Corona: Fallsterblichkeit April vs. Oktober

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Ein durch Corona-Maßnahmen-Gegner oft angebrachtes Argument ist ja: „Im Moment stirbt ja fast keiner dran“. Und stimmt ja auch: Vergleicht man aktuelle Fallzahlen mit denen im April und aktuelle Todeszahlen mit denen im April ist der Grund für den Unterschied der Fallsterblichkeit ja nicht offensichtlich.

Ein oft genannter Faktor ist die Altersstruktur der Infizierten. Nur dazu habe ich keine Zahlen gefunden. Schön wäre doch z.B. der Verlauf der Fallzahlen von Menschen über 60. Vielleicht könnt ihr ja dazu was finden oder jemanden fragen, der sich mit sowas auskennt? :slight_smile:

Auf einen weiteren möglichen Faktor bin ich erst heute gestoßen: Offenbar gehen verschiedene Pandemie-Modelle von dramatisch unterschiedlichen Dunkelziffern im April und jetzt aus.

Jedenfalls fände ich schön, wenn ihr diesen Aspekt der aktuellen Entwicklung der Pandemie etwas näher beleuchten könntet.

Niko.

Corona-Update Podcast

Hier die Studie

"Results: Our analysis finds a exponential relationship between age and IFR for COVID-19. The estimated age-specific IFRs are very low for children and younger adults but increase progressively to 0.4% at age 55, 1.3% at age 65, 4.2% at age 75, and 14% at age 85. We find that differences in the age structure of the population and the age-specific prevalence of COVID-19 explain nearly 90% of the geographical variation in population IFR. "

Beide Bilder sind Screenshots aus Sync.com | Control Panel

Dazu noch eine Ergänzung: Es scheint immer klarer (und das war ja im April noch unsicher), dass Masken nicht nur andere schützen, sondern auch die Person, die sie trägt. Einen sehr interessanten Artikel dazu findet ihr hier: The Importance of Face Masks and the Tragedy of Downplaying Them - Nautilus | Science Connected (englisch).
In dem Artikel wird sogar mit der Idee gespielt, auf Herdenimmunität zu sätzen, allerdings unter strenger Maskenpflicht. Dazu würde mich interessieren wir das hier gesehen wird, sollte die Maskenpflicht viel stärker kontrolliert werden um schwere Verläufe sowie Todesfälle stark zu reduzieren?

Danke! Gute Quelle. Die Screenshots zeigen jedoch nicht

sondern die Altersstruktur der Verstorbenen.

Über den Daumen sind wir im Moment bei etwas über der Hälfte der im Frühjahr täglich gemeldeten Fälle.

Tägliche Fallzahl des Coronavirus in Deutschland 2022 | Statista

Anfang Oktober hatten wir knapp 100 Todesfälle pro Woche. Im Frühjahr waren wir jedoch teilweise bei 1500 Todesfällen pro Woche. Wenn man nun Fallzahlen mit Todesfällen ins Verhältnis setzt, bleibt ein Faktor von ~ 7, den man erklären muss.

Die Frage ist nun, lässt sich dieser Faktor 7 ausschließlich durch die Dunkelziffer erklären? Oder auch über die unterschiedliche Altersstruktur der gemeldeten Fälle? Um das zu sehen wäre z.B. eine Meldestatistik der über-60-Jährigen nützlich. Die (oder was Vergleichbares) habe ich jedoch bisher nicht gefunden.

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Infektionsverlauf und Verlauf der Todeszahlen können nicht direkt verglichen werden, da die Leute ja nach der Infektion nicht sofort tot umfallen. Die „Toten“ aus der aktuell höheren Zahlen kommen erst in ca. 4 Wochen in die Statistik.

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Das RKI meldet regelmäßig die Altersstruktur in ihren täglichen Bulletins, epidemiologische Daten immer Dienstags.

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Super! Danke!

In den Dienstags-Reports sind jeweils die Altersgruppen aufgeschlüsselt. Jetzt können wir vergleichen:

  • Meldewoche 14:
    • 12.255 gemeldete Fälle über 60 Jahre.
    • 2.246 Verstorbene bei allen in dieser Woche gemeldeten Fälle.
    • Das ist ein Faktor von 0,18.
  • Meldewoche 38:
    • 1.590 gemeldete Fälle über 60 Jahre.
    • 58 Verstorbene bei allen in dieser Woche gemeldeten Fälle.
    • Das ist ein Faktor von 0,036.

Die Differenz dieser „Über-60-Morbidität“ (Faktor 5) ließe sich prima über die Unterschiede in der Dunkelziffer erklären. Einem Statistiker rollt es bei dieser hemdsärmeligen Pi-Mal-Daumen-Rechung sicher die Zehnägel hoch (die Sterberate bei den nicht erkannten Fällen lag sicher im Frühjahr auch nicht sehr hoch) und ich weiß auch, dass Korrelation und Koinzidenz nicht das selbe ist … aber zumindest machen diese Zahlen die erstaunlich niedrigen Todeszahlen zur Zeit etwas plausibler.

Danke an alle Beteiligten für diese Diskussion. :slight_smile:

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Ich würde sagen schwieriger noch als die Dunkelziffer bei deiner Rechnung ist, dass die Verstorbenen ja eine andere Kohorte sind, oder?

Die 58 in KW38 verstorbenen sind ja (zum großen Teil) nicht Teil der in KW38 gemeldeten infizierten, sondern vermutlich deutlich früher als infiziert gemeldet worden.
Aber um ein grobes Gefühl zu bekommen passt Deine Rechnung schon ganz gut, denke ich.
Faktor 5 bei anderer Dunkelziffer, Ungenauigkeit durch Zeit-Verzögerung, Grobheit der Rechnung weil wir die Alterstruktur der Verstorbenen nicht kennen, und relaitv kleiner Stichprobe in KW 38 würde ich unter „ähnliche Todesrate“ fallen lassen.

Das wird sicher ein Faktor sein, da am Anfang stärker symptombasiert getestet wurde und somit das überproportional die schwerer erkrankten erfasst wurden.

Weitere Faktoren sind aber auch folgende:

  1. Mehr Erfahrung in der Behandlung
    Anfangs wusste das medizinische Personal noch nicht welche Behandlung am besten ist. Inzwischen wurde viel Erfahrung gesammelt und ausgetauscht und medikamentöse Therapien ausgetestet (z.B. Kortison gegen überschießende Immunreaktion). Dadurch ist die zu Überlebenschance deutlich besser.

  2. Vitamin D und der Sommer
    Es ist inzwischen gut bekannt und war erwartbar, dass der Vitamin D Spiegel Auswirkungen hat auf den Verlauf der Erkrankung. Vitamin D wird am besten durch viel Sonne gebildet.
    Anfang des Jahres kamen wir aus der dunkleren Jahreszeit und daher war der Vitamin D Spiegel bei vielen tendenziell niedriger. Jetzt kommen wir aus dem Sommer und die Spiegel dürften gut aufgefüllt sein.

  3. Über 60, über 70, über 80…
    Über 60 jährige ist eine große Gruppe und wenn dabei mehr nahe der 60 sind als an 70 oder 80 oder noch älter sind die Chancen besser glimpflich davon zu kommen

  4. Pflegeheime und Krankenhäuser
    Über 60 kann sehr fit oder aber sehr krank sein. Anfangs wurden viele Pflegeheime und Krankenhäuser erwischt in denen mehr Menschen sind die Vorerkrankungen und akute Erkrankungen haben. Dies schmälert deren Chancen.

  5. Masken und Abstand
    In den letzten Monaten kam die Theorie auf, dass Masken und Abstand sich selbst bei einer Infektion positiv auswirken, da die aufgenommene Virusmenge geringer ist und dies dem Immunsystem bessere Chancen gibt rechtzeitig einzugreifen. Bewiesen ist es, meine ich, nicht aber denkbar und schlüssig.