CDU-Duo schlägt Umbau des Sozialstaats vor

Die CDU-Bundestagsabgeordneten Kai Whittaker und Markus Reichel (beide Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Bundestags) haben kürzlich ein Konzept zum Umbau des Sozialversicherungssystems vorgelegt. Spannend ist, dass ein solcher Vorschlag, der eher sozial anmutet, aus der CDU-Ecke kommt. Das Hauptziel ist, die (bekanntlich starke) Abgabenlast auf Arbeit zu reduzieren und damit u.a. Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten.

Einige Eckpunkte:

  • künftig sollen auch Kapitaleinkünfte und das Einkommen durch selbständige Arbeit herangezogen werden

  • Abschaffung der Erbschaftssteuer

  • mehr Sozialabgaben für Menschen mit sehr hohem Einkommen

  • Senkung der Unternehmenssteuern

(Zusammenfassung aus einem Tagesspiegel-Artikel zum Vorhaben)

Mich würde wirklich interessieren, was Ihr, @vieuxrenard & @philipbanse, von diesen Vorschlägen haltet!

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Laut Konzept (Quelle hier) soll die Unternehmenssteuer nicht gesenkt, sondern „so weit wie möglich abgeschafft werden“ (S. 5), ebenso wie Erbschafts- und Vermögenssteuer sowie die Kapitalertragssteuer. Kapitalerträge sollen stattdessen wie andere Einkünfte durch die Einkommensteuer besteuert werden.

Für Soloselbständige würde das bedeuten, dass sie ab dem ersten Euro Gewinn 30 % Sozialabgaben zahlen müssten. Selbst Kleinunternehmer:innen, die nicht umsatzsteuerpflichtig sind und kaum Einkommenststeuer zahlen, müssten also 30 % mehr Einnahmen erzielen. Im Konzept heißt es dazu nur lapidar: „Dies müssen Selbstständige bei ihrer Preisgestaltung zukünftig für sich berücksichtigen.“ (S. 5).
Angesichts der Tatsache, dass in bestimmten Branchen Honorar- und Werkverträge ein beliebtes Mittel sind, um eine sozialversicherungspflichtige Anstellung (und damit die Zahlung von Sozialabgaben durch den Arbeitgeber) zu vermeiden, wäre das de facto eine zusätzliche Belastung.

Grundsätzlich finde ich die Idee gut, alle Arten von Einkommen in die Sozialversicherungssysteme mit einzubeziehen (also Selbstständige, Beamt:innen, Kapitaleinkünfte etc.). Aber wenn dazu ausgerechnet Steuern für Reiche und Unternehmen gesenkt bzw. komplett abgeschafft werden sollen - während es keine Regelungen für Menschen mit niedrigen Einkommen gibt - merkt man eben wieder, dass es ein Papier aus der Union ist.

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Das klingt zwar erst mal hart, aber andererseits muss man ja auch fragen, warum diese Gruppen gegenüber dem Arbeitnehmer privilegiert werden sollten. Nicht jedes natürlich gewachsene System ist ein gesundes System, daher: Nur weil sich das so entwickelt und über viele Jahre etabliert hat, muss es kein gutes System sein.

Aber genau das funktioniert dann ja nicht mehr. Und wir sind uns doch einig, dass dieses System der Honorar- und Werkverträge als Sozialabgabensparsystem kein System ist, welches wir schützen oder gar erhalten wollen. Dieses System würde mit der Änderung schlicht zusammen brechen, weil es sich nicht mehr lohnt, weder für Arbeitgeber, noch für Arbeitnehmer.

Heir gebe ich dir Recht - das ist eben typisch Schwarz-Gelb.
Jeder Reformvorschlag von Union und FDP, selbst damalige FDP-Vorschläge zur Einführung eines „liberalen Bürgergeldes“, sind letztlich Versuche, Reformen zum Vorteil ihres Klientels zu verkleiden. Es sind immer Wölfe im Schafspelz. Dennoch kann man natürlich Elemente daraus (i.d.R. jene Elemente, die dazu dienen, die Klientelpolitik zu kaschieren…) aufgreifen und den Parteien in einem besseren Gesamtsystem präsentieren :wink:

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Was ist an der Abschaffung der Erbschaftssteuer (und formal der Vermögenssteuer) und Senkung der Unternehmenssteuern sozial? Gerade die zu niedrige Erbschaftssteuer und die fehlende (ausgesetzte) Vermögenssteuer ist extrem unsozial.

Was ich an dem vorgelegten Konzept noch nicht verstehe:

  • Sollen auch Beamte einzahlen?

  • Welche Selbstständige sind gemeint? Was ist mit GmbHs und AGs? Wenn diese nicht mitgemeint sind, werden sie doch massiv begünstigt.

  • Wie ist „Dies müssen Selbstständige bei ihrer Preisgestaltung zukünftig für sich berücksichtigen“ zu verstehen? Warum sollten die Kunden und Kundinnen die Sozialversicherungbeiträge eines/r Selbstständigen bezahlen? Sein/Ihr Gewinn nach Abzug der Ausgaben ist doch genauso ein Einkommen wie ein abhängiges Einkommen. Wo ist mein Denkfehler?

  • Wenn es verfassungsrechtlich bedenklich sein soll, die Höhe einer Rente zu begrenzen, die Beiträge je nach Einkommen aber nicht (Äquivalenzprinzip), warum sollte es dann zulässig sein, die Beiträge in zwei Teile zu teilen, von denen einer verfassungswidrig wäre?

  • Wenn man die Unternehmenssteuer abschafft, fehlt den Gemeinden dann nicht zukünftig noch mehr Geld? Gibt es überhaupt eine „Unternehmenssteuer“? Meinen sie vielleicht die Gewerbesteuer?

  • Kann das rechnerisch hinkommen? Ich kann das noch nicht nachvollziehen.

Gut finde ich, dass sie vorschlagen, Erträge aus Kapital genauso zu besteuern wie Erträge aus Arbeitseinkommen.

Wer sich von der fancy Webseite (nein, ich meine das nicht positiv :wink:) abschrecken lässt: Runterscrollen. Unten findet man ein achtseitiges PDF. Auf dem Handy ganz oben

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Gut, wenn man das so möchte, müsste zum Beispiel ein/e Yogalehrer:in 65€ pro Stunde verlangen. Das wiederrum würde dann bedeuten, dass die Studios ihre 10er Karten deutlich erhöhen müssten. Eine 10er Karte würde dann hier in München zwischen 195€ und 240€ kosten. Muss man sich erstmal leisten können. Und wer jetzt sagt, dann mach halt kein Yoga sondern etwas anderes; die Preissteigerung wird sämliche Bereiche betreffen in denen Soloselbstständige tätig sind. Wer ist bereit die 30 % mehr zu zahlen? Wahrscheinlicher ist aber, dass in meinem Beispiel die Yogastudios sagen, wir zahlen nicht mehr, weil unsere Dienstleistung sonst keiner mehr kauft. Wir zahlen dem/ der Lehrer:in 50€ so wie früher auch, dann bleibt bei denen weniger übrig. Also in meinem Beispiel 35€ von denen sich die Leute dann auch noch versichern und Sozialabgaben zahlen sollen. Bedeutet dann; viele Soloselbstständige müssen ihren Job an den Nagel hängen, weil sie davon nicht mehr leben können. Bestimmte Hobbies oder auch Sprachkurse werden so teuer werden, dass das Luxus wird, den sich viele Menschen nicht mehr leisten können.

Sind das keine Betriebsausgaben, die man abziehen kann?

Liebe Margarete,
Soweit ich weiß kann man nur betriebliche Versicherungen, zum Beispiel die Berufshaftpflicht voll absetzen. Anderen Versicherungen, wie zum Beispiel die Krankenversicherung, können Kleinunternehmer:innen nur anteilig absetzten. Ich bin aber keine Steuerexpertin :wink: Ich glaube, hier im Forum gibt es Experten, die sich besser auskennen und dazu vielleicht etwas sagen möchten?

Die Frage ist ja, wie Herr Whittaker und Herr Reichel es geplant haben.

Man könnte sagen, Angebote, die ohne eine Subventionierung durch die Sozialkassen nicht mehr nachgefragt würden, wird es dann nicht mehr geben. Der Markt würde die Arbeitskräfte anders alozieren.

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Mal doof gefragt: Würde das auch für Unternehmen wie VW gelten? Das ein Golf 30% teurer wird, somit eher weit über 40.000€ liegt?
Würde die Mobilitätswende dann aber in eine andere Richtung führen… Oder?

Was ich nicht verstehe: wieso wird der Yoga-Lehrer nicht einfach auf Minijob-Basis beschäftigt oder, noch besser, der Yoga-Lehrer nutzt den Übungsleiter-Pauschbetrag, sofern er die Grenzen einhält?

Nein, die Krankenversicherung ist privat und kann nur bei der Einkommensteuer geltend gemacht werden, dann in voller Höhe beim Selbständigen. Beim Angestellten ist sie jedoch eine Betriebsausgabe.

Es ist von allen Einnahmen die Rede unabhängig von der Art des Einkommens und bisheriger Systeme wie Versorgungswerke.
Nicht nur Beamte, zwei CDUler schlagen da mal eben die Abschaffung der privaten Krankenversicherung vor.

Ja, Kapitalgesellschaften werden bevorzugt. Das ist aber gewollt. Wenn der Geschäftsführer oder Gesellschafter Erträge auszahlen lässt, fallen automatisch darauf SV-Beiträge an, von denen die AG die Hälfte tragen muss. Hier liegt meiner Meinung nach ein Denkfehler vor. Angestellte Geschäftsführer ausgenommen wird wohl alles rechtlich als Gewinnausschüttung gesehen und der SV-Beitrag liegt ausschließlich beim Begünstigten. Das kann man aber per Gesetz glätten. Jedenfalls sollen in dem Modell Unternehmen nicht noch mehr geschöpft werden, wo sie doch schon so viele (voll abzugsfähige) SV-Beiträge gezahlt haben und lieber mehr Löhne und Gewinnausschüttungen (und noch mehr SV-Beiträge) zahlen.

Ganz einfach: Da der Selbständige nun neben den früher schon angefallenen Ausgaben eventuell noch zusätzliche SV-Beiträge zahlen muss, muss er, soll der Gewinn gleich bleiben, den Preis anheben. Wer knapp an der Kleinunternehmergrenze war, darf dann noch zusätzlich die Umsatzsteuer einplanen, es sei denn, die Grenze steigt gleich mit.

Das kann wohl nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Da der Staat aber Abgaben festsetzen darf, die auch erst ab einer bestimmten Einkommenshöhe greifen, warum nicht?

Ja, definitiv.
Die meinen wohl alle Unternehmenssteuern (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer). Das ist insofern brisant, da ja eine weltweite Mindeststeuer eingeführt werden soll.

Der Vorschlag ist komplett für die Mülltonne, weil es keine Gegenfinanzierung gibt.
Das wurde auch schon aus Unionskreisen gesagt.

Das ist aber zur Zeit mit allen CDU Vorschlägen so. Steuerreform von Linnemann, GEG- und Energiepolitik (AKWs ans Netz) von Frei, Klima- und Verkehrspolitik usw. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang das 2% Ziel für die Bundeswehr. Hier macht die Union den sehr weit auf, aber Scholz hat schon darauf hingewiesen, dass auch die Union noch keine Idee hat, wo das Geld ab 2027 herkommen soll.

Die Union hat wirklich in diesem Bereich ein Glaubwürdigkeitsproblem, da sich die Medien und auch andere politische Parteien sofort nach der Gegenfinanzierung fragen und wirklich nichts, aber auch gar nichts dazu kommt. Alleine Linnemann erzählt immer mal wieder was von Wachstum, dass dann aber bei 4-5% Jährlich sein müsste, laut eigener Aussage.

Darum wird es bald in der Union ein großes Chaos geben, da die Wüst Fraktion sehr gerne auf den Zug Investitionen in Infrastruktur aus der Schuldenbremse nehmen würde (Siehe LdN Interview Habeck). Die Merz Fraktion will das nicht, weil dann der nächste Fehler der Vergangenheit eingeräumt werden müsste.

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Mein Kritikpunkt. Warum die Erbschaftssteuer abschaffen? Gerade, wo es bei hohen Erbschaften sowieso „Lücken“ gibt Erbschaftsteuer: Nicht für Superreiche - Netzwerk Steuergerechtigkeit
Ansonsten finde ich bspw. die Kapitalerträge auf das Einkommen zu beziehen sinnvoll. So wird Einkommen durch Arbeit dem „lass Geld für dich arbeiten“ gleichgesetzt - und umgekehrt.

Ich meinte Menschen, die das hauptberuflich machen nicht nebenberuflich. Natürlich kann man die Übungsleiterpauschale geltend machen, wenn man noch etwas anderes macht und die Institution für die man arbeitet, die Übungsleiterpauschale quasi anbieten kann. Das geht ja nicht bei allen.

Habe die Zahlen nicht geprüft, aber die beiden behaupten, dass die Finanzierung funktioniert. Die Fragen stellen sich an anderer Stelle.

Aber die sind doch dann jetzt auch schon in irgendeiner Weise krankenversichert?
Momentan kann man mit der Selbständigkeit dazu verdienen, die Sozialversicherung richtet sich aber nur nach dem Arbeitslohn (wenn diese Arbeit die Haupttätigkeit ist).

Das heißt ja übersetzt nichts weiter als: Wenn genügend Selbstständige (inklusive derer mit mittleren und geringen Einkommen) einzahlen, reicht das, um die Steuern für Reiche und Unternehmen drastisch zu senken - klingt richtig verlockend (Achtung: Ironie!)

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Ich sehe da viele offene Fragen.
Was es finanziell bedeutet, Beamte in die Sozial-, insbesondere die Rentenversicherung zu integrieren, wurde mehrfach thematisiert. Darauf gehen sie nicht ein.
Auch fürchte ich, dass die Umlage, wie von @Margarete_Amelung angesprochen, nicht so einfach rechtssicher eingeführt werden kann. Insbesondere gab es mehrere Entscheidungen, dass eine Steuer auf Lohn immer die Kosten gegenrechnen muss. Und ich denke, dass die Umlage rechtlich eher als Steuer als als SV-Abgabe gesehen wird. Die nächste Frage ist die Zweckbindung. Kann man sie wirklich binden oder kann die nächste Regierung sie auch für etwas anderes ausgeben, wenn sie das möchte?
Stichwort private Krankenversicherungen. Das wird in der Union auf Widerstand stoßen. Das gleiche bei den Versorgungskassen. Hier werden Ablösungen und Abfindungen fällig werden.
Die Leistungen der Krankenkassen sollen erhöht werden. Und das, wo die Krankenkassen jetzt schon jedes Jahr lauter jammern. Aber das ist vielleicht Kalkül. Um die Beiträge stabil zu halten, kann man die Leistungen dann zurück fahren und die privaten Krankenkassen als Zusatzversorgung in die Bresche springen.
Letztendlich wurde gar nicht darauf eingegangen, was es für den Mietmarkt bedeuten würde. Auch hier würde jeder Euro der SV-Abgabe unterliegen - allerdings nicht für Unternehmen, sofern sie die Gewinne nicht ausschütten sondern z. B. in neue Häuser investieren, womöglich im Ausland und internationale Gesellschafter einbinden, die dann gar nicht der deutschen SV-Pflicht unterliegen.

Wer trägt denn die Kosten, für die sonst die SV eintritt bei Selbständigen? Versichern sich die Selbständigen nicht privat von ihrem Gewinn? Demnach brauchen sie weniger Gewinn, wenn sie in der gesetzlichen SV sind, oder?

Das ist ganz unterschiedlich. Für bestimmte Berufe sind bestimmte Sozialversicherungen auch bei Selbstständigen Pflicht (wer etwa selbstständig unterrichtet und dabei mehr als geringfügig verdient, muss sich rentenversichern). Generell sieht es nach meiner Erfahrung so aus, dass es sehr von der individuellen Einkommenssituation abhängt, genau weil die soziale Absicherung zu 100 % vom eigenen Gewinn und damit vom Einkommen abgeht.
Grob gesagt: Selbstständige mit eher niedrigem Einkommen sind abgesehen von der Krankenversicherung oft überhaupt nicht sozialversichert. Welche mit höheren Einkommen schließen eher private Versicherungen ab, z. B. für Berufsunfähigkeit, Altersvorsorge etc., zahlen aber nur sehr selten in die Systeme ein, in die abhängig Beschäftigte einzahlen.