil an Forschung und Ausbildung zurückfordert (als Ermässigung auf Medikamente erhält). Ein Anteil an dieser Zurückhaltung wird auch dieser ständige spät-nationalistische Impuls sein, nationale Firmen möglichst ungeschoren zu lassen damit sie die ausländische Konkurrenz hoffentlich an die Wand drücken (Altmaiers „Weltmeister“) oder wenigstens auch einen Champion in der höchsten Liga zu haben.

Die Pharmaindustrie befindet sich in Zahlendimensionen, die genau so gut um ein paar Nullen kleiner sein könnten. Eine grosse Firma kaufte eine kleine für 5 Mrd. $, nur weil diese kleine Firma ein vielversprechendes Medikament entwickelt hatte. Das Medikament wurde nicht zugelassen wegen Nebenwirkungen. Solche Verluste rechtfertigen dann die extremen Preise für andere Medikamente, weil ja das Risiko in dem Markt damit getragen werden muss. So entstehen blitzschnell utopische Marktpreise, und alle schauen zu, als ob das schon immer so wäre.

Diese Industrie ist höchst spekulativ, aber es geht um Menschenleben – ein Widerspruch. Die extremen Gewinne werden zu einem grossen Teil den lokalen Märkten entzogen und privat dort angelegt, wo die Hebel am längsten sind und so die Umverteilung von unten nach oben sich beschleunigt.

Meine Idee wäre grob: Staatliche Kommissionen (vergl. StIKo) schreiben aus, in welchen Richtungen neu – und weiterentwickelt werden soll. Forschung Entwicklung wird aus einem staatlichen Topf garantiert. Das vielversprechendste Medikament wird grosszügig prämiert, um genügend Anreiz für den Wettbewerb zu schaffen. Patente werden nicht erteilt, die Verfahren zur Herstellung liegen offen (weil öffentlich finanziert) und jede Firma kann je nach Marktlage eine Herstellungslizenz erhalten. Gegen Alibi-Forschung hilft Kontrolle.

Hätten wir ein solches System schon seit Jahrzehnten, wäre man auf manchen Gebieten wahrscheinlich noch nicht so weit wie heute, weil der extreme Anreiz fehlt. Auf der anderen Seite wären die Gesundheitssysteme nicht durch überhöhte Preise so ausgeblutet wie sie es jetzt sind.

Damit ist schon auch gesagt, dass rein privatwirtschaftliche Unternehmen effektiver arbeiten als stark regulierte oder gar staatliche Unternehmen selbst. Wenn man aber bedenkt, dass die Pharmaindustrie die Hälfte der Erträge für Marketing ausgibt, dann fragt man sich, wozu gute Medikamente einen derartigen Werbeaufwand brauchen. Oder heisst das etwa, dass das Marketing Kritikwürdiges überdecken soll, die Anwender manipulieren soll? So ist es zumindest in den USA geschehen wo die Firma Sackler skrupellos Ärzte gekauft hatte um ihr Schmerzmittel maximal in den Markt zu drücken, endend in der Opioid-Krise mit fast 400.000 Toten nach Überdosis in den letzten 20 Jahren. Harmloser aber auch nicht sauber ist es, scheinbar neue Medikamente ohne Mehrnutzen überteuert in den Markt zu bringen, wofür offensives Halbwahrheiten-Marketing durchaus notwendig ist. Solche Auswüchse würde es in einer regulierten Industrie wohl nicht geben.

Ich stelle das einmal roh zur Diskussion.

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