Care-Krise (inkl. Erzieher*innen- und Lehrer*innenmangel)

Mein Beitrag ist eine Mischung aus Kommentar zu der Diskussion um Lehrerinnenmangel und zugleich eine Einladung, das Thema noch einmal größer anzuschauen.
Was doch all diese beklagenswerten Zustände verbindet, ist, dass wir mitten in einer Care-Krise stecken. Diese zu benennen, ist Grundlage für alle Diskussionen rund um sämtliche Mängel. Die Pflege- und Bildungskrise trat vor allem in der Corona-Pandemie zutage, ist aber mittlerweile nicht etwa abgeflacht, sondern tatsächlich ausgewachsen.
Worauf es immer wieder hinausläuft ist ein zu geringer Anteil an Menschen (Pfleger
innen, Erzieherinnen, Sonderpädagoginnen, Lehrerinnen, Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen usw.), die sich um die wichtigste Grundlage unseres Zusammenseins kümmern: Fürsorge. Wir müssen uns doch als Gesellschaft und Wirtschaft fragen, wieso das so ist!
Ein ganz wichtiger Teil einer Antwort darauf ist in meinen Augen die grundsätzliche Abwertung und Geringschätzung all der Arbeit, die in Fürsorgebeziehungen steckt.
Diese sind multikausal zu erklären. Ganz grundsätzlich sind patriarchal-kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen mit dafür verantwortlich, dass Sorgearbeit (zumal die unbezahlte zu Hause) vornehmlich weiblich konnotiert ist und damit strukturell entwertet wird, ganz klar zu sehen an den viel zu geringen Löhnen im Pflege- und frühkindlichen Bildungsbereich.
Aber auch die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft hat zu einer absolut unhinterfragten Hierarchisierung von „intellektuell“ wichtiger und wertvoller Arbeit und eben anderer Arbeit, die vermeintlich eher von „niedrig qualifizierten“ Menschen ausgeführt werden könne, geführt.
Allein diese Abstufung und Gegenüberstellung (wie zB. auch in Ulfs ganz kleiner Nebenbemerkung in der Lage-Folge 322, wonach wir eben nicht nur „hochqualifizierte Menschen, sondern eben auch Menschen für die Pflege brauchen“) ist meiner Meinung nach fatal. Denn, überspitzt gefragt, was kann denn für eine Gesellschaft eigentlich wichtiger sein, als die Fürsorge und Bildung für Kinder, Jugendliche, Menschen mit Be_hinderungen, alte und pflegebedürftige Menschen hochqualifiziert und bestmöglich zu gestalten? Ich kann es einfach nicht verstehen, dass dieses Grundsätzliche unseres Miteinanders so gering geschätzt und nicht gesehen und verstanden wird, wie essentiell, aber auch wie schön, erfüllend, interessant und vielseitig Fürsorge, Pflege und Bildung sind. Mit Menschen verschiedensten Alters und verschiedenster Lebensstufen umzugehen, sie zu begleiten, mit und von ihnen zu lernen, sollte doch das wertvollste aller Geschenke sein. Erwerbsarbeitszeit mit Menschen zu verbringen, sollte doch ein Privileg sein, das so viel mehr Menschen für sich wählen wollen müssten.
Noch eine anekdotisches Beispiel in diesem Kontext: Als ich vor Jahren mit einem Abiturdurchschnitt von 1,2 Lehramt zu studieren begann, wurde ich immer wieder gefragt, weshalb ich denn „nur“ Lehrerin werden wollte. Als ich ein Stipendium der Studienstiftung erhielt, schlug mir in verschiedensten Stipendiat
innenkreisen teils unverhohlen die Frage entgegen, was ich denn in diesen Räumen exzellenter Studierender wolle, weil ich ja keine Wissenschaftliche Karriere anstreben würde. Ich empfinde diese Haltung als schockierend, natürlich arrogant und ignorant, aber auch absolut dumm. So viele Wissenschaften vereinen sich im Bildungs- und Pflegebereich, Fachwissenschaften, Psychologie, Soziologie, natürlich Politik und Kommunikation – um einige Stichworte zu nennen; es geht von Sprachwissenschaft zu Anti-Rassismus-Arbeit hin zu Raumkonzepten für Kita und Schulen, die sich auf Lernprozesse auswirken können. So viel Expertise und Höchstqualifikation wären notwendig, um Bildung und Pflege – die Hinwendung zum Menschen – endlich den Platz und Stellenwert einzuräumen, den sie verdienten. Es ist mir schleierhaft, wie wir als so reiche Gesellschaft und Wirtschaft diese defizitäre und vereinfachte Sicht auf Bildung und Pflege so hinnehmen und sie eben auch weiter aufrecht erhalten, indem wir uns einfach verkürzt der Narration hingeben, dass Pflege und Bildung eben keine Entfaltungsmöglichkeiten, keine Aufstiegs- und Karrierechancen böten usw. Es gibt aber ein unheimliches Potenzial, wenn man den ganzen Bereich der Fürsorge komplett neu denkt und menschliches Miteinander endlich als top priority betrachtet.
So sind wir momentan gefangen in einem Teufelskreis aus politisch-gesellschaftlicher Abwertung und geringer ökonomischer und gesellschaftlicher Bewertung, daraus resultierend schlechten Bedingungen durch die Mangelbesetzung, die wiederum eine abwertende Haltung bzw. Entscheidungen gegen einen Beruf in diesen Bereichen zur Folge haben.
Und zum Abschluss noch eine Buchempfehlung, die viele dieser Themen bündelt: Teresa Bücker schreibt in Alle_Zeit über fehlende Zeit füreinander und beschreibt Ansätze zum Umdenken unserer vorherrschenden Arbeits-, Zeit- und Sorgekultur.

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Ich kann mich nur anschließen und für die Ausführung danken! Und bedauere als treue Hörerin der „Lage“, dass dieses riesige gesellschaftspolitische Thema dort kaum Erwähnung findet. Leider zeigt sich die fehlende Wertschätzung für Care-Arbeit ja auch wieder in der jüngsten Debatte um die zwei Wochen Freistellung des zweiten Elternteils nach der Geburt eines Kindes, in der Vertreter der Wirtschaft und „überraschenderweise“ der FDP mit keiner Silbe erkennen lassen, dass sie den Sinn hinter diesem Bestreben verstanden haben.

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Genau das ist meiner Tochter auch passiert. Zitat: "Lehrer:innen werden doch nur die, die nichts anderes können. "
Dabei muss man im Lehrerstudium erhebliche Leistungen erbringen und anschließend hochqualifiziert turbulente Klassen managen und differenziert jedes einzelne Kind fordern und fördern. Übrigens auch die Kinder derjenigen, die auf die Lehrer:innen heruntersehen.

Ich kann alle vorgetragenen Gedanken unterstützen. Es ist nicht zu verstehen, warum nur als hochqualifiziert gilt, wer mindestens ein Studium absolviert hat. Vielleicht liegt es daran, dass letztere Gruppe den Diskurs bestimmt.

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Vielen Dank für diese Anmerkung. Es ist ein Unding, dass „normale“ Studierte sich überhöhen. Oft haben diese Menschen kaum Praxiserfahrung. Ich finde beispielsweise jeder mit einer akademischen Weiterbildung neben dem Beruf nach einer Berufsausbildung ist fachlich und praktisch mindestens so gut wie beispielsweise BWL Studierte, meiner Erfahrung nach meistens qualifizierter in der Praxis. Und ich denke auch da schützen viele Ihre Benefits und das schadet der Gesellschaft. Ich war übrigens an einem Wirtschaftsgymnasium mit fast nur Quereinsteigern, heißt diese Lehrer haben auch mal dauerhaft was außer Schule gesehen. Der Unterricht lief mit Laptops (im Jahr 2003!) und war um Längen besser und Praxis näher als an dem Allgemeingymnasium wo ich vorher war.

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