Der überteuerte Strom

Nicht nur Ölkonzerne, auch Energieerzeuger greifen gerade massiv Windfallprofite ab - dank der Stromerzeugung aus Gas, weswegen sie auch kein Interesse haben, sich von Gas zu lösen. Warum wird die Politik hier nicht regulierend tätig?

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Hallo @Mrlizard :slight_smile: Vermutlich spielen neben dem steigenden Gaspreis mindestens zwei weitere Effekte eine Rolle bei den derzeit hohen Strompreisen:

  • Die Preise im europäischen Emissionhandel haben in letzter Zeit angezogen. Die Kosten pro Tonne CO2 sind von unter 10€ im Jahr 2017 auf 30€ Anfang 2020 und dann auf heute über 80€ vergleiche etwa hier, Stand 9. August 2022, gestiegen. Das verteuert die Megawattstunde Kohlestrom um 50-70€. Und dann bedenke man, dass von 2003 bis 2021 der Börsenstrompreis selten über 50€/MWh lag.
  • Die Nuklearkrise in Frankreich, welche in anderen Forenthreads erwähnt wird, führt zu Spillover-Effekten in Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, Italien und Österreich weil dort Kapazität, die normalerweise als mittelgünstige Regelenergie zur Verfügung stünde wäre, verknappt wird.

Aber ich fände eine Diskussion über Meritt Order auch interessant. So wie ich verstehe, hat das Meritt-Order-Prinzip den eigentlich gewünschten Effekt, dass EEG-Erzeuger tendentiell bessergestellt werden. Und den eher unerwünschten Effekt, dass z.B. Braunkohle- und Atomkraftwerke auch bessergestellt werden. Gleichzeitig erscheint mir schon heute die Regulierung des Strommarktes aufgrund seiner Besonderheiten kompliziert und mir ist auf Anhieb nicht klar, was man denn genau reformieren wollte. Führt man weitere, komplizierte Regelungen ein, dass werden Marktakteure wohl nur einfacher Schlupflöcher finden, siehe etwa Cum-Ex.

Ein anderer Punkt ist, dass wir ziemlich genau in der Mitte der Umstellung der Stromerzeugung stehen und der Markt sich derzeit sichtlich von Jahr zu Jahr ändert. Das macht es zumindest für mich schwierig, zu erkennen, was Wachstumsschmerzen sind, was durch externe Faktoren (CO2-Preis, Nuklearkrise, Gaspreis) erzeigt wird und was durch die Funktionsweise des Strommarktes bedingt ist.

Man liest immer wieder mal von Überlegungen, etwa den Strommarkt zu einem Kapaziätsmarkt zu ergänzen, aber da ich da nicht belesen genug bin würde ich gerne die Frage von @Mrlizard ergänzen und die ExpertInnen hier im Forum fragen: Sind euch ernsthaftere Reformüberlegungen/Visionen für einen Strommarkt 2030 oder 2050 bekannt?

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Finde das Thema auch spannend. Mich würde interessieren, was beim Strommarkt ein „Quasi-Kartell“ wie beim Benzin und Diesel verhindert. In dem Fall halt, dass die Versorger genau ausrechnen, welche Kraftwerke in Revision geschickt werden, und dass die teuersten die Last decken.

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Und nicht nur das, dem Elektron in der Stromleitung kann ich ja am Ende auch nicht ansehen, ob es ursprünglich mal von einem Generator in einer Windkraftanlage oder einem Kohlekraftwerk beschleunigt wurde. Warum sollte man dann auch weniger dafür bezahlen?

Die EEG Betreiber sollten sich gerade dumm und deppert verdienen und genug Kapital für neue Anlagen haben, wenn sie sie denn irgendwann mal bauen dürfen…

Tut m.e. unser EEG Stromanbieter EWS Schönnau.
Wir zahlen als ziemlich neuer Kunde einen Arbeitspreis von 50 ct/kwh, allerdings sind wir auch MitGenossInnen und damit verdienen wir mit, wir möchten aber lieber in Co2 arme Erzeugungsanlagen investiert wissen, verdienen müssten wir damit nichts, lieber Rücklagen bilden bzw. weiter investieren in z.B. Speichertechniken, im Sommer reicht uns der Wind und PV strom oft schon locker in der Tageszeit, wir müssen aber Systeme haben um über die Nacht zu kommen, daran hängt es derzeit am meisten…

Aber war die EEG Umlage nicht deswegen so hoch in der Vergangenheit, weil am der Börse der Strompreis so niedrig war. Hätten wir jetzt noch eine EEG Umlage, wäre diese wahrscheinlich deutlich gesunken.
Man wundert sich in dieser Zeit, wie wenig man wusste über elementare Grundversorgungsgüter (also ich mich zumindest😉). Es war ja allen s…egal, dass die Gasspeicher und Ausland verkauft wurden während es um KUKA (Robotersteller) einen Riesenaufstand gab.

… oder gar negativ geworden. Der Erlös einer kWh PV-Strom („Marktwert“) auf dem Strommarkt lag im Juli bei 26 ct! Alle PV-Anlagen, die nach dem Jahr 2010 ans Netz gingen, sollten eine geringere garantierte EEG-Vergütung erhalten.

Bei der Windkraft ist es noch extremer. Diese brachte im Juli ca. 28 ct/kWh am Markt ein. Soviel bekamen selbst die ersten Windkraftanlagen Anfang der 90er nicht garantiert.

Sprich: Wäre die EEG-Umlage nicht abgeschafft worden, so hätte sie sich im nächsten Jahr vermutlich in eine Ausschüttung an alle Stromkunden verwandelt.

Das wäre psychologisch gut, da man sähe, dass sich eine Investition auch lohnen kann.

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Danke für den Hinweis. Ich bin derzeit überrascht, dass die hohen Preise derzeit ausschließlich als Gewinne abfallen und höhere Kosten eigentlich bei der Förderung nicht anfallen.
Weiterhin ist es Wahnsinn, dass wie du schreibst, Wind und Solar solche Preise erzielen können.

Und für Kohlestrom ist es kein Wahnsinn?

Oh entschuldigung, das habe ich vergessen zu schreiben.

Ich kenne kaum eine Branche, in der sich der Preis, z.b für einen Fernseher, am Preis für den teuersten Fernseher orientiert. Und der Kunde das auch noch bezahlt. Ich wollte eigentlich zum Ausdruck bringen, dass ich dieses Konzept überhaupt nicht verstehe und mich jedes Mal Frage, warum das das beste aller möglichen Konzepte sein soll. Erklären konnte mir das noch keiner.

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Fernseher werden in Fabriken hergestellt, die man in beliebiger Größe dort hinbauen kann, wo die Produktionsbedingungen optimal sind. Preisdifferenzen kommen hier nur durch technische Unterschiede sowie durch das Image der Marken zustande.

Die Energiegewinnung ist eher mit dem Abbau von Rohstoffen vergleichbar. Da gibt es Vorkommen, die liegen nahe an der Oberfläche und sind durch Infrastruktur gut erschlossen. Andere dagegen befinden sich tief unter der Erde irgendwo im Nirgendwo. Da der Hunger der Welt nach Kohle, Erdöl, Eisenerz, Cobalt, etc. weit den Ertrag der am leichtesten zugänglichen Lagestätten übersteigt, müssen auch die weniger gut gelegenen Vorkommen ausgebeutet werden. Und der Marktpreis für die Rohstoffe muss entsprechend hoch sein, dass selbst die schlechteste für die Befriedigung der Nachfrage notwendige Mine noch profitabel arbeitet. Wer nun das Glück hat, auf einem der guten Claims zu sitzen, der verdient sich daran dumm und dämlich, wohingegen die schlechteren Claims nur marginal profitabel sind. Gleiches gilt für die Landwirtschaft, wo es gute, hoch profitable Flächen gibt und auch solche, die gerade genug einbringen, um ihre Nutzung noch zu rechtfertigen. Dennoch gibt es einen einheitlichen Weizenpreis. Und nicht individuelle Preise für jede Fläche oder jeden Landwirt.

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Ich versuche es mal: das letzte bisschen benötigter Strom wird durch die teuerste Form der Energieherstellung bereitgestellt. Vergütet wird dann nach dem höchsten Preis.

Damit schaufelst du im Laufe der Zeit mehr Kapital zu den preiswerteren Stromherstellern. Diese Stromhersteller haben dann mehr Kapital zur Verfügung, um die preiswerte Form auszubauen und die teureren immer weiter zu verdrängen.

Funktionierte ja unter den gegeben Umständen lange ganz gut, um einen behutsamen Umbau zu organisieren. Unter den jetzigen Bedingungen führt es aber zu Extremen.

Aber den hochgradig regulierten Strommarkt bekommt man nicht mal in ein paar Wochen umgebaut. Das würde meiner Ansicht nach zu noch größeren Verwerfungen und Unsicherheiten führen.

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Aber an der Grenze könnte es dazu führen, das
A) der Ausbau irgendwann stockt, da man lieber ein „teures“ Kraftwerk noch brauchen möchte,
B) das System die Energiewende wahnsinnig teuer wird, da Gaskraftwerke (auch ohne die Situation schon teuer) immer als letztes Kraftwerk benötigt werden (z.B. 90%EE, 10% Gas, also für 90% ein überhöhter Preis bezahlt wird, anstatt nur für 10%)
C) Reservekraftwerke nur sehr teuer einspeisen werden, so dass wieder die gültigen EE überproportional teuer werden.

Aus meiner Sicht muss der Staat das System ändern, den wahren Preis für die kWh zahlen lassen und „Reservekraftwerke“ für die Dunkelflaute direkt aus einer Umlage bezahlen.

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Da hast Du absolut Recht. Die Diskussion gibt es ja schon länger und ein neues System wird diskutiert, das an ein System angepasst wird, das zu einem System mit 100% erneuerbaren Energien passt.

Ich habe aber Verständnis, dass das nicht innerhalb von Wochen geht. Politisch schon mal gar nicht, da es faktisch keinen Konsens zu 100% Erneuerbaren gibt. Da muss ich mir nur Kretschmer bei Lanz ansehen.

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Warum das denn? Auf was bezieht sich dein Verständnis?
Es ist ja ok, dass es ein paar Wochen dauert. Jeder Verzug der dann folgt ist rein politisch und wirtschaftlichen Interessen geschuldet.
Man hat auch Jahre darüber gesprochen, dass es nicht sein kann für Ein und Ausspeichern einer Batterie zweimal EEG zu bezahlen. In meinen Augen ist so etwas Arbeitsverweigerung.

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Ok, dann sag mal, wie die Strombörse der Zukunft aussieht und wie sie bis Ende September eingeführt wird. Mit allen Abrechungssystemen etc. …

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Ein andere Erklärungsansatz: es ist ein Schutzmechanismus vergleichbar mit der Buchpreisbindung. Anders als in dem Beispiel mit den teuren und billigen Fernsehern ist die Qualität des erzeugten Stromes immer gleich, egal ob aus Gas oder Wind.

Warum sollte dann ein Wind- oder Solarbetreiber für dieselbe Produktqualität einen geringeren Erlös bekommen?

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Es ist noch nicht mal klar, wie ein besseres System aussehen sollte. Da ist sich auch die Wissenschaft nicht einig. Theoretisch spricht auch mit 100% EE nichts gegen den quasi Energy Only Markt, wie er aktuell existiert. Praktisch kann es Gründe geben, wie z.B. die Einführung von Kapazitätsmärkten für flexible Wasserstoffkraftwerke oder ein eher nodaleres Preissystem mit einer anderen Auktionsform für den day Ahead Markt. Aber das lässt sich, wenn Mensch es gut machen will nicht mal ebenso machen. Es gibt da keine eindeutig beste Lösung und bisher hat zumindest das aktuelle Marktmodell sehr viele Vorteile zum Tragen gebracht.

Das ist für die Energiewende tragisch aber im Vergleich zum Marktdesign ein kleiner Eingriff (den Mensch schneller hätte umsetzen müssen). Das ist aber kein Punkt, der heranzuziehen ist, um zu sagen, dass es einfach wäre das Marktdesign zu ändern.

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Der Vergleich hinkt ja auch gewaltig.

Ein Fernseher von Samsung ist auch nicht identisch mit einem Fernseher von LG. Das sind unterschiedliche Produkte mit unterschiedlichen Features, die du klar auseinander halten kannst.

Strom ist identisch. Ob die Elektronen im Kabel durch Kohle oder Wind dazu gebracht werden, sich gegenseitig weiterzuschubsen, ist nicht mehr unterscheidbar.

Ich habe hier in einem anderen Thread mal versucht zu erklären, warum das meiner Ansicht nach der einzige Modus ist, in dem ein Spotmarkt für elektrische Energie überhaupt funktionieren kann: LdN 296: Strom / Einkaufspreise - #15 von Slartie

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