CO2 Preis / Zertifikatehandel

Liebes Lage-Team,

Ihr habt ja schon mehrfach den Vorschlag insbesondere der Grünen aufgegriffen, einen CO2-Preis einzuführen und die Erlöse durch ein Bürgergeld an alle auszukehren. Euer letzter Interviewgast sprach von dem bereits existierenden CO2-Zertifikatehandel und der Entlastung der Bürger durch eine Verringerung der Strompreise (insbesondere durch Abschaffung der EEG-Umlage).
Da es sich dabei um ein so zentrales und (zumindest für mich) komplexes Thema handelt, fände ich es super, wenn Ihr das bei Gelegenheit mal näher ausleuchten könntet:
Sind CO2-Bepreisung und Zertifikatehandel zwei unterschiedliche Ansätze oder ist letzteres nur eine spezielle Form des ersteren?
Wie funktioniert der Zertifikatehandel? Wer gibt die Zertigikate aus? Wieviele und zu welchem Preis? Wie kann der Staat noch Einnahmen erzielen, wenn er die Zertifikate einmal ausgegeben hat und diese dann zwischen den Berechtigten gehandelt werden? Etc…
Das sind so die Fragen, die mir so durch den Kopf gingen, als ich Euch vorhin beim Joggen im Park im Ohr hatte…
Vielen Fank für Eiren tollen Poscast!
Viele Grüße
Marcel

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Im Prinzip kannst du das so sehen:

Zertifikatehandel: CO2 Reduktionspfad ist festgelegt („wir wissen genau wie viel wir einsparen werden“) → Preis/Kosten ergeben sich am Markt.

CO2-Steuer: CO2 Preis ist festgelegt („wir wissen genau wie viel wir zu zahlen bereit sind bzw. wie viel wir zahlen werden“) → Einsparung ergibt sich am Markt

Grobe Analogie könnte sein: Du kannst im Supermarkt Äpfel für 5€ kaufen und der Händler sagt dir wie viele Äpfel du bekommst. Oder: du sagst du möchtest 5 Äpfel kaufen und der Händler sagt dir was du bezahlen musst. Am Ende machen die beiden Systeme fast das selbe, vielleicht könnte man noch dazu sagen, dass eine Steuer mehr planbarkeit schafft.

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Da hier ja auch geantwortet werden darf und sich das Lage Team über Quellen zum Rechercheeinstieg freut, erlaube ich mir eine Antwort :slight_smile:
Vorab: Wie immer ist CO_2 hier als Sammelbegriff für sämtliche Treibhausgase gemeint, also eigentlich CO_2-Äquivalente.

  1. CO_2 Bepreisung kannst du dir als eine Art Steuer vorstellen, nur das es das rechtlich nicht ist. Das hat im Kern etwas mit der Verwendung zu tun, wenn ich das richtig im Kopf habe. Das wurde vor wenigen Folgen in der Lage besprochen, unserem privaten Juristen sei dank ^^ Wäre nett, wenn jemand uns hier zum Nachhören die entsprechende Folge einstellen könnte, ich habe dazu gerade keine Zeit und vielleicht erinnert sich ja noch ein Mensch daran, welche Folge es denn nun war.
    Mit anderen Worten, der Staat oder die EU sagen: Eine Tonne CO_2 kostet nun x Euro.
    Dadurch lässt sich der Ausstoß nicht direkt kontrollieren, ein ausreichend hoher Preis (25 Euro reichen nicht) entfaltet allerdings eine Lenkungswirkung.
  2. Bei einem Zertifikatehandel hingegen legen Staat oder EU einfach eine Obergrenze y fest und dann darf nur y viel CO_2 verbrannt werden. Üblich sind hier jährliche Mengen, das lässt sich allerdings auf beliebige Zeiträume festsetzen. Die Zertifikate werden nun nach einem gewissen Schlüssel an Akteure am betreffenden Markt ausgeteilt (etwa Stromerzeuger im Falle des Strommarkts).
    Es gibt dann Unternehmen, die diese Zertifikate gar nicht brauchen oder nicht so viele, wie ihnen ausgeteilt wurden (weil sie weniger ausstoßen als ihnen bewilligt wurde). Andererseits gibt es zum Beispiel reine Kohlekonzerne. Die einen verkaufen überschüssige Zertifikate, die anderen müssen welche zu kaufen. So entsteht dann ein Preis pro Zertifikat und somit eben der Preis x, den eine Tonne CO_2 kostet.
    Alternativ werden Teile der Zertifikate von Staat und EU direkt versteigert (Pluspunkt: Das generiert Einnahmen).
    Offenbar lässt sich durch die Konstruktion des Zertifikatehandels die ausgestoßene Menge von CO_2 y kontrollieren.
    Schwachstellen sind dann: Erhebung der Daten, unerkannte und nicht in den Handel eingeschlossene Quellen von CO_2. Außerdem müssen konsequent Einfuhrzölle verhängt werden, für alles was (in diesem Beispiel) außerhalb der EU hergestellt wird. Beim Strom ist das eben relativ einfach, da es nur einen europäischen Strommarkt gibt und der hier erzeugt und gehandelt wird. Bei der Ausdehnung des Zertifikatehandels (oder der Etablierung eines eigenen Zertifikatehandels für andere Sektoren) sind dann die Zölle auf Produkte nötig, die von außerhalb eingeführt werden nötig.
    Naja beim Schreiben fällt mir auf, dass der Betreiber eines Gaskraftwerks das Gas in der EU verbrennt und dafür dann Zertifikate braucht. Analog könnte der Importeur eines Produkts dann eben auch Zertifikate dafür erwerben müssen. Was meint ihr dazu?
    Daher wäre (persönliche Meinung) ein weltweiter Zertifikatehandel eine gut Lösung, um die CO_2 Budgets die wir noch haben, auch wirklich einzuhalten. Solange das nicht funktioniert (fehlende Akzeptanz, fehlendes Vertrauen in gewisse Staaten), müssen EU oder USA eben voran gehen. Das sind immerhin große Märkte.

Ich glaube, ich habe damit die meisten deiner Fragen grob beantwortet. Ich würde mir das Schreiben eines Romans ersparen und dir einerseits noch ein paar Quellen verlinken und mich andererseits auch über eine Folge dazu freuen.

Cheers

Quellen wären
WWF zur Reform des Zertifikatehandels in der EU. Der WWF ist gegen eine Ausweitung auf Gebäude und Verkehr, mir ist allerdings nicht klar, warum

Compensators zum EU Zertifikatesystem (Transparenzhinweis: Ich spende regelmäßig dort und bin Vereinsmitglied)

EU über ihr Zertifikatesystem

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Mich würde interessieren wie sich die CO2 Steuer auf Importe aus nicht EU Ländern auswirkt. Welchen Einfluss haben diese beispielsweise auf Kleidung aus Bangladesch?

Die CO2 Steuer wird nur auf fossile Brennstoffe wie Öl oder Gas erhoben. Und zwar muss die vom dem gezahlt werden, der die Brennstoffe in Verkehr bringt. Mit der Produktion von Kleidung hat das deshalb praktisch nichts zu tun. Weder in DE noch wenn die aus Bangladesch kommt.

Der Hinweis vorab trifft nun überhaupt nicht zu. Egal ob CO2-Steuer oder Emssionshandel. Beides hat nur mit CO2 zu tun.
Der EU Zertifikatehandel betrifft die Verbrennung von fossilen Brennstoffen ab einer bestimmten Größenordnung. In der Industrie betrifft es z.B. Feuerungsanlagen von einer Größe über 20 MW Leistung. Die eigentliche Logik ist nicht, ob jemand die Zertifikate jetzt „braucht“ oder nicht, oder ob die überschüssig sind. Es geht einerseits um eine Verknappung (deshalb dürfen nicht zu viele zugeteilt werden), damit die Emittenten sich anstrengen um Energie = Emissionen einzusparen, und andererseits soll der Markt entscheiden, ob Zertifikate gekauft werden, oder ob es günstiger ist in Energieeinsparmaßnahmen zu investieren.
Vor über 30 Jahren hatten die USA schon mal so ein System. Da haben wir hier noch davon geträumt.

Ich konnte deinen Beitrag noch nicht sehen, als ich meinen abgesendet habe. Nur zur Info, ich hab nicht absichtlich unter deine Antwort eine ähnliche Antwort verfasst :slight_smile:

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Na aber es werden Zertifikate am Anfang ausgeteilt und wenn du CO_2 freisetzen möchtest, brauchst du entsprechend viele Zertifikate. Wenn du Zertifikate hast und nicht brauchst, verkaufst du sie. Wenn du zu wenig hast, kaufst du sie ein.
Die Verknappung der Zertifikate sollte natürlich gemäß der verabschiedeten Einsparziele vonstatten gehen.
Der Vorteil eines Zertifikatehandels ist eben die direkte Kontrolle über die Emissionen.
Ich verstehe die Kritik bzgl. der „eigentlichen Logik“ nicht.

Zu der Anmerkung bzgl. des Disclaimers: Der Zertifikatehandel heißt Emissions Trading System. Daher war ich immer von einem System ausgegangen, dass alle THGe einschließt. Falsch gedacht und ich danke dir für deinen Hinweis. Du hast allerdings auch nicht Recht, es ist mehr als nur CO_2 abgedeckt (N_2O und PFCs). Das kannst du auf der oben verlinkten EU Seite unter Sectors and ases covered nachlesen.

Immerhin deckt der Zertifikatehandel im Stromsektor dennoch 40 Prozent aller THG Emissionen ab (Quelle EU s.o.).

Sorry für die ebenfalls nicht korrekte Behauptung und Danke für die Antwort. jetzt haben wir beide etwas dazugelernt. Du hast auch recht, dass damit die Emissionen „gesteuert“ oder gedeckelt werden können. Vergessen wird aber immer die ökonomische Lenkungswirkung. Nur wenn die Minderungsmaßnahme preiswert genug ist, wird sie umgesetzt. Andernfalls werden einfach zusätzliche Zertifkate gekauft. Ökonomisch ist das optimiert, aber halt nicht aus Klimaschutz-Gesichtspunkten. Und nochmal zu den THG: im aktuellen IPCC Bericht sind die verschiedenen THG und ihre Wirkung verglichen. Demnach können wir uns getrost auf CO2 konzentrieren

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Kein Stress, ist mir auch schon öfter passiert :blush:

Das wichtigste am Zertifikathandel mit abschmelzender Menge ist, dass die Einsparung (im definierten System) dort erfolgt, wo sie volkswirtschaftlich an günstigsten ist.
Eine Firma wird solange einsparen, bis die Kosten für das Sparen einer Tonne die Kosten für ein Zertifikat überschreiten. Erst dann wird sie kaufen. Der sich einstellende Preis passt sich den Kosten der notwendigen Einsparungsmaßnahmen an. Das ist der Vorteil gegenüber der Steuer.

Das dass die Theorie dahinter ist, ist doch klar, oder?

Allerdings ist das, wie so oft, die schöne Theorie. In der Praxis spielen dann Trägheit und Strukturbewahrung eine Rolle. Unternehmen verbrennen mitunter Geld, einfach weil sie es sich leisten können. Ich kennen deinen Hintergrund nicht, aber vielleicht hast du auch schon mal die Erfahrung gemacht, dass du ein Problem in deiner Firma kommen siehst. Sagen wir, dass sich das Problem in den nächsten zwei Jahren manifestiert, Wenn du es schaffst, das irgendwem klar zu machen, ohne dass er/sie beleidigt ist, dann geht das am Ende doch im Tagesgeschäft unter oder es wird dir ins Gesicht gesagt „Ja das haben wir bemerkt, aber …“. Unterschätze solche Effekte nicht. Das Umstellen von Strukturen kostet nicht nur Geld, sondern erfordert auch „menschliche“ Energie und Willen.
Diese saloppe Aussage von dir ziehe ich also vor dem sozio-kulturellen Hintergrund, vor dem Wirtschaft passiert, in Frage. Die Annahme eine homo oeconomicus geht eben an der Realität vorbei, mit der Folge dass diverse Ableitungen aus dieser Annahme nicht (komplett) der Realität entsprechen.

In der Realität werden reihenweise kurzsichtige Entscheidungen / strategische Fehlentscheidungen getroffen:
Fort von der Industrie und dem Zertifikatehandel fällt mir hier als erstes das auch in der Lage besprochene Beispiel von PV auf Dächern ein. Das ist längst wirtschaftlich, aber das muss sich eben rumsprechen. Das ist ja auch wieder ein Aufwand, was an den Häusern installieren zu lassen.

Außerdem hat die Aufsicht beim Zertifikatehandel durch Regulierung der Schmelze ebenfalls eine (theoretische) Möglichkeit zur Justierung und Einflussnahme auf die Entwicklung des Preises (natürlich nicht auf den Euro genau).

Letztlich müssen wir THG einsparen.
Ich gewichte den Vorteil der direkten Kontrolle über die Menge der Emissionen beim Zertifikatehandel einfach höher. Du kannst ja auch die Höhe der Abgabe ständig nachjustieren, wenn du das möchtest. Ist halt nur viel Arbeit, aber nicht unmöglich. Ich verstehe dein Argument daher nicht ganz, aber wir legen wohl einfach andere Schwerpunkte, was völlig in Ordnung ist.

Der Instrumentenkasten zum Vermeiden von Emissionen auf Seiten der Konsumenten von Energie ist sehr begrenzt. Es geht hier eigentlich nur um Einsparung mittels Effizienzerhöhung. Das ist im Bereich der Gebäudebeheizung ein Riesenhebel, weil man da bei fast jedem Bestandsgebäude locker 50% bis 75% einsparen könnte (aber nur eine Minderheit der Nutzer von Wohngebäuden sind auch deren Eigentümer - im Unternehmensbereich habe ich gerade keine Zahlen zur Hand - da wirkt der Hebel schonmal nicht). Bei der energieintensiven Industrie dagegen arbeitet man in der Regel schon nah am physikalischen Limit. Da kann man nur die gestiegenen Energiepreise bezahlen oder den Laden dicht machen.

80% bis 90% der Energiewende müssen auf Seite der Erzeuger stattfinden. Also Windparks, PV-Anlagen, Netze, Speicher, etc. Da greift ein Zertifikatehandel aber nur indirekt ein. Viel wichtiger ist hier direktes staatliches Handeln.

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Es geht hier gar nicht um unterschiedliche Meinungen sondern um die Beschreibung eines existierenden Systems. Insofern Kann es auch keine unterschiedlichen Meinungen geben. Deine Beschreibung, dass Unternehmen nicht ökonomisch gesteuert sind solltest du mal mit einem Betriebswirt diskutieren. Recht gebe ich dir wiederum, dass nicht alles umgesetzt wird, was vernünftig wäre, auch für den Unternehmenserfolg
Im Detail sprechen wir ja aber von den Unternehmen, die am Emissionshandel teilnehmen müssen. Das sind nur ganz große (bis auf Ausnahmen) und das System ist so komplex, dass in der Regel dafür extra Experten am Werk sind. Wenn da einer eine Million ausgibt, ohne drüber nachzudenken, wie das verringert werden kann, der wird von seinem Chef etwas zu hören bekommen. Glaube da werden wir nicht drüber streiten.

Neben der Gebäudeheizung gibt es schon noch ein paar Verbraucher. Klar ist der Stromverbrauch deutlich geringer. Aber auch dort gibt es pro Haushalt ja z.b. Unterscheide von 2.000 kWh pro Jahr. Freunde von mir haben sich gerade eine Whirlpool gekauft. Damit wird der Garten quasi direkt beheizt. Oder nimm die Heizpilze für die Terrasse. Das sind Dinge die kann man einsparen - oder vielleicht sollte man sie sogar verbieten. Dann hast du noch die Mobilität vergessen. Da kannst du pro PKW schon mal 15 MWh Sprit rechnen. Oder du kannst CO2-frei fahren. Das dürfte genau so viel sein wie die Gebäudeheizung.
Das Thema in der Industrie sehe ich auch ein wenig anders. Bin dort sei über 10 Jahre mit dem Thema beschäftigt. Weiss also von was ich spreche. Die 50% bei den Gebäuden wirst du dort auch häufig finden. Dann kommen aber noch Maschinen und Anlagen hinzu. Auch dort würde ich mal 50% ansetzen, wobei das schon länger dauert und mühsamer ist. Am interessantesten sind übrigens Änderungen in den eigentliche Prozessen, gerade in der energieintensiven Industrie. Da kann man Fortschritte erzielen, die stellen alles in den Schatten. Indem z.B. ganze Prozess-Schritte einfach entfallen, weil das Ergebnis auf anderen Wege erzielt werden kann.

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Das ist schon richtig, aber da kann der Staat ja ggfs. mit einem Mindestpreis gegenwirken, wie es England anstelle des EEGs seit 2000 gemacht hat.

Im Vergleich der Effekte von EEG und der Englischen Mindestbepreisung der CO2-Zertifikate gewinnt ganz klar der englische Weg: Es sind nahezu alle Kohlekraftwerke ausgephast und (großteils) durch Gaskraftwerke ersetzt. Dies ist in sofern relevant, das Gaskraftwerke als Ausgleichskraftwerke für WKA & PV dienen können, d.h. die Infrastruktur ist bereits wesentlich besser für den Weg zu 100% EE aufgestellt. Und das bei wesentlich geringeren Kosten für die Gesellschaft. Auch im CO2-Pro-Kopf-Ausstoß ist England daher weit besser aufgestellt als wir in Deutschland.

England hat leider nur den Fehler gemacht, gleichzeitig die strategische Reservespeicher für Gas viel zu stark zu reduzieren, was zu den aktuellen Problemen führt.

Dann sind wir uns bei der Realität im Wesentlichen einig.

Mein Einwand ist ein anderer: Ja es geht um die Beschreibung eines Systems. Ein Modell ist aber immer nur eine Annäherung der Realität und arbeitet unter Annahmen, um eben überhaupt Aussagen zu treffen. Das ist eben nicht nur bei mathematischen oder physikalischen Modellen der Fall.
Der Einwand hier ist nun, dass die oben genannten Effekte oft ignoriert werden und Entscheidungen eben nicht rein ökonomisch getroffen werden. Der Einwand ist natürlich eine Meinung wenn du so möchtest.