Cannabis ist nicht harmlos

Hallo ihr zwei,

ich habe heute zum ersten Mal euren Podcast gehört, zufällig eher ein Making Off als eine typische Folge (197), und da habt ihr zu der Frage Stellung genommen, ob man Cannabis legalisieren sollte, was ihr klar bejaht.

Ich kann eure Argumente nachvollziehen, dass es unverhältnismäßig teuer ist, den ganzen Polizeiaufwand zu betreiben, und man relativ wenig damit erreicht. Dass es nicht funktioniert, auf diese Weise den Cannabis-Konsum einzuschränken, merkt man ja daran, dass alle möglichen Leute regelmäßig kiffen und sich dafür offenbar nicht in die Tiefen des Drogenmilieus begeben müssen.

Ich war dann erleichtert zu hören, dass ihr immerhin für eine kontrollierte Abgabe in der Apotheke plädiert, und für einen Konsum erst ab 18.

Trotzdem schwingt insgesamt die Vorstellung mit, Cannabis sei harmlos. Oder zumindest nicht gefährlicher als Alkohol, und den kann man ja in jedem Supermarkt kaufen.

Da möchte ich aus fachlicher Sicht ganz vehement widersprechen. Und ich appelliere an eure Verantwortung als Journalisten, die breit rezipiert werden und deren Meinung ernst genommen wird: Informiert euch besser, und kommuniziert das, was ihr lernt, zukünftig in diesem Kontext nach außen.

Also, warum halte ich Cannabis nicht für harmlos?

Ich bin Psychotherapeutin. Ich habe in der Allgemeinpsychiatrie und der Suchtbehandlung gearbeitet, und begegne auch in nicht-psychiatrischen Kliniken und in meiner Tätigkeit in eigener ambulanter Praxis regelmäßig kiffenden Patienten oder ihren Angehörigen. Außerdem habe ich regelmäßig Austausch mit Fachkollegen (sowohl Psychotherapeuten als auch Psychiater aus verschiedenen psychotherapeutischen und psychiatrischen Kontexten).

Und wir alle, insbesondere die Kollegen, die schon deutlich länger dabei sind als ich (10 Jahre) machen folgende Erfahrung: Es häufen sich die Fälle von jungen Menschen, insbesondere jungen Männern, bei denen schwere psychiatrische Erkrankungen durch den gar nicht mal hoch dosierten, aber regelmäßigen Konsum von Cannabis ausgelöst werden.

Dabei spreche ich von zwei typischen Krankheitsbildern. Zum einen sind es psychotische Erkrankungen/ Schizophrenie (Leitsymptome: Warnvorstellungen und Halluzinationen), zum anderen das so genannte amotivationale Syndrom (kognitive Einschränkungen, Trägheit, Müdigkeit - also im Prinzip die erwünschte Wirkung des Cannabis, die dann aber durchgängig und ständig die Alltagsfähigkeit beeinträchtigt).

Jetzt könnte man sagen: „Ja, mein Gott, dann müssen die paar, die es trifft, halt mal in die Psychiatrie, das Cannabis absetzen, und dann ist der Spuk ja vorbei. Deswegen muss man nicht gleich alle einschränken.“

Aber erstens ist eine psychiatrische Behandlung kein Spaziergang, und in diesen Fällen eine deutlich beeinträchtigendere, längerfristige Geschichte als beispielsweise viele depressive Episoden. Psychose heißt stationäre Behandlung über viele Wochen, monatelanges Ausfallen aus sämtlichen Lebenskontexten (Schule/ Beruf, Hobby, Freundschaften, Partnerschaft). Man muss Medikamente einnehmen, die deutliche Nebenwirkungen haben. Die Nebenwirkungen (unter anderem sexuelle Dysfunktionen) führen häufig zum Absetzen der Medikamente, was wiederum zu Rückfällen führt.

Und: Mit dem Absetzen des Cannabis verschwindet häufig nicht die Erkrankung. Denn das zur Zeit gängige Erklärungsmodell ist, dass das THC, vor allem in den heute üblichen hohen Konzentrationen, bei entsprechender genetischer Veranlagung der Trigger ist, der die Erkrankung auslöst - mit der man dann oft lebenslang zu kämpfen hat.

Auch beim amotivationalen Syndrom kommt es zu massiven Beeinträchtigungen, die insbesondere häufig zu starken Verzögerungen, zu einer deutlichen Verschlechterung oder gar zum Scheitern der schulischen und beruflichen Laufbahn führen.

In sofern ist Cannabis in seinen potentiellen schädlichen Wirkungen deutlich zerstörerischer und schneller als Alkohol. Wer täglich ein oder zwei Bier trinkt und im Lauf der Jahrzehnte dann etwas stärkere Alkoholika bevorzugt, kann das in den meisten Fällen neben einem geregelten Leben, neben Ausbildung, Studium und Berufstätigkeit. Es sind eher die Beziehungsgefüge, die zerbrechen. Die gesundheitlichen Folgen (allen voran die demenzartige Erkrankung Korsakoff-Syndrom, die Leberzirrhose und die restless legs) treten erst nach jahrzehntelangem Konsum ein, ähnlich wie der Lungenkrebs oder Herzinfarkt bei Rauchern.

Aber wenn man regelmäßig kifft als Jugendlicher oder junger Erwachsener, kann es gut passieren, wenn man dann von einer der beiden oben beschriebenen Erkrankungen erfasst wird, dass man monate- oder jahrelang aus allen Bezügen fällt, den Anschluss zu den Gleichaltrigen verliert, den Schulabschluss oder das Studium nicht schafft und bei Erholung nur niedriger anknüpfen kann als vorher. Und das bedeutet lebenslange finanzielle Einbußen, oft inhaltliche Frustration, weil Betroffene hinter dem zurückbleiben, was sie mit ihrem Intellekt und ihren Interessen eigentlich hätten anfangen wollen.

Leider ist dieses Wissen in der breiten Öffentlichkeit offenbar nicht präsent. Als eine meiner jungen Patientinnen, eine Studentin, mir erzählte, dass ihr ebenfalls studierender Freund regelmäßig kifft, und dann noch erwähnte, dass dessen Mutter an einer Psychose erkrankt ist, habe ich den jungen Mann einbestellt und ihn aufgeklärt über sein massiv erhöhtes Risiko und ihn eindringlich gewarnt, er möge seinen Konsum einstellen oder zumindest drastisch reduzieren. Ein ganz normaler junger Student, keiner, der ohnehin schon schlecht zurecht kam, wo man vermuten könnte, dass er das Cannabis nutzt, um eine vorbestehende Störung zu bewältigen (auch diese Fälle gibt es reichlich).
Natürlich fand er meine Belehrungen übertrieben. Er änderte nichts.
Nur zwei Monate später brach bei ihm eine Psychose aus, und er ging genau den Weg, den ich oben beschrieben habe, mit wiederholten stationären Aufenthalten über Monate hinweg, Ringen mit der Medikation, die er irgendwann doch akzeptierte, wodurch es langsam besser wurde. So weit ich das mitbekommen habe, ist er mindestens ein Dreivierteljahr komplett aus seinem normalen Alltag und dem Studium herausgefallen - dann zerbrach die ohnehin schon konfliktbeladene Beziehung an seiner Erkrankung, so dass ich den weiteren Verlauf nicht mehr mitbekam.

Da könnte man sagen „ein Einzelfall!“, aber meine Kollegen in der Suchtbehandlung, und diejenigen in der Allgemeinpsychiatrie (wo Psychose und amotivationales Syndrom behandelt werden) erleben das ständig. Und damit eine Wandlung der typischen Betroffenen hin zu jünger und prämorbid ressourcenvoller.

Also: Cannabis zu kriminalisieren ist offenbar ein überteuerter, wenig zielführender Weg.
Aber wenn man es in der Apotheke abgibt, dann wäre ich doch sehr dafür, dass das Geld, das bisher in die Strafverfolgung gesteckt wurde, in Aufklärung transferiert wird.
Und dass man zunächst mindestens ein ärztliches Beratungsgespräch führen muss, bei dem die Familienanamnese erhoben wird. Und vielleicht noch regelmäßige Wiedervorstellung, zumindest bei nicht gelegentlichem Konsum (jährlich, bei jüngeren Menschen halbjährlich), um frühzeitig mitzubekommen, wenn sich solche dramatischen Folgeschäden einstellen, um hoffentlich Krankheitsepisoden zu verhindern oder zumindest durch frühzeitige Behandlung ihre Schwere und Dauer abzumildern.
Elegant wäre es, wenn man mittels eines Bluttests bestimmen könnte, wer ein erhöhtes Risiko hat, um dann gezielt abzuraten. Aber das ist leider noch Zukunftsmusik. Bis dahin sollten sich alle Konsumenten der dramatischen Risiken bewusst sein.

Hier ein paar Links für den Einstieg ins Thema. Denen entnehme ich mal zum Reindenken zwei interessante Zahlen: Immerhin 8 bis 15% der Konsumenten in Deutschland sind psychiatrisch behandlungsbedürftig (200.000 von 1,5 bis 2,5 Millionen) - so viel zu der Frage, ob es ein kleines Problem ist, das nur in seltenen Einzelfällen auftritt.
Und es wird anhand der Veränderungen in den Fallzahlen parallel zur Anreicherung des THC über die Jahre geschätzt, wenn es kein „hochprozentiges“ Cannabis mehr gäbe, könnte man die Zahl der neuerkrankten Psychotiker in London um ein Drittel, in Amsterdam um 50% senken.
Spiegel.de: Je stärker das Cannabis in einer Stadt, desto häufiger sind Psychosen
Ärztezeitung: Cannabis - Regelmäßiger Konsum hat Folgen für Körper und Psyche
Ärzteblatt: Risiken bei nichtmedizinischem Gebrauch von Cannabis
Quarks: Artikel Kopfzeile: Drogen Löst Cannabiskonsum eine Psychose aus?
[Neurologen und Psychiater im Netz: Cannabis-Konsum erhöht bei Jugendlichen das Psychose-Risiko)](https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/kinder-jugend-psychiatrie/ratgeber-archiv/meldungen/article/cannabis-konsum-erhoeht-bei-jugendlichen-das-psychose-risiko/
Unaufgeregt, aber deutlich ist das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie.
Literaturtipp: Büge, M.: Basiswissen: Cannabiskonsum und psychische Störungen. Köln: Psychiatrie Verlag, 2017

Ich hoffe, ich konnte euch ein wenig sensibilisieren und interessieren für das Thema, und bin gespannt auf eure Reaktionen.

Viele Grüße
Dipl.-Psych. Julia Döring
Psychologische Psychotherapeutin

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Danke für den ausführlichen Beitrag! Wir haben uns nur mit der Sinnlosigkeit der Kriminalisierung bon Cannabis beschäftigt, haben dabei aber nicht auf die Gefahren hingewiesen. Das sollten wir in der Tat einmal nachholen!

Das hängt aber ganz stark von der Menge des Konsums ab. Die Leber kann schon deutlich früher geschädigt sein.

Richtig, bestmögliche Aufklärung anstatt sinnlosen Polizeiaufwand. Ist aber nicht Alkohol noch viel zerstörerischer als Cannabis? Viele Alkoholiker sind gewalttätig gegen Partner und Kinder. Kiffer sind friedlich so weit ich das sehe. Alkohol ist eine Droge, die nur aus Konvention (seit langem in unserer Kultur gegenwärtig) akzeptiert wird. Alkohol müsste unbedingt mit den noch illegalen Drogen gleichgestellt werden. Im Übrigen werden für die Herstellung von Bier und Schnaps grosse Mengen von Getreide verbraucht. Allein für Bier in einem Jahr eine halbe Million Tonnen, würde für 7 Mio Menschen ein Jahr lang reichen.

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Hallo

Danke für die sehr ausführliche Erklärung.

Nach dem was ich so mitbekommen habe und ja auch deiner eigenen Ausführung nach, wird da viel zu wenig Aufklärung betrieben.

Bei fast allen anderen Themen wie Alkohol, Nikotin Drogen werden massive Aufklärungskampagnen gefahren um die Risiken aufzuklären und so eine selbstbestimmte aufgeklärte Entscheidung zu ermöglichen.

Nicht immer im Sinne des Aufklärers, aber immerhin wird sie ermöglicht.

Cannabis fällt dabei grundsätzlich zwischen die Stühle.

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Die Langzeitfolgen, die du schilderst, sind mir bekannt und ich stimme dir absolut zu, dass über die Folgen des Cannabiskonsums aufgeklärt werden muss, gerade wenn eine kontrollierte Legalisierung erfolgen sollte. Dennoch finde ich deinen Vorschlag ärztlicher Beratungsgespräche zu extrem verglichen mit der leichten Verfügbarkeit von Alkohol und Zigaretten. Denn ich bin nicht der Meinung, dass Alkohol harmloser als Cannabis ist. Selbst habe ich einige Schicksale und auch Tode miterlebt. Auch übermäßiger Alkoholkonsum kann bereits Menschen in jungen Jahren völlig aus der Bahn werfen (geschweige denn die Langzeitschäden). Nur weil die Folgen von Alkohol anders sind, sind sie deshalb nicht harmloser.
Ich finde die kontrollierte Abgabe richtig, genau wie eine Altersbeschränkung ab 18. Dann aber sehe ich den Menschen selbst dafür verantwortlich, was natürlich einer Aufklärungskampagne nicht entgegensteht, sondern sie noch mehr befürwortet. Den Arzt in regelmäßigen Beratungsgesprächen aufsuchen zu müssen, erachte ich als wenig wirtschaftlich (so müssen wir leider denken) und zudem stigmatisierend. Lieber würde ich das Thema in gesellschaftlichen Institutionen verankern wollen und hier vor allem in der Schule eine offenere Diskussion und Information ermöglichen.

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Einen Aspekt sollte man meiner Meinung nach bei der Diskussion nicht vernachlässigen und das ist das soziale Umfeld. In einem intakten sozialen Umfeld ist die Gefahr drogenabhängig zu werden deutlich geringer und es werden sogar Drogenabhängige wieder nicht mehr abhängig. Neben der Aufklärung halte ich es daher für essentiell, gefühlt sogar noch wichtiger als Aufklärung, dass wir in unserer Gesellschaft möglichst niemanden zurücklassen, der dann überhaupt zu drogen greift. Denn ich fürchte, dass viel zu viele Menschen in unserer Gesellschaft zurückgelassen werden, insbesondere arme Menschen. Und wenn jemand alleine ist und alles wirklich schlecht ist, dann ist die Gefahr groß, dass er trotz besseren Wissens zu Drogen greift, in der Hoffnung immerhin mal kurz „glücklich“ zu sein.

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Hi Julia,

Dein Hinweis zur Gefährlichkeit von Cannabis ist grundsätzlich richtig. Cannabiskonsum kann bei langanhaltendem Konsum im jugendlichen Alter psychisch Schäden verursachen.
Ein paar Punkte möchte ich allerdings ansprechen:
Zum einen bist Du berufsbedingt einem riesigen Bias ausgesetzt. Du siehst täglich nur die, die Schäden genommen haben. Allerdings fallen aus deiner Betrachtung alle die raus, die problemlos kiffen und das zum Teil sogar ihr Leben lang. In meinem Umfeld bewegen sich zahlreiche Menschen, die sehr gerne kiffen. Allesamt kommen wie ich aus dem naturwissenschaftlichen Bereich und sind Akademiker (z. T. promoviert).
Würde ich einen Unfallchirurgen in Ischgl fragen, ob Skifahren gefährlich ist und verboten werden sollte, würde ich von ihm also eine ähnliche Antwort erhalten wie von dir zu Cannabis.
Der zweite Punkt: Bei deinen Patienten und den verlinkten Quellen geht es fast ausschließlich um Jugendliche. Es ist klar, dass während der Entwicklung keinerlei Drogen konsumiert werden sollten. Denn alle, auch legale, wirken sich schädlich aus. Deshalb forderten die beiden richtigerweise eine Legalisierung ab 18. Sicherheitshalber könnte man auch das Alter auf 21 hochschrauben.
Drittens: Verharmlost Du in Deinem Vergleich Alkohol. Im Vergleich ist Alkohol deutlich, deutlich schädlicher! Sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft. Es bewegt sich in seiner Schadenswirkung bei Heroin und Crack. Das würde mehrfach durch Wissenschaftler bestätigt European rating of drug harms - PubMed
Wahrscheinlich bist Du auch hier wieder Opfer deines Bias’, da Du evtl. selber Alkohol konsumierst bzw. konsumiert hast (Was ja auch völlig legitim ist).

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Ich danke dir für deine Ausführung @Julia_D_82.

Ich habe als Zivildienstleistender ähnliches erlebt und damals (2001) war das auch schon nichts neues. Nicht umsonst wird bei einer Aufnahme in der psychatrischen Notfallambulanz auch erstmal auf Drogenkonsum getestet. BEVOR irgendwas anderes gemacht wird.

Bzgl. der Diskussion in der Lage vor einiger Zeit:

Für mich ist der Aufwand des staatlichen Aparates auch überhaupt nicht maßgebend.
Ich möchte nicht in einem Land leben in dem Dinge einfach legalisiert oder fallen gelassen werden
nur weil man kein Personal dafür hat. Wir haben Personal für so vieles. Zum Beispiel für ein in den letzten Jahren völlig aufgeblasenes Kanzleramt. Die Behörden werden teilweise größer und größer und man fragt sich für was eigentlich? Es kommt doch nichts gescheites bei raus. Während an Richtern, Staatsanwälten und Polizisten augenscheinlich ein Mangel herrscht? Lieber diese Ursachen beheben ! Weggucken oder nicht mehr bearbeiten ist eine Kapitulation des Rechtstaates. Nicht nur in Sachen Canabis.

PS: Klar soll man keinen Studenten einsperren, der mit einem Joint erwischt wird. Aber das Dealer, die mehrfach gefasst wurden frei rumlaufen und weitermachen ist mir ein absolutes Rätsel… Das will ich als Bürger nicht.

Gibt es keine Studien, die die Häufigkeit von psychischen Erkrankungen in den Niederlanden mit denen in Deutschland vergleichen? Ich frag mich nämlich, ob Menschen, die anfällig für solche Erkrankungen sind und Cannabis trotzdem konsumieren, das nicht so oder so tun, egal ob es legal oder illegal ist. Die Illegalität von Cannabis verursacht nur, dass Menschen, die ab und zu mal einen Joint rauchen wollen, dies nicht tun können. Nein, Cannabis sollte man nicht verharmlosen, aber die Verteufelung von Nikotin und Cannabis in dieser Gesellschaft kann ich nicht nachvollziehen, wenn gleichzeitig der Alkohol verharmlosigt wird. Ich trinke nahezu nie was, muss aber von Menschen, die täglich Alkohol trinken abschätzige Blicke ertragen, wenn ich sage, dass ich gerne mal wieder kiffen würde, wie ich es als Studentin getan habe. Das finde ich super irritierend.

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Ich würde an dieser Stelle insofern widersprechen, als dass in dem Beitrag oben ja genau beschrieben wird, dass das Risiko hier nicht (allein) in der Abhängigkeit liegt und die Frage, ob eine Psychose auftritt auch unabhängig davon ist, ob man aus einer „Heilen-Welt-Klischee-Familie“ oder „Problem-Familie“ kommt.

Abgesehen davon, habe ich als junger Mensch Drogenkonsum eher als Luxuskonsumgut erlebt, weniger als Ausflucht oder Kompensation, auch wenn dies häufig so dargestellt wird. Ich kann mir auch vorstellen, dass sich der Konsum da im Laufe unserer gesellschaftlichen Veränderung der letzten 2 Jahrzehnte da auch einfach verändert hat

Ich finde dieses ständige „aber Alkohol ist doch viel gefährlicher“ - Argument einfach schwach.
Man kann schließlich nicht alles legalisieren was „weniger schädlich“ ist als Alkohol.

Alkoholkonsum ist gesellschaftlich weiter verbreitet und hat eine größere Lobby. Aber nur, weil wir dieses Problem nicht richtig in Griff bekommen, heißt das nicht, dass wir uns weitere ins Haus holen müssen.

Ich denke zwar das der legale, kontrollierte Verkauf von Cannabis das Risiko senkt, da dann auch zwangsläufig Qualitätsstandards etabliert werden.
Auf der anderen Seite sehen sich dann alle bestätigt, die vorher gesagt haben Cannabis sei nicht schlimm und man könne es gefahrlos konsumieren.

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Du baust hier ein ganz schön großes Strohmannargument auf, was die beiden gar nicht behauptet haben. Es geht doch nicht darum, plötzlich zu sagen, dass es jetzt legal ist und dann kann jeder machen, was er will. Das Hauptargument ist, dass das Strafgesetz eben kein adäquates Mittel zur Suchtbekämpfung und Jugendschutz ist. Weder ist dem Süchtigen, noch dem Kind mit sozialen/psychischen Schwierigkeiten geholfen, wenn wir sie kriminalisieren. Die Ressourcen sollen eben weg von der Polizei und Staatsanwaltschaft hin zum Gesundheitswesen und der Sozialarbeit verlagert werden. Das ist viel zweckmäßiger, was Länder mit liberaler Drogenpolitik wie Portugal, Holland und Kanada erwiesenermaßen vormachen.
Dein Argument mit dem Dealer ist auch fehlgeleitet. In einem legalen Markt gibt es keine Cannabisdealer. Genauso wenig wie du auf der Straße Bier- oder Weindealer siehst. Sobald es einen legalen Markt gibt, üben diese ehemaligen Dealer einen Beruf aus und zahlen Steuern. Was das mit Kapitulation des Rechtsstaates zu tun hat, ist mir unklar. Niemand schreit auf, wenn er einen Winzer oder Bierbrauer trifft. Sobald allerdings jemand eine Pflanze im Keller hat, soll am besten das GSG9 bei ihm einrücken, da ja sonst Sodom und Gomorrha herrscht…

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Ok, Alkohol und Cannabis sind verschieden und in den verschiedenen Aspekten ist mal das eine und mal das andere problematischer und deshalb ist eine „Vergleichsmessung“ der Schädlichkeit nicht möglich. Cannabis holen wir uns nicht ins Haus, es ist schon da. Es fragt sich nur, ob wir es kriminalisieren und folglich den Kriminellen ein Biotop bieten und gleichzeitig der Polizei eine deprimierende Sisyphos-Arbeit aufhalsen oder ob wir es schlau machen und Suchtmittel gleichbehandeln. Ich würde im Übrigen alle Drogen freigeben, um die eben genannten 2 Riesenprobleme gleichzeitig zu lösen. Mit dem eingesparten Geld und der Mühe könnte man die beste Prävention auf die Beine stellen, die die Welt jemals gesehen hat. Ich habe einen hohen amerikanischen Grenzschützer im Interview gehört, der die Hoffnungslosigkeit der Drogenjagd und das Elend des illegalen Drogensumpfes absolut nachvollziehbar und erschütternd geschildert hat. Er hat völlig klar für die umfassende Legalisierung aller Drogen plädiert. Die mexikanischen Drogenkartelle z.B. wären dann ziemlich schnell trockengelegt. Man muss suchtgefährdete Menschen bestmöglich schützen, aber das gelingt am Allwerschlechtesten mit einem nicht zu gewinnenden Krieg, der nur die Illusion eines entschlossenen Handelns liefert und die braven Bürger sonst nicht berührt.

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Was mich hierbei interessiert ist, ob diese Gefahren auch bei einem „staatlich-geprüften“ Cannabis bestehen würden oder ob das letztlich die Nebenwirkungen irgendwelcher hochgezüchteten und mit chemischen Düngern behandelten Sorten sind?

Ich habe selbst keinerlei Erfahrungen mit Drogen. Ich habe nur Freunde in Deutschland bekifft erlebt, die das Klischee des typischen Kiffers erfüllt haben und auf der anderen Seite habe ich Freunde in den USA, die ihr Cannabis „aus gesundheitlichen Gründen“ aus der Apotheke bekommen haben. Die sind mit ihrem Cannabis sehr verantwortungsbewusst umgegangen, es gab verschiedene Sorten für verschiedene „Anlässe“ (Schmerzen, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit), oftmals haben sie dort nicht mal einen ganzen Joint geraucht, sondern nur ein paar Züge genommen und waren danach für mich als Laien ganz normal drauf. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass die unmittelbar vorher gekifft hätten.

Also könnte der ganze Spaß harmloser werden, wenn es staatlich reguliert ist?

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Hallo zusammen, ich hatte gar nicht vor, eine Diskussion loszutreten, sondern einfach die beiden Lage-Autoren zu informieren, falls ihnen die Entwicklungen in der Psychiatrie rund um Cannabis nicht bekannt sein sollten.
Ich muss einräumen, dass ich mich dabei deutlich vergaloppiert habe mit der Aussage, Alkohol sei weniger schädlich. Das ist natürlich falsch, wie viele hier ausführlich dargestellt haben. Und auch meine Aussage, dass Alkohol später schadet als Cannabis ist nicht richtig und nehme ich hiermit zurück. Auch die Zugänglichkeit von Alkohol sollte gelegentlich hinterfragt werden, eben aufgrund der umfangreichen Schäden.
Natürlich habe ich einen beruflichen Bias. Und ja, mit meiner Forderung nach ärztlichen Beratungsgesprächen habe ich mich ebenfalls vergaloppiert, das ist natürlich unrealistisch. Ich finde es aber wichtig, dass die Erfahrungen in meinem Bereich einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden. Aufklärung ist dafür sicher der richtige Weg. Die Idee, durch Legalisierung die finanziellen Ressourcen aus dem für den Zweck ineffezienten Strafsystem abzuziehen und dafür in Prävention zu investieren finde ich großartig, ob dies tatsächlich geschieht oder man sich einfach freut, zu sparen, eher fraglich.

Kontrolliert abgegebenes Cannabis kann durchaus weniger gefährlich sein, denke ich. So weit ich weiß, ist es der gestiegene THC-Gehalt, der das höhere Schadenspotential ausmacht. Der ließe sich ja bei kontrollierter Abgabe begrenzen. Eine Erhöhung des THC-Gehalts ist seitens der Dealer beim bisherigen System ja eine Methode, den Absatz zu steigern, ähnlich wie der Zusatz von Zucker in allen möglichen nicht-süßen Lebensmitteln.
Und ja, es wird in jüngster Zeit erprobt, Cannabis medizinisch einzusetzen, in Amerika anscheinend schon lebhafter, z.B. bei Schmerzstörungen. So weit ich weiß, ist diese Herangehensweise noch recht jung und es gibt noch nicht so viele Befunde zur Wirksamkeit.

Bevor man diskutiert, ob Cannabis nun gefährlich ist oder nicht, sollte man dringend Alkohol und Nikotin verbieten. Beides ist mittelbar und unmittelbar sehr schädlich. Die Gesundheitsschäden belasten die Krankenkassen und die Gesellschaft. Betrunkene, prügelnde Männer sind eine Bedrohung für Frauen, Kinder und auch andere Männer. Rauchen kann im Wald und in Häusern Brände verursachen. Passivrauchen schadet vor allem Kindern, die sich nicht wehren können. Betrunkene Autofahrer’innen verursachen schwere Unfälle, weil sie sich überschätzen, weil sie unaufmerksam sind und weil ihre Reaktionen verzögert sind.
Ich trinke selber gern mal ein Bier, aber wenn ich mir die vielen Nachteile ansehe, bin ich für ein Verbot. Nikotin konnte ich noch nie etwas abgewinnen.

Zum Thema Studien: Man könnte kaum seriös die Häufigkeiten von irgendwas zwischen zwei Ländern vergleichen und dann auf eine spezifische Ursache schließen.

Ja, es wäre schön, wenn man alle Rauschmittel inkl. Nikotin aus der Welt schaffen könnte. Leider ist das unmöglich, denn zur Sucht neigende Menschen finden einen Weg, Verbote zu umgehen, und zwar mit Hilfe von kriminellen Geschäftemachern, die das Problem erst richtig gross machen, siehe Prohibition in USA von 1923 bis 1933 glaube ich. M.E. der bestmögliche Umgang ist die Legalisierung bei bestmöglicher Aufklärung und Unterstützung der dennoch Drogenabhängigen, die es leider auch immer geben wird. Aber es würden weniger Abhängige sein als jetzt mit dieser verklemmten, unlogischen Trennung in legal und illegal bei gleichzeitig kaum vorhanderner Aufklärung und Vorsorge. Alkohol wird ja sogar noch beworben; und die CSU gebiert manche Wahlkampfkampagne in Drogenhöhlen, sog. Bierzelten. Deshalb ist die CSU so drauf aus, dass sich GAR NICHTS ändert an diesem Elend … Das ist jetzt ein wenig polemisch formuliert, stimmt in der Sache aber ziemlich genau.

Ich wollte die Gefahren von Cannabis auf der einen Seite sowie Alkohol und Nikotin auf der anderen Seite ja auch nur ins Verhältnis setzen.
Und Der Übergang zwischen Rauschmitteln und Medikamenten ist fließend. Letztere werden in der Medizin dringend gebraucht. Ebenso ist Alkohol ja ein wichtiges Lösungsmittel. Nur halt nicht für Probleme…