Die Anthropomorphisierung von Politikern

Hallo LDN Team und alle.
Mir fällt folgendes in der politischen Debatte, wie sie in den Medien geführt, bzw. wiedergegeben wird auf:
Gerne wird im Narrativ gesagt, xy will die Zuwanderung begrenzen, indem er… Oder: yz hält die Grundsicherung für kontraproduktiv.
Im Kern wäre so eine Aussagen natürlich nicht falsch, verleitet aber doch sehr dazu ein falsches Politikbild zu befördern.
Was meine ich denn genau? Ein Beispiel: Joschka Fischer hat einmal in einem Interview gesagt, das die Farbe seines Parteibuchs - also der dem der Grünen - eigentlich eher einer Kette von Zufällen (ich glaube, äusseren Umständen meinte er wörtlich) geschuldet sei, als seinen inhaltlichen Überzeugungen. Er hätte sich durchaus auch ein rotes Parteibuch vorstellen können.
Und das ist in der gelebten Praxis m.E. auch der Modus Operandi der allermeisten Politiker. Ist auch ok so. Die FDP z.B. ist im gegenwärtigen politischen Diskurs auch nicht deshalb so schwierig, weil Christian Lindner ein weltverachtendes A… ist, sondern, weil die FDP sich politisch in einer Nahtot-Situation befindet, also in einer Art Panikmodus. Nicht, dass ich damit ein Problem hätte, nur sollte man die Haltung und Motivation der FDP halt auch nicht missverstehen.
Wir vergessen oder wissen z.T. vielleicht auch nicht, dass es bei den Profis eine klare Trennung zwischen den persönlichen Meinungen und den Parteizielen gibt. Klar, wirken diese auch auf die politische Meinungsbildung ein, aber in der überwiegenden Zahl der Fälle gibt es eine Entscheidung für eine Richtung, die in den - sagen wir mal Think-Tanks - erarbeitet wird. So stelle ich mir das jedenfalls vor.
Die Spitzen-Politiker sind im Grunde die glorifizierten Parteisprecher, die vortragen und verteidigen.
Es wirkt sogar eher unappetitlich wenn ein Merz noch aus seiner eigenen Wertvorstellung dazu gibt und von „kleinen Paschas“ spricht, um zu polarisieren bzw. bei den AFD Schwingwählern zu werben.
Aber auch er hat, glaube ich, ein eher wenig emotionales Verhältnis zu den kommunizierten Wertvorstellungen, sonst wäre spätestens nach 10 Jahren Merkel weg gewesen.
Ich schweife ab.
Ich fände es einfach mal interessant über die Zusammenhänge der aktuellen politischen Landschaft zu sprechen und die mutmaßlichen Ziele der Parteien.
Zumindest wäre ein Caveat hin und wieder angebracht, dass Politiker keine Menschen sind {- ich bitte mich hier nicht falsch zu verstehen - die eigene Meinungen und Überzeugungen vorbringen}.
Und als berufliche Politiker-Versteher seht Ihr doch sicher viel mehr noch.

Gruß

Yoo

Du beschreibst das Phänomen von

Politikjournalismus als Sportberichterstattung mit Zuspitzung auf Einzelpersonen.

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Ein imho gutes Beispiel dieser Art Journalismus ist zB dieser hier. „Wer ist dieser Haudegen, der zuletzt so großartig provozierte?“

Aha. Diese Beschreibung kannte ich noch nicht, erscheint mir aber etwas zu 2 Dimensional für das was ich meine. Ich gebe mal ein Beispiel: Sarah Bosetti beleuchtet das tagespolitisch Geschehen in einem ähnlichen Format, aber nur ein Thema und viel kürzer. Sie schreibt beinahe alles der Persona zu ob nun Politiker oder Musiker oder oder. Ist stilistisch natürlich legitim besonders in der Satire hat jedoch nicht unbedingt einen Wettkampfaspekt. Ich tu mich etwas schwer das in klare Worte zu bringen. Politische Werte sind nicht immer kongruent mit menschlichen. Das ist eine Quelle für Denkfehler und Missverständnisse

In der Tendenz ist da etwas Wahres dran und es wird definitiv in der Berichterstattung zu sehr auf Persönlichkeiten geachtet (besonders klar wird das im Wahlkampf, wo man meinen könnte, es fände eine Direktwahl des:der Kanzler:in statt).

Aber ich finde auch, man sollte nicht ins andere Extrem umschlagen. Die Menschen und ihr persönlicher Hintergrund haben Einfluss. Gerade Personen wie Lindner oder auch Aiwanger, die in ihrer Partei einen ziemlich unangefochtenen Führungsanspruch haben, können wohl auch das Parteiprogramm nicht unwesentlich beeinflussen. Es ist in dem Zusammnehang relevant, etwa Verflechtungen von Lindner mit Porsche genau aufzuschlüsseln.

Ein anderes Beispiel ist die Kindergrundsicherungsdebatte. Das wurde von Lisa Paus gestartet, nicht von den Grünen insgesamt. Vielen Grünen wäre es lieber gewesen, es nicht zum streit kommen zu lassen. Fürs Verständnis ist es dementsprechend wichtig zu sehen, dass Paus eben weiter links steht als zum Beispiel Habeck.

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Sehr treffend formuliert. Natürlich sind die Politiker nicht disjunkt von ihrer Parteilinie. Aber Lindner ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Partei leider nicht viel Spielraum bei der Wahl ihrer Führungsköpfe hat und letztlich Kröten schlucken muss. Auch in der Partei der unterprivilegierten Millionäre stößt so ein Erfolg von 9 Mrd. Industrieförderung zulasten der Kindergrundsicherung vermutlich auf geteiltes Echo. In kleineren Parteien hat also der Kopf in der Tat ein größeres Gewicht, insbesondere wenn der sehr telegen ist. Ich stimme zu, von aussen wirkt diese eigenartig spezifische Unterstützung von Porsche sehr von persönlichen Interessen motiviert. Ist nicht neu. Franz Josef Strauss hat auch mal die Kerosin-Steuer für Privatflieger ausgesetzt.
Ehrgeiz bei ihrer Initiative kann man Lisa Paus nicht vorwerfen. Die hat Ihren Entwurf mit dem Elan einer AOK Sachbearbeiterin vorgebracht und durch denkbar ungeschickte Handeln eher eine rote Null erzielt. Ich finde das ein ganz gutes Beispiel dafür wie politische Arbeit erfolgreich ist und wie man mit ihr scheitert. Ich bin mir nicht sicher ob Lisa Paus so wahnsinnig links ist oder eben ihren Posten eben bekleidet weil die interessanten Positionen nicht mehr vakant waren. Wir erinnern uns noch mit Schrecken an Christine Lambrecht zurück. Ich sehe parallelen.
Wir haben mittler Weile nicht mehr nur das rechts und links sondern auch ein oben und unten. Ich denke mal Habeck hat nix gegen Kindergrundsicherung, aber halt andere Prioritäten. Das ist schon nachvollziehbar, wenn man sein politisches Amt vor dem Hintergrund seiner Partei-Linie sieht. Die Grünen sind eben eher links oben als links unten.

Also, rein begriffslogisch sind Politiker Menschen (Was denn sonst? Hologramme? Reptiloiden?). Insofern kann man in der Berichterstattung vielleicht politische Trends, Kräfte, Überzeugungen oder dergleichen „anthropomorphisieren“, aber nicht Politiker.

Auf einem anderen Blatt steht, ob man die Performance einer Person automatisch als authentisch ansehen sollte. Überschriften machen es sich da manchmal zu leicht, nach dem Motto „Lindner will …“ oder „Scholz glaubt …“. Ehrlicherweise weiß man nur, was derjenige zu Protokoll gibt, und nicht, was Lindner tatsächlich will oder Scholz wirklich glaubt.

Davon abgesehen halte ich es aber schon für legitim, die einzelne Person im politischen Betrieb mit der Rolle zu identifizieren, die sie eben übernommen hat - jedenfalls, solange es da keine großen Diskrepanzen gibt wie z.B. bei Sarrazin oder Palmer.

Ich will gar nicht umbedingt widersprechen. Jedoch zur Verdeutlichung: Politiker sind Repräsentanten einer Gruppe in der Polis. Ihre persönlichen Meinungen oder Eigenschaften sind bestenfalls in 2. Linie von Bedeutung. In ihrer Funktion sind sie die Repräsentanten einer Idee mit einem zugrundeliegenden Credo. Sarrazin ist ein gutes Beispiel für so einen Regelbruch.