Bundestag beschließt neue Form der Bürgerbeteiligung: Bürgerrat [...]

Diese Pressemitteilung des Bundestages hat von den Medien sehr wenig Aufmerksamkeit bekommen, ich finde die Mitteilung allerdings sehr spannend und denke, dass das Thema gut zu eurem Format passt:

„Bundestag beschließt neue Form der Bürgerbeteiligung: Bürgerrat soll Parlament Bürgergutachten zur Rolle Deutschlands in der Welt vorlegen“

Was ich nicht habe rausfinden können ist, welche Bedeutung hat es, wenn der Ältestenrat das beschließt? Muss das dann noch durchs Plenum? Ist das jetzt ein konkreter Plan oder nur der Plan einen Plan zu machen?

Das wäre meines Erachtens ein guter Anlass, sich mal mit dem Konzept von Bürgerräten und dem Bündnis Bürgerrat Demokratie zu beschäftigen.

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Außerdem hat die französische „Convention Citoyenne pour le Climat“ heute ihre Abschlusssitzung:
http://unternehmen-heute.de/news.php?newsid=649517 ist der bisher einzige Presseartikel, den ich dazu finden konnte…
https://www.conventioncitoyennepourleclimat.fr/en/
oder bei Twitter @Conv_Citoyenne falls ihr französisch könnt :smiley:
Der Bürgerrat Demokratie twittert auch live über die Convention Citoyenne: @buergerrat_de

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Ich fände das Thema auch sehr interessant. Auch die konkrete Bedeutung ist mir unklar. Vielleicht wäre auch ein Gespräch mit einem der 160 interessant.

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Das Thema ist wirklich sehr spannend. In Ostbelgien gibt es sogar seit letztem Jahr eine dauerhafte Kammer aus gelosten Bürgern

Bürgerdialog Eupen

In dem Artikel wird auch das Buch von David Van Reybrouck („Gegen Wahlen“) erwähnt. Eine sehr gute Lektüre, wenn einen das Thema interessiert.

PS: ich hatte übersehen, dass es den Themenvorschlag schonmal gab und habe ihn auch nochmal reingestellt :sweat_smile:

In Irland gab es da ja auch schon, wie man im sehr empfehlenswerten Podcast des NDR 180 Grad Geschichten gegen Hass hören kann.

Mal schauen was dabei rauskommt.

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Mich würde mal interessieren, was die Leute hier im Forum davon halten würden, wenn es tatsächlich eine gesetzgebende Kammer rein aus ausgelosten Bürger geben würde.
Ich habe durchaus ein paar Argumente dafür gefunden.

Zum einen wäre das Verfahren weniger elitär. Obwohl theoretisch jeder gewählt werden kann bestimmen die Parteien wer auf den Listen steht und als Direktkandidat zu kandidieren ist Kosten und Zeit intensiv (kann sich nicht jeder Leisten). Im Losverfahren hätte jeder die gleiche Chance ins Parlament zukommen.

Das hätte gleich den nächsten Vorteil, dass das Parlament diverser würde, da aus statistischer Sicht jede Bevölkerungsgruppe anteilig im Parlament vertreten wäre.

Zum Schluss würden Debatten versachlicht, da die starren Parteigrenzen wegfallen und Debatten weniger emotional aufgeladen werden, da kein Wahlkampf mehr statt findet.

Wie gesagt eure Meinung zu dem Thema würde mich brennend interessieren.

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Die Idee, eine gesetzgebende Kammer rein aus ausgelosten Bürger*innen, halte ich nicht für sinnvoll. Ich glaube, es ist gut, dass der gesetzgeberische Alltagsbetrieb von erfahrenen Politiker*innen durchgeführt wird und ich vermute, dass das Risiko, dass ein Ministerium einen unliebsamen Paragrafen in ein Gesetz schmuggelt (siehe LdN 199), wäre bei hier noch deutlich höher. Stattdessen sollte ein gelostes Gremium dann relevant werden, wenn größe gesellschaftliche Entscheidungen getroffen werden müssen (damit meine ich jedes Thema, das es unter Normalbedingungen in die Nachrichten schafft).

Außerdem glaube ich nicht, dass geloste Entscheidungsgremien ein Allheilmittel sind. Insbesondere der Einfluss von Lobbyismus dürfte in gelosten Gremien nicht wesentlich geringer sein. Wenn man Gerhard Schick (ehem. grüner Bundestagsabgeordneter und finanzpolitischer Sprecher der Grünen) glaubt, ist das Problem mit Lobbyismus weniger, dass sie Politiker*innen mit teuren Sektempfängen und lukrativen Stellenangeboten kaufen, sondern, dass sie mit gut klingenden, schlüssigen, einfach verständlichen Analysen und nicht selten fertigen Gesetzentwürfen kommen, während die Zivilgesellschaft derartige Wissenschaftskommunikation oft nicht bieten kann. Daraus folgt, dass eine Neugestaltung des Lobbyismus und insbesondere eine wesentliche finanzielle Aufstockung bspw des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages eine mindestens so wichtige und notwendige Veränderung unseres politischen Systems ist.

Das einmal gesagt, bin ich überzeugt davon, dass geloste Bürgerräte/-versammlungen (sei es in beratender Form zu einzelnen Themen, wie in Irland, Frankreich oder UK, als dauerhaftes Beratungsgremium wie in Ostbelgien oder als vollwertige parlamentarische Kammer neben einer gewählten Kammer) der entscheidende nächste Schritt zu einer besser funktionierenden Demokratie sind. Die entscheidenden Argumente:

  • Bessere Repräsentation: Ohne es untermauern zu können, glaube ich, dass ein wirklich repräsenatives Gremium zB. bessere Bildungspolitik machen würde, als ein Gremium in dem naturgemäß nur die Gewinner des aktuellen Bildungssystems sitzen
  • Mehr Mut zu notwendigen Veränderungen: In einer Demokratie sind politische Entscheidungen (hoffentlich!) geprägt vom gesamtgesellschaftlichen Diskurs – allzu drastische Maßnahmen gegen die eigene Wählerschaft sind nicht durchsetzbar (prinzipiell ist das ja auch wünschenswert). Der öffentliche Diskurs ist aber naturgemäß verkürzt, unsachlich und durchsetzt von Opportunismus und machtpolitischen Interessen und dadurch insbesondere polarisierend und eben nicht konsensorientiert. Ein gelostes Gremium muss nicht wiedergewählt werden und kann dadurch (und tut es wie die Erfahrung zeigt auch) drastischere Maßnahmen beschließen.
  • Kein „die Politiker da oben“ mehr: Direkt mit dem vorigen Punkt hängt zusammen, dass ein gelostes Gremium eben tatsächlich aus der Mitte der Gesellschaft zusammengesetzt ist. Das erhöht (wieder durch die Erfahrung mit den vergangenen Bürger*innenversammlungen bestätigt) die Akzeptanz der Beschlüsse des Gremiums in der Gesamtbevölkerung drastisch.
  • Kein Fraktionszwang: Der Fraktionszwang ist ein durchaus notwendiger Bestandteil parlamentarischer Arbeitsteilung, mindert aber gerade bei großen Entscheidungen die demokratische Legitmität der Entscheidung. Geloste Gremien (in der Form wie sie im Moment diskutiert werden) müssen keine Regierung bilden und können auch gar keine steifen Fraktionen bilden. Dadurch setzen sich Vorschläge, die mehrheitsfähig sind, auch besser durch. Generell sind machtpolitische Absprachen kein Thema.
  • Fundierter als Referenden: Während insbesondere bei Volksabstimmungen, aber auch bei Wahlen, ein großer Teil der Bevölkerung eher uninformierte Entscheidungen trifft (selbst ich als politisch aktiver Mensch kenne nicht die Agenda der Direktkandidaten meines Wahlkreises, geschweige denn die Kandidaten persönlich), werden in Bürgerräten die Teilnehmenden umfassend, multiperspektiv und wissenschaftlich informiert, hören die Ansicht ihrer favorisierten politischen Partei und der Gegenparteien und haben darüber diskutiert. Ich behaupte, dass ein so entstandender Beschluss mehr demokratische Legitimation hat, als die uninformierte Meinung der Gesamtbevölkerung
  • Der mMn wichtigste Aspekt: Deliberation. Die Teilnehmenden geloster Entscheidungs/Beratungsgremien treten in direkten Kontakt miteinander und diskutieren (unter professioneller Moderation) mit politisch Andersgesinnten. Das führt erwiesenermaßen zu einem zielgerichteteren, konsensorientierten Dialog, im Gegensatz zu dem eher polarisierenden öffentlichen Diskurs und vereint die Gesellschaft, statt sie zu spalten. Das passiert natürlich im Parlament auch, hat aber durch den Aspekt, dass es ein echtes Abbild der Bevölkerung ist, nochmal mehr Bedeutung.
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Hallo @armin

Danke für deine ausführliche Antwort. Ich habe mir dazu mal ein paar Gedanken aufgeschrieben

Ich denke ich nicht das derartige Manipulationen häufiger Vorkommen würde, da ich persönlich denke, dass es hier auf das Vertrauen zwischen Ministerium und Parlament ankommt.
Aber Erfahrung im Parlamentsbetrieb kann sehr wertvoll sein. (Schreiben von Gestetzestexten, Auswirkung Gesetzen vewchteu, Gesetzeslücken erkennen etc.). Es bräuchte auf alle Fälle einen Mechanismus, der diese Erfahrung kultivieren kann.

Ich glaube auch, dass das in der Regel für normale Abgeordnete so funktioniert. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Es gibt über viele Jahre gewachsene Lobbynetzwerke. Man kennt sich halt. Das solche Netzwerke entstehen, würde durch ein gelostes Parlament erheblich erschwert werden, da die Abgeordneten häufig wechseln und in keinen engen persönlichen Kontakt stehen bis sie ihre Abgeordnetentätigkeit aufnehmen.
Natürlich benötigt es noch immer effektive Lobbykontrolmechanismen, wie ein Lobbyregister. Aber ich glaube, dass ein gelostes Parlament sich weniger gegen solche Maßnahmen sperren würde wie unsere aktuelle Regierung.

Dem restlichen Text kann ich nur zustimmen. Ich denke auch das geloste Gremien ( egal in welcher Form) helfen gesellschaftliche Gräben zu überwinden und die Politik auf langfristige Ziele auslegt.

Ich stimme dir in allem zu was du sagst, insbesondere was die lange gewachsenen Lobbynetzwerke angeht.

Ich denke immernoch, dass der gewöhnliche politische Alltag in den Händen gewählter Parlamente gut aufgehoben ist und geloste Bürger*innenräte für die größeren Fragen (und wie gesagt, darunter zähle ich ua. alles, was normale Bürger von der Politik mitkriegen)

Btw. hier eine weitere Pressemitteilung des Bundestages zu dem Thema (keine Garantie, dass ich nicht zwischenzeitlich Pressemittelungen zu dem Thema verpasst habe): Deutscher Bundestag - Pressemitteilungen

Vielleicht würde auch eine Mischform aus Wahl und Los neue Impulse in den Politbetrieb bringen, wobei man nicht auf die Erfahrung von Berufspolitikern verzichten muss.
Im Buch „Gegen Wahlen“ von David van Reybrouck wird dieses Prinzip als bi-representative Demokratie bezeichnet. Das kann als zusätzliche Kammer ausgestaltet werden oder es wird einfach ein Teil der Abgeordneten per Los bestimmt.

Ebenfalls btw: Es lohnt sich wirklich dem Bürgerrat auf Twitter zu folgen, da die immer sehr interessante Artikel zu diesem Thema twittern.

Unter anderem auch diesen hier.

Demnach plant auch Frankreich eine Kammer aus ausgelosten Bürgern, die eine beratende Funktion hat.

Ich habe mal den ersten Teil durch den Übersetzer gejagt.

Die seit mehr als zwei Jahren geplante Reform des Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrates (ECOSOC), die durch die Benalla-Affäre gestoppt wurde, wurde Anfang Juli im Ministerrat verabschiedet und wird ab 14. September in der Versammlung diskutiert. Der Text sollte diese dritte Vollversammlung zu einem „Scheideweg für öffentliche Konsultationen“ machen. Nach den erfolgreichen Erfahrungen mit der Bürger-Klimakonvention, die zu 150 Maßnahmen führte, die von 150 Bürgern nach dem Zufallsprinzip angenommen wurden, soll dieses Modell auf andere Themenbereiche übertragen werden Der Gesetzesentwurf ermöglicht es dem EWSA somit, „Bürgerkonferenzen nach dem Vorbild der Bürger-Klimakonvention zu organisieren, wobei die Bürger durch das Los bestimmt werden, eine Konsultation zu einem in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Thema zu organisieren“. Dies versprach Emmanuel Macron in seiner Rede vor den Mitgliedern der Bürgerklimakonvention am 29. Juni, als er erklärte, dass er den EWSA in eine „Kammer der Bürgerkonventionen“ umwandeln wolle.

Übersetzt mit DeepL Translate: The world's most accurate translator (kostenlose Version)

Zeit-Artikel Bürgerräte

Nachdem das Thema gerade wieder präsenter in den Medien ist, verlinke ich euch mal den sehr interessanten Zeit-Artikel dazu.

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Hallo, falls das Thema Bürgerräte euch noch interessiert, dann habe ich mal wieder einen Link für euch. :wink:

Mal angenommen Bürgerräte regieren mit

Der ARD Podcast „Mal angenommen“ hat sich mit dem Thema beschäftigt. Ich fand es sehr interessant. Unter anderem wird beleuchtet, wie so ein Bürgerrat abläuft und sie haben auch mit ehemaligen Teilnehmern geredet.
Die Folge dauert ca. 20 Minuten.

Diese Woche ist es ein Muss! :smiley:

Der Bürgerrat hat getagt und seine Ergebnisse vorgelegt: Ergebnisse des Bürgerrates „Deutschlands Rolle in der Welt“ stehen fest: Bürgerrat Deutschlands Rolle in der Welt
Bürgerrat - aktuelle Nachrichten | tagesschau.de
Bürgerrat wünscht sich Deutschland als faires Vorbild | Deutschland | DW | 22.02.2021

Nachdem ich die Forderungen gelesen habe, frage ich mich, woran es liegt, dass die so „linksgrün“ ausfallen? Ist das System oder die Umsetzung des Bürgerrates irgendwie biased? Oder sind rechtskonservative Meinungen in der öffentlichen Wahrnehmung überrepräsentiert? Oder sind wenn mal ein konstruktiver Diskurs herrscht, linke und und konservative Werte einfach nicht so weit voneinander entfernt? Oder ist einfach soviel dran an dem Spruch „Das ist nicht links, das ist logisch.“ :slight_smile:

Ein wichtiger Punkt ist auf jeden Fall, dass der Bürgerrat nicht einfach nur die Meinung der Mehrheit darstellt, sondern die Meinung der Mehrheit, nachdem sie Zugang zu allen Fakten und die Möglichkeit genutzt hat, diese mit Menschen unterschiedlichen Hintergrunds zu besprechen.

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