Ich bin ein wenig überrascht, dass ihr in der letzten Folge auf den doch ein wenig undifferenzierten „Medizinstudenten lernen im Studium nicht wie man eine Abtreibung durchführt“-Zug aufgesprungen seid.
Fakt ist: Medizinstudenten können am Ende ihres Studiums auch keinen Appendix oder keine Gallenblase entfernen. Es ist schlicht nicht Aufgabe des Medizinstudiums die Studenten in die Lage zu versetzen solche Eingriffe durchführen zu können. Das passiert in der Facharztausbildung, und selbst dort langsam und schrittweise unter Aufsicht erfahrener Operateure. Das ist vollkommen richtig so.
Die Debatte sollte also sein, ob das durchführen von Abtreibungen verpflichtend Inhalt des Weiterbildungskataloges z.B. für Gynäkologie werden sollte. Kann es das überhaupt? Soweit ich das Überblicke sind die (17) einzelnen Ärztekammen hier relativ autark. Welche Möglichkeiten hätte der Gesetzgeber hier auf Bundesebene einzugreifen? Und… sollte er? Im Moment ist die Situation meines Wissens nach so, dass keine Gynäkolog*in zum Durchführen einer Abtreibung verpflichtet werden kann. Denn auch wenn es natürlich primär um die Schwangere und den Fötus geht, muss doch auch das ärztliche Personal mit dem Wissen Leben können, ein (potentielles) Leben ausgelöscht zu haben. Kann man einen Menschen dazu verpflichten, das ein paar dutzend Male tun zu müssen, um den Wunschberuf ergreifen zu können?
Das sind doch die interessanten Fragen die nach einer Bearbeitung schreien in diesem Kontext, wenn man die Ausbildung der Ärzte hinterfragt.
Auch das üben von z.B. Nahttechniken an Obst, Gemüse oder Fleischabfällen ist weder schockierend noch problematisch, noch hat es etwas mit Selbsthilfegruppen oder Abtreibungen zu tun. Das machen Medizinstudenten weltweit seit Jahrzehnten so, einfach um sich ein Muskelgedächtnis und eine Geschicklichkeit im Umgang mit den Instrumenten, dem Nahtmaterial und unter Umständen fragilem und feinem Gewebe anzueignen. Davon profitieren in aller erster Linie die Patienten. Das ist KEIN skandalöser Zustand.
Eine der großen Stärken der Lage der Nation ist wie fundiert ihr über diverse Themen diskutieren könnt. Aber Gerade im Bezug auf medizinische Fragen und das Gesundheitssystem lasst ihr da in meinen Augen ein wenig nach. Ich erinnere da zum Beispiel an die Aussage im Bezug auf den Pflegestreik, die Notfallversorgung seie selbstverständlich gesichert, auch wenn wirklich jeder der im Moment an einer Uniklinik in NRW arbeitet euch das Gegenteil bescheinigen kann. Inzwischen ist das ganz übrigens auch von einem Gericht festgestellt worden, weil die Uniklinik Bonn dagegen geklagt und teilweise recht bekommen hat.
Nun seid ihr beide aus einem völlig anderen Sektor, und niemand kann erwarten, dass Ihr da komplett sattelfest seid. Aber dann holt euch doch, wie bei anderen Themen auch, externe Kompetenz ins Boot. Sicherlich hat diese ganze Diskussion eine ethische, eine feministische und eine sozialpolitische Ebene. Aber sie hat eben auch eine medizinische, und die bleibt (nicht nur bei euch) oft ein wenig unterbeleuchtet.
Eine Abtreibung trifft in aller Regel 4 Gruppen von Menschen.
- Schwangere und
- Fötus müssen natürlich im Mittelpunkt der Diskussion stehen.
Aber vielleicht wäre es ab einem gewissen Punkt auch mal interessant die Situation und Rolle von
3. dem medizinschen Personal und
4. die des Vaters zu beleuchten.
Da gibt es eine ganze Reihe Probleme, für die unsere Gesellschaft bisher schlicht keine Lösung gefunden hat.