Die Abtreibung und das Medizinstudium

@vieuxrenard

Ich bin ein wenig überrascht, dass ihr in der letzten Folge auf den doch ein wenig undifferenzierten „Medizinstudenten lernen im Studium nicht wie man eine Abtreibung durchführt“-Zug aufgesprungen seid.

Fakt ist: Medizinstudenten können am Ende ihres Studiums auch keinen Appendix oder keine Gallenblase entfernen. Es ist schlicht nicht Aufgabe des Medizinstudiums die Studenten in die Lage zu versetzen solche Eingriffe durchführen zu können. Das passiert in der Facharztausbildung, und selbst dort langsam und schrittweise unter Aufsicht erfahrener Operateure. Das ist vollkommen richtig so.

Die Debatte sollte also sein, ob das durchführen von Abtreibungen verpflichtend Inhalt des Weiterbildungskataloges z.B. für Gynäkologie werden sollte. Kann es das überhaupt? Soweit ich das Überblicke sind die (17) einzelnen Ärztekammen hier relativ autark. Welche Möglichkeiten hätte der Gesetzgeber hier auf Bundesebene einzugreifen? Und… sollte er? Im Moment ist die Situation meines Wissens nach so, dass keine Gynäkolog*in zum Durchführen einer Abtreibung verpflichtet werden kann. Denn auch wenn es natürlich primär um die Schwangere und den Fötus geht, muss doch auch das ärztliche Personal mit dem Wissen Leben können, ein (potentielles) Leben ausgelöscht zu haben. Kann man einen Menschen dazu verpflichten, das ein paar dutzend Male tun zu müssen, um den Wunschberuf ergreifen zu können?

Das sind doch die interessanten Fragen die nach einer Bearbeitung schreien in diesem Kontext, wenn man die Ausbildung der Ärzte hinterfragt.

Auch das üben von z.B. Nahttechniken an Obst, Gemüse oder Fleischabfällen ist weder schockierend noch problematisch, noch hat es etwas mit Selbsthilfegruppen oder Abtreibungen zu tun. Das machen Medizinstudenten weltweit seit Jahrzehnten so, einfach um sich ein Muskelgedächtnis und eine Geschicklichkeit im Umgang mit den Instrumenten, dem Nahtmaterial und unter Umständen fragilem und feinem Gewebe anzueignen. Davon profitieren in aller erster Linie die Patienten. Das ist KEIN skandalöser Zustand.

Eine der großen Stärken der Lage der Nation ist wie fundiert ihr über diverse Themen diskutieren könnt. Aber Gerade im Bezug auf medizinische Fragen und das Gesundheitssystem lasst ihr da in meinen Augen ein wenig nach. Ich erinnere da zum Beispiel an die Aussage im Bezug auf den Pflegestreik, die Notfallversorgung seie selbstverständlich gesichert, auch wenn wirklich jeder der im Moment an einer Uniklinik in NRW arbeitet euch das Gegenteil bescheinigen kann. Inzwischen ist das ganz übrigens auch von einem Gericht festgestellt worden, weil die Uniklinik Bonn dagegen geklagt und teilweise recht bekommen hat.

Nun seid ihr beide aus einem völlig anderen Sektor, und niemand kann erwarten, dass Ihr da komplett sattelfest seid. Aber dann holt euch doch, wie bei anderen Themen auch, externe Kompetenz ins Boot. Sicherlich hat diese ganze Diskussion eine ethische, eine feministische und eine sozialpolitische Ebene. Aber sie hat eben auch eine medizinische, und die bleibt (nicht nur bei euch) oft ein wenig unterbeleuchtet.
Eine Abtreibung trifft in aller Regel 4 Gruppen von Menschen.

  1. Schwangere und
  2. Fötus müssen natürlich im Mittelpunkt der Diskussion stehen.

Aber vielleicht wäre es ab einem gewissen Punkt auch mal interessant die Situation und Rolle von
3. dem medizinschen Personal und
4. die des Vaters zu beleuchten.

Da gibt es eine ganze Reihe Probleme, für die unsere Gesellschaft bisher schlicht keine Lösung gefunden hat.

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@throwaway - vielen Dank, du hast exakt den Kommentar verfasst, den ich schreiben wollte, als ich das gehört habe.
Das Studium der Medizin mag in einigen Punkten Verbesserungpotential haben. Aber bereits im Studium die Durchführung von Eingriffen zu erlernen, gehört sicher nicht dazu.

Nicht nur wegen der manuellen Fähigkeiten und der richtigen Technik ist es wichtig, dass sowas durch Fachärzt*innen durchgeführt wird. Es geht hier immer um Menschen in Ausnahmesituationen; und das betrifft eben nicht nur die Schwangere. Da ist es einfach erforderlich, ein Gegenüber zu haben, das die nötige Sensibilität mitbringt, Fragen beantworten kann, die Situation auffängt- das Beherrschen der Technik reicht da nicht aus.

Im Übrigen muss auch, wie du schon gesagt hast, medizinisches Personal entscheiden, ob es Abtreibungen durchführen möchte oder nicht. Kirchlich getragene Kliniken führen zum Beispiel im Normalfall keine Abtreibungen durch; kommunale nicht immer. Im Zweifel kann ich entscheiden, wo ich meine Facharztausbildung machen möchte.

Das ist auch ein wenig die andere Seite der Pränataldiagnostik: wenn ich in der Lage bin, vor der Geburt Diagnosen zu stellen, erscheint auch ganz automatisch die Frage danach, wie man mit dieser Information umgeht. Das heißt nicht, wer Diagnostik macht, muss auch Abbrüche anbieten- aber wer Diagnostik macht, muss sich zumindest mit den möglichen Konsequenzen beschäftigen und in die Lage versetzen, gut zu beraten.
Ich finde es auch bedenklich, wenn da die psychische Belastung für die Familie klein geredet wird. Wenn wir Schwangere nicht zwingen können und wollen, prinzipiell ein Kind auszutragen, dann können wir erst recht nicht das Mitspracherecht ausklammern, wenn das Kind nicht gesund ist. Das ist eine massive Belastung für eine ganze Familie und verändert das Leben aller Beteiligten noch sehr viel mehr, als es durch ein Kind ohnehin schon der Fall ist. Da muss man schon jeden respektieren, der das nicht möchte oder sich dazu nicht in der Lage sieht. Und zwar, ohne direkt die Diskrimierungs- oder gar Eugenik-Karte zu ziehen.

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Richtig. An Unikliniken werden routinemäßig Fetozide durchgeführt, alleine schon aus medizinischen Gründen. In der LdN und in einigen anderen Medien hört es sich an als wäre das ein okkultes Ritual dessen Geheimnisse unter Verschluss gehalten werden, und als müssten sich verzweifelte Medizinstudenten das gegenseitig beibringen das hat nichts mit der Realität zu tun.

Vielleicht wäre es sinnvoll zum Beispiel eine Zusatzbezeichnung in diese Richtung anzubieten, und denjenigen die sie erwerben Beratungen und Durchführungen lukrativer abrechnen zu lassen. Wenn es sich lohnt, werden sich auch Ärzt*innen finden die sich darauf spezialisieren. Zumal es auch durchaus Gynies gibt denen es ein Anliegen ist Frauen in dieser Situation zu helfen.
Auch hier entsteht Sicherheit durch Routine, erste Gewinnerin solcher Spezialisierungen wären die Patientinnen.
Aber wir als Gesellschaft wollen etwas von den Kollegen, dann müssen wir ihnen auch etwas bieten.
Maximalversorger könnte man dann auch verpflichten jemanden mit dieser Zusatzbezeichnung als Angestellten zu haben, dann wüsste jeder „Okay, ich weiß ich kann zb an die Uniklinik gehen und bekomme dort wenn ich es brauche auch eine Abtreibung“. Das ist doch ohnehin der Anspruch von MAXIMALversorgern. Eben alles anzubieten.

Eine Institution dazu verpflichten Personal mit einer bestimmten Qualifikation vorrätig zu haben finde ich absolut unproblematisch. Die müssen ja auch einen katheterfähigen Neuroradiologen haben, dann könnte man sie auch verpflichten jemanden mit der Zusatzbezeichung „Abtreibungen“ im Pool zu haben.

Es gibt durchaus Lösungen unterhalb von „Wer einen Kassensitz will muss abtreiben“. Mir ist es aufrichtig ein Rätsel wie man das für eine kluge Lösung halten kann. Hier zeigt sich dann warum es manchmal doch eine echte liberal denkende Partei bräuchte. In einem Staat in dem immer Zwang, Verpflichtung und Verbot der Default in der Problemlösung sind möchte ich nicht leben. Insbesondere wenn es um so schwerwiegende und facettenreiche moralische Überlegungen geht. Es ist ja nichtmal so das hier die Weigerungen von Ärzten gesamtgesellschaftlich ein großes Problem wäre, da spielen ganz andere Strukturen eine Rolle.

„Lebensretter“ vor Abtreibungspraxen zum Beispiel.

Wohlgemerkt das möchte ich alles nicht so verstanden wissen, dass ich das Recht von Frauen auf Abtreibungen nicht unerstütze. Das tue ich absolut. Ich finde wir haben da insgesamt einen klugen Kompromiss zurzeit. Wenn wir da etwas ändern sollten wir uns gut überlegen wir wir alle Beteiligten an den Tisch bekommen bevor wir über Pflichten und Zwänge reden. Denn es gibt auch Rechte abseits von Mutter und Kind.

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das sagt immerhin auch ein Verband von Mediziner:innen:

haben wir, siehe oben.

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Ich stecke in der Diskussion nicht sehr tief drin. Generell scheint mir Doctors for Choice auch nicht unbedingt die neutralste Quelle zu sein.

Meine beiden Vorredner haben das sehr gut zusammen gefasst.
Das Medizinstudium hat nicht den Anspruch, praktische Kompetenzen aller Fachbereiche zu lehren. Eine Facharztausbildung dauert mindestens 5 Jahre, in welchen ich als Arzt Vollzeit arbeite, Erfahrungen sammle und lerne.

Sollte ein Grundverständnis für Abtreibungen und ethische Fragen zum Studium dazu gehören? Ja. Bei mir war das auch so. Genauso wie die Geburt. Aber bei aller Motivation - ich kann und will weder für eine Abtreibung noch eine Geburt verantwortlich sein. Das liegt außerhalb meiner Fähigkeiten.

Doctors pro Choice fordert, dass Fachärztinnen und Fachärzte der Gynäkologie Abtreibungen beherrschen müssen. Das würde im Zweifel bedeuten die Facharztausbildung für Personen, welche keine Abtreibung durchführen möchten, nicht möglich wäre, und zugleich Kirchliche Häuser nicht mehr die volle Weiterbildung anbieten können.
Ich bezweifle, dass das im Interesse aller Frauen und ihrer medizinischen Bedürfnisse ist.

Was ich sinnvoll finde ist die Forderung einer Zusatzqualifikation unabhängig vom Facharzt. Wie da das Interesse wäre, weiß ich nicht. Aber damit würde man im Zweifel tatsächlich sinnvoll die Zahl befähigter Ärztinnen und Ärzte erhöhen.

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Ich muss sagen, dass es sich hier um ein Missverständnis handeln muss! Ich habe den Eindruck, dass euch von der Lage die Phasen der Arztausbildung vielleicht nicht ganz klar sind (soll nicht überheblich gemeint sein. Falls es doch anders ist entschuldige ich mich für die Anmaßung)

Es werden glaube ich verschiedene Dinge durcheinander gewürfelt.
Die eine Frage ist: „wie praxisbezogen oder praxisnah ist das Medizinstudium grundsätzlich?
Die andere Frage ist:“gehört die interreuptio in die facharztausbildung?“

Wie eine interruptio durchgeführt wird und wie man diese praktische Anwendungen durchführt, gehört definitiv in die Phase nach dem Medizinstudium. Und zwar in die Phase in der man zwar Arzt, aber eben noch kein Facharzt ist.
Dafür ist es zwingend, dass die Fachgesellschaft erstmal eine Leitlinie für die interruptio erstellt!

Aber die Forderung, dass so etwas im Studium thematisiert wird finde ich erstmal in Ordnung und man sollte es diskutieren. Es ist aber auch nicht so einfach wie es In der Lage dargestellt wird. Es bleibt die Frage, was gehört dann noch zum alltäglichen Praxis know how und sollte dann im Studium behandelt werden. Davon gibt es sicherlich viel mehr Dinge die noch häufiger vor kommen als ein Schwangerschaftsabbruch. Soll das Studium dann länger werden oder fallen andere Teile des Curriculums raus?
Alleine nur die Unterschiede zwischen schneidender- und sprechender Medizin ist mannigfaltig. Hier wären sehr viele Sachen bedeutsam die man im Studium machen und lernen könnte. Aber muss ein Arzt der Kinder Psychiater wird wirklich in seinem Grundlagenstudium eine Ausschabung gemacht haben (etwas überspitzt aber ich hoffe es wird deutlich was ich meine).
Ich denke auch, dass es wichtig ist im Studium viele Grundlagen zu lernen.
Später in der Ausbildung zum Facharzt für Gynäkologie ist es doch was anderes und die interruptio sollte ein Teil des Kataloges werden.
Auch die fehlenden Weiterbildungsangebote sind unhaltbar!
Kurzer fun fact: Die einzigen Mediziner die schon im Studium ihre Facharztausbildung bekommen sind die Zahnärzte. Es würde ja auch keiner auf die Idee kommen, dass Zahnärzte in ihrem Studium eine interruptio durchführen müssen, obwohl sie auch Ärzte sind.

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Ist das so?

" Obwohl einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe, wird der Schwangerschaftsabbruch in unserem Medizinstudium an vielen Universitäten kaum oder nur in den Fächern Medizinethik (Spätabbrüche) oder Medizinrecht thematisiert.

Er ist kein Pflichtbestandteil unserer gynäkologischen Weiterbildung. In der Muster-Weiterbildungsordnung wird die Vakuumaspiration – die Methode der Wahl für Fehlgeburten und Schwangerschaftsabbrüche – nicht genannt. Ebenso wird die medikamentöse Entleerung des schwangeren Uterus zur Behandlung von Fehlgeburten und ungewollten Schwangerschaften bis zur 9. SSW dort nicht erwähnt."

Hier wird moniert in welchen Fächern das Thema im Studium behandelt wird. Das sind übrigens genau die Fächer in die es meiner Meinung nach gehört, und „kaum“ ist auch etwas anderes als „nicht“. Ich kann nur für mich sprechen, in meinem Studium wurde das Thema absolut angemessen und in beiden besagten Fächern unabhängig voneinander mit jeweils einem ganzen Seminar bedacht. Das ist in Relation zur Schwere der Problematik angemessen, in Relation zu anderen Eingriffen geradezu gewaltig.

Wenn es um die konkrete Ausführung geht sehe ich keinen Grund der Abtreibung eine Sonderrolle gegenüber sämtlichen anderen medizinschen Eingriffen einzuräumen. Wenn ich als Medizinstudent z.B. genau wissen will, wie im Detail eine Phakoemulsifikation (a.k.a Kunstlinse, der mit Abstand häufigste operative Eingriff in der Medizin, über den Daumen gepeilt 7 mal so häufig wie Abtreibungen) durchgeführt wird dann habe ich folgende Möglichkeiten:
Ich kann im Ophtalmologieseminar fragen,
ich kann Famulaturen machen,
oder ich kann mich jederzeit in der betreffenden Klinik melden und mich mit in den OP nehmen lassen.
Das geht immer und überall an einer Uniklinik und wird sogar extrem gerne gesehen (weil selten gemacht).Genau die gleichen Möglichkeiten habe ich als interessierter Medizinstudent auch bei Abtreibungen.

Auf der Website wird explizit nicht (wie von euch) gefordert, dass Medizinstudenten die Durchführung lernen sollen.

Im Zweiten Absatz kommen dann die Themen zur Sprache die ich wie oben erwähnt viel spannender fände. Da geht es aber nicht mehr um das Studium.

Was ihr hier zitiert habt ist ein definitiv nicht neutraler Zusammenschluss von sage und schreibe 75 Gynäkologinnen. Wohlgemerkt bei 18.000 auf diesem Gebiet tätigen Ärztinnen.
Wenn euch diese Website als externe Kompetenz reicht, na gut. Ich nehme hier auf der Sachebene wenig inhaltvolle Gegenargumente wahr.

Ist ja auch alles gut, Ihr habt zigtausende Hörer, man kann es nicht allen recht machen und ich bin eine Einzelmeinung. Trotzdem würde ich persönlich mir gerade bei diesen Themen wenn ihr sie schon anfasst eine gründlichere Bearbeitung wünschen. Gerade wegen eurer Reichweite. Wenn ihr von Selbsthilfegruppen erzählt in denen sich verzweifelte Medizinstudenten an Obst Abtreibungen beibringen, dann sind da draußen Menschen die euch das glauben. Gleiches gilt wenn Ihr erzählt die Notfallversorgung seie in NRW „natürlich“ gewährleistet.

Aber klar, just my two cents.

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Nein, unabhängig davon, ob es jetzt in die Ausbildung gehört oder nicht, ist die wirklich interessante Frage, ob es einer Gesellschaft dienlich ist, einen Vorgang, den man stillschweigend als vorhanden akzeptiert, aber mit der Moralethik nicht vereinbaren möchte, deshalb kriminalisiert, um es damit ausblenden zu können.
Der einzige, der in meiner Gegend abtreibt, wollte eigentlich schon längst in Ruhestand.
Da es keinen Nachwuchs in der Gegend gibt, gibt es auch sonst niemanden, der es noch unterrichten kann oder will. Und in anderen (vor allem bayerischen) Gegenden wird es ähnlich aussehen.

Fakt ist also, dass man, wenn man in Zukunft nicht auf ausländische Facharbeiter angewiesen so’n möchte, man einen Weg finden muss, es an die lernende Fachkraft zu bringen.

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Da halte ich mir das Recht auf eine abweichende Meinung vor. Die Frage nach der dekriminalisierung finde ich ehrlich gesagt ein wenig lächerlich. Fast alles was ein Arzt macht ist Körperverletzung und wird nur durch die explizite, oder, zb. in Notfällen, angenommene Zustimmung des Patienten legal und straffrei. Man kann darüber diskutieren ob das eine kluge Lösung ist, ich persönlich finde es auch ein bisschen befremdlich. Jede Blutentnahme, jede OP ist letzten Endes juristisch nichts anderes als eine Körperverletzung mit Zustimmung, und nur dadurch nicht strafbar. Das hat massive Konsequenzen für den Arbeitsaufwand im Gesundheitssystem, am Ende dient es aber dem Schutz der Patienten. So zu tun als hätte die Abtreibung hier eine Sonderrolle, weil sie primär kriminalisiert und nur unter gewissen Konditionen legal ist, ist aus meiner Sicht abstrus. Das gleiche gilt wie gesagt für jede medizinische Intervention. Muss allerdings dazu sagen, dass ich keine Jurist bin, das ist mein Verständnis der Rechtslage. Wenn ich hier Unsinn schreibe bin ich für Korrekturen dankbar.

Ich bin mir nicht sicher, was hier deine Aussage ist wenn ich ehrlich bin. Solche Eingriffe werden nicht gelehrt indem der Inhaber der Praxis es seinem Nachfolger zeigt. Das in vielen ländlichen Kreisen ein gigantischer Ärztemangel herrscht, der mit der Berentungswelle in den nächsten Jahren nur noch mehr zunehmen wird steht ja auf einem ganz anderen Blatt. Das predigen Ärzteverbände seit Jahren, juckt halt niemanden.

Ich halte die Prämisse für hinterfragenswert, dass die Schwierigkeiten eine Abtreibung zu bekommen ihre Ursache in der Ausbildung der Ärzte haben. In einem Land indem bis vor kurzem eine Gynäkologin verurteilt wurde weil sie auf ihrer Website darauf hin weist, dass sie Abtreibungen anbietet, und in dem diese Probleme vor allem in kirchlich geprägten Regionen auftreten dürften die Ursachen eher kulturell sein.

Wer in ländlichen Gebieten einen Facharzttermin braucht steht in vielen Fachrichtungen vor massiven logistischen Problemen, da hat die Gyn keine Sonderstellung. Das liegt vor allem daran das wir seit 20 Jahren zu wenige Ärzt*innen ausbilden, und die Arbeitsbediungen für Assistenzärzte so dermaßen horrend sind das ein guter Teil nach dem Studium lieber doch etwas anderes macht.
Zu glauben, dass man diese Probleme am besten mit Zwang zum Lernen von Abtreibungen löst, halte ich für realitätsfern.

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Kurze Stellungnahme eines Mediziners zu einem Teil der Diskussion in der LDN 297.
Mehrere Punkte sind hier sicher ergänzenswert:
Hier wurde kritisiert, dass in der Ausbildung des Studiums die praktische Durchführung eines Sschwangersch.-Abbruchs nicht gelehrt wird. Studierende würden an Obst üben.
Es ist richtig, dass die praktische Durchführung nicht während des Studiums geeübt wird. Dies ist Teil der Facharztausbildung im Fach Gynnäkologie/Geburtshilfe. Dies ist meines Erachtens auch auch sinnvoll, da, im Falle einer Komplikation, eine kompetente Versorgung durch den Arzt/Ärztin gewährleistet ist.
Die theoretische Durchführung wird sehr wohl vermittelt.
Wie eine Übung an Obst aussehen soll erschießt sich mir nicht wirklich.

Weiterhin wurde in einem Nebensatz erwähnt, dass Ärzte nicht werben dürfen. Das ist so falsch. Die Werbung unterliegt allerdings sehr genauen Regularien. Hierzu verweise ich auf einen Artikel des Ärzteblatts (Ärztliche Werbung im Wandel: Was darf ein Arzt wirklich?
Dtsch Arztebl 2013; 110(46): [26]), der meines Wissens weiterhin Bestand hat.

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Dein Post wurde durch die Gegend geschoben, willkommen im Threat.

Ich kenne das üben an Obst, wie weiter oben erwähnt von Nahttechniken. Da kann es ja auch durchaus Sinn machen als Student oder Assi z.B. mal an einer Orange bzw der Schale steriles Knoten und nähen zu üben bevor man sich an einem Menschen ausprobiert. Ich glaube die Jungs von der Lage haben da etwas einfach grundsätzlich falsch aufgefasst. Medizin ist ein Minenfeld wenn man von außen versucht darüber zu berichten, aber ich fand das auch merkwürdig oberflächlich recherchiert.

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Gemeint sind Papaya-Workshops, bei denen Papayas verwendet werden, um einen operativen Schwangerschaftsabbruch nachzustellen.

Also ich muss schon mal sagen, dass mich die Dikussionskultur in diesem thread ziemlich stört - es ist das was mich an vielen Mediziner:innen stört. Unser Kernthema (das der Mediziner:innen aus deren Perspektive ich als einer von ihnen schreibe) sollte die Kommunikation sein, das ist ja etwas was nun endlich auch spürbar Einzug in die universitäre Ausbildung findet. Sie ist allerdings immer noch viel zu schwächlich repräsentiert. Und hier wird über viele Zeilen schwadroniert, was vllt. für manche vom Fach interessant sein mag, aber mMn nicht für das Publikum der LdN.
Meiner Meinung nach liegt das Missverständnis weniger da, dass das praktische (!) Erlernen einer Ausschabung nicht Teil des Studiums sein muss (und wahrscheinlich auch sollte), sondern, dass die meisten Abtreibungen ja gar nicht mechanisch sondern medikamentös durchgeführt werden. Und ich kenne aus erster Hand, welche unglaubliche Belastung es bedeutet, als Frau, die sich mit einer Abtreibung konfrontiert sieht, von medizinischer Seite so alleinegelassen zu werden. Das ist aber das gesundheitspolitische Thema und wurde ja auch beleuchtet.
Aus didaktischer Sicht und was den Umfang der med.-univ. Ausbildung angeht ist es extrem wichtig, dass Abtreibungen auch detailliert unterrichtet werden und zum Standard der Allgemeinmedizin gehören.
Es sind ja nämlich nicht unbedingt die Gynäkolog:innen die hier gefragt sind.

Frau Hänel ist Allgemeinmedizinerin und in Gießen wahrscheinlich die einzige Anlaufstelle für eine Abtreibungen, wobei es viele niedergelassene Frauenärzt:innen gibt.
Und da liegt das Problem: Wenn es nicht einmal für Fachärzte zum Standard gehört, dann gibt es ein gewaltiges Problem in der Ausbildung, und das geht durchaus schon an der Uni los, das kann ich auch aus eigener Erfahrung berichten, wo das Thema - insbesondere die psychosoziale Komponente - schändlich vernachlässigt wurde und wird. Hier besteht dringender Handlungsbedarf und das kam in der LdN auch so rüber, ob jetzt Leute denken: ‚Krass da müssen arme Studis an Obst rumschnippeln‘ ist da doch zu vernachlässigen, zumal praktische Übungen und Simulationen durchaus viel zu wenig in unserem veralteten Studiengangsdesign repräsentiert sind.

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ich bin seit letztem jahr leider häufiger im KH und kann eine gesicherte grundversorgung nicht bestätigen.
da schwestern und pfleger teilweise so schlecht deutsch verstehen, dass man nach der dritten wiederholung immer noch nicht sicher sein kann verstanden worden zu sein, ist noch eines der kleinen probleme.
gestern wurde meinem zimmernachbarn der blasenkatheter gezogen. leider wusste die schülerin noch nicht, dass dieser zuvor entblockt werden muss. was danach passiert ist möchte ich hier nicht schildern. nach aufaddiert zehn tagen KH-aufenthalt (in NRW) kann ich zwanzig anekdoten aus dem ärmel schütteln. dass man als frisch operierter die ganze nacht nicht schlafen kann, weil man seine tropfe etc selbst im auge behalten muss, da das personal wegen überlastung nur alle X stunden mal reinschaut, ist einfach nur traurig.

nach meiner op brauchte ich schmerzmittel und habe über eine stunde vergeblich auf hilfe gewartet. nach über einer stunde warten wurden die schmerzen so stark, dass ich kaum noch in der lage war mein handy zu bedienen. nachdem ich das KH telefonisch erricht habe, konnte ich kommunizieren, dass ich in zimmer X liege und dringend hilfe brauche.

leute, tut euch den gefallen und werdet nicht schwer krank. musste ich nur mal loswerden -.-

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Das ist ein wichtiger Aspekt. Ich finde jedoch: man kann und man sollte. Denn wenn der Wunschberuf Gyäkologe/Gynäkologin ist, gehört dazu das ganze Spektrum der Frauenmedizin. Das sind nicht nur Routine-Checks und Schwangerschaftsbegleitung, sondern auch Krebs oder eben unerwartete und unerwünschte Schwangerschaften (in anderen Ländern übrigens weitaus häufiger als in D.). Das weiß man vorher, spätestens in der Facharztausbildung wird das klar. (Ähnliche „Hürden“ gibt es auch bei anderen „Traumberufen“: z.B. muss jeder /r Tierarzt/Tierärztin mehrere Wochen auf dem Schlachthof gewesen sein - ohne Ausnahme, auch VegetarierInnen). Ist es vertretbar, Frauen über Jahre zu begleiten, teils halbjährlich (!) wegen Rezepten etc. in die Praxis zu bitten, und dann in einer emotional vermutlich sehr belastenden Situation, in der akut, schnell und möglichst von einer vertrauten Person Hilfe nötig ist, zu sagen: ach nee, wie unschön, das möchte ich nicht, dafür bin ich jetzt aber nicht zuständig? Fahren Sie bitte 10, 50 oder 80 km (in BY oder MV) weiter zu einem anderen Arzt?

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Ich find das eine interessante Frage, die man sicherlich kontrovers diskutieren kann.
Ich würde allerdings behaupten, dass es keine Frage ist, die einen großen gesellschaftlichen Impact hat, schlicht und einfach deshalb, weil ich die Bereitschaft der Gynäkologen nicht als das Problem in der Zugänglichkeit von Abtreibungen sehe. Der Großteil gynäkologisch tätigen
Ärzte ist dazu durchaus bereit. Vielmehr ist das Problem, dass sich (kirchliche) Träger querstellen. Die Trägerschaften im Gesundheitssystem sind ein anderes, sehr weites Feld, auf dem ich mehr Potential zur Optimierung sehe.

NIchtsdestotrotz ist es eine interessante Frage, weil hier zwei grundsätzliche Herangehensweisen aufeinander prallen. Die eine Lösung ist der „wir zwingen sie und dann müssen sie“-Ansatz, den unter anderem @Ansgard vertritt.
Ich würde die Befürworter der „Zwangslehre“ bitten, die realen Konsequenzen in Betracht zu ziehen. Unterstellen wir mal, dass es eine relevante Anzahl an Ärzten gäbe, die zwar in die Gyn wollen, aber nicht abtreiben möchten. Sagen wir aus religiösen/moralischen Gründen.

Nun erlässt der Staat aber eine Verpflichtung in der Facharztausbildung. Ich sehe drei mögliche Folgen, die vermutlich gleichzeitig aufreten würden.

  1. würden sich wirklich „überzeugte“ Ärztinnen dann wahrscheinlich für ein anderes Fach entscheiden, mit der Konsequenz, dass es am Ende in den Kliniken und Praxen WENIGER Ärzte gibt. Die wenigsten Ärzte haben am Ende des Studiums ein „Traumfach“, die meisten pendeln ohnehin zwischen mehreren. Sprich, am Ende stünden wir mit weniger Gynäkologinnen da.

So würde dieses ohnehin schon bestehende Problem weiter verschärft. Damit ist den Frauen in MV oder BY, die eine Abtreibung brauchen, auch nicht geholfen. Weniger Ärzte in der Gyn, weiter Strecke für die Patientinnen. (An diese Distanzen werden wir uns eh gewöhnen müssen)

Reaktion 2:
Die Betroffenen lernen widerwillig einen Eingriff, der Ihnen widerstrebt, gerade so viele wie notwendig um FÄ werden/bleiben zu dürfen. Wer hier möchte von der entsprechenden Ärztin behandelt werden? Qualität kommt durch Routine. Ich möchte nicht von einem Arzt einen Eingriff bekommen, von dem ich weiß, dass er ihn so selten macht,wie er kann. Da gewinnen die Frauen ganz sicher nicht.

Reaktion 3: Um weiter Assistenten einstellen zu können, die ohnehin schon an vielen Häusern Mangelware sind, weil kein Mensch mehr Bock hat sich unter den gegebenen Bedingungen verarschen zu lassen, bescheinigen die Ausbildungskliniken die Abreibungen, ohne dass sie gemacht wurden.

Dazu kommt noch das Problem, dass wenn ich eine gewisse Anzahl an Abtreibungen verpflichtend einführe, ich ein Anreizsystem schaffe, in dem die Krankenhäuser genug Abtreibungen pro Jahr brauchen um Ihre Ausbildungsberechtigung zu behalten. Zudem würden Assistenzärzte, die leider Ihre Abtreibungen noch nicht voll haben, weil sie halt leider in einer Klinik arbeiten, wo solche Eingriffe eher selten/auf viele Assistenten verteilt sind, dann später als FÄ zur verfügung stehen, z.B. in Praxen. Ich bin mir nicht sicher ob das klug ist.

Dem gegenüber stünde die Lösung über ein Anreizsytem zu ermöglichen.

Sprich: Schwangerschaftsabbrüche und Fetozide als Abrechnungsbegünstigte Zusatzausbildung, analog z. B. zum Palliativmediziner. So entsteht ein Anreiz für Gynnies, die kein Problem damit haben, diese Eingriffe durchzuführen/die entsprechenden Medis zu verschreiben, sich hier Routine und Expertise anzueignen, sowohl in der Materie als auch in den weichen Faktoren wie Kommunikation und Begleitung.
Hier kann man dann wirklich eine Anzahl zum Erwerb und Erhalt festlegen. In einem weiteren Schritt kann man dann Maximalversorgern auferlegen eine gewisse Anzahl dieser Expertinnen in ihrem Personalpool vorweisen zu müssen (Das wäre kein großer Schritt, es muss ja z.B. auch jede Uniklinik Radiologen vorhalten die auf Neuroradiologie spezialisiert sind). Es bräuchte wahrscheinlich ja auch absolut keine große Anzahl.

Die größten Gewinner in einem solchen System wären die Schwangeren, die es nicht sein wollen. Frau könnte sich sicher sein, dass es in jedem Maximalversorger Ärzte gibt, die Ihnen helfen können und darüber hinaus, dass diejenigen die es machen, sich auch wirklich gut damit auskennen und viel Routine haben.
Wäre es teurer als ein Verbot? Vielleicht kurzfristig. Aber ich bin mir sicher, dass die Vorteile langfristig deutlich überwiegen würden. Es muss nicht immer eine Zwangsmaßnahme sein, nur weil man glaubt, dass man mit dem eigenen Standpunkt so sehr Recht hat, dass man sich über den freien Willen anderer Menschen hinweg setzten kann.

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