Hallo ihr zwei,
ich habe heute zum ersten Mal euren Podcast gehört, zufällig eher ein Making Off als eine typische Folge (197), und da habt ihr zu der Frage Stellung genommen, ob man Cannabis legalisieren sollte, was ihr klar bejaht.
Ich kann eure Argumente nachvollziehen, dass es unverhältnismäßig teuer ist, den ganzen Polizeiaufwand zu betreiben, und man relativ wenig damit erreicht. Dass es nicht funktioniert, auf diese Weise den Cannabis-Konsum einzuschränken, merkt man ja daran, dass alle möglichen Leute regelmäßig kiffen und sich dafür offenbar nicht in die Tiefen des Drogenmilieus begeben müssen.
Ich war dann erleichtert zu hören, dass ihr immerhin für eine kontrollierte Abgabe in der Apotheke plädiert, und für einen Konsum erst ab 18.
Trotzdem schwingt insgesamt die Vorstellung mit, Cannabis sei harmlos. Oder zumindest nicht gefährlicher als Alkohol, und den kann man ja in jedem Supermarkt kaufen.
Da möchte ich aus fachlicher Sicht ganz vehement widersprechen. Und ich appelliere an eure Verantwortung als Journalisten, die breit rezipiert werden und deren Meinung ernst genommen wird: Informiert euch besser, und kommuniziert das, was ihr lernt, zukünftig in diesem Kontext nach außen.
Also, warum halte ich Cannabis nicht für harmlos?
Ich bin Psychotherapeutin. Ich habe in der Allgemeinpsychiatrie und der Suchtbehandlung gearbeitet, und begegne auch in nicht-psychiatrischen Kliniken und in meiner Tätigkeit in eigener ambulanter Praxis regelmäßig kiffenden Patienten oder ihren Angehörigen. Außerdem habe ich regelmäßig Austausch mit Fachkollegen (sowohl Psychotherapeuten als auch Psychiater aus verschiedenen psychotherapeutischen und psychiatrischen Kontexten).
Und wir alle, insbesondere die Kollegen, die schon deutlich länger dabei sind als ich (10 Jahre) machen folgende Erfahrung: Es häufen sich die Fälle von jungen Menschen, insbesondere jungen Männern, bei denen schwere psychiatrische Erkrankungen durch den gar nicht mal hoch dosierten, aber regelmäßigen Konsum von Cannabis ausgelöst werden.
Dabei spreche ich von zwei typischen Krankheitsbildern. Zum einen sind es psychotische Erkrankungen/ Schizophrenie (Leitsymptome: Warnvorstellungen und Halluzinationen), zum anderen das so genannte amotivationale Syndrom (kognitive Einschränkungen, Trägheit, Müdigkeit - also im Prinzip die erwünschte Wirkung des Cannabis, die dann aber durchgängig und ständig die Alltagsfähigkeit beeinträchtigt).
Jetzt könnte man sagen: „Ja, mein Gott, dann müssen die paar, die es trifft, halt mal in die Psychiatrie, das Cannabis absetzen, und dann ist der Spuk ja vorbei. Deswegen muss man nicht gleich alle einschränken.“
Aber erstens ist eine psychiatrische Behandlung kein Spaziergang, und in diesen Fällen eine deutlich beeinträchtigendere, längerfristige Geschichte als beispielsweise viele depressive Episoden. Psychose heißt stationäre Behandlung über viele Wochen, monatelanges Ausfallen aus sämtlichen Lebenskontexten (Schule/ Beruf, Hobby, Freundschaften, Partnerschaft). Man muss Medikamente einnehmen, die deutliche Nebenwirkungen haben. Die Nebenwirkungen (unter anderem sexuelle Dysfunktionen) führen häufig zum Absetzen der Medikamente, was wiederum zu Rückfällen führt.
Und: Mit dem Absetzen des Cannabis verschwindet häufig nicht die Erkrankung. Denn das zur Zeit gängige Erklärungsmodell ist, dass das THC, vor allem in den heute üblichen hohen Konzentrationen, bei entsprechender genetischer Veranlagung der Trigger ist, der die Erkrankung auslöst - mit der man dann oft lebenslang zu kämpfen hat.
Auch beim amotivationalen Syndrom kommt es zu massiven Beeinträchtigungen, die insbesondere häufig zu starken Verzögerungen, zu einer deutlichen Verschlechterung oder gar zum Scheitern der schulischen und beruflichen Laufbahn führen.
In sofern ist Cannabis in seinen potentiellen schädlichen Wirkungen deutlich zerstörerischer und schneller als Alkohol. Wer täglich ein oder zwei Bier trinkt und im Lauf der Jahrzehnte dann etwas stärkere Alkoholika bevorzugt, kann das in den meisten Fällen neben einem geregelten Leben, neben Ausbildung, Studium und Berufstätigkeit. Es sind eher die Beziehungsgefüge, die zerbrechen. Die gesundheitlichen Folgen (allen voran die demenzartige Erkrankung Korsakoff-Syndrom, die Leberzirrhose und die restless legs) treten erst nach jahrzehntelangem Konsum ein, ähnlich wie der Lungenkrebs oder Herzinfarkt bei Rauchern.
Aber wenn man regelmäßig kifft als Jugendlicher oder junger Erwachsener, kann es gut passieren, wenn man dann von einer der beiden oben beschriebenen Erkrankungen erfasst wird, dass man monate- oder jahrelang aus allen Bezügen fällt, den Anschluss zu den Gleichaltrigen verliert, den Schulabschluss oder das Studium nicht schafft und bei Erholung nur niedriger anknüpfen kann als vorher. Und das bedeutet lebenslange finanzielle Einbußen, oft inhaltliche Frustration, weil Betroffene hinter dem zurückbleiben, was sie mit ihrem Intellekt und ihren Interessen eigentlich hätten anfangen wollen.
Leider ist dieses Wissen in der breiten Öffentlichkeit offenbar nicht präsent. Als eine meiner jungen Patientinnen, eine Studentin, mir erzählte, dass ihr ebenfalls studierender Freund regelmäßig kifft, und dann noch erwähnte, dass dessen Mutter an einer Psychose erkrankt ist, habe ich den jungen Mann einbestellt und ihn aufgeklärt über sein massiv erhöhtes Risiko und ihn eindringlich gewarnt, er möge seinen Konsum einstellen oder zumindest drastisch reduzieren. Ein ganz normaler junger Student, keiner, der ohnehin schon schlecht zurecht kam, wo man vermuten könnte, dass er das Cannabis nutzt, um eine vorbestehende Störung zu bewältigen (auch diese Fälle gibt es reichlich).
Natürlich fand er meine Belehrungen übertrieben. Er änderte nichts.
Nur zwei Monate später brach bei ihm eine Psychose aus, und er ging genau den Weg, den ich oben beschrieben habe, mit wiederholten stationären Aufenthalten über Monate hinweg, Ringen mit der Medikation, die er irgendwann doch akzeptierte, wodurch es langsam besser wurde. So weit ich das mitbekommen habe, ist er mindestens ein Dreivierteljahr komplett aus seinem normalen Alltag und dem Studium herausgefallen - dann zerbrach die ohnehin schon konfliktbeladene Beziehung an seiner Erkrankung, so dass ich den weiteren Verlauf nicht mehr mitbekam.
Da könnte man sagen „ein Einzelfall!“, aber meine Kollegen in der Suchtbehandlung, und diejenigen in der Allgemeinpsychiatrie (wo Psychose und amotivationales Syndrom behandelt werden) erleben das ständig. Und damit eine Wandlung der typischen Betroffenen hin zu jünger und prämorbid ressourcenvoller.
Also: Cannabis zu kriminalisieren ist offenbar ein überteuerter, wenig zielführender Weg.
Aber wenn man es in der Apotheke abgibt, dann wäre ich doch sehr dafür, dass das Geld, das bisher in die Strafverfolgung gesteckt wurde, in Aufklärung transferiert wird.
Und dass man zunächst mindestens ein ärztliches Beratungsgespräch führen muss, bei dem die Familienanamnese erhoben wird. Und vielleicht noch regelmäßige Wiedervorstellung, zumindest bei nicht gelegentlichem Konsum (jährlich, bei jüngeren Menschen halbjährlich), um frühzeitig mitzubekommen, wenn sich solche dramatischen Folgeschäden einstellen, um hoffentlich Krankheitsepisoden zu verhindern oder zumindest durch frühzeitige Behandlung ihre Schwere und Dauer abzumildern.
Elegant wäre es, wenn man mittels eines Bluttests bestimmen könnte, wer ein erhöhtes Risiko hat, um dann gezielt abzuraten. Aber das ist leider noch Zukunftsmusik. Bis dahin sollten sich alle Konsumenten der dramatischen Risiken bewusst sein.
Hier ein paar Links für den Einstieg ins Thema. Denen entnehme ich mal zum Reindenken zwei interessante Zahlen: Immerhin 8 bis 15% der Konsumenten in Deutschland sind psychiatrisch behandlungsbedürftig (200.000 von 1,5 bis 2,5 Millionen) - so viel zu der Frage, ob es ein kleines Problem ist, das nur in seltenen Einzelfällen auftritt.
Und es wird anhand der Veränderungen in den Fallzahlen parallel zur Anreicherung des THC über die Jahre geschätzt, wenn es kein „hochprozentiges“ Cannabis mehr gäbe, könnte man die Zahl der neuerkrankten Psychotiker in London um ein Drittel, in Amsterdam um 50% senken.
Spiegel.de: Je stärker das Cannabis in einer Stadt, desto häufiger sind Psychosen
Ärztezeitung: Cannabis - Regelmäßiger Konsum hat Folgen für Körper und Psyche
Ärzteblatt: Risiken bei nichtmedizinischem Gebrauch von Cannabis
Quarks: Artikel Kopfzeile: Drogen Löst Cannabiskonsum eine Psychose aus?
[Neurologen und Psychiater im Netz: Cannabis-Konsum erhöht bei Jugendlichen das Psychose-Risiko)](https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/kinder-jugend-psychiatrie/ratgeber-archiv/meldungen/article/cannabis-konsum-erhoeht-bei-jugendlichen-das-psychose-risiko/
Unaufgeregt, aber deutlich ist das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie.
Literaturtipp: Büge, M.: Basiswissen: Cannabiskonsum und psychische Störungen. Köln: Psychiatrie Verlag, 2017
Ich hoffe, ich konnte euch ein wenig sensibilisieren und interessieren für das Thema, und bin gespannt auf eure Reaktionen.
Viele Grüße
Dipl.-Psych. Julia Döring
Psychologische Psychotherapeutin