Corona-Regierungskritik ohne Merkel-Nennung

Leider zieht sich eine Charakteristik durch die Pandemie, die dem Journalismus in Deutschland nicht würdig ist. Auch in der Lage ist dies leider zu vernehmen. Angela Merkel kommt in der medialen kritischen Pandemie-Berichterstattung nahezu nicht vor. Kurz gesagt: Merkel wird nicht kritisiert. Alle vorbereitenden Maßnahmen des Sommers für den Corona-Herbst, hat sie nicht getroffen, trotz pandemischer Notlage. Warum beschließt die Regierung unter ihrer Führung diese Notlage, um dann die Pandemie auszusitzen. Sie war noch bis Anfang Oktober amtierende Bundeskanzlerin, jetzt ist sie es noch geschäftsführend. Dennoch wurde regierungsseitig seit dem Sommer nichts mehr unternommen. Als veritabler Schuldiger muss regelmäßig Jens Spahn herhalten. Gerade weil die noch geschäftsführende Regierung seit Monaten nichts gegen die Pandemie tut und Merkel die Regierung anführt, müsste täglich darüber berichtet werden. Sind Journalisten nicht dazu da, die Regierung (und ihre Führung) zu hinterfragen? Die steigenden Zahlen sind maßgeblich von Merkel und ihrem Kanzleramt zu verantworten. Die Regierung kannte die Lage frühzeitig, die Daten lagen auf dem Tisch. Auch ihr Kanzleramtsminister trägt eine große Mitverantwortung. Da er sich nun für den CDU-Parteivorsitz beworben hat, sollte dies auch dort kritisch mitberücksichtigt werden.

OK, und was folgt daraus? Welcher Mehrwert für die Berichterstattung hätte es, wenn man sich weiter an einer Kanzlerin abarbeitet, die eh nicht wieder angetreten ist? Ich schätze, dass ihr bereits feststehender Abgang auch der wesentliche Grund ist, warum sie nicht im Fokus der Kritik steht.

Ich könnte mir vorstellen, dass bei @Philipp_K die Wut mit schwingt. Er möchte dass die richtigen Leute benannt werden die eben auch einen großen Anteil an dem Desaster jetzt haben. Da ist Merkel eben eine Hauptschuldige da sie nie etwas getan hat außer mahnen.

Allerdings gehört das Thema jetzt nicht auf den Tisch da es nicht die Zeit ist. Ich fände es allerdings auch schön wenn mal die Kanzlerschaft kritisch beäugt wird mit Punkten wie Schutz von Lobbyismus und Korruption, keinerlei Investitionen, verbockter Klimawandel, EU usw.

1 „Gefällt mir“

Zudem würde eine Fokussierung auf Frau Merkel nicht der Komplexität der Entscheidungsprozesse gerecht. Auch die Entscheidungsmacht des/der Bundeskanzler/in ist in vielfacher Hinsicht beschränkt. So spielten die Ministerpräsidenten bei den Coronamaßnahmen einen wichtige Rolle. Soweit ich die Berichterstattung richtig verstanden haben sollte, wollte Merkel meist mehr als die MPs und wurde von diesen ausgebremst.

Genau so ist es. Natürlich ist Merkel nicht mehr angetreten. Aber wie war es denn bei Donald Trump bei seiner Wahlniederlage. Über ihn wurde auch noch sehr lange berichtet, obwohl er als politische Person weitestgehend irrelevant geworden war. Auch Schuldfragen wurden in diesem Kontext noch länger diskutiert, auch in der Lage (Sturm auf das Kapitol). Man hat den Eindruck über alle Medien hinweg, dass die Kanzlerin ein Tabuthema ist. Das ist dann umso mehr eine Verschiebung der Maßstäbe, wenn man bedenkt, dass hier tausende vermeidbare Tote der Pandemie wegen Missmanagement zum Opfer fallen.

Nun ja, Merkel hat immerhin - mehrfach - einen Amtseid abgelegt (Schaden abwenden, Nutzen mehren usw.), im Gegensatz zur noch nicht in Betrieb befindlichen kommenden Regierung. Daraus ergibt sich, dass sie sich gefälligst zu kümmern hatte, genau wie ihre ministeriellen Hilfskasper. Dies seit Spätsommer nicht mehr getan zu haben zeigt einmal mehr, was man von solchen Beeidungen zu halten hat. Immerhin - das muss man Merkel zugute halten - hat sie immer wieder gewarnt, als die Landesfürsten die gelockerten Spendierhosen geöffnet haben, aber da war ihre funktionelle Uhr schon weitgehend abgelaufen. Dennoch fällt unangenehm auf, wie in den letzten Wochen so etwas wie im Rückblick nostalgisch verklärte Lobhudelei auf die künftige Ex-Kanzlerin durch die Journaille geleistet wurde, völlig unverständlich aus meiner Sicht, bei all dem, was sie NICHT angepackt hat, trotz 16 Jahren Zeit dafür. „Richtlinienkompetenz“ sollte nicht nur eine Worthülse sein … Insofern wäre aus Gleichgewichtsgründen schon mal eine kritische Bilanz angebracht. Zuletzt ließ sie sich ja lieber im Ausland hofieren bei ihrer abschließenden Welttournee, das war nicht so ungemütlich.

2 „Gefällt mir“

Nun, man kann schon mal die Rolle der Kanzlerschaft kritisch beurteilen, um zu Einschätzungen zu kommen, die über Merkel hinaus gehen, also vielleicht Vorgaben für Scholz daraus ableiten. Er wird ja potentiell ein noch weniger mächtiger Regierungschef sein, als Merkel es war, denn seine Mitkoalitionäre bringen halt zusammen mehr Prozente auf die Waage. Deswegen stellt sich z. B. die Frage, ob Merkel deswegen so wenig durchgesetzt hat, weil es zu viele Gruppeninteressen unter ihr gab, die sie nicht unter einen Hut bringen konnte, oder war sie qua Persönlichkeit nicht durchsetztungsstark genug, oder wollte sie, z.B. aus populistischen Gründen manches gar nicht durchsetzen? Je nachdem, müsste man Scholz wahrscheinlich aus verschiedenen Blickwinkeln auf die Finger schauen, um ähnliche Mängel in seiner Regierung aufzudecken.

1 „Gefällt mir“