Containern Verfassungsgerichtsurteil

Im Grundgesetz gibt es den Begriff der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Eingeschränkt wird die Relevanz desselben durch die soziale Relevanz.
Meiner Meinung nach ist die mehrheitliche Auffassung der eher wirtschaftskonservativ geprägten Gesellschaft die, daß die Freiheit des gewinnorientierte Unternehmertums höher steht als die soziale Relevanz. Erstens grundsätzlich und zweitens bei Fragen der Verwertung von essbaren Gütern. Während auf der anderen Seite mit dem Argument der Problematik der Welternährung die Äcker weiter vergiftet werden und die Arten rasant sterben, ist generell dieKnappheit an Essbarem so wenig in der Gesellschaft präsent, daß das Verfassungsgericht die Versorgung mit Lebensmitteln nicht als einer Form der Erhaltung der Würde des Menschen und der relevanten Sozialpflichtigkeit ansieht.

Immer mal wieder wünsche ich mir, die Richter*innen des ansonsten von mir so geschätzten Bundesverfassungsgerichts hätten mehr wirtschaftlichen Hintergrund:

Natürlich ist es nicht so, dass eine schlechte Qualität von Lebensmitteln im Container den Ruf von Lidl schädigt. Vermutlich ist sogar umgekehrt: Je besser die Qualität der weggeworfenen Lebenmittel, desto höher der gerechtfertigte Ärger über die Verschwendung hochwertiger Lebensmittel.

Was aber in meinen Augen wirklich entscheidend ist: Lidl wird durch Containern geschädigt.

Warum: Lidl stellt sich in der Öffentlichkeit als Preisführer da. In den Medien gibt es regelmäßig Vergleiche, ob der Einkauf nun bei Aldi oder Lidl billiger ist. Also sind Lidl-Kund*innen vermutlich preissensitiv: Sie suchen bei Lidl den billigsten Preis, nicht unbedingt die höchste Qualität.

Diese Kundinnen würden also auch woanders einkaufen, wenn sie einen niedrigeren Preis bekommen. Und das ist ein Problem für Lidl: **Die Kundinnen ersetzen mit Lebensmitteln aus dem Container zum Großteil Lebensmittel, die sie sonst vielleicht bei Lidl direkt gekauft hätten.** Anstatt das Gemüse am Nachmittag zu kaufen wird es abends aus dem Container gefischt. Und das heißt, dass Lidl Umsatz entgeht. Und so wird Lidl geschädigt, wenn containert wird.

Im übrigen versuchen die Discounter ja die Menge der weggeworfenen Lebensmittel zu reduzieren, auch weil das Wegwerfen von Lebensmitteln natürlich und zum Glück rufschädigend ist. Bei Lidl habe ich Sonderpreise für bald ablaufende Lebensmittel gesehen. Bei Aldi Süd in Bamberg habe ich gesehen, dass Lebensmittel an die Tafel statt in den Container abgegeben werden.

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Generell teile ich die Meinung zu dem Urteil so wie es diskutiert wurde, aber ich fand die Äusserung zur Gegenargumentation schon etwas polemisch. Zitat:

Der Eigentümer der Lebensmittel wollte diese bewusst einer Vernichtung durch den Abfallentsorger zuführen, um etwaige Haftungsrisiken beim Verzehr der teils abgelaufenen und möglicherweise auch verdorbenen Ware auszuschließen.

Bundesverfassungsgericht - Presse - Erfolglose Verfassungsbeschwerde bei einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen „Containern“

Das liesst sich für mich nicht nach „kann ja sein dass das in der Presse schlecht dargestellt wird“ sondern als „kann der Supermarkt verklagt werden“ und aus Sicht des Unternehmens ist das ein echtes Risiko, dass sie vermutlich nicht eingehen wollen. Natürlich ist das trotzdem totaler Quatsch, das liesse sich ja regeln, aber es ist eben doch ein bisschen eher verständlich wie ich finde.

Grundsätzlich stimme ich dir da zu @Susannedrangmeister.
Aber ich finde auch, dass Unternehmen, in einem gewissen Rahmen, selbst darüber entscheiden dürfen müssen, welcher Teil der Lebensmittel an Tafeln geht und welcher vernichtet wird.
Gerade wenn es sich um ein Unternehmen handelt, welches auch an Tafeln spendet, muss man annehmen, dass die Unternehmensleitung ganz bewusst entscheidet, welche Lebensmittel weiter verzehrt werden sollen und welche nicht. Das bedeutet weiterhin, das dieses Unternehmen ein berechtigtes Interesse daran hat, dass die Lebensmittel, die im Container landen, auch an den Entsorger gehen.

Die Verteidigung, dass man sich sonst Rufschäden ausgesetzt sähe, wenn jemand an entsorgten Lebensmitteln erkrankt halte ich für schwachsinnig.

Der Wunsch, dass das Personal jedoch Müll entsorgen oder Müllpressen bedienen soll, ohne sich Sorgen zu machen, dass dabei ein Mensch im Container zu Schaden kommt ist jedoch real.

Meines Erachtens nach muss nicht das Containern entkriminalisiert werden, sondern dafür gesorgt werden, dass Lebensmittel bezahlbar bleiben.
Nur knapp 5% der gesamten Lebensmittelverschwendung findet bei den Supermärkten statt. Was ja auch Sinn ergibt, den jedes bischen an weggeworfener Ware produziert kosten. Supermärkte haben also am ehesten ein Interesse daran, ihre „Wegwurfrate“ so gering wie möglich zu halten.

Die Firmen profitieren vom Abgeben an die Tafel mehrfach: sie sparen anteilig Geld für Müllentsorgung, sie setzen es als Spende von der Steuer ab, sie bessern ihren Ruf auf.

Ich finde, der Gesetzgeber sollte das Vernichten von Lebensmitteln so hoch bestrafen, das die Firmen selber aus Gewinnorientierung nach Alternativen suchen. Das ist eine systemkonforme Lösung, die an den wesentlichen Triebfedern der Player ansetzt und nicht nur caritativen ist.

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Erfreulich ist ja schonmal, dass viele Supermärkte Aktionen wie „Krumme Dinger“ haben, bei denen Lebensmittel, die nicht der „Norm“ entsprechen verkauft werden.

Ich finde jedoch auch die Formulierung: „Lebensmittel vor der Tonne retten“ sehr irreführend. Das klingt ritterlich und selbstlos, obwohl man eigentlich nur sich selbst mit kostenlosen Lebensmitteln versorgt.
Ich will den Leuten ja gar nicht absprechen, dass der Gedanke dahinter auch ist, dass man etwas gegen Lebensmittelverschwendung tut.
Aber es ist nunmal auch nicht der selbstlose Akt, als der es immer glorifiziert wird.

Ich muss leider bei der Besprechung des Urteils kritisieren, dass die Sachverhaltsdarstellung nicht vollständig war. Aus der Entscheidung ergibt sich, dass den Beschwerdeführern eine Einstellung nach § 153a StPO gegen die Leistung von 8 Stunden gemeinnützige Arbeit vorgeschlagen wurde. Dies hatten sie abgelehnt.

Wenn man über die Verhältnismäßigkeit der strafgerichtlichen Verurteilung spricht, dann muss man auch berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer, die einen Straftatbestand verwirklicht haben, durchaus die Möglichkeit hatten, die strafgerichtliche Verurteilung und das damit verbundene Unwerturteil abzuwenden und sich ausdrücklich dagegen entschieden haben.

Die Ablehnung der Einstellung gegen Arbeitsstunden macht ja Sinn, wenn es einem grundsätzlich um einen positiven Verfassungsbescheid für das Recht auf Containern geht und nicht um das Abwehren persönlicher Konsequenzen.

Wenn man die Urteilsbegründung genauer liest, argumentiert das Verfassungsgericht nicht mit einer möglichen Rufschädigung des Supermarkts. Es geht einzig und allein um die Frage, ob der Eigentümer des Nahrungsmittels signalisiert hat, dass er auf das Eigentum verzichtet. Und das sei hier nicht der Fall, weil z.B. der Container verschlossen war. Die Studentinnen haben ihn mit einem Vierkantschlüssel geöffnet. Weiter wird ausgeführt, dass es nicht darauf ankommt, ob die Begründung des Supermarkts für das Verschließen des Containers (Angst vor Haftungsansprüchen) stichhaltig ist. Es geht nur darum, dass dadurch eindeutig signalisiert ist, dass der Supermarkt will, dass sein „Eigentum“ vernichtet wird (Eigentumsfreiheit).

Ich ärgere mich sehr über unsere Wegwerfgesellschaft und ich drücke der GFF normalerweise immer die Daumen, wenn sie in Karlsruhe klagen. In diesem Fall meine ich jedoch, dass das Verfassungsgericht den Fall zu Recht abgewiesen hat und damit aus meiner Sicht den Ball dem Gesetzgeber zuspielt, der hier dringend etwas tun sollte.

„Es war ein warmer Dienstag im Juni, als sich Caro (27) und Franzi (25) in der Dunkelheit, um 22.30 Uhr, auf den Hinterhof einer Edeka-Filiale in Olching geschlichen hatten, um zu containern. […] Der Vorwurf gegen Caro und Franzi: besonders schwerer Diebstahl. Sowohl der Markt als auch die Polizei erstatteten Strafanzeige. 1200 Euro sollten die beiden Olchingerinnen zahlen – pro Person.“

Ich wollte nur klarstellen, dass es sich um einen EDEKA handelte.

Und zur Argumentation des BVerfG beziehen sie sich vllt auch die Stellungnahme des Edeka Südbayern. „Der Konflikt: Supermärkte sind dazu verpflichtet, abgelaufene Lebensmittel zu entsorgen. „Wichtig ist uns, klarzustellen, dass wir uns als Unternehmen an bestehende Gesetze halten“, sagt ein Sprecher von Edeka Südbayern. „Auch wir sind gegen die Verschwendung von Lebensmitteln!““

Wenn Sie im Sommer schon einmal in so einen Container geschaut haben, dann ist es wirklich selbstlos. Natürlich versorgt man sich mit Lebensmitteln, aber die Produktion dieser verursacht CO2-Emissionen durch die Senkung der Nachfrage, findet dann auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage der Überproduktion statt. Dadurch dient es auch der Gesellschaft.

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Wie gesagt, ich spreche denjenigen die containern eine selbstlose Komponente bei der Entscheidung nicht ab, ich denke nur, dass das eben nicht der einzige Antrieb ist und die mediale Darstellung diesen Hintergrund oft überbewertet.

Es darf auch einfach nicht außer Acht gelassen werden, dass die Lebensmittel im Container noch im Eigentum des Supermarktes stehen.

Der einzige theoretisch kritische Fall, der mir einfällt, bei dem ein Supermarkt möglicherweise eine Rufschädigung erleiden könnte, wäre, wenn ein Supermarkt Produkte wegwirft, die von einem Rückruf betroffen sind. Also beispielsweise ein Joghurt, der mit irgendwelchen Bakterien belastet ist. Der Supermarkt wirft diese Produkte in seinen Container und geht in dem Moment davon aus, dass sie damit wirksam von den Konsumenten fern gehalten wurden. Dass jetzt jemand ankommt und die Produkte (nicht wissent, dass sie gefährlich sind) wieder da rausholt, ist dann verständlicherweise nicht im Interesse des Supermarkts.

Ich kenne mich leider nicht im Detail aus, aber soweit spielen bei diesem Urteil eine wirtschaftskonservativ geprägte Auffassung und Unternehmerinteressen die Hauptrollen. Meines Wissens werden Lebensmittel vor der Entsorgung abgeschrieben und sind somit von der Steuer absetzbar?
Wie kann man die Eigentumsverhältnisse nach Abschreibung bewerten? Ändert sich dadurch nichts am Sachverhalt?

Ich sehe das genau so. Mit den Lebensmitteln aus dem Müll wird ja ein Bedarf gedeckt. Dieser Bedarf wird dann natürlich nicht mehr mit kostenpflichtigen Lebensmitteln gedeckt, wodurch dem Verkäufer Umsatz entgehen könnte.
Natürlich kann man argumentieren, dass die Menschen, die Containern, sich sonst gar nichts leisten könnten, aber das ist sicherlich nur teilweise wahr.

Dasselbe Argument könnte man bei Raubkopien anwenden, nämlich dass sich die meisten Besitzer von Raubkopien das Original gar nicht gekauft hätten.
Strafbar ist es trotzdem.

Trotzdem halte ich es für unangebracht, Menschen fürs Containern dem Strafrecht zu unterwerfen. Denn von einigen Idealsten abgesehen, kann man schon von einer gewissen Bedürftigkeit ausgehen, wenn Menschen im Müll nach Essen suchen.
Schlimm genug, dass es überhaupt dazu kommt.

Für die Sache „Minimierung der Verschwendung von Lebensmitteln“ habe ich Sympathie. Jedoch erscheint das BVerfG-Urteil im Ergebnis richtig. Viele Argumente wurden in den vorausgehenden Kommentaren schon aufgezeigt. Ich möchte die zivilrechtliche Dimension betonen. Die Dispositionsfreiheit des Eigentümers reicht bis zur Entsorgung und Zerstörung. Will man hieran etwas ändern, bedarf es einer gesetzlichen Regelung wie etwa in Frankreich Frankreich verbietet, Essen wegzuschmeißen: eine Bilanz - Wirtschaft - SZ.de Vielleicht sollte man sein Engagement auf eine gesetzliche Regelung richten.

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Hallo Philip, hallo Ulf,
uns kam beim Diskutieren über das Containern noch zwei Ideen, wieso viele Supermarktketten gegen das Containern sein könnten:
1.) Wäre Containern straffrei, würden es mehr Leute machen und sehen, wie viel die Supermärkte wegwerfen. Das wäre schlecht für’s Image.
2.) Die Supermärkte haben evtl. Angst, dass Leute lieber containern würden, anstatt richtig einzukaufen. Damit würden weniger Leute bei Ihnen einkaufen.
Während der erste Punkt sicher nicht vor Gericht vorgebracht würde, wundern wir uns, warum der zweite Grund nicht genannt wurde (inhaltlich wäre auch das unserer Meinung nach abwegig, weil es für die meisten Leute zu aufwändig und ekelhaft ist, aber das ist für die juristische Beurteilung ja egal).

Ich möchte ergänzen, dass für die Herstellung und den Transport der Lebensmittel viel Energie aufgewendet wurde, was unsere Umwelt/unser Klima belastet. Wenn der Supermarkt diese Lebensmittel vernichtet, ist das sinnlose Umweltverschmutzung.
Außerdem könnte ich doch auch einem Obdachlosen Lebensmittel schenken, die ich in dem betreffenden Supermarkt gekauft habe. Wenn diese nun nach einer Weile abgelaufen sind oder ich sie falsch gelagert habe und sie verdorben sind, der Obdachlose sich vergiftet und die Verpackung wird bei ihm gefunden, fällt das doch genauso viel oder wenig auf den Supermarkt zurück.

Ich finde in dem Beitrag zum Containern wurde der steuerliche Aspekt nicht (hinreichend) beachtet.
War es nicht so, dass die Händler die Ware voll versteuern (USt?) müssen, wenn sie sie offiziell verschenken?
Kann das vielleicht auch in Kombination mit den anderen steuerlichen Vor- und Nachteilen (Spende?) erklärt werden?

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Die „Lebensmittel“ müssen nicht versteuert werden, wenn sie gar nicht als Lebensmittel verschenkt werden und meines Wissens werden sie auch nicht versteuert, wenn sie so z.B. an die Tafeln oder an FoodSharing weiter gegeben werden.
Die Lösung für ggf. vorhandene Bedenken ist einfach: Deklarieration als Müll und dann wird eben der Müll verschenkt.