Der Themenvorschlag erfolgt im Namen von der Ortsgruppe Greenpeace Mannheim/Heidelberg. Wir möchten auf den bevorstehenden, aber noch verhinderbaren Abschluss des EU-Mercosur-Abkommen und dessen potenziell katastrophalen Folgen für Umwelt, Klima und Menschenrechte aufmerksam machen. Aufgrund der bisherigen Intransparenz des Verfahrens und der damit einhergehenden Unbekanntheit des Abkommens in der Bevölkerung ist die Thematisierung in den Medien, wie z.B. der Lage der Nation, wichtig.
Um einen ersten Eindruck über das Thema zu erhalten, haben wir folgendes Fact-Sheet vorbereitet:
Was bedeutet EU-Mercosur-Abkommen?
Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und vier südamerikanischen Staaten: Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Es wird seit 1999 verhandelt und ist ein Assoziierungsabkommen, das heißt, außer einem Handelsteil beinhaltet es eine verstärkte Zusammenarbeit bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Entwicklung, Umweltpolitik, Verbraucherschutz usw.
Das Abkommen ist allerdings nicht sanktionsbewehrt, das heißt, dass die EU kein Instrument in der Hand hat, um Menschenrechtsverletzungen oder Regenwaldzerstörung in diesen Ländern zu verhindern.
Worum geht es bei dem Abkommen?
Das Abkommen kann man kurz mit den Worten „Kühe gegen Autos“ oder „der Amazonas geht den Bach runter“ umschreiben. Die EU kann durch die Senkung von vorher hohen Zöllen mehr Autos mit Verbrennungsmotor, Maschinen, Chemikalien, Arzneimittel, Kleidung und Schuhe, gewirkte Stoffe und Lebensmittel in die vier Mercosur-Staaten exportieren. Dies sind alles Industrieprodukte. Besonders bedenklich ist die Tatsache, dass die Firmen Bayer und BASF hochgiftige, zum größten Teil in der EU verbotene Pestizide, nach Brasilien exportieren.
Im Jahr 2018 wurden ca. 56 000 Tonnen Pestizide aus EU-Ländern in den Mercosur verkauft.
Im Gegenzug sollen die südamerikanischen Staaten mehr Rind- und Hühnerfleisch, Soja als Tierfutter, Zucker und Bioethanol in die EU verkaufen dürfen, alles Treiber für die dramatische Entwaldung.
Dabei profitiert die EU sehr viel mehr, weil die Mercosur-Staaten vor allem landwirtschaftliche Rohstoffe exportieren, die EU dagegen industriell hergestellte Produkte wie Autos. Am meisten würde Deutschland von dem Deal profitieren, daher will es die EU-Ratspräsidentschaft, die es ab Juli 2020 innehat, nutzen, um das Abkommen zum Abschluss zu bringen.
Der Bolsonaro-Faktor
Das Abkommen ist im Fall von Brasilien besonders problematisch, da das Land unter der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro zum traurigen Weltmeister in punkto Abholzung geworden ist. 2019 wurde eine Fläche vernichtet, die 5x so groß wie das Saarland ist: 1 361 000 Hektar Wald!
Außerdem gehören zum sogenannten Bolsonaro-Faktor die Zulassung von über 500 teils hochgiftigen Pestiziden, die Aufhebung von Umweltschutzmaßnahmen und Maßnahmen zum Schutz indigener Völker, Budgetkürzungen und Behinderung von Umweltschutzbehörden und nicht zuletzt die Erklärung von Indigenen und Kritikern zu Freiwild.
Wie durch ein geleaktes Video einer Kabinettssitzung öffentlich wurde, äußerte sich der Umweltminister Ricardo Salles erfreut über die Coronakrise, die die Berichterstattung dominiere, da dies eine Abschaffung von Regelungen zum Regenwaldschutz erleichtere.
Welche Schritte durchläuft das Abkommen bis zur Ratifizierung?
Insgesamt sind die Verhandlungen völlig intransparent, alles, was bisher bekannt wurde, weiß man aus Leaks. Dabei wollte die EU aus den Fehlern bei TTIP lernen und versprach, in Zukunft transparenter zu werden.
Der politische Abschluss erfolgte am 28.6.2019 und ist ebenfalls völlig intransparent.
Darauf folgen diese Schritte:
- Der Vertragstext wird in 23 europäische Sprachen übersetzt
- Bei der Abstimmung im EU-Ministerrat ist Einstimmigkeit nötig, da es sich um ein gemischtes Abkommen handelt - ein Assoziierungsabkommen, das einen Handelsteil beinhaltet. Das heißt, ein einziges Land, das nein sagt, würde das Abkommen verhindern.
- Anschließend wird im EU-Parlament abgestimmt, das am Abkommenstext nichts mehr ändern kann, es kann nur ja oder nein sagen
- Falls das EU-Parlament zustimmt, wird der Handelsteil vorläufig angewendet.
- Zum Abschluss erfolgt die Ratifizierung in den einzelnen Mitgliedsländern, was 3 – 4 Jahre dauert.
Ist es möglich, das Abkommen zu stoppen?
- Im EU-Rat ist Einstimmigkeit nötig, daher würde ein Land reichen, das nein sagt, um das Abkommen zu verhindern. Bisher wollen die Niederlande, Belgien und Österreich nein sagen, Frankreich und Irland evtl.
- Im Europäischen Parlament: Hier wird es schon schwieriger, da auch die Unterstützung politisch rechts stehender Gruppen nötig wäre
- Durch Skandalisierung der absoluten Intransparenz
- Im Notfall wäre eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof möglich
Warum ist das Abkommen so gefährlich?
Generell zementiert dieses Abkommen ein überholtes und veraltetes Denken und wirtschaftliches Handeln. Die Länder Südamerikas werden darin zu Rohstofflieferanten degradiert, die reichen Industrieländer Europas liefern dagegen ausgefeilte industriell hergestellte Technik.
1.) Das Modell der industriellen Landwirtschaft mit wenigen Großgrundbesitzern, riesigen Monokulturen und der exzessiven Anwendung von Gentechnik, Glyphosat und anderen Pestziden wird aufrechterhalten und ausgebaut.
Dadurch wird die biologische Vielfalt massiv gefährdet, Gewässer werden verschmutzt und Menschen erkranken durch Einatmen von Pestiziddämpfen oder Verzehr von pestizidverseuchten Lebensmitteln. Dadurch, dass europäische Firmen gefährliche, in der EU verbotene Pestizide in die Mercosur-Staaten exportieren, gelangen die Gifte durch die Einfuhr von Fleischprodukten und anderen Lebensmitteln wie Zucker wieder zu uns nach Europa zurück (= Boomerang-Effekt).
Zudem werden beispielsweise deutsche Bauern, von denen teure Investititionen in mehr Tierwohl verlangt werden, durch die Konkurrenz von südamerikanischem Billigfleisch stark benachteiligt, viele werden dem Konkurrenzdruck nicht standhalten.
Aus Verbraucherschutzsicht ist das Abkommen ebenfalls sehr bedenklich. Es gab in der Vergangenheit mehrere Gammelfleischskandale in Brasilien, die Europäer in Zukunft auch betreffen würden, von den in den Produkten enthaltenen Pestiziden ganz zu schweigen.
2.) Der Amazonas-Regenwald zählt zu den Tipping Points (Kippfaktoren), die wie Dominosteine kaskadenartig die Klimakrise verschärfen. Wenn zusätzliche 10 bis 20 % der Amazonasfläche vernichtet werden, trocknet der Regenwald von den Rändern her aus und kollabiert dann komplett, wobei Milliarden Tonnen CO24 in die Atmosphäre austreten würden – eine Katastrophe für die Menschheit! Dieser Vorgang ließe sich nicht mehr rückgängig machen. Doch nicht nur der Amazonas wird durch das Abkommen gefährdet, sondern auch die wichtigen Ökosysteme Cerrado und die Trockenwälder des Chaco.
Auch die vermehrte Produktion von Autos mit Verbrennermotor für den Export würde die Klimakrise verschärfen.
Fakten zum Amazonas:
*Der Amazonas erstreckt sich über neun Staaten und hat eine Fläche von 6.7 Mio Quadratkilometern, das entspricht etwa der 1 ½-fachen Fläche der EU!
*Er dient als Speicher von Kohlenstoff (90 bis 140 Mrd. Tonnen Kohlenstoff werden geschätzt) und gibt große Mengen an Sauerstoff ab. Durch die enorme Verdunstung (fliegender Fluss) ist er der Kühlschrank der Erde.
*Er beherbergt weltweit 10 % aller Tierarten und ca. 40 000 Pflanzenarten
*ca. 34 Mio Menschen sind auf den Amazonas als Lebensraum angewiesen. Die Indigenen sind die Hüter des Waldes.
3.) Die Verletzung von Menschenrechten, die Vertreibung von Indigenen und Kleinbauern von ihrem Land und die Verfolgung von Kritikern durch die Regierung des rechtsextremen Präsidenten Brasiliens, Bolsonaro, würde durch die EU mit dem EU-Mercosur-Abkommen belohnt werden. Die EU würde ihre eigenen Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit verraten und sich komplett unglaubwürdig machen.
Fazit:
Das Abkommen wäre eine Katastrophe für Menschen und Natur und muss um jeden Preis verhindert werden!
Zusammenarbeit mit südamerikanischen Staaten ist wichtig, aber auf Augenhöhe und indem Umweltschutz und Menschenrechten absolute Priorität eingeräumt wird. Wenn die Menschheit weiter auf unserem Planet leben will, müssen derartig rückwärtsgewandte Handelsabkommen der Vergangenheit angehören!
Quellen:
1 Greenpeace
2 Jürgen Knirsch, Handelsexperte Greenpeace
3 Greenpeace-Studie „EU-Mercosur: Zweierlei Maß bei Ackergiften“
4 Gesche Jürgens, Waldexpertin Greenpeace
5 zdf heute