Covid-19: Familien, Schulen und Kitas in der Pandemie

Das „Wir müssen die Schulen um jeden Preis offen halten“-Geplapper, das sich dabei rührselig auf die Rechte von Kindern beruft, ist m.E. in den allermeisten Fällen mühsam verschleierte neoliberale Ideologie, deren Adjutanten es Arbeitgebern bloß nicht zumuten wollen, ihren Mitarbeiter:innen auch nur eine Sekunde mehr Home Office zu ermöglichen als unbedingt nötig.

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Schulschließungen/Aussetzung der Schulpfllicht sind eine Lösung für diejenigen, die es sich leisten können ihre Kinder anderweitig zu betreuen.
Das Problem ist nicht, dass die Schulen offen bleiben sollen. Insbesondere für nicht-privilegierte, wirtschaftlich schwache Familien ist das wichtig. Das ist auch keine „neoliberale Ideologie“, sondern Fakt. Die Kassiererin und der Schichtarbeiter könnnen nicht einfach ins Home-Office (und im Home-Office nebenbei noch irgendwie auf die Kinder aufzupassen, wird weder den Kindern noch der Arbeit gerecht).

Das wirkliche Problem ist, wie in dem von @less_ink zitierten Tweet gut dargestellt, dass trotzdem einfach nichts für die Sicherheit in den Schulen getan wird.
Luftfilter, deutlich kleinere Klassen, Wechselunterricht, regelmäßige Tests, eine vernünftige digitale Ausstattung der Klassen, das wäre wirklich notwendig gewesen (und ist es natürlich immer noch). All das könnte es schon seit über einem Jahr geben, wäre der Wille da.

Jetzt, wo wir nunmal in der Situation sind, wäre eine Aussetzung der Schulfplicht aber natürlich immer noch besser als nichts zu tun. Außerdem sollte natürlich Home-Office ermöglicht werden, überall da, wo es grundsätzlich möglich ist.

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Agreed, aber ich würde nicht unterstellen, dass es etwa Bettina Stark-Watzinger oder Yvonne Gebauer beim Offenhalten von Schulen um die Unterstützung dieser Familien geht. Es eignet sich als Argument aber natürlich hervorragend, um der „neoliberalen Ideologie“ zur Durchsetzung zu verhelfen und Arbeitskraft möglichst effizient auszubeuten.

Eine nicht-neoliberale Lösung wäre es m.E. gewesen, - mal etwas populistisch gesagt - etwa Teile der Lufthansa-Milliarden umzuschichten, sodass „Kassiererin“ und „Schichtarbeiter“ Anspruch auf einen Monat bezahlten Urlaub extra haben oder den Kinderbonus so weit aufzustocken, dass man für die Betreuung der Kinder zu Hause im Wechselunterricht eine Einzelbetreuung finanzieren kann.

Oder man legt massive finanzielle und personelle Aufstockungsprogramme für Sozialarbeit auf, um die negativen Folgen von Lockdowns und Schulschließungen abzufedern.

So etwas gibt es für Kinder unter 12 Jahren:
Jeder Elternteil kann bis zu 10 Wochen Urlaub in Jahr beantragen, falls die Schulen zu sind und niemand der Eltern im Homeoffice ist.
Es gibt allerdings nur 67% des Nettolohns (wie bei Krankengeld).
Kinderbetreuung im Lockdown: Was Eltern beim Sonderurlaub beachten sollten | tagesschau.de

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Die Entschädigungsleistung beträgt nur 67 Prozent des Nettogehalts, also ein Drittel weniger. Bei Geringverdienern macht sich das sofort bemerkbar. Wer zum Beispiel 1400 Euro netto hat, bekommt nur noch 938 Euro.

Jep, da haben prekarisierte Familien dann wenigstens die Freiheit zu entscheiden, ob sie lieber zur Durchseuchung oder zur Verarmung der Gesellschaft beitragen wollen.

Es ist immer schön zu sehen, wie der Niedrigverdiener, der HartzIV-Empfänger oder die Rentnerin mit ihrer Mini-Rente herangezogen werden, wenn es um allgemeine Zahlungen geht, die alle betreffen, während es bei Themen, die sie wirklich betreffen, erstaunlich ruhig ist.

Natürlich ist es verständlich, einem Arbeitnehmer, der seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann, auch nicht vollen Lohn zu zahlen. Er spart die Kosten für den Arbeitsweg, kann sich mittags sein Essen selbst kochen und die Zeit für private Dinge nutzen. Dass (übrigens auch nur wenn man bereits eine bestimmte Zeit im Betrieb tätig ist) es für sechs Wochen Krankheit volle Lohnfortzahlung gibt, ist eine Ausnahme und ein Entgegenkommen des Gesetzgebers.
Will man das diskutieren, sollte man eher in Richtung der Langzeitkranken schielen:
Die haben Zusatzkosten für Medikamente, Fahrtkosten für Arzt-, Physio- und Krankenhausbesuche, psychische Belastungen durch Ausgrenzung und Sorgen, was die berufliche Zukunft betrifft. Trotzdem bekommen sie nur 67% ihres Lohns.

Sehr lesenswertes Interview dazu:

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Dass jetzt wieder die Frage nach der Präsenzpflicht - meist aus den eher wohlhabenderen Elternhäusern - kommt, sehr bedenklich.
Bis auf Ausnahmen sind ca. 60-80 Prozent der Kinder aktuell in den Schulen, die ich als Lehrer und Vater kenne, anwesend (Hotspot Hamburg). Und diejenigen, die in Quarantäne sind, kommen danach wieder regelmäßig. Die fehlenden wechseln regelmäßig. Das ist ärgerlich, aber ok.
Die Vereinsamung der Kids während der Pandemie im Homeschooling, dass die früh nicht mehr aus den Betten kamen, immer dicker wurden etc., war und ist brutal. Einzelfälle haben noch immer nicht zur einem brauchbaren Schulbesuch zurück gefunden, den sie am Anfang hatten.
Die Aufgabenabgabe/Anwesenheit, obwohl alle technisch ausgestattet waren, lag im Homeschooling bei uns oft kaum bei 50 Prozent. Ca. 30-40 Prozent waren im Homeschooling voll ausgestiegen - und das waren in der Regel genau diejenigen, die dringend den Präsenzunterricht und auch die Pflicht dazu brauchten. Haltet die Präsenzpflicht bei! Kinder werden kaum ernsthaft krank, aber brauchen die echte Begegnung in der Schule mit all den anderen wichtigen Nebeneffekten (Bewegung, Soziales Lernen,…) -
Erdrückende Belege für diese Beobachtungen u.a. hier: Jugend in der Corona-Pandemie: »Wir beobachten eine Zunahme von Selbst- und Fremdgefährdungen« - DER SPIEGEL

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Ich frage mich auch immer, ob die Leute, die unbedingt Homeschooling wollen, schon mal mit Schüler:innen oder auch nur Lehrkräften einer Sekundarschule oder weniger gut betuchten Grundschule zu tun hatten. An diesen Schulen gibt es so viele Kinder, die einfach nur Pech hatten - sie sind dort, weil ihre Eltern nicht wollten, dass sie aufs Gymnasium gehen, weil sie mit Krankheit und Tod in der Familie beschäftigt waren, weil sie auf jüngere Geschwister aufpassen müssen oder zu Hause keine Ruhe haben, weil sie Ausländer oder Kinder von Ausländern sind, weil sie sich später entwickeln usw. Die sind nicht einfach „dümmer“, sondern haben meist erschwerende Umstände, die dann häufig auch so etwas wie „Online-Unterricht“ erheblich einschränken.

Eine Verwandte von mir ist Lehrerin an einer Sekundarschule und wurde während der Schulschließungen dafür bewundert, dass bei ihr „so viele“ Schüler:innen am Unterricht teilnahmen - 70 %. Tatsächlicher Online-Unterricht über Zoom o.Ä. war damals aufgrund fehlender Geräte und fehlender Räumlichkeiten (zu Hause waren viele Kinder in wenigen Räumen, aktuelles Beispiel: sechsköpfige Familie in Einzimmerwohnung) nicht denkbar, stattdessen Aufgaben und Telefongespräche mit der Lehrerin. Teilweise mussten die Aufgaben von den Schüler:innen physisch abgeholt und wieder abgegeben werden, da nicht mal kurzzeitig ein Endgerät zu Hause verfügbar war. Wie du sagst, viele Kinder sind damals vereinsamt, waren psychisch am Limit und/oder haben stark zugenommen, es sollte unbedingt vermieden werden, dass das noch mal passiert. Wir brauchen die Schulgebäude und die Lehrkräfte.

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Aber auch irgendwie ulkig, dass die Forderungen dann argumentativ nie darüber hinausgehen, die Schulen offen zu halten. Das klingt nach Kindeswohl und Kinderrechten, ist extrem unternehmensfreundlich und verpflichtet die Politik zu überhaupt keinen Folgehandlungen außer die Inzidenzgrenzwerte mal wieder nach oben zu verschieben. Sinnvoll würde die Forderung doch aber erst dann, wenn man sie in eine koheränte argumentative Strategie einbetten würde, also zum Beispiel mit der Forderung nach einer sofortigen Impfflicht für alle Erwachsenen oder der sofortigen Versiegelung von Büros und der Stillegung von Produktionsstätten verbindet, damit man sich ein größeres Aufkommen von Kontakten an Schulen und in Kinderbetreuungseinrichtungen - und insbesondere bei betreuten Freizeitbeschäftigungen - gesellschaftlich leisten kann. Stattdessen werden Präsenzpflicht und Offenhalten gerade mit der Abschaffung von Quarantänen und PCR-Tests verbunden, damit das Virus auch möglichst schnell jede:n Schüler:in erreicht.

So wichtig, dass wir ein paar Spinner in ihrem „Recht auf körperliche Unversehrtheit“ einschränken oder Arbeitgebern ein paar weitergehende Auflagen machen, scheint uns die Sache mit den grundgesetzlich garantierten Kinderrechten dann aber doch nicht zu sein.

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Die Fokusierung auf Infektionsschutz und die neoliberal-oder-nicht-Debatte in diesem Kontext ist vielleicht berechtigt, aber ich halte sie für nicht zentral. Wir reden meist von den Eltern und/oder Angehörigen, aber selten von den Kindern selbst. Stelle ich aber deren Belange in den Vordergrund, dann werden vor allem soziale und didaktische Aspekte wichtig:

Zum Sozialen:
Die Schule hat nicht nur eine Lernvermittlungsfunktion, sondern stellt für viele Kinder die zentrale Quelle von Reizen und Impulsen dar und den einzigen Ort, an welchem sie aus einen möglicherweise toxischen oder bedrückenden Umfeld zu Hause entkommen können. Das betrifft nicht nur prekäre Familien, aber ich gehe nun einmal besonders auf diese ein: Je prekärer die Situation zu Hause, desto wichtiger wird die Rolle der Schule. Während bei der akademischen Mittelstandsfamilie ein Regal mit alteresgerechten Sachbüchern, das pädagogisch wertvolle LEGO-Bastelset zu Weihnachten, das Gemüsebeet im eigenen Garten, Ausflüge in den Zoo, Klavierunterricht und Sportvereine (letzteres vielleicht nicht gerade im Lockdown) für genügend Input sorgen, so dass die Schule nicht mehr sooo wichtig in der Entwicklung wird, ist bei prekären Verhältnissen die Schule eine unersetzliche Quelle von externen Anreizen. Als Beispiel sei ein Fall aus dem Bekanntenkreis genannt, in dem eine Grundschullehrerin feststellen musste, dass ein Drittel der Kinder ihrer Klasse bei einem Schulausflug zum ersten mal in ihrem Leben einen Wald gesehen haben.

Hinzu kommt, dass (wie bereits oben angeklungen) die Digitalisierung des Unterrichts in besser situierten Elternhäusern halbwegs klappt, woanders hingegen gar nicht. Selbst wenn man SchülerInnen Tablets zur Verfügung stellt, scheitert es oft daran, dass es zu Hause keinen geeigneten Arbeitsplatz oder kein WLAN gibt (Eltern haben oft nur 1GB Datenflat auf dem Handy und manche verstehen auch nicht richtig, wie das so richtig mit den Daten funktioniert). Und auch da kann man nun über Digitalisierung und Bildungspolitik schimpfen, aber Bildungsdigitalisierung wird leider immer noch vom Prototyp der AkademikerInnen-Mittelstandsfamilie her gedacht. Die nötigen Anstrengungen, um das ganze auch sozial gerecht gestalten zu können, haben wir nicht einmal ansatzweise auf dem Schirm, da sie dann auch Dinge wie „Internet in jeder Wohnung“ und „ausreichend Wohnraum für kinderreiche Familien“ beinhalten.

Zum Didaktischen:
Didaktische Forschungen unterstützen die These (Disclaimer: Ich arbeite zwar in der Hochschullehre, habe aber keinen dezidiert pädagogischen Hintergrund), dass soziale Eingebundenheit für die Lernmotivation essentiell ist. Das bedeutet, dass eine wichtige Funktion des Systems „Schule“ auch darin, dass SchülerInnen im Lernprozess in einer Gruppe/Klasse/Jahrgangsstufe navigieren können. Würden sie den Lernprozess überwiegend als EinzelgängerInnen erfahren, dann ist das signifikant weniger motivierend. Die Klassengemeinschaft (sogar Animositäten und Feindschaften - nicht nur Freundschaften) und das, was auf den Fluren, auf dem Pausenhof und auf dem Weg nach Hause an sozialer Interaktion passiert, ist ein Bestandteil des Lernkonzepts „Schule“ und kann nicht einfach weggelassen werden. An Hochschulen, in der Arbeitswelt und in den oberen Jahrgangsstufen des Gymnasiums kann man darüber diskutieren, wie solche Aspekte sozialer Interaktion heutzutage auch in sozialen Medien substituiert werden, aber auf Grundschulniveau sehe ich da keine praktikable Lösung.

Von daher denke ich schon, dass aus sozialer und didaktischer Sicht Präsenzunterricht an Schulen (fast) immer besser ist. Und je jünger und unterpriviligierter die SchülerInnen, desto besser ist er.

[edit: zu viele peinliche Typos]

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Um nicht falsch verstanden zu werden: Es würde doch niemand behaupten, dass Präsenzunterricht bzw. Interaktion unter Anwesenden nicht immense Vorteile und wichtige Funktionen hätte, im Hinblick auf Persönlichkeitsbildung, Soziabilität, die Vermittlung von Wissen und insbesondere von „tacit knowledge“. Wirklich niemand.

Es ist doch aber so, dass wir all die Erkenntnisse über die Überlegenheit von Präsenzinteraktion in didaktischen Kontexten nicht einfach so auf die Situation von Lehr- und Lerngemeinschaften unter pandemisch eingeschränkten Bedingungen übertragen können. Klar kann man anekdotisch informiert die negativen oder die positiven Aspekte highlighten, aber man sollte sich m.E. zumindest ein paar Minuten Zeit nehmen, um über die Reibungsverluste und Variablen von Präsenzunterricht in der Pandemie nachzudenken oder zumindest in Rechnung zu stellen, dass es evtl genauso viele Probleme schafft wie es löst, wenn mit „Präsenz“ schlicht gemeint ist, junge Menschen für eine bestimmte Zeitspanne in schlecht präparierten Umgebungen zu arretieren und sie dort weitgehend ungeschützt einem Virus auszusetzen.

Dabei liegen Konzepte, wie sich sinnvoll, sozialverträglich und effizient Lernkohorten bilden lassen, um Kontakte zu reduzieren ohne didaktische Verluste in Kauf zu nehmen, schon lange vor. Christian Drosten hat schon Mitte 2020 im NDR-Podcast über entsprechende Modellierungen berichtet. Es fordert ja auch schlicht niemand, Schulen zu schließen oder komplett auf Homeschooling umzusatteln - aber dieser Strohmann wird natürlich gerne aufgebaut. Dass der initiale Lockdown im Frühjahr 2020 heute so nicht mehr gemacht werden sollte ist doch nun wirklich allen Beteiligten klar.

Auch hier: kein Widerspruch. Aber die Motivationen und Erwartungen bei Studierenden sind extrem komplex und decken ein weites Spektrum ab: Da gibt es alles von der vehement vertretenen Forderung nach Präsenzlehre bis hin zu ihrer kompletten Ablehnung, von Depressionen durch Einsamkeit bis hin zur anxiety, vulnerable Kontaktpersonen anzustecken. Und Hochschulen (oder viel eher: Lehrende) entwickeln deshalb anspruchsvolle Formen von Hybridlehre, um diese unterschiedlichen Ansprüche und Befindlichkeiten möglichst ohne Reibungsverluste zu vermitteln. Das simple Schema, dass Präsenz gut und Abwesenheit böse ist, hilft da schlicht nicht weiter.

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Präsenz muss genausowenig heißen, „junge Menschen für eine bestimmte Zeitspanne in schlecht präparierten Umgebungen zu arretieren und sie dort weitgehend ungeschützt einem Virus auszusetzen“, wie coronakonfomer Unterricht automatisch Schulschließungen und 100% Homeschooling heißt.

Das was du als Gegenpunkt zu Präsenz formulierst („sinnvoll, sozialverträglich und effizient Lernkohorten bilden […] Kontakte reduzieren ohne didaktische Verluste“) Ist genau das, was andere als Argument für Präsenzunterricht unter Coronabedingungen fordern:

Dementsprechend hab ich auch das Gefühl, dass einfach viel aneinandervorbei geredet wird.

Naja, doch. Diese Menschen gibt es definitiv, aber die würde ich im Sinne einer konstruktiven Debatte einfach ignorieren.

Kein Widerspruch, aber:smile:

Wer hat das behauptet? Abgesehen davon, dass es ja eben sowieso noch um Schulen und nicht um Hochschulen/Unis ging…

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Ich glaube grundsätzlich sind wir uns einig. Mein Punkt war vor allem: Dort wo die Forderung nach Präsenz politisch erhoben wird, geht es in den seltensten Fällen primär um das Wohl von Kindern - sonst wäre diese Forderung an bestimmte politische Rahmensetzungen oder Folgeforderungen geknüpft, die in der politischen Debatte aber so nicht vorkommen. Da würde ich dir auch zustimmen: Wären diese Maßnahmen für einen reibungslosen, angepassten Präsenzunterricht gewünscht, dann gäbe es sie bereits oder zumindest mehr davon.

Wenn wir schon Haare spalten: „Aber“ ist (u.a.) die Markierung eines Differenzierungsangebots. :wink:

Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass die Forderung nach Präsenz oftmals als alleinige Lösung präsentiert wird, etwa in dem Argument: Wenn wir ‚nur‘ die Schulen aufmachen, dann entledigen wir uns der in diesem Thread ja auch beschriebenen corona- und lockdowninduzierten Probleme bei Kindern und Jugendlichen. Es ist aber - würde ich sagen - wenig gewonnen, wenn weiterhin Eltern vollkommen überlastet sind, Großeltern sterben, die Schließung von Bars, Diskotheken und Kinos sowie die Kriminalisierung von Partys die Anbahnung und Erprobung intimer Beziehungen verhindert, Angst vor Ansteckung und mittelfristigen Folgen besteht, etc. etc. Und mir kommt es mitunter so vor, dass die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichtes sich als Lösung all dieser Probleme präsentiert, während mir vollkommen unklar ist, wie sie das leisten will.

Nebenbei: Berlin hat gerade beschlossen, die Präsenzpflicht an Schulen auszusetzen, weil die Bildungssenatorin die Quarantäne-Regelungen der Berliner Amtsärzte für so gefährlich hält, dass sie Eltern die Schulpflicht nicht mehr zumuten möchte. (Diese Verlagerung der Entscheidung auf Eltern ist natürlich auch ein ziemliches Problem):

Ich finde es bedenklich, dass weniger wohlhabende Familien immer dann als Argument herangezogen werden, wenn der Status Quo verteidigt werden soll. Bessere Haltungsbedingungen in der Landwirtschaft? Auch arme Familien sollen sich Fleisch leisten können! Mehr erneuerbare Energien? Strom darf nicht noch teurer werden! Höhere Benzinpreise? Auf keinen Fall! Insbesondere weniger wohlhabende Familien haben oft Familienmitglieder, die vulnerabel sind und eine Infektion nicht so locker wegstecken würden.

Ich bin auf so eine Schule gegangen. Natürlich sollten die Schulen nicht wieder geschlossen werden, aber es muss eine Alternative zur Präsenzpflicht geben. Eine Covid-Infektion kann einen gesundheitlich für den Rest des Lebens zeichnen, mit dem Argument „Omikron ist doch total harmlos“ die Durchseuchung zu rechtfertigen, halte ich für fatal. Natürlich ist Online-Unterricht eine Herausforderung, merke ich ja selber aktuell als Studierender, aber nach zwei Jahren Pandemie funktioniert der vielerorts mittlerweile deutlich besser als zu Beginn der Pandemie. Warum unterstützt man arme Familien nicht bei der Anschaffung von PCs, Webcams und Headsets? IT-Kenntnisse sind auch hilfreich für die berufliche Zukunft der Kinder.

@less_ink Ich glaube, wir sind in den meisten Punkten nahezu der gleichen Meinung. Selbstverständlicherweise darf Präsenzunterricht nicht zum Cargocult werden (dies ist auch eine meiner Kritiken an der Handhabung von Präsenz/Hybridunterricht an einigen Hochschulen), aber ich beziehe mich vor allem auf den Schulkontext, wo Alternativen rarer sind und die Unterpriviligierteren härter treffen. Ich stimme auch zu, dass viele guten Vorschläte, wie geeignete Belüftung oder Filter, Testen und Kohortierung nicht optimal umgesetzt wurden. Allerdings sind dies aus meiner Sicht keine Argumente gegen Präsenzunterricht, sondern eher als Lackmustest zu vorstehen, an dessenGelinge man indirekt ablesen kann, wie wichtig EntscheiderInnen die Schulen denn tatsächlich waren.

Um noch einmal auf die Hochschulen einzugehen: Im Gegensatz zu den Schulen sehe ich hier viel mehr Handlungsmöglichkeiten, Lehre in den digitalen Raum zu verlagern. Denn von Studierenden kann man noch eher erwarten, dass sie einen Laptop haben, über einen Arbeitsplatz zu Hause verfügen und eine ähnliche Grundausstattung an Medienkompetenz mitbringen. Bei SchülerInnen kann man das nicht. Natürlich gibt es die angesprochenen Problematiken wie Einsamkeit, Depressionen, Motivationsverlust, etc. aber da bieten sich in der Hochschullehre zumindest Ansatzmöglichkeiten, dem entgegenzuwirken. An Universitäten fand ich aus Lehrendensicht eher die Hybridmaßnahmen und die Ankündigung, dass es „bald wieder normal“ werde störend. Denn alles Digitale musste immer einen provisorischen Charakter haben und deshalb konnte viele didaktische Ideen nicht umgesetzt werden. EntscheiderInnen hielten an der Idee fest, dass die Pandemie nach der nächsten Welle ganz sicher vorbei sein würde.

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Ich möchte dieses Thema in der Timeline wieder etwas weiter nach oben bringen. Einerseits aus persönlicher Betroffenheit, andererseits aus Hilflosigkeit.

Zunächst die "Betroffenheit"
Meine Frau und ich sind beide doppelt geimpft und hatten auch schon vor einigen Wochen unsere Auffrischungsimpfung. Wir sind beide der Überzeugung, dass es sich bei Corona um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung handelt, zu deren Bewältigung jede*r seinen Teil beitragen muss.

Bei Kindern „hat der Spaß aber ein Loch“.
Unsere zwei Kinder im Alter von 2,5 und 5,5 Jahren haben beide bereits eine Corona Infektion hinter sich und gelten derzeit noch als genesen. Durch das Herabsetzen der Geltungsdauer des Genesenenstatus läuft diese Schonfrist aber schon bald ab. Ergo sind wir dann wieder vom Thema Quarantäne betroffen und da beide den Kindergarten besuchen, ist dies regelmäßig der Fall.
Impfen ist aus zwei Gründen keine Option.

  1. Es gibt keine offizielle Impfempfehlung der Stiko für Kinder unter 12, sofern es keine entsprechenden Vorerkrankungen gibt, die dies erfordern würden (ist bei uns nicht der Fall).
    Sicher kann man sich als Eltern trotzdem für eine Impfung der Kinder entscheiden. Aber da wir beide keine Mediziner sind, halten wir uns hier schon an den Expert*innen-Rat.
  2. Bei Kindern mit einer überstandenen Covid-Infektion wird sogar aktiv von einer Impfung abgeraten.

Da fühlt man sich schon ziemlich allein gelassen und die Freude auf Nachtschichten im Homeoffice während der Quarantäne-Zeit hält sich auch in Grenzen.
Beim RKI ist man sich des Problems indes scheinbar nicht bewusst - es würden wohl „Daten“ fehlen. Was auch immer das heißt. Der Münchener Merkur schreibt in einem Artikel vom 22.01.22:
„Auf Merkur-Nachfrage, ob man es beim RKI nachvollziehen könne, dass Eltern Bedenken haben, ihre Kinder impfen zu lassen, wenn sie die Empfehlung auf der Homepage zur Nicht-Impfung lesen, heißt es von Instituts-Sprecherin Susanne Glasmacher nur: „Dazu liegen dem RKI keine Daten vor.“
(Coronavirus: Landkreis München: Genesenen-Status verkürzt: „Die Kinder sind erneut die Gelackmeierten“)

Und nun zur Hilflosigkeit
Wir wissen nicht mehr, an wen wir uns wenden sollen, um das Thema in der Wahrnehmung nach vorne zu bringen. Kindergarten und Kinderärzte verweisen auf das RKI bzw. die Stiko-Empfehlung. Nachrichten an das RKI sowie die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. sind raus. Antworten sind allerdings noch nicht da und wir versprechen uns davon auch nicht wirklich etwas.
Sollte jemand also noch einen heißen Tip haben, sind wir dafür sehr dankbar.

Bei allen Herausforderungen geht aber unbedingt noch ein dicker Dank an Philip und Ulf raus.
Ich bin seit einigen Jahren „Lage-Hörer mit Abo“ (klingt ein bisschen wie „geimpft mit booster“) und freue mich jede Woche erneut auf eine neue Folge mit euch. Ehrenmänner!

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Diese Empfehlung wurde ausgesprochen nicht aufgrund der Gefährlichkeit der Impfung, sondern aufgrund der - nach bisherigen Datenlage - Harmlosigkeit der Corona-Infektion für Kinder.

Sprich: ruhig den Fünfjährigen impfen lassen, wenn das euer Leben besser macht.

Andererseits: die Omicron-Welle ist so massiv und der Frühling naht. Vielleicht ist Corona in zwei Monaten schon kein Thema mehr (bis zum Herbst).

Hallo zusammen,

@vieuxrenard: Hier drei aktuelle links zum Thema:

https://u12schutz.de/assets/pdf/u12_Presseerklärung_zu_Haftungsfragen_KURZ%20.pdf

Macht was draus!!!
Es sind unsere Kinder!
RA Kurz hat hierzu schon mehr analysiert in Zshg. mit Gesetzgebung.

Viele Grüße!
Anja

Es gibt Kinderärzte, die das nicht machen, solange die stiko das nicht klar empfiehlt. Und solange Impfungen nur dem Individualschutz dienen, macht das ja Sinn. Wenn die Stiko sagt, Kinder haben keinen Vorteil, wieso dann impfen.

Wenn Impfungen aber plötzlich Bürgerrechte gewähren, ist das schon blöd.