Bundesverfassungsgericht kippt Berliner Mietendeckel

Das Bundesverfassungsgericht kippt beharrlich politische Initiativen zugunsten der materiellen Grundrechte der Bürger und blockiert regelmäßig Fortschritte auf EU-Ebene.

Wir fordern eine Änderung des Grundgesetzes, die die materiellen Rechte der Menschen auf bezahlbaren Wohnraum und Gesundheit sowie eine nachhaltige Umwelt über die vermeintlichen Rechte auf Kapitalvermehrung stellt.

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Diese Forderung (sei sie auch nur politisch sinnvoll oder nicht) hat mit dem Urteil des BVerfG zum Berliner Mietendeckel überhaupt nichts zu tun. Ein solches Grundrecht würde die Argumentation des BVerfG in keinster Weise ändern:

Der Berliner Mietendeckel in dieser Form verstößt gegen die Kompetenzordnung der Art. 70 ff GG - und das relativ eindeutig. So hat der Bund in konkurrierender Gesetzgebungskompetenz schon abschließend über das Mietrecht im BGB und der Mietpreisbremse entschieden und so keinen gesetzgeberischen Spielraum für die Länder „überlassen“. Demnach tritt die Sperrwirkung nach Art. 72 I Hs. 2 GG ein. Da der Berliner Senat keine Gesetzgebungskompetenz zum Mietendeckel hatte, ist dieses Gesetz nichtig.

Das gilt es nun zu akzeptieren, auch wenn man dieses Urteil persönlich ablehnt oder nicht. In der konkreten und fachlichen Sache hat das BVerfG vollkommen recht.

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Soweit ich sehen kann, hat das BVG den Mietendeckel in Berlin gekippt, weil die gesetzgeberischen Kompetenzen des Landes überschritten wurden, und nicht wegen anderer Bewertung des Rechts auf Kapitalvermehrung gegenüber Wohnraum.
Aus meiner Sicht liegt es am Bund hier entsprechende wirksame Gesetze zu erlassen, und an den Ländern und den Kommunen mit Wohnungsbau und -vergabe den hohen Mieten entgegen zu wirken.
Nur weil ein Gesetz eine gute Intention hat, heißt es noch lange nicht, dass dieses rechtens ist. Die Unterstellung, dass das BVG hier blockiert halte ich für übertrieben.

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Sorry, aber hinter einer scheinbar technischen Entscheidung verbirgt sich eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Weltanschauung, die das Eigentum über andere Rechte stellt. In der Tat ist das technische Framing an sich tief ideologisch.

Wie Tim Wihl in das Vervassungsblog anmerkt:

Die Richter:innen scheinen daher in ihrer scheinbar so technischen Bewertung einer Kompetenzfrage Marktideologien erlegen zu sein.

Der Berliner Verwaltungsgericht hat ein völlig andere Sicht:

Doch man hätte abermals nicht in die Formalismusfalle laufen dürfen. Die administrative Anordnung und Durchsetzung machen einen großen praktischen Unterschied, so dass das Berliner Verwaltungsgericht kürzlich völlig richtig auf die Verfassungsmäßigkeit des Mietendeckels erkannte. Insbesondere aber wäre es verfassungssystematisch geboten und logisch folgerichtig gewesen, die Kompetenz im Wohnungswesen einerseits mit Blick auf Art. 70 GG – den Primat der Länder – angesichts der Zweifel bezüglich der Ursprungsbedeutung großzügig auszulegen. Es ist eine anerkannte Interpretationsregel, bei Kompetenztiteln derart (1) länderfreundlich und (2) ursprungsbezogen zu urteilen. Das Preisrecht hätte also klarerweise zum Wohnungswesen gerechnet werden müssen. Das wird, wie gezeigt, maßgeblich weiter dadurch unterstützt, dass das „Wohnungswesen“ (gerade in Berlin) hinsichtlich seiner bis zur Föderalismusreform bundesrechtlichen Bedeutung eben keinen klar definierten „freien“ Sektor kannte. Damit fällt aber auch die vermeintlich evidente Zuordnung zum „bürgerlichen Recht“. Und das im doppelten Sinne.

Am Ende:

Letztlich ist nichts so simpel, wie es dem Zweiten Senat erscheint: nicht die deutsche Souveränität und nicht das bürgerliche Recht.

Wihl, Tim: Zur Nichtigkeit des Berliner Mietendeckels: Erste Anmerkungen zu einem eklatanten Fehlurteil, VerfBlog, 2021/4/15, Zur Nichtigkeit des Berliner Mietendeckels – Verfassungsblog

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Wenn man auf einer mehr ‚Meta‘-Ebene betrachten möchte, wie das Recht den Vorrang des Eigentums vor anderen Rechten codiert - áhnlich wie die DNA Aminosäuren und größere biologische Strukturen kodiert -, kann ich nur das Buch der angesehenen Rechtswissenschaftlerin Katherina Pistor empfehlen.

Katharina Pistor: „Der Code des Kapitals: Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft“
Suhrkamp, 2020
440 Seiten, 32 Euro

Youtube videos dazu:

Auf Deutsch:

Auf Englisch:

Lesenswerte Einordnungen finden sich auch auf Twitter, zB von Prof. Anna Katharina Mangold

und von Selma Gather von „Justitias Töchtern“:

Ich bin nur zum Punkt „ungünstigste Entscheidung“ anderer Meinung als Selma: Es hätte noch schlimmer kommen können, denn immerhin hat der Zweite Senat nicht behauptet, Mietendeckel seien mit der Eigentumsfreiheit unvereinbar … d.h. der Bund kann sie immer noch regeln.

Damit ist das nun ein heißes Thema für die Bundestagswahl.

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Wie funktioniert eigentlich das Verfassungsgericht? Ist per Definition jede begründete Entscheidung von denen konform mit der Verfassung? Also werden diese Entscheidung per Definition zur Wahrheit?

Die Einschätzungen waren ja teilweise so unterschiedlich, dass es irgendwie verwunderlich ist, dass das Verfassungsgericht das für nichtig erklärt als sei das doch offensichtlich. Es wirkt, als wäre die Frage eigentlich nicht wohl definiert bzw. beides wäre möglich gewesen.

Und warum haben die da dann so lange dafür gebraucht? Wenn das so offensichtlich nichtig ist, weil BGB hier abschließend regelt, warum haben sie dann dem Eilantrag nicht stattgegeben? Oder haben die jetzt nur schnell nach dem Berliner Verwaltungsgericht (Bundesverfassungsgericht kippt Berliner Mietendeckel - #4 von klastree) „was raushauen“ müssen?

[Ursprünglich auf Twitter an Ulf gestellt https://twitter.com/svenpilz/status/1382722847827722241]

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@vieuxrenard wird mit evtl. zustimmen, aber die Argumentation und der Argumentationsstrang ist juristisch nicht angreifbar. Das BVerfG hat im gesamten Beschluss ein business as usal durch Auslegung vollzogen - klar, etwas „konservativer“ als jetzt die meisten Studierenden es tun werden.

Jetzt hier eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Weltanschauung des BVerfG herbeizureden, finde ich juristisch überhaupt nicht tragbar bzw. nicht sichtbar. Den Artikel auf Verfassungsblog ist viel näher an Ideologie als dieser Beschluss. Die Zusammenfassungen von Prof. Mangold und Selma Gather gehen da schon in die richtigere Richtung. Es darf Politik und Rechtswissenschaft hier nicht vermischt werden.

Die Gesetzgebungszustand für das bürgerliche Recht ist nunmal konkurrierend und wie schon die überwiegende juristische Literatur es angezeigt haben, ist der Bund mit dem Mietrecht im BGB und der Mietpreisbremse abschließend tätig geworden. Dies kann man nicht bestreiten. Das BVerfG hat auch etwas umständlich geschrieben, dass das Problem des Landes Berlin war, nur allein Mieten zu regeln. Hätte das Land Berlin auch das Wohnungswesen geregelt und den Mietendeckel in eine große wohnungspolitische Strategie eingesponnen, wäre die Entscheidung wahrscheinlich anders verlaufen.

Die abstrakte Normenkontrolle und die konkreten Normenkontrollen gingen erst Anfang 2020 im BVerfG ein. Eine Entscheidung von einem Jahr ist für das BVerfG in einer sehr grundsätzlichen Entscheidung nichts ungewöhnliches. Die Entscheidung von 7:1 bzw. 8:0 zeigt auch, dass das Thema auch bei den neueren Richtern Anklang gefunden hat. Dies könnte auch ein Grund sein, warum das BVerfG „so lange“ gebraucht hat. Frau Wallrabenstein musste sich dann auch erst einarbeiten und die Organisation wurde von Herrn Voßkuhle auf Frau König umgestellt. Dies dauert schon seine Zeit. Zum grundsätzlichen Verfahren: die berichterstattende Person erstellt zuerst eine Art Falllösung und stellt diesen den Kollegen vor. Je nach Thema werden dann Änderungen vorgenommen etc. Im Zweiten Senat scheint das Verfahren auch so zu sein, dass jede Person eine komplette Falllösung abgibt bzw. in einer Besprechung kundtut (Quelle: ARD-Podcast „Die Justizreporter*innen“ Folge vom. 30.06.2020 - Interview mit Johannes Masing) . Aber knapp ein Jahr Bearbeitung ist nicht lang für das BVerfG.

Das BVerfG legt die Verfassung verbindlich aus; es kann jederzeit seine Meinung und damit die Rechtsprechung ändern. Dementsprechend ist dies - wie beim BGH, BVerwG etc - nicht per Definition die Wahrheit. Allerdings steht - mit ein paar Ausnahmen - das BVerfG nicht im Verdacht, die eigene Verfassung zu verkennen.

Die Verfassungsgerichtsbarkeit in den Ländern war hier doch sehr eindeutig, wenn man die Urteile aus Bayern (zum Volksbegehren Mietenstopp) oder Berlin betrachtet. In beiden Urteilen wurde die Kompetenz des Bundes bejaht und damit die Sperrwirkung des Art. 72 GG - in meinen Augen sogar besser als das BVerfG. Die Auslegung des BVerfG ist im Großen und Ganzen nicht absurd und aus juristischer Sicht nachvollziehbar. Witzig fande ich persönlich den historischen und den teleologischen Argumentationsaufwand des Beschlusses. Aber eben nachvollziehbar. Die meisten Studierenden würden wahrscheinlich zum selben Ergebnis kommen.

Zum politischen Aspekt haben Selma Gather und @vieuxrenard das richtige gesagt.

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Was mich als Nichtjuristen an der Begründung stört ist eigentlich die Formulierung „abschließend geregelt“.

Ich mein das mit der Sperrwirkung ist für mich nachvollziehbar, aber wenn etwas abschließend geregelt wäre bräuchte man ja nichts mehr ändern und es würde funktionieren.

Nur funktionieren kann man ja dem deutschen Mietmarkt nicht wirklich nachsagen.

Oder steht mir da einfach mein technisches Denken aus Elektronik und Steuerung im Weg um das richtig einzuordnen?

Lieber Philipp, lieber Ulf,
Auch wenn ich eure Berichterstattung zumeist sehr schätze, muss ich selbige zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Mietendeckel doch kritisieren.
Denn wie viele andere eher linksgerichtet Medien nehmt ihr die Mieterperspektive vorrangig in den Blick anstatt ordentlich zu resümieren, was sich mit dem Mietendeckel eigentlich so getan hat. Sicherlich ist die Mieterperspektive zu berücksichtigen, hohe Mieten sind ein großes Problem - keine Frage, die Auswirkungen des Mietendeckels fehlen mir aber in der neuesten Lage. Tatsächlich war der Mietendeckel kein „wirksames“ Instrument, wenngleich eine gewisse Entlastung für die Mieter, die nun aber wieder rückgangig geworden ist. Das Angebot an Mietwohnungen ist insgesamt in Berlin stark zurückgegangen (~30%), während es in anderen Großstädten angestiegen ist, viele Wohnungen werden nicht mehr vermietet, da es sich für die Vermietenden nicht mehr rentiert. Der „Ausflug in die Planwirtschaft“ (FAZ) der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung ist de facto auch in der Sache gescheitert.
Bei zu hohen Preisen in der Marktwirtschaft hilft schlicht und ergreifend nur eine Ausweitung des Angebots und keine überbordende Regulierung.

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Das wäre auch in der Juristerei sehr schön, wenn etwas funktioniert, wenn eine Maßnahme „abschließend“ geregelt ist. So ist es leider nicht. Bei einer abschließend geregelten Materie ist der Kreis der in dieser Materie betroffenen Fälle von vornherein begrenzt und andere, dort nicht aufgezählte Fälle sind ausgeschlossen.

Anders ausgedrückt: der Bund hat die gesamte Materie komplett geregelt und hat keine Rechtslücken gelassen, sodass ein Bundesland diese Lücke schließen kann.

Ich bin hier komplett anderer Meinung:
Es würde dem ökologischen und gesellschaftlichen Zusammenleben sehr gut tun wenn die Mieten in den Innenstätten ihrem Wert entsprechend vermieted werden können. Berlin ist in dem Fall auch ohne Mietendeckel im europäischen Hauptstadtvergleich noch sehr günstig. Landflucht ist ein großes Problem grade in Brandenburg, der Mietendeckel hat das nur verschärft. Es sollte vielmehr Wert auf dei Infrastruktur in der Berliner Umgebung gelegt werden und es sollten dort attraktive Wohnungen entstehen.

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Das ist aber wieder ein Widerspruch – Landflucht und hoch verdichtetes Wohnen sind ökologisch vorteilhaft.

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Danke für die Antwort, hilft mir aber nicht wirklich weiter.

Ja der Bund hat in seiner Gesetzgebung die Mietpreisbremse, aber sollte es nicht so sein, dass der Bund die Mindeststandards vorgibt und die Länder dies bei Bedarf verschärfen können?

Und wenn etwas vom Bund nicht funktioniert ist doch dort wieder die Lücke wo die Länder reingrätschen können / müssen.

Also so wie ich das sehe ist die Luft auf dem Land eher weniger von Schadstoffen belastet als in der Stadt.

Diese Beschreibung lese ich vielfach, aber gibt es dafür eigentlich Belege oder Anhaltspunkte? In Berlin darf eine Wohnung eigentlich nur drei Monate leerstehen (ausgenommen für Sanierungen) bevor Bußgelder wegen Zweckentfremdung verhängt werden. Mag ja sein, dass die Bezirksämter nicht alle Verstöße gegen das Zweckentfremdungsverbot mitbekommen, aber gibt es wirklich ernstzunehmende Indizien für so viel Wohnungsleerstand wie häufig behauptet wird?

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Prinzipiell muss man trotzdem sagen, dass die Berliner Regierung wenigstens mal etwas gegen die wuchernden Mieten und indirekt auch Immobilienpreise tun wollte, denn von der Regierung sehe ich da wenig bis nichts. Ich finde Wohnraum zählt unter die Grundbedürfnisse und darf nicht Spekulanten ausgeliefert werden. Wir haben leider das Problem, dass mit Draghi ein sehr schlechter Chef der EZB zu lange das sagen hatte, denn diese Niedrigzinspolitik hat nur den Reichen und Unternehmen genutzt, die meisten Konsumenten erleben mehr Nachteile. Es wird in einen starken deutschen Markt mit viel Geld innlos noch mehr Geld gepumpt und so die Immobilienpreise sinnlos erhitzt. Hierdurch ist es für normale Bürger sehr schwer Eigentum zu erwerben, da die Immobilie immer einen wesentlich höheren Wert hat als den Tatsächlichen. Nur hat man als Normalbürger leider nicht so viel Eigenkapital oder andere Sachwerte um diese als Sicherheit zu hinterlegen. Ich hoffe sehr auf eine Vermögenssteuer und höhere Erbschaftssteuer, denn das Kapital muss leider durch den Gesetzgeber wieder gleichmäßiger verteilt werden.

Habe heute erst von einer Freundin in Kreuzberg gehört, dass eine Wohnung in ihrem Haus, die seit Monaten leer steht auf wundersame Weise seit heute für die Neuvermietung hergerichtet wird. Ob das legal ist, weiß ich nicht, aber dass das Wohnungsangebot künstlich verknappt wurde, ist für mich offensichtlich.

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Es geht hier doch nicht darum, wie etwas „sein sollte“, sondern wie es ist. Und es ist so, dass im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung der Bund entscheidet ob er ein Rechtsproblem -aus seiner Sicht- abschließend regelt oder nicht. Wenn der Bund eine Mietpreisbremse einführt, dann stellt er sich vor, dass diese Mietpreisbremse sinnvoll ist und ausreicht. Und wenn da im Gesetz nicht explizit steht, dass es sich nur um einen Mindeststandard handelt und die Länder da noch zusätzlich was regeln können, können die Länder in der selben Sache keine eigenen Gesetze mehr erlassen.

Nun wurde wohl argumentiert, die Regelung des Bundes sei nicht abschließend gewesen oder der Mietendeckel sei etwas ganz anderes als die Mietpreisbremse und daher nicht von der abschließenden Regelung bezüglich Mietpreisbtrmsen erfasst. Aber es bleibt dabei, dass der Bund die Kompetenz hat zu entscheiden ob seine Regelung abschließend ist (bzw. dann im Ergebnis das BVerfG was ja ein Bundesgericht ist und kein Landesgericht) und nicht das Land.

Es wäre für den Normalbürger auch nicht billiger, Wohnraum zu kaufen, wenn die Zinsen höher wären. Das ist wohl ein Denkfehler. Die hohen Preise haben viele Gründe, aber niedrige Zinsen gehören wohl nicht dazu.